Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Natürlich kann man sich 200 Neueinstellungen wünschen. Aber als jemand, der sich damit befasst hat, sage ich Ihnen: Bei uns sind 5 400 Polizistinnen und Polizisten im Landesdienst. Würden wir hingegen die gleichen Verhältnisse wie in Niedersachsen haben, müssten wir mit 4 800 auskommen. Angesichts dessen halte ich das, was wir jetzt mit den 150 Neueinstellungen getan haben, für einen so guten Kompromiss, dass eigentlich jeder Innenpolitiker hier im Landtag klatschen müsste - auch Sie, Herr Kosmehl.

Ein Letztes zu den Städten und Dörfern. Ich wohne selber in einem Dorf, Herr Kosmehl. Aber ich würde mich nie dazu hinreißen lassen, den Hallensern zu erzählen: Wenn es uns gut geht, geht es euch gut.

(Zuruf von der CDU: Das war nichts!)

Das ist das, was ich vorhin meinte. Es geht nicht darum, dass wir die Altmark abhängen oder nur die drei Oberzentren weiterentwickeln wollen. Die Landesentwicklung wird - diesen Disput haben wir natürlich auch unter uns hier - vor allem durch die Zentren gestützt. Diese Zentren sind Oberzentren, Mittelzentren und Grundzentren, und Grundzentren gibt es auch in der Altmark. Ich bitte nur darauf zu achten, dass die zukünftigen Mittel daraufhin abgeklopft werden, wo ihr Einsatz zu größtmöglicher Effektivität führt, nicht mehr und nicht weniger. Entscheiden müssen Sie am Ende. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für Ihre Regierungserklärung und die Beantwortung der Frage.

Bevor ich die Debatte eröffne, begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Förderschule Burg, die die Regierungserklärung aufmerksam verfolgt haben. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen dann zu der

Aussprache zur Regierungserklärung

Als erstem Debattenredner erteile ich Herrn Gallert von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Herr Gallert, Sie haben 24 Minuten Redezeit zur Verfügung. Bitte schön.

Der Minister hat auch länger geredet.

Ich wollte Ihnen nur eine Orientierung geben.

Okay. - Herr Präsident! Werte Mitgliederinnen, Mitglieder des Landtages!

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

- Das ist mir gestern schon einmal passiert. Da habe ich gesagt, wir merken uns das für das nächste Mal.

Die Rede meines Vorredners hat schon etwas mit dem Titel zu tun gehabt, den Sie heute für diese Debatte gewählt haben, und zwar: „Der Weg und das Ziel - Strategiedebatte zwischen neuen Spielräumen und alten Schulden“. Welch lyrischer Titel für 350 Seiten mittelfristiger Finanzplanung und Personalentwicklungskonzept; darauf kommt nicht jeder. Es gibt Leute in diesem Land, die haben ein sehr emotionales Verhältnis zu Zahlenreihen. Dazu gehört mein Vorredner und das entschuldigt vielleicht diesen Titel. Ich bin gern bereit, das mitzumachen.

Uns liegt ein Papier vor, das zum Teil bis zum Jahr 2025 reicht, also immerhin noch über 17 Jahre. Wichtig in dieser Strategiediskussion ist jenseits des Zahlenwerks eine Zielbestimmung für das Land Sachsen-Anhalt. Eine Zielbestimmung muss davon ausgehen, dass wir erst einmal die Rahmenbedingungen, mit denen wir es hierbei zu tun haben, analysieren. Eine Analyse der Chancen und Risiken müssen wir - das macht die Landesregierung gern, wenn wir gerade ihre Leistung beurteilen - vor dem Hintergrund des Umfeldes machen.

Diesbezüglich haben wir in Sachsen-Anhalt eine ganz typische Situation: Wir durchlaufen alle Entwicklungen, die die fünf neuen Bundesländer - an einigen Stellen auch Berlin - durchlaufen, fast in paralleler Art und Weise. In den letzten zwei Jahren lag das Wachstum des Bruttoinlandproduktes exakt auf dem Durchschnitt der fünf neuen Flächenländer. Wir haben eine Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die zumindest seit Anfang 2007 etwas unter dem Durchschnitt der neuen Länder liegt, aber trotzdem eine Abnahme der Arbeitslosigkeit reflektiert.

