Protokoll der Sitzung vom 30.05.2008

Die Frage ist doch die: Können wir durch eine Hervorhebung der klassischen Familie wieder stärkere Bindungen für Kinder finden und damit Kindesmisshandlung ausschließen? Können wir durch eine Wertedebatte über menschliches Leben, über stärkere soziale Bindungen Kindesmisshandlung ausschließen? - Da brauchen wir uns die Frage nach der Justiz überhaupt nicht zu stellen.

(Zustimmung bei der CDU)

Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang auch stellt, ist ein Ausfluss dessen: Ist es nicht ein Tatbestand der Spaßgesellschaft, die wir in den letzten Jahren gehabt haben, dass wir im Vordergrund die eigenen Egoismen sehen, aber nicht das klassische Wertegefühl dafür haben, für andere, für neugeborenes Leben, für eine Familie, für übergreifende Generationsfragen Verantwortung zu übernehmen?

Das halte ich für das eigentliche Kernthema mit ganz unterschiedlichen Ausgestaltungen, über die man sich parteipolitisch streiten muss.

Die LINKEN haben auf ihrem Parteitag gesagt, sie wollen die Verantwortung für Kinder ein Stück weit mehr in die öffentliche Hand legen, weil Kinder mehr von Kindern lernen sollen und weniger von familiären Bindungen.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Wir in der CDU haben dazu eine ganz andere Auffassung. Das sind die eigentlichen Kernfragen. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zu, weil wir nicht nur die reine Justizfrage, nicht allein die finanzielle Frage beleuchtet wissen wollen.

Wir wollen vielmehr, dass wir uns damit auseinandersetzen, wie wir Familie im klassischen Sinne wieder stärker machen können, wie wir dafür Sorge tragen können, dass es weniger Kindesmisshandlungen gibt. Das geht nicht repressiv, das geht vorausschauend und aktiv. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Stahlknecht, für Ihren Debattenbeitrag. - Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Abgeordneten Frau von Angern das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Fraktion DIE LINKE unterstützt die Intention des FDP-Antrages. Gerade vor dem Hintergrund der momentanen Diskussion um einen besseren Schutz von Kindern vor Verwahrlosung und Misshandlung ist es erforderlich, dass wir prüfen, welche tatsächlichen und rechtlichen Schutzmechanismen bereits existieren und wo Lücken bestehen, die es möglicherweise zu schließen gilt.

Ich spreche bewusst von tatsächlichen und rechtlichen Schutzmechanismen. Ich denke, dass es sich dabei auch um die finanziellen Möglichkeiten handeln muss und dass sich bei diesem Thema irgendwann auch der Innenminister bezüglich der Kommunen stellen muss.

Wir benötigen gerade bei diesem Thema einen seriösen und nicht einen plakativen Umgang, ohne uns jedoch der Wahrheit zu verschließen, dass wir eben nicht jeden Fall von Kindesmisshandlung werden verhindern können.

Kinder sind im Gegensatz zu Erwachsenen objektiv schutzbedürftig, und für diesen Schutz müssen zuallererst die Eltern Sorge tragen. Die Gesellschaft kann und muss hierfür entsprechende Rahmenbedingungen setzen, sich gegenüber den Eltern jedoch nachrangig verhalten. Ich halte die Gewichtung hinsichtlich der Autonomie der Familie für gut und richtig.

Wenn jedoch Eltern dieser originären Verantwortung nicht oder nicht ausreichend gerecht werden, muss die

Gesellschaft eingreifen; denn Kinder können sich eben nicht allein helfen. Die Frage ist jedoch, wann und wie das geschehen sollte.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

- Nein, das ist eben nicht unstrittig, Herr Borgwardt.

Die Einführung des § 8a im SGB VIII stellt dabei eine Handlungsvoraussetzung dar, ist aber auch nur ein Mosaikstein im gesamten Gefüge mit sehr begrenzten Möglichkeiten.

Ein weiterer Mosaikstein können die Änderungen im Familienrecht sein. Entscheidend ist dabei die Frage, wann der Moment eingetreten ist, der einen Eingriff in die Autonomie einer Familie rechtfertigt - dies umso mehr bei einem gerichtlichen und damit sehr intensiven Eingriff.

Dabei kommen die verschiedenen Institutionen sicherlich zu verschiedenen Entscheidungen, und die interessierte Öffentlichkeit ist dabei zuweilen auch nicht sehr hilfreich. Deshalb müssen die jeweiligen Perspektiven, Möglichkeiten und Kapazitäten genau geprüft werden.

Es geht also vorliegend nicht nur um eine scheinbar einfache Änderung im Familienrecht. Vielmehr müssen sämtliche Institutionen unter die Lupe genommen werden; denn ein isoliertes gerichtliches Handeln hilft dem Kind und der Familie nicht. Es bedarf der Zusammenarbeit aller Unterstützungsstellen, wie zum Beispiel Jugendamt, Schule, Kita und Hebamme. Dabei muss die Zielrichtung aller die Stärkung der Familien unter Wahrung des Kindeswohls sein.

