Heißt das, dass wir dort wieder anfassen müssen? Heißt das, dass wir die Kosten hinnehmen werden, die dadurch verursacht werden? Heißt das im Endeffekt, dass die Landesregierung in Erwägung ziehen wird, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um bei diesem Gesetz mitbestimmen zu dürfen?
Wir hätten gerne eine Auskunft über die Strategie, die die Landesregierung an dieser Stelle fährt, darüber, welche Kosten auf das Land zukommen könnten, welche befürchtet werden, wie sie gehändelt werden und was wir dafür tun werden.
Insofern ist das der sachsen-anhaltische Bezug zu diesem Gesetz. Deshalb bitte ich Sie herzlich darum, unserem Antrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank. - Jetzt erteile ich der Landesregierung das Wort. Frau Ministerin Professor Dr. Kolb, Sie können jetzt aufklären. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche gern, für ein bisschen Aufklärung zu sorgen. Es geht um die Stärkung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Ge
fährdung des Kindeswohls. Ein solches Gesetz ist in der letzen Woche verabschiedet worden. Es geht darum, das rechtliche Instrumentarium zu verfeinern, um die Kinder besser zu schützen. Richtig ist, dass dieses Gesetz ein Ausschnitt aus der Reform der so genannten freiwilligen Gerichtsbarkeit ist. Nicht zuletzt im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen ist dieses Teilgesetz vorgezogen worden.
Warum die FDP nun die finanziellen Aspekte in den Mittelpunkt stellt, ist mir persönlich noch nicht klar geworden.
Kevin, Lea-Sophie und auch der kleine Benjamin aus Sachsen-Anhalt stehen für Fälle von Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung, die uns sprachlos machen. Sie haben auch die Frage nach der Verantwortung der staatlichen Behörden auf die Agenda gesetzt.
Auch die Justiz hat sich dieser Aufgabe gestellt. Im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sind Möglichkeiten untersucht worden, um den Familiengerichten effektivere Mittel an die Hand zu geben, um bei Kindeswohlgefährdung rechtzeitig und mit einem abgestuften Instrumentarium reagieren zu können.
Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal betonen: Es geht um die Gefährdung des Kindeswohls; es geht hierbei nicht um die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen.
In das Verfahren sind insbesondere die praktischen Erfahrungen eingeflossen. So sind die Mitglieder der Arbeitsgruppe Experten aus den Familiengerichten, der Kinder- und Jugendhilfe und Vertreter der betroffenen Verbände gewesen.
Ich persönlich halte das Ergebnis für gelungen. Das Gesetz erlaubt ein früheres, ein niederschwelligeres und präziseres Eingreifen für die Familiengerichte. Auch in der Fachöffentlichkeit sind die neuen Vorschläge ausdrücklich gelobt worden.
Es ist die Frage, was sich nun konkret in der Zukunft ändert und was wir in Sachsen-Anhalt durch die praktische Umsetzung gewährleisten werden. Zunächst einmal werden die materiellrechtlichen Voraussetzungen für familiengerichtliche Eingriffe in das Elternrecht nicht wesentlich verändert. Im Kern geht es zunächst einmal darum, dass das Stigma des elterlichen Erziehungsversagens aus dem Mittelpunkt der richterlichen Entscheidung herauskommt und die Akzeptanz familiengerichtlicher Entscheidungen im Ergebnis erhöht wird, dass sich also die Betroffenen auch als Partner empfinden, die in kritischer Lage Unterstützung finden, dass sie nicht als Erziehungsversager vor Gericht stehen und es letztlich nur noch eine Maßnahme gibt, nämlich die Entziehung der elterlichen Sorge. Das ist etwas, was wir auch nicht wollen, Herr Wolpert.
Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist von dem Bestreben getragen, die Zusammenarbeit zwischen betroffenen Familien, den Jugendämtern und den Familiengerichten zu intensivieren und dieses Verfahren für die Betroffenen so transparent wie möglich zu gestalten. Es steht also an dieser Stelle ein Netzwerkgedanke im Vordergrund und es geht nicht um die Errichtung von Parallelstrukturen.
Der Gesetzgeber schreibt in diesem Gesetz tatsächlich ein Erziehungsgespräch vor. Der Sinn dieses Erziehungsgespräches ist es, in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens, das heißt in einem Stadium, in dem noch gar nicht feststeht, ob ein elterliches Erziehungsversagen tatsächlich vorliegt, Maßnahmen zu überlegen, wie mit bestimmten Problemen umgegangen werden kann, um die Familienschwierigkeiten beizulegen.