Wir haben eine Entwicklung der Steuereinnahmen und der Neuverschuldung, die exakt die Entwicklung in den anderen Bundesländern charakterisiert. Sogar Berlin, welches vor einigen Jahren mit einer katastrophalen Neuverschuldung gestartet ist - dagegen befanden und befinden wir uns in Sachsen-Anhalt noch in paradiesischen Verhältnissen -, kommt in diesem Jahr ohne Nettoneuverschuldung aus. Daran wird deutlich, dass sich Sachsen-Anhalt innerhalb eines Trends bewegt, der für den gesamten Osten zutrifft und der für Sachsen-Anhalt keine Besonderheit darstellt.

Gleichwohl - das sage ich auch mit aller Deutlichkeit - ist diese Entwicklung in den neuen Bundesländern nicht nur positiv, sondern hat auch negative Aspekte. Ich will hier

nur zwei Aspekte nennen; von denen wir besonders betroffen sind. Dabei handelt es sich zum einen um die Einkommensentwicklung. Während wir bei der Entwicklung des Bruttoinlandproduktes durchaus im Schnitt der neuen Bundesländer liegen, haben wir zum Beispiel im Jahr 2006 bei der Einkommensentwicklung klar die rote Laterne.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Herr Gürth, hören Sie zu, das sind die Werte des Statistischen Landesamtes. - Im Jahr 2006 ist das Einkommen trotz einer Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um 3 % nur um 0,2 % und im Durchschnitt der neuen Bundesländer um 0,8 % und im Bundesdurchschnitt um 1,0 % gestiegen.

Das heißt, von dem, was sich bei uns wirtschaftlich entwickelt, kommt bei den Leuten am wenigsten an. Dafür gibt es Ursachen; diese werden wir morgen im Rahmen der Aussprache zur Großen Anfrage der SPD-Fraktion bereden. Dies muss man allerdings reflektieren, wenn man über die Aufgaben des Staates in Sachsen-Anhalt redet.

Wir haben eine Situation, die erst vor wenigen Tagen noch einmal reflektiert worden ist. Wir sind das Land, welches von demografischen Verwerfungen im Osten Deutschlands, der insgesamt gebeutelt ist, am stärksten betroffen ist. Gerade das Problem der Abwanderung von gut qualifizierten jungen Frauen ist in Sachsen-Anhalt im Vergleich zur gesamten Bundesrepublik und somit auch im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern, die damit ohnehin riesige Probleme haben, am stärksten ausgeprägt. Das sind die Rahmenbedingungen, vor denen wir stehen, diese müssen wir analysieren.

Wir haben gegenüber den anderen ostdeutschen Flächenländern nach wie vor einen überproportional hohen Anteil von Kindern in Hartz-IV-Familien. Zudem haben wir nach wie vor einen leicht überproportionalen Anteil von Geringverdienenden, obwohl uns Thüringen seit mindestens zehn Jahren den Rang abgelaufen hat.

Landespolitik muss vor diesem Hintergrund politische Ziele und Prioritäten bestimmen. Diesbezüglich haben wir die Situation, dass wir uns über den Haushalt unterhalten. Wir haben in Sachsen-Anhalt ein Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 50 Milliarden € im Jahr. Wir haben in diesem Land einen Haushalt von 10 Milliarden €, das sind etwa 20 %. Daran wird zum einen deutlich, dass wir damit nicht alles bewegen können, und zum anderen, dass der Einfluss bei Weitem nicht bedeutungslos ist.

Ich will denjenigen, denen immer noch vorschwebt, man müsste diesen Anteil permanent senken, ausdrücklich sagen: Länder, die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten vier bis fünf Jahren bedeutend erfolgreicher waren, weisen einen deutlich höheren Anteil der öffentlichen Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt aus. Dazu gehören übrigens nicht nur die skandinavischen Ländern, sondern auch all unsere westlichen, südlichen und nördlichen Nachbarn, zum Beispiel Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Holland, Dänemark. All diese Länder haben pro Kopf höhere öffentliche Ausgaben.

(Herr Gürth, CDU: Das sagt doch noch gar nichts!)