Dabei eröffnet die freiwillige Gerichtsbarkeit, in der wir uns bei Familienverfahren in der Regel befinden, eben auch Möglichkeiten, die wir in der sonstigen Gerichtsbarkeit nicht haben. Als problematisch ist jedoch zu benennen, dass die so genannten Unterstützungsstellen aufgrund finanzieller Zwänge auch nur begrenzte Möglichkeiten haben. Das ist zum einen die Anzahl der Personalstellen, zum anderen aber auch - darin gebe ich Herrn Wolpert Recht - die Kompetenzen des vorhandenen Personals.

Es kann eben nicht sein, dass Mitarbeiterinnen des Jugendamtes lediglich als „gesetzliches Übel“ vor einem gerichtlichen Verfahren einbezogen werden, aber zuweilen keine tatsächliche Hilfe für Familien darstellen. Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig, müssen aber zwingend untersucht werden. Es steht jedoch fest: Könnte an dieser Stelle anders gearbeitet werden, könnten gerichtliche Verfahren zum Teil verhindert werden.

Es muss auch der Personal- und Zeitmangel bei den Familiengerichten unter die Lupe genommen werden. Für ein familiengerichtliches Verfahren stehen in SachsenAnhalt im Durchschnitt 240 Minuten zur Verfügung. Nun hört sich das für den einen oder anderen gar nicht so wenig an; wenn sie aber schon einmal bei einem solchen Verfahren dabei waren oder in anderer Weise Kenntnis davon genommen haben, wissen Sie, dass eine mündliche Verhandlung beim Familiengericht durchaus zwei oder drei Stunden dauern kann. Meistens bleibt es auch nicht bei dieser einen Verhandlung. Hinzu kommt die Zeit der Aktenlektüre, gegebenenfalls der Gutachtenlektüre und der jeweiligen Bewertung.

Kurz gesagt, in Richtung Justizministerium: Die Zeit ist arg knapp berechnet. Da besteht dringender Änderungsbedarf.

Ein wenig problematisch sehe ich auch die auf der Bundesebene beschlossene Fortbildungspflicht der Familienrichterinnen vor dem Hintergrund der richterlichen Unabhängigkeit. Die dahinter stehende Intention ist sicherlich sachgerecht.

Verfahren vor dem Familiengericht sind von einem anderen Klima geprägt als andere Gerichtsverfahren. Der Umgang mit den Parteien erfordert eine besondere Professionalität in pädagogischer, aber auch in psychologischer Hinsicht. Allerdings können Sie davon ausgehen, dass Familienrichterinnen diese Problematik sehr wohl bewusst ist und bei ihnen diesbezüglich ein eigenes Bedürfnis besteht.

Aber auch darüber können wir in den Ausschüssen reden. Der Rechtsausschuss sollte dafür geeignet sein.

Insgesamt denke ich, dass auch dieser Antrag im Rahmen der Kinderschutzdebatte behandelt werden muss. Meine Fraktion wird diesbezüglich in den entsprechenden Ausschüssen eine Anhörung beantragen. Wir brauchen eine ehrliche Debatte, an deren Ende auch konkrete Vorschläge für einen sinnvollen und zielführenden Kinderschutz stehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau von Angern, für Ihren Beitrag. - Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Reinecke das Wort. Bitte schön, Frau Reinecke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ist das Ziel dieser Reform, die derzeit noch lückenhaften Regelungen des Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit insbesondere im familienrechtlichen Verfahren zu einer zusammenhängenden, bürgernahen und unformalistischen Verfahrensordnung auszubauen und unter anderem das Große Familiengericht zu schaffen, aus unserer Sicht zu begrüßen.

Der bisherige Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gefährdeter Kinder - das wurde hier auch schon angesprochen - ist ein wichtiger Schritt, um die Situation benachteiligter Kinder zu verbessern. Das heißt aber nicht, dass sich die Anstrengungen in diesem Zusammenhang erschöpfen. Aus aktuellen Anlässen heraus - die Fälle wurden von der Frau Ministerin benannt; wir haben darüber im Hohen Haus auch schon Debatten geführt - sind wir erneut mit Fragen der Verbesserung des Kinderschutzes befasst.

Neue gesetzliche Maßnahmen werden angestrebt, um die Früherkennung von Risikofamilien zu ermöglichen und die am Kinderschutz beteiligten Berufsgruppen besser als bisher miteinander zu vernetzen. Es sollen Frühwarn- und Fördersysteme entwickelt und ärztliche Vorsorgeuntersuchungen durch ein verbindliches Einladungswesen besser als bisher gesichert werden.