Natürlich soll die Anbindung an das Familiengericht auch im Hinblick auf das Instrumentarium bewirken, dass eine deutliche Warnfunktion davon ausgeht, dass den Eltern klar aufgezeigt wird, was passiert, wenn sie sich an die vom Jugendamt vorgeschlagenen Maßnahmen nicht halten.
Weitere verfahrensrechtliche Bausteine des Gesetzes sind die Überprüfungspflicht des Familiengerichts und das Beschleunigungsverbot. Sieht das Gericht beispielsweise zum Zeitpunkt der Verhandlung noch nicht die Notwendigkeit, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, wird also die Gefährdung des Kindeswohls verneint, so muss diese Entscheidung in Zukunft in einem angemessenen Zeitraum vom Familiengericht erneut überprüft werden. Aus meiner Sicht ist das wichtig, weil die einmal getroffene Entscheidung nicht für alle Zukunft richtig sein muss; denn die praktische Entwicklung kann anders verlaufen, als es der Richter prognostiziert hat. Es geht auch darum, Zusagen, die von den Eltern gegeben worden sind, um das Kindeswohl zu sichern, tatsächlich einzuhalten und für den Fall, dass das nicht passiert, zu gewährleisten, dass entsprechend reagiert werden kann.
Die vorrangige Bearbeitung sensibler kindschaftlicher Verfahren versteht sich aus meiner Sicht eigentlich von selbst. Die nunmehr eingeführte Monatsfrist stärkt die Rechte der Verfahrensbeteiligten und dient deshalb nicht zuletzt dem Schutz der Kinder.
Das Gesetz wird in Kürze in Kraft treten. Es stellt sich tatsächlich die Frage, was die Verbesserung des Schutzes von Kindern vor Kindesmisshandlungen kostet. In der Gesetzesbegründung wird auch ausdrücklich auf diesen Aspekt eingegangen. Es wird zumindest angedeutet, dass ein höherer Aufwand bei den Familiengerichten das Ergebnis sein könnte.
Auf der anderen Seite wird aber auch dem prognostizierten höheren Aufwand durch die neu eingeführten Instrumente gegenübergestellt, dass durch den präventiven Charakter der vorgesehenen Maßnahmen bestimmte langwierige Verfahren in Zukunft vermieden werden, die für die Familienrichter auch mit einem hohen Zeitaufwand verbunden sind, sodass im Ergebnis möglicherweise ein Ausgleich stattfindet.
Für das Land Sachsen-Anhalt muss ich im Moment schlichtweg sagen: Ich weiß es nicht; ich kann es persönlich nicht einschätzen. Wir sind im Gespräch mit den Familienrichterinnen und Familienrichtern. Wir werden uns die Entwicklung sehr genau ansehen und werden natürlich dann reagieren, wenn Mehrbelastungen auftreten, und die Binnenverteilung anders strukturieren, als das im Moment der Fall ist.
Fortbildungsveranstaltungen sind für mich ganz wichtig. Wir sind bereits dabei, für die Familienrichter entsprechende Veranstaltungen vorzubereiten. Wir wollen an dieser Stelle auch die Mitarbeiter der Jugendämter einbinden, weil es, sofern sie zusammenarbeiten sollen, wichtig ist, dass man auch bei der Fortbildung bestimmte
Aspekte, die sich in den Schwierigkeiten vor Ort bisher gezeigt haben, in diesem Rahmen anspricht und dafür praktische Lösungen aufzeigt.
Wir fangen in Sachsen-Anhalt auch nicht bei Null an, im Gegenteil. Ich kann sagen, wir haben bereits eine gewisse Vorreiterrolle. Deshalb erlauben Sie mir an dieser Stelle, kurz auf eine Initiative in der Altmark hinzuweisen. Vor zwei Jahren ist am Landgericht Stendal ein kommunikatives Netzwerk „Kindeswohl“ eingerichtet worden. Als Mitglieder dieses Netzwerkes kommen in Stendal regelmäßig Richter der Familiengerichte, Mitarbeiter der Jugendämter und der jugendpsychiatrischen Fachabteilung des Landeskrankenhauses sowie Mitglieder der Familiensenate des Oberlandesgerichtes zu einem fachlichen Austausch zusammen.
Wichtig war insbesondere, dass sich die Betroffenen erst einmal kennen lernen, dass sie die entsprechenden Arbeitsbereiche kennen lernen und dass für den Fall, dass tatsächlich Gefahr für Kinder besteht, auf lokaler Ebene so schnell wie möglich gehandelt werden kann, dass also immer dann, wenn die rote Lampe zu leuchten anfängt, bei allen Beteiligten die Alarmglocken läuten, und nicht der eine sagt, darum wird sich der andere schon kümmern.
