Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

Die Fakten sprechen im Moment eine andere Sprache. Für das erste Halbjahr haben wir ein Wachstum von 2,8 % gehabt. Damals gab es in Amerika schon lange die Krise. Sachsen-Anhalt steht in diesem Zusammenhang nicht schlecht da.

Heute früh - ganz aktuell - wies die Deutsche Bank darauf hin, dass die Industrieproduktion in Deutschland im August gegenüber dem Vormonat deutlich, nämlich um 3,4 %, und gegenüber dem Vorjahr um 1,7 % gestiegen ist. Jetzt fragen Sie mich nicht, wie das passieren kann,

wenn alle umherrennen und sagen, sie hätten kein Geld mehr. Dann sehe ich abends in den Fernsehnachrichten Unternehmer, die sagen: Meine Auftragsbücher sind voll, aber was passiert denn, wenn ich kein Geld mehr kriege?

Man merkt immer mehr: Das entzieht sich einer realen Betrachtung. Es ist unheimlich viel Gefühl dabei, wenn man darüber spricht, was passiert, wenn alles schwierig wird. Dies verstärkt anscheinend diese Wirtschaftsprozesse dermaßen, dass sie sich von der Realität abkoppeln. Denn in den Wirtschaftsdaten Deutschlands selbst - Deutschland ist sehr gut aufgestellt; das haben wir letztens auch schon besprochen - findet sich das nicht wieder.

Nun will ich das nicht schönreden. Viele gehen davon aus, dass sich das Wachstum abschwächt. Es gibt jetzt Prognosen der Bundesregierung, die von einem Wachstum zwischen 1,0 und 0,5 % ausgehen.

Gestern habe ich gelesen, dass der IWF - es ist das erste Mal seit mehr als 30 Jahren; das hätte man vom IWF gar nicht gedacht - dargestellt hat: Es gibt eine Rezession. Alle gucken sich um, weil er selbst für Europa und für Deutschland ein solches Szenario aufzeigt.

Nun will ich mich nicht schlauer machen als der IWF. Wahrscheinlich ist es ein Zufall: Ich wäre jetzt eigentlich für die SPD mit meinem Kollegen aus Hamburg beim IWF; denn einmal im Jahr fahren zwei Finanzminister dorthin. Aber ich habe, als ob ich es geahnt hätte, vorher abgesagt, weil ich mir gedacht habe: Ob ich beim IWF bin oder nicht, das wird keinem groß auffallen; es ist wichtiger, sich um die Situation hier zu kümmern. Aber der IWF scheint sehr aufgeschreckt zu sein und weiß nicht genau, wie er damit umgehen soll, was hier passiert.

Ich bitte Sie alle, bei den Fakten zu bleiben. Unser eigenes Wachstum - ich glaube, auch das im letzten Quartal - ist nicht schlecht. Die Industrieproduktion ist hoch. Und die Auswirkungen auf die Liquidität, auch der Banken - -

Ich habe mit einigen Banken gesprochen; es gibt ja heute auch ein Treffen mit vielen Sparkassen. Ob nun bei den Sparkassen, bei den Genossenschaftsbanken oder auch bei größeren Privatbanken: Dort ist das, worüber allgemein politisch diskutiert wird, noch nicht so angekommen. Selbst die Deutsche Bank, mit der ich gestern rein zufällig zusammengetroffen bin, sagt: Wir haben dieses Problem nicht. Wenn es eine Investition gibt, scheitert sie derzeit bei uns nicht am Geld.

Es gibt natürlich ein gestörtes Vertrauensverhältnis. Was passiert denn mit dem Absatz, den wir haben? Gibt es dafür noch jemanden? Was ist, wenn in drei, vier Monaten die Leute das Geld noch mehr zusammenhalten und noch weniger kaufen? - Diese Fragen kann die Politik aber nicht beantworten.