Etwaige datenschutzrechtliche Hindernisse für einen notwendigen Informationsaustausch müssen beseitigt werden. Natürlich sollen beim berechtigten Einsatz verstärkter Kontrollen die Verwendung von persönlichen Daten auf ein Minimum beschränkt und Betroffenenrechte gewahrt bleiben. Meine Hoffnung geht in die Richtung, dass es uns auch hier in Sachsen-Anhalt gelingen wird,

Festlegungen im Konsens mit dem Fachministerium und dem Datenschutzbeauftragten zu treffen. - Das soll aber lediglich eine Nebenbemerkung von mir sein.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der derzeit in den Beratungen befindliche Entwurf eines Gesetzes familiengerichtlicher Maßnahmen bei der Gefährdung des Kindeswohls kann also nur einer von vielen notwendigen Schritten sein, um Kinder, die sich selbst vor Vernachlässigung und Gewalt nicht schützen können, besser als bisher zu schützen. Dies ist dringend erforderlich. Hauptziel ist also ein besserer Schutz gefährdeter Kinder.

Weiteres Anliegen der Gesetzentwürfe ist auch die Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens, aber nicht zum Selbstzweck. Deshalb stelle ich die Frage, die Herr Stahlknecht schon in den Raum gestellt hat: Wozu also?

Bei sorge- und umgangsrechtlichen Verfahren liegt die Verfahrensdauer im Bundesdurchschnitt bei 7,1 Monaten. Gerade in diesen Verfahren ist der Faktor Zeit für die nachhaltige Verwirklichung des Kindeswohls ausschlaggebend. Der Gesetzgeber ist durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angemahnt worden. Eine schnelle Terminierung ermöglicht die frühzeitige Einbeziehung von Beratungsstellen - nur als ein Beispiel.

Gleichwohl ist ein undifferenziertes Beschleunigungsgebot problematisch. Es heißt also, in den einzelnen Fallkonstellationen zu entscheiden, weil es natürlich auch Konstellationen geben kann - zum Beispiel in Familiensystemen mit häuslicher Gewalt -, in denen es im Interesse tragfähiger Lösungen mehr Zeit bedarf.

Es geht also nicht nur um eine einfache Addition einzelner Risikofaktoren, sondern vielmehr um eine kontextabhängige Gewichtung und Bewertung einzelner Dimensionen.

Ziel der Diskussionen und der Gesetzentwürfe im Bereich des Familienrechts ist nicht, insgesamt die Schwelle des Eingriffs in das Elternrecht zu senken. Das wäre verfassungsrechtlich auch nicht zulässig. Das wurde hier auch gesagt.

In Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ist das Elternrecht verfassungsrechtlich geschützt. Dieses verfassungsrechtliche Gebot weist den Eltern sehr klar die erstrangige Verantwortung zu und zugleich den staatlichen Organen eine nachrangige Wächterfunktion. Kommen die Eltern ihrem verfassungsrechtlichen Gebot nicht nach, dann müssen staatliche Organe die Möglichkeit haben, ihre Wächterfunktion im Interesse des Kindes auszufüllen.

Gleichzeitig wird aus meiner Sicht in der Tat der Spagat zwischen dem neuen Familienrecht und dem Grundgesetz deutlich. Auch darüber wird zu diskutieren sein.

Künftig soll es nicht mehr auf elterliches Erziehungsversagen ankommen; denn es ist zu beobachten, dass sich dadurch viele Eltern diskriminiert fühlen und an Verfahren gar nicht oder nur widerstrebend teilnehmen und somit auch Hilfsangebote der Jugendhilfe nicht annehmen.

Das neue Verfahrensrecht schafft auch neue Hilfsmöglichkeiten. Der Entwurf verspricht sich von dem erörternden Gespräch eine Warnfunktion gegenüber den Eltern. Ich denke, es ist schon ein anderer Ansatz, wenn das Gericht warnt, als wenn das Jugendamt warnt. Insoweit besteht auch eine gewisse Parallele zu dem neu einge

führten § 8a SGB VIII, wonach das Jugendamt das Familiengericht bei einem begründeten Verdacht auf Kindeswohlgefährdung anzurufen hat.

Wir wissen, die Bedeutung des § 8a liegt darin, dass erstmals im Gesetz steht, was das Jugendamt zu tun hat, ehe es das Familiengericht anruft, was geschehen muss, damit eine entsprechende Gefährdung festgestellt werden kann. Wir haben also schon sehr viel Klarheit und mit dem neuen Familienrecht wird diese Situation auch noch verbessert werden.

Es wurde auch angesprochen, dass wir Elemente guter Praxis brauchen. Für die Sozialarbeit möchte ich einfach anmerken, dass gerade in Sorge- und Umgangsangelegenheiten die sozialpädagogisch erwünschte Lösung im Vordergrund stehen sollte, und die Jugendhilfe sollte mit diesem Recht auch selbstbewusst und offensiv umgehen.

Ein effektiver Kinderschutz ist voraussetzungsvoll; denn das Familiengericht und auch das Jugendamt sollen ihre jeweiligen Aufgaben im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft wahrnehmen und konstruktiv zusammenwirken.