- Herr Gürth, hören Sie zu! - Sie haben inzwischen auch eine höhere Staatsquote. Das heißt, die Summe von Steuern und Abgaben ist in diesen Ländern höher als in

der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem haben sie in den letzten Jahren eine bessere wirtschaftliche Entwicklung als die Bundesrepublik Deutschland realisiert.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Das muss man an dieser Stelle einmal vorhalten, vor allen Dingen dann, wenn wir darüber diskutieren, in den nächsten 15 Jahren ein Drittel der Beschäftigten im öffentlichen Dienst abzubauen. Wirtschaftlich erfolgreiche Länder haben bis zu 35 % ihrer Beschäftigten im öffentlichen Dienst; die würden sich an den Kopf fassen, wenn sie unsere Diskussion hören. Das muss an der Stelle auch einmal gesagt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Aber nicht auf Pump finanziert! - Herr Scharf, CDU: Wie wollen wir Sachsen-Anhalt stärken, wenn Sie den öffentlichen Dienst ausbauen?)

- Herr Scharf, komischerweise klappt das in Skandinavien hervorragend. Das können Sie sich nicht vorstellen, aber als CDU-Fraktionsvorsitzender ist das offensichtlich auch nicht Ihre Planstelle.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Der Finanzminister verwendet für seine Aussagen im Wesentlichen einen anderen Vergleichsrahmen, und zwar Benchmarking mit anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Dann kommt typischerweise das Argument - es wurde auch heute wieder von ihm verwendet -: Die geben für das und das weniger Geld aus, aber sie kommen auch klar. - Ja, es kann sein, sie kommen damit klar. Und: Es gibt keinen Grund dafür, warum wir für bestimmte Bereiche mehr Geld ausgeben müssen bzw. mehr Personal verwenden müssen als in anderen Bereichen. - Das ist ausdrücklich falsch.

Es ist ein Unterschied, ob ich in einem Land lebe, in dem ein Drittel aller Kinder in Hartz-IV-Familien lebt oder in Bayern, wo das 12 % betrifft. Es ist ein Unterschied, ob ich soziale Verwerfungen, beispielsweise Langzeitarbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit, wie in Sachsen-Anhalt habe oder in Ländern lebe, in denen das nicht ein solches Problem ist.

Sprechen Sie doch einmal mit Polizisten. Diese sagen, wenn bei uns 3 000 Leute zu einem Fußballspiel gehen, dann brauchen wir 200 Polizisten. Wenn in Dortmund 40 000 Menschen zu einem Fußballspiel gehen, dann brauchen sie 50 Polizisten. Das hat Ursachen, die natürlich auch in der Situation der einzelnen Länder liegen. Diese muss man berücksichtigen.

(Unruhe bei der CDU)

Das ist eben nicht geleistet worden.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Wer hat Ihnen so einen Unsinn aufgeschrieben?)

- Die Information habe ich aus der Polizeigewerkschaft; damit begründen sie auch ihre Forderung. - Ich werde gleich ein Beispiel dafür bringen, warum die Aussage „Die kommen mit weniger Geld aus, also müssen wir es auch!“ so definitiv nicht funktioniert.

Außerdem müssen wir gerade vor dem Hintergrund dieser Analyse unserer Aufgaben in Sachsen-Anhalt sagen: Natürlich haben wir das Problem der finanziellen Verschuldung. Wir haben aber auch zwei andere Probleme,

nämlich das der demografischen Verschuldung und das der sozialen Verschuldung.

Wenn wir eine den Perspektiven entsprechende Politik machen wollen, dann dürfen wir uns eben nicht nur auf die haushalterische Verschuldung konzentrieren, dann müssen wir uns auch den beiden anderen Problemen, nämlich der sozialen und der demografischen Verschuldung dieses Landes stellen.

Dann sage ich: Wenn wir einen Lehramtsanwärter, also jemanden, der eine Stelle als Referendar in SachsenAnhalt haben möchte, wegschicken, weil wir sie ihm nicht geben, dann sparen wir richtig Personalkosten; das tun wir. Aber wir haben es geschafft, jemanden wegzuschicken, der den öffentlichen Dienst und die öffentliche Daseinsvorsorge in der Zukunft gestalten kann.

Damit haben wir uns eine unendlich größere Schuld in dem Bereich der demografischen Entwicklung dieses Landes aufgeladen. Wir haben ihn später nicht als Lehrer, wir haben ihn später nicht als Gründer einer Familie - weibliche Formen immer mitgedacht - und dann haben wir dieses Problem in Sachsen-Anhalt. Dies sieht man nicht in einer mittelfristigen Finanzplanung, aber man muss es mitdenken.

(Herr Gürth, CDU: Denken Sie auch einmal über die Finanzierung nach!)

Deswegen ist uns der Ansatz der mittelfristigen Finanzplanung zu kurz gegriffen.