Aus diesem Grund war es völlig richtig, dass sich die Notenbanken abgesprochen haben und gestern die Zinsen gesenkt haben. Heute früh wurden die Banker dazu befragt - dieselben, die das angerichtet haben - und haben gesagt: Das ist verpufft. Ich finde es natürlich gut, dass sich diejenigen jetzt hinstellen und das bewerten, die auch maßgeblich daran beteiligt waren, das anzurichten.

Deswegen bin ich bei den Wörtern „Experte“ und „Börsenguru“ relativ gelassen. Man kann es kaum aus

sprechen, was sie meinen, aber wenn man die Zusammenhänge halbwegs begreift, dann kann man sagen: Wir sollten uns bei dem, was wir hier tun, auf ein bisschen gesunden Menschenverstand, auf das, was in Deutschland dieses Drei-Säulen-System bisher ausgezeichnet hat, verlassen und nicht in Hysterie verfallen. Das wäre das Schlechteste, was in dieser Situation passieren könnte, und aus meiner Sicht auch das Schlechteste für die Wirtschaft.

Deswegen möchte ich ganz klar feststellen und an dieser Stelle zusammenfassen, dass erstens die Bankeinlagen - das ist vor allem wichtig für die Bürgerinnen und Bürger - sicher sind und auch gesichert sind.

Zweitens. Die Sparkonten sind sicher und gesichert.

Drittens. Die Sparkassen, Geschäftsbanken und Genossenschaftsbanken verfügen wie viele andere Privatbanken auch - der größte Teil nämlich in Deutschland - über eine ausreichende Liquidität.

Weiterhin steht unsere Landesbank stabil da und die Liquidität des Landes ist gesichert für das ganze Jahr 2008.

Und die Fördermittel - das ist nicht unwesentlich - fließen auch in diesem Jahr kontinuierlich ab.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

- Da kann man ruhig einmal applaudieren.

Natürlich verfolge ich die Diskussion. Natürlich finde auch ich manches ärgerlich und manches macht auch mich - wie man es jetzt oft liest - wütend. Aber es nützt doch nichts, wenn ich wütend bin, weil die EZB etwas ganz anderes tut. Wichtig ist, was wir jetzt daraus lernen, was wir aktuell machen und wie wir - darauf will ich auch noch kommen - in unserer Diskussion zum Haushalt damit umgehen.

Ich sage Ihnen: Aus heutiger Sicht - es gibt für mich keinen Anlass, aufgrund des Steueraufkommens davon abzuweichen - wird die Konsolidierung so wie geplant weitergehen. Ich werde Ihnen auch aufzeigen, wie das funktioniert. Es mag ja dazu führen, dass es vielleicht durch geringeres Wirtschaftswachstum schwerer wird; trotzdem sage ich Ihnen: Unsere Schulden in Höhe von 20 Milliarden € werden nicht verschwinden. Wer diese Hoffnung hat, sollte sie begraben. Wenn der Nebel sich verzogen hat, werden die 20 Milliarden € daliegen und die Zinsleistungen in Höhe von 1 Milliarde €.

Diese Konsolidierung wird nach wie vor unser Handeln bestimmen müssen, bei all den Diskussionen auf der Ausgabenseite. Ich hoffe, dass der Landtag das in großer Breite auch mitträgt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Botschaft sollte vor allem sein: Erstens. Die Fakten, wie ich sie derzeit einschätzen kann, zeigen, dass es eine Abschwächung gibt, dass aber trotzdem eine gewisse kontinuierliche Vorwärtsentwicklung vorhanden ist. Das betrifft auch das Steueraufkommen. Wir werden bei der Steuerschätzung im November wahrscheinlich sogar eine positive Veränderung gegenüber der Steuerschätzung im Mai haben.

Ich weiß selbst, dass das schwer zu erklären ist, wenn die Leute draußen denken, dass alles zusammenbricht. Selbst in der Ländergesamtheit gehen die Finanzminis

ter davon aus, dass es gegenüber der Mai-Schätzung einen leichten Aufwuchs geben wird. Dieser wird jedoch nicht so dynamisch sein wie eine Fortschreibung aus dem ersten Quartal. - Weiter will ich mich an dieser Stelle gar nicht vorwagen. Wir warten erst einmal ab, was die Steuerschätzung im November 2008 und die im Mai 2009 aufzeigen. Dann kann man das viel verlässlicher sagen.