Das ist also der Netzwerkgedanke, der hierbei im Mittelpunkt steht. Das ist aus meiner Sicht eine praktizierte Verantwortungsgemeinschaft von Gerichten und Jugendämtern. In dieser Richtung sollten wir weiterdenken und hierbei auch den Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern suchen. Gerade was den Bereich Fortbildung betrifft, ist es, denke ich, sinnvoll, die Fortbildung nicht nur auf das eigene Land zu beschränken, sondern auch länderübergreifende Veranstaltungen anzubieten.
Meine Damen und Herren! Die FDP hat in ihrem Antrag auch die weitergehende Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit angesprochen. Die Novelle liegt dem Bundestag mit einer umfangreichen Stellungnahme des Bundesrates zur Beratung vor. Ich erspare es Ihnen heute zu der schon recht fortgeschrittenen Stunde, Sie mit den Einzelheiten dieser Reform vertraut zu machen. Es ist, glauben Sie es mir, ein sehr umfangreiches Gesetzeswerk.
Vielleicht kurz dazu, was das Ziel dieser Reform ist. Gerade im Bereich der familiengerichtlichen Verfahren haben wir eine sehr große Unübersichtlichkeit. Manche Verfahren werden vor den Zivilgerichten geführt, manche vor den Familiengerichten, entweder auf der Grundlage der ZPO oder auf der Grundlage des FGG. Das soll zusammengeführt werden, um auch für die Bürger das Verfahren zu vereinfachen.
Auch hierbei stellt die FDP insbesondere auf die Kostenfolgen ab und fragt nach den konkreten finanziellen Auswirkungen auf die Haushalte der Länder. Ich kann sie leider in diesem Bereich noch viel weniger zuverlässig einschätzen, als das im Bereich der Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls der Fall ist. Ich bin allerdings der Auffassung, dass die angesprochenen großen Familiengerichte nicht zu einem finanziellen Mehrbedarf führen, weil es einfach darum geht, dass wir eine Veränderung der Binnenverteilung vornehmen. Die Verfahren, die bisher bei den Zivilgerichten geführt werden, werden in Zukunft bei den Familiengerichten geführt werden, sodass jedenfalls durch die großen Familiengerichte Mehrbelastungen nicht entstehen.
Insgesamt teile ich allerdings nicht die Einschätzung der Bundesregierung, wie es auch in der Gesetzesbegründung formuliert ist, dass das FGG-Reformgesetz im Ergebnis zu keinen Mehrbelastungen der Haushalte der Länder führt.
Beispielsweise sind mit der weitgehenden Verlagerung der Beschwerdeinstanz auf das OLG, mit der vermehrten Bestellung von Verfahrenspflegern und anderen Maßnahmen oft höhere Aufwendungen verbunden. Das kostet im Ergebnis Geld. Insofern haben die Länder Zweifel daran, dass durch den Rückgang der Zahl der familiengerichtlichen Verfahren und geringere Ausgaben bei der Prozesskostenhilfe diese Mehrkosten aufgefangen werden können.
Aus diesem Grund ist der Bundesrat auch mit der Stimme Sachsen-Anhalts dieser Einschätzung entgegengetreten. Er hat die Bundesregierung gebeten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die finanziellen Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen des Entwurfs darzustellen und darauf zu achten, dass die angestrebte Modernisierung nicht zu Belastungen der Landeshaushalte führt.
Es gibt ein gemeinsames Positionspapier, in dem die Länder anhand konkreter Aspekte dargestellt haben, wo sie die kostensteigernden Effekte befürchten. Das Bundesjustizministerium hat diese Bedenken aufgegriffen und hat die Länder um ergänzende Darstellungen, insbesondere um die Aufbereitung von Zahlenmaterial gebeten. Dem werden wir nachkommen.
Wir werden auch in Zukunft nicht aufhören, auf diese Risiken hinzuweisen. Man muss aber auch realistisch einschätzen, dass die FGG-Novelle jetzt, da sie im Bundestag liegt, eine Phase des Gesetzgebungsverfahrens erreicht hat, in der der Einfluss der Länder mehr als beschränkt ist. Man muss jetzt das weitere Verfahren abwarten und darauf hinwirken, möglicherweise auch in der öffentlichen Diskussion klarzustellen, dass nicht alle Maßnahmen, die viel Geld kosten, tatsächlich die Vorteile bringen, die man sich davon erhofft.
