Protokoll der Sitzung vom 27.06.2008

Diese wollen Sie auch beantworten. - Bitte, Frau Dr. Hüskens.

Herr Rothe, ich habe eine eher praktische Frage. Wir haben in Magdeburg ja nun immer um den 16. Januar herum die Demonstrationen - in diesem Jahr, glaube ich, waren es vier -, die sich mit dem Thema „Zerstörung der Stadt Magdeburg am 16. Januar 1945“ beschäftigen. Es gibt Menschen, die demonstrieren oder Veranstaltungen durchführen zum Gedenken mit dem Ziel, sage ich einmal, dafür zu werben, dass so etwas nicht wieder passiert. Es gibt aber auch Menschen, die das Ganze als Möglichkeit zu einem Aufmarsch nutzen, um für rechtes Gesinnungsgut zu sorgen.

Wie wird das denn praktisch laufen? In der Regel kommen ja Anmeldungen zu solchen Demonstrationen.

(Zuruf von Minister Herrn Hövelmann)

- Natürlich, es könnte davon erfasst werden. Das habe ich extra gerade noch einmal nachgelesen. - Wie wird das denn in der Praxis laufen? Das kann man sicher auch an anderen Tagen festmachen. Es kommen jetzt Anmeldungen für vier, fünf Demonstrationszüge. Werden die alle verboten oder fängt die Verwaltung an zu hinterfragen, was exakt die Motivationslage ist, die derjenige hat, der jetzt dazu demonstriert, und welche Mittel wird man verwenden, um das wirklich einwandfrei herauszufinden? Für mich stellt sich also wirklich die praktische Frage, wie das zukünftig gehen wird.

Ich habe den Gesetzestext jetzt nicht zur Hand, aber, ich denke, wenn Sie den Entwurf studieren, dann werden Sie feststellen, Frau Dr. Hüskens, dass er differenzierte Lösungen zulässt.

Wir sollten über solche Fragen der Umsetzung mit dem Innenminister und mit seinen Mitarbeitern in den Ausschussberatungen intensiv beraten. Ich denke, das ist praktikabel.

Ich möchte wegen der Grundrechtsrelevanz vorschlagen, Herr Scharf, wenn Sie es erlauben, dass wir den Gesetzentwurf nicht nur an den Ausschuss für Inneres, sondern auch an den Ausschuss für Recht und Verfassung überweisen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Ich sehe jetzt weiter keine Wünsche, die Debatte fortzusetzen. Wir sind damit am Ende der Debatte angekommen.

Ich frage jetzt: Erhebt sich Widerspruch gegen eine Überweisung des Gesetzentwurfes? - Das sehe ich nicht. Dann stelle ich den Gesetzentwurf in Drs. 5/1301 zur Abstimmung. Es wurde eine Überweisung an den Ausschuss für Inneres und an den Ausschuss für Recht und Verfassung beantragt. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Innenausschuss zu überweisen. Wenn Sie damit einverstanden sind, dann bitte ich Sie jetzt um das Kartenzeichen. - Zustimmung von der Koalition und von der Fraktion der FDP. Wer lehnt die Überweisung ab? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist, wie angekündigt, die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Überweisung in die genannten Ausschüsse zugestimmt worden.

Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich herzlich für Ihre außerordentliche Disziplin bei diesen so schwierigen Themen. Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Durch die parlamentarischen Geschäftsführer wurde vereinbart, die Mittagspause auf eine halbe Stunde zu verkürzen. Wir treffen uns hier um 14 Uhr wieder.

Unterbrechung: 13.35 Uhr.

Wiederbeginn: 14.02 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung

Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes mit dem Ziel der Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1323

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Rente von der Fraktion DIE LINKE. Anschließend wird Herr Minister Hövelmann sprechen.

Frau Rente, Sie haben das Wort, wenn der Saal auch noch ein bisschen spärlich besetzt ist. Sie werden das schon machen. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Damen und Herren Abgeordnete, die schon im Saal sind! Bei den Landtags- und Bundestagswahlen sind sowohl Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der EU als auch langjährig hier lebende Ausländerinnen und Ausländer aus so genannten Drittstaaten vom Wahlrecht ausgeschlossen. Bei Kommunalwahlen haben Bürgerinnen und Bürger aus der EU zwar seit

dem Jahr 1992 ein Wahlrecht, Angehörige anderer Staaten, wie etwa der Türkei, sind davon jedoch nach wie vor ausgenommen.

Das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige ist als Prüfauftrag in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen worden. Bislang gab es dazu aber keine konkreten Initiativen.

Zahlreiche Kommunen sind für ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer hier in Deutschland. In einer Umfrage der WDR-Sendung „Cosmo TV“ unterstützen acht - -

(Herr Gürth, CDU: Was ist das denn?)

- „Cosmo TV“, das ist eine Sendung des WDR. - In deren Rahmen wurde eine Umfrage in Nordrhein-Westfalen gemacht. Von 13 dazu befragten Städten waren acht für eine derartige Neuerung im Grundgesetz. Selbst die Frankfurter Obermeisterin, ihres Zeichens Mitglied Ihrer Partei, ist für ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer.

(Herr Gürth, CDU: Was hat das mit Sachsen- Anhalt zu tun?)

- Was hat das mit Sachsen-Anhalt zu tun? - Dazu kommen wir gleich. Lassen Sie mich weiterreden? - Danke.

Sie haben das Wort.

Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen wie zum Beispiel der Caritas, des Bundesausländerrates, von Attac, der IG Metall, von „Mehr Demokratie e. V.“ und auch von ver.di haben im Oktober des letzten Jahres die Bundesregierung aufgefordert, ohne Verzögerung die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländerinnen in der Bundesrepublik zu schaffen.

(Herr Gürth, CDU: Was ist mit den Männern?)

Im September 2007 brachten die Bundesländer Berlin und Rheinland-Pfalz im Bundesrat eine Initiative ein mit dem Ziel, den Artikel 28 des Grundgesetzes in einer Weise zu ändern, dass auch Ausländerinnen und Ausländern, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen, bei Kommunalwahlen das aktive und passive Wahlrecht eingeräumt werden kann. Bisher war diese Initiative nicht auf der Tagesordnung des Bundesrates.

Das Verwehren dieses Rechts für Drittstaatenangehörige ist unserer Meinung nach eine Diskriminierung.

Ein weiteres Indiz dafür, welche Ungleichbehandlung hierbei herrscht, ist die Tatsache, dass diese Mitbürgerinnen und Mitbürger im Durchschnitt seit mehr als 17 Jahren in Deutschland leben. Von ihnen wird mit Selbstverständlichkeit erwartet, dass sie ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen. Sie sollen Gesetze achten und sie dürfen Steuern und Sozialabgaben zahlen.

(Herr Gürth, CDU: Nur wenn sie eine Beschäfti- gung haben, die sozialversicherungspflichtig ist!)

Meine Damen und Herren! Es ist Ihnen sicherlich bekannt, dass etwa 1,9 % der Bevölkerung Sachsen-An

halts ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sind. Im Vergleich dazu leben in den anderen Bundesländern etwa 9 % der Menschen ohne einen deutschen Pass. Leider ist der Anteil auch in unserem Bundesland in der Tendenz seit einigen Jahren rückläufig. So waren in Sachsen-Anhalt im Jahr 2004 47 000 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gemeldet, im Jahr 2005 46 723, im Jahr 2006 46 400 und im letzten Jahr sank die Zahl auf 45 900.

Nun kann man sicherlich mit Recht sagen: Die Flüchtlingszahlen sind ja ebenfalls rückläufig. Das ist auch korrekt. Aber auch der Anteil ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die aus Europa kommen, ist überproportional stark rückläufig. Waren im Jahr 2005 noch 55 % der ausländischen Mitbürger Europäer, so sind es im Jahr 2007 nur noch 30 % gewesen, wohlgemerkt aus Europa, nicht aus der EU, meine Damen und Herren.

Auf die Europäische Union bezogen beträgt der Anteil hier in Sachsen-Anhalt sogar nur 20 %. Das bedeutet: Allein in Sachsen-Anhalt werden 80 % der hier lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger von der aus unserer Sicht wichtigsten Möglichkeit der Ausübung von direkter Demokratie, nämlich der Beteiligung an Wahlen, einfach ausgeschlossen.

(Zuruf von der CDU: Aus welchem Grund?)

Die Hälfte dieser Ausländerinnen und Ausländer lebt übrigens seit mindestens sechs Jahren hier, 28 % von ihnen sogar schon seit zehn Jahren.

Meine Damen und Herren! Wo ist eigentlich das Problem? Menschen mit einem türkischen, indischen oder amerikanischen Pass sind wahlberechtigt bei Betriebsratswahlen. Sie dürfen Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte großer Konzerne wählen. Sie dürfen sogar den Aufsichtsrat der Deutschen Bank mit wählen. Das ist alles möglich. Aber warum dürfen sie eigentlich nicht ihren Bürgermeister oder ihren Landrat mit wählen? Das kann von uns nicht nachvollzogen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

In einem Großteil der Mitgliedstaaten der EU ist das seit Langem möglich, wobei die Bedingungen in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. In Irland geht es am weitesten, was das kommunale Wahlrecht betrifft.

Deutschland erhebt für sich den Anspruch, der Motor der europäischen Integration zu sein. Warum gilt dieser Anspruch nicht auch für das Wahlrecht der hier lebenden ausländischen Mitbürger? Warum sind wir diesbezüglich ein Entwicklungsland?

Man kann doch nicht ein noch stärkeres Bekenntnis von Migrantinnen und Migranten zu demokratischen Werten in der Gesellschaft erwarten, die sich dazu bekennen, die hier leben, ihnen aber gleichzeitig wichtige Rechte vorenthalten? Diese Ungleichbehandlung ist einfach skandalös und ungerecht. Sie fördert geradezu die Entfremdung der Migrantinnen und Migranten von der Öffentlichkeit in der hiesigen Gesellschaft.

Wenn von Migrantinnen und Migranten eine immer größere Integrationsleistung abgefordert wird, dann müssen wir auch bereit sein, Missstände und Benachteiligungen zu korrigieren. Integration ist nicht nur eine Einbahnstraße, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann sich nicht über Parallelgesellschaften aufregen, wenn ganze Bevölkerungsgruppen von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen werden. Das geht einfach nicht.

Meine Damen und Herren! Sie werden in der Debatte sicherlich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990 eingehen. In diesem Urteil werden zwar einige ablehnende Vorgaben gemacht, ein kommunales Ausländerwahlrecht wird aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Die Hauptbegründung ist, dass mit der Übernahme der Staatsbürgerschaft das Wahlrecht gewährleistet sei. Es gibt nur ein Problem: Die Einbürgerungszahlen sind gegenüber denen aus dem Jahr 1990 nicht nur tendenziell, sondern extrem rückläufig.