Zweitens. Wir sollten darauf vertrauen, dass die Aufsicht und die Beschränkungen im deutschen Bankensystem, die es in Deutschland bereits gibt, vernünftig angewandt werden.

Herr Steinbrück hat - das ist das, was Herr Tullner abgeschrieben hat -

(Herr Tullner, CDU: Ich habe das nicht abge- schrieben! - Frau Budde, SPD: Umgeschrieben!)

gestern acht Punkte dazu vorgelegt, inwieweit das, was in Deutschland funktioniert, europaweit oder auch zwischen den Wirtschafträumen, nämlich weltweit, funktionieren soll, dass zum Beispiel die Risiken in die Bilanzen eingerechnet werden und dass die Aufsicht alle Banken erfasst, solange es im Immobilenbereich noch Banken gibt, bevor die Aufsicht etabliert wird.

(Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

Das betrifft auch die Frage, wie die Länder untereinander offener agieren und wie die Dinge von Ländern zentraler angegangen werden können, ohne diesen einen großen Schirm über die ganze Welt zu legen. Denn klar ist auch, dass letztlich jedes Land selbst entscheiden muss, wie es mit seinem Bankensystem umgeht.

Ich glaube, in diesem Fall können die anderen Länder von Deutschland lernen. Denn das, was jetzt gemacht wird, zum Beispiel bei der Aufsicht oder im Zusammenhang mit diesen Einlagensicherungsfonds, ist ein Nachholen dessen, was es in Deutschland bereits seit Jahrzehnten gibt und was hier funktioniert.

Ich bitte Sie alle, egal welche Rolle Sie im Landtag haben, darum, bei den Bürgerinnen und Bürgern - ohne dabei Dinge zu verschweigen - dafür zu werben, die Einlagen nicht hektisch irgendwo abzuheben. Wir dürfen die nicht einfache Situation nicht dadurch erschweren, dass wir diese realen Ereignisse nicht entsprechend bewerten, sodass sich das Gefühl völlig verselbständigt und die Menschen in eine Panik verfallen, die nichts damit zu tun hat, was in der Wirtschaft und im Finanzwesen passiert.

Ich kann nicht ausschließen, dass es noch größere Auswirkungen haben wird, wenn weitere drei, vier große Banken in Amerika pleitegehen. Ich kenne auch nicht die Bücher der Deutschen Bank.

Vorhin ist gefragt worden, was mit den Banken Sonntagnacht so passiert und ob sich die Deutsche Bank heimlich Anteile anderer sichert. - Wir sollten uns auch davor hüten, Legenden zu stricken, die vielleicht den Klassenkampf anheizen, die aber nicht den existierenden Problemen zugrunde liegen. Ich glaube, die Deutsche Bank ist auch froh, wenn sie mit einem blauen Auge davonkommt. So strahlend ist das, was die Kollegen Banker machen, auch nicht.

Insgesamt, denke ich, versuchen wir, Sie alle relativ zeitnah zu informieren. Ich werde das auch in der nächsten Woche im Finanzausschuss wieder tun.

Ich will damit schließen, dass in einigen Monaten, wenn diese Finanzmarktkrise hoffentlich ein bisschen in den Hintergrund getreten sein wird - ich meine das in Bezug auf ihre Aktualität; denn die Auswirkungen werden noch lange zu spüren sein; bestimmte Annahmen werden nicht mehr so eintreffen -, eine gesellschaftspolitische Debatte darüber losgehen wird, welchem Mainstream Parteien und Regierungen folgen werden und welche Gesellschaftsbilder zugrunde gelegt werden. In Bezug auf diese Fragen hat sich, so glaube ich, in den letzten Wochen mehr verändert, als wir uns im Moment vor lauter Beschäftigung mit der Tagespolitik wohl zugestehen können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt natürlich drei Nachfragen zu Ihrem Redebeitrag, und zwar von Herrn Dr. Thiel, von Herrn Tullner und von Herrn Gallert. Wollen Sie diese beantworten?