Im Ergebnis bin ich der Meinung, dass wir einen ausgewogenen Kompromiss brauchen. Unter diesem Aspekt werden wir die Gespräche mit dem BMJ intensivieren. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Beitrag. Wir hören Ihnen sehr gern zu, zumal der Tag fast noch jungfräulich ist. - Nunmehr kommen wir zur Debatte. Der erste Debattenredner ist der Abgeordnete Stahlknecht von der CDU. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wolpert, um es vorwegzunehmen: Wir werden Ihrem Antrag zustimmen, weil wir das Thema insgesamt als zu wichtig empfinden, als es einem parteipolitischen Kräftemessen hier im Parlament auszusetzen.
Allerdings habe ich Ihre Begründung, warum Sie diesen Antrag gestellt haben, offen gestanden nicht ganz nachvollziehen können.
Geht es Ihnen allein um die Kostenfrage, dann ist es sicherlich so, dass wir, wie es Frau Ministerin gesagt hat, abwarten müssen, wie die Entwicklung ist. Wenn man neue Instrumentarien in der Justiz einführt, hat das auch zur Folge, dass sich dort Pensen erhöhen werden, dass möglicherweise mehr Richterbedarf ist, dass bei den Jugendämtern mehr Bedarf ist. All das ist unstreitig.
Geht es Ihnen aber in erster Linie möglicherweise darum, das Gesetz zu kritisieren, weil Sie im Bundestag mit Ihrer Fraktion nicht die Gelegenheit hatten, aktiv mitzugestalten - diese Frage blieb zumindest offen -, oder sehen Sie als Liberaler an dieser Stelle eine Einschränkung des Schutzes der Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes?
Bei Letzterem will ich einmal den Einstieg wagen und sagen: Dazu habe ich eine etwas andere Auffassung als Sie. Der Artikel 6 des Grundgesetzes hat, wie Sie wissen, auch noch einen Absatz 2. Dieser Absatz 2 beinhaltet die so genannte Wächterfunktion des Staates. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, bei dem ich eigentlich den Schwerpunkt der Debatte sehe: Brauchen wir Kinderrechte in der Verfassung oder reicht die Wächterfunktion über Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes aus, dass der Staat dann regulierend eingreift, wenn ein Handlungsbedarf des Staates besteht. Dieser liegt vor, weil wir eine Zunahme der Kindesmisshandlung zu verzeichnen haben.
Ich halte die Situation an sich weniger für ein Justizthema mehr denn für ein familienpolitisches Thema. Denn eines ist klar - ich habe es bereits in anderen Debatten gesagt -: Nicht das Recht, Herr Wolpert, schafft sich eine Gesellschaft, sondern die Gesellschaft schafft sich immer das Recht, das sie in der aktuellen Situation braucht. Insofern ist der Gesetzgeber an dieser Stelle gefordert, weil wir eine Zunahme haben.
Die spannendere Frage, die dahinter steht, ist doch nicht, was kostet das, wie viele Richter brauchen wir mehr, sondern die entscheidende Frage ist, weshalb brauchen wir diese Regelung.
Da muss man sich die Frage stellen, ob wir aufgrund des Umbruchs in unserem Staat eine Situation erreicht haben, in der die Achtung vor menschlichem Leben möglicherweise nachlässt, in der die Achtung vor der Familie nachlässt und in der die Frage zugelassen sein muss: Wie wollen wir künftig auch in den sozialen Konfigurationen diese Gesellschaft gestalten?
Wollen wir nur noch, so wie es heute Morgen die Frage war, auf Alleinerziehende abstellen und uns mit deren Problemen, mit der Armutsfrage auseinandersetzen? Sicherlich, Alleinerziehende erfüllen einen doppelt schweren Auftrag. Wollen wir uns nur noch mit nichtehelichen Lebensgemeinschaften auseinandersetzen? Von 10 000 Ehen, die geschlossen werden, wird mittlerweile jede zweite Ehe geschieden. 63 % der Geburten in SachsenAnhalt sind nichtehelich.
Die Frage ist doch die: Können wir durch eine Hervorhebung der klassischen Familie wieder stärkere Bindungen für Kinder finden und damit Kindesmisshandlung ausschließen? Können wir durch eine Wertedebatte über menschliches Leben, über stärkere soziale Bindungen Kindesmisshandlung ausschließen? - Da brauchen wir uns die Frage nach der Justiz überhaupt nicht zu stellen.