Bitte schön, Herr Thiel, Sie haben das Wort.

Herr Minister, Sie sprachen in Ihrem Beitrag von der scheinbaren Entkoppelung dessen, was momentan auf den Finanzmärkten passiert, von einer robusten wirtschaftlichen Entwicklung. Welche Anreize müsste man nach Ihrer Auffassung künftig schaffen, damit in die reale Wirtschaft mit Renditen zwischen 8 % und 10 % mehr investiert wird als in spekulative Geldgeschäfte mit scheinbaren Renditeerwartungen zwischen 15 % und 20 %? An welcher Stelle müssten wir da gemeinsam ansetzen?

Das, was derzeit gerade gemacht wird, ist etwas, das die Wirtschaftspolitik von der Finanzpolitik erwarten kann: Das Geld wird billiger; es gibt eine enorme Ausweitung, was vor Jahren undenkbar war; der Zugang zu Geld ist relativ einfach. Die amerikanische Notenbank hat sogar überlegt - ich weiß nicht, ob sie es bereits praktisch macht -, Unternehmen direkt Geld zu geben, ohne sozusagen Sicherheiten zu überprüfen - ich meine, das ist für ein Unternehmen das Schlaraffenland -, weil man hofft, dass man damit die Guten trifft und dass sich die Schlechten jetzt automatisch aussortieren.

Ich gehöre zu denjenigen, die die Wirtschaft vor dem Versuch warnen, der Finanzmarktkrise etwa die Stilllegung von Bändern anzulasten, die auf eine falsche Firmenstrategie zurückzuführen ist. Ich glaube, in diesem Bereich wird derzeit vieles gemacht. Ich meine damit zum Teil die Autobauer, die vielleicht in Amerika die falschen Autos bauen und dies nun gern der Finanzmarktkrise zurechnen.

Aber für die Zukunft sollten wir uns alle an die eigene Nase fassen. Ich kenne einige, die in den letzten Jahren diese spekulativen Geschäfte mitgemacht haben und auch froh darüber waren, wenn es einige Prozente mehr gab.

Die vielfach vorhandene Kombination einer Geiz-ist-geilMentalität, bei der man im Supermarkt alles für fast nichts bekommen möchte, mit Renditeerwartungen am Finanzmarkt, die weit über 15 % liegen, natürlich spekulativ - das findet man auch noch vernünftig -, wird Vergangenheit sein. Beides müsste vorbei sein.

Zum einen muss man wissen, dass das, was erwirtschaftet wird, auch seinen Preis im Geschäft hat, wenn man vernünftige und existenzsichernde Löhne haben will. Zum anderen muss man im spekulativen Bereich nach oben eine Grenze setzen und sagen: Leute, bestimmte Geschäfte, zum Beispiel die Leerverkäufe, werden wir gesetzlich nicht mehr zulassen. Uns muss klar sein, dass die Renditeerwartung dann von ganz allein sinken wird.

Diejenigen, die sich damit befassen - es gibt sicherlich auch in diesem Hause jemanden, der Aktien hat und der diese Geschäfte begleitet -, wissen auch, dass es bereits seit Monaten auch offizielle Diskussionen darüber gab, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht. Es haben auch schon ganz viele darauf gewettet, dass das Ganze zusammenbricht, und haben viel Geld damit verdient. Mit diesem Abschwung sind viele richtig reich geworden, weil sie - auch das soll in Zukunft ausgeschlossen werden - viel Geld darauf gesetzt haben, dass der Markt zusammenbricht.

Das alles ist in diesen acht Punkten, über die jetzt beim IWF und bei der EU diskutiert werden soll, im Entwurf enthalten. Wenn sich diese acht Punkte durchsetzen, dann wird es von ganz allein eine Abkühlung geben.