Protokoll der Sitzung vom 10.10.2008

Einen früheren Beginn wollen wir nicht, wohl wissend, dass die eine oder andere Schule mittlerweile auch die 0. Stunde erfunden hat, mit der man den Erlass zart umgeht, indem die erste Stunde pünktlich anfängt, aber die 0. Stunde eben etwas eher. Es muss, glaube ich, auch einmal möglich sein, dass die Schule erst nach 8.15 Uhr beginnt, um über Schulwege und Ähnliches zu garantieren, dass auf der einen Seite alle rechtzeitig herankommen und auf der anderen Seite auch der ÖPNV eine vernünftige Verbindung darstellen kann.

Wir wissen - wir hatten erst in der letzten Landtagssitzung wieder eine Debatte darüber -, dass die Landkreise als Träger des öffentlichen Personennahverkehrs auch zunehmend finanzielle Probleme haben und dass das leider - das muss ich hier betonen - auch immer wieder

eine Rolle bei der Ausgestaltung des Schülerverkehrs spielt.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchten wir an dieser Stelle - ich glaube, das sollte der vernünftigste Weg sein - dafür werben, unseren Antrag an den Bildungsausschuss, aber auch an den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr zu überweisen, der ja über den ÖPNV mit dem Thema befasst ist, um noch einmal mit den Landkreisen reden und Lösungen ausloten zu können, die sich hierbei finden lassen können, damit der Transport in einem vernünftigen Maße erfolgt, aber auch die pädagogischen Belange berücksichtigt werden können, um die Schulzeit in einem akzeptablen zeitlichen Rahmen absolvieren zu können und die Kinder nicht kurz nach Mitternacht aus dem Bett werfen zu müssen.

Wir alle wollen ja einen vernünftigen Lernerfolg; wir wollen nicht, dass dieser an Zwängen scheitert, die vielleicht nicht unbedingt sein müssen, etwa dass der Träger schon in der Dunkelheit die Kinder einsammelt. Ich glaube, dass etwas mehr Augenmaß gefordert ist. Dabei zählen wir auch auf das Kultusministerium, das an der entscheidenden Stelle sicherlich auch mit Vernunft und Augenmaß über seinen Erlass noch einmal nachdenken möge. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Danke für die Einbringung, Herr Kley. - Für die Landesregierung spricht der Kultusminister Herr Professor Dr. Olbertz.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich widerstehe jetzt der Versuchung, weitere Ausführungen zu den neuesten Ergebnissen der Schlafforschung zu machen. Ich habe in meiner Rede zwei Thesen aufgestellt. Die erste These ist: Ein Schultag, der später beginnt, endet auch später, was für alle nachschulischen Aktivitäten durchaus von Brisanz ist.

(Herr Kosmehl, FDP: Gewagte These!)

- Gewagte These.

Die zweite gewagte These, die ich habe: Die Interessen der Schülerinnen und Schüler müssen immer, und zwar bei jeder Regelung, die wir finden, die Interessen der Träger der Schülerbeförderung und des ÖPNV überwiegen. Diese beiden Thesen habe ich näher ausgeführt. Ich wollte Sie darauf neugierig machen und gebe den Rest zu Protokoll. Ich empfehle, den Antrag an die Ausschüsse zu überweisen.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin! - Herr Kley, FDP: Dann müssen wir noch lesen! - Herr Kosmehl, FDP: Ablehnung!)

(Zu Protokoll:)

Wie groß der von der FDP angemahnte Handlungsbedarf ist, wie brisant das von ihr beschriebene Problem, kann man schon daran erkennen, dass die Regelung, wonach der Unterricht an den Schulen in Sachsen-An

halt morgens zwischen 7 Uhr und 8 Uhr beginnt, 15 Jahre lang galt. Das ist eine lange, für bildungspolitische Verhältnisse sogar sehr lange Zeit. Ich kann mich nicht entsinnen, dass jemals eine nennenswerte Diskussion darüber geführt wurde, ob diese Spanne ausreiche oder nicht.

Gleichwohl wurde am 20. Februar 2007, nicht zuletzt im Rahmen der Schulentwicklungsplanung, die Zeitspanne für den Beginn der ersten Unterrichtsstunde von 7 Uhr bis 8.15 Uhr erweitert. Deshalb halte ich eine nennenswerte Erweiterung der schon jetzt 75-minütigen Zeitspanne weder für erforderlich noch für sinnvoll.

Nicht sinnvoll, weil der Arbeitstag - so muss man es ja fast nennen - der Schülerinnen und Schüler schon jetzt recht spät zu Ende geht, und das natürlich gerade bei denjenigen, zu deren Unterricht längere Fahrzeiten hinzukommen. Da ich vermute, dass niemand ernsthaft über einen Unterrichtsbeginn vor 7 Uhr nachdenkt, beschränke ich mich darauf zu fragen, ob sie künftig noch später nach Hause kommen sollen.

Richtig ist allerdings, dass manche dieser Schüler derzeit morgens schon sehr früh, vielleicht auch zu früh aufbrechen müssen. Die Frage ist nur, ob es zur Lösung dieses Problems eines späteren Schulbeginns für alle bedarf. Ich bitte Sie herzlich, dass wir genau darauf unser Augenmerk richten, wenn wir im Falle einer Ausschussüberweisung über den Antrag diskutieren.

Hinsichtlich der Grundschulen ergäben sich bei einer Ausdehnung der Zeitspanne im Übrigen gegebenenfalls personalkostenrelevante Verlängerungen der Betreuungszeiten vor Unterrichtsbeginn und Belastungen für die Hausaufgabenzeit im Hort. Unabhängig davon braucht auch schulische Qualität halbwegs vertretbare zeitliche Koordinaten. Zu berücksichtigen ist der Biorhythmus der Kinder ebenso wie ihr Recht auf nachmittägliche Freizeit.

Wozu ich jedenfalls nicht bereit wäre, ist, die Schule, die Schüler und die Schülerbeförderung um die Interessen von Transportunternehmen herum zu konfigurieren. Sie scheinen ja mit gemeint zu sein, wenn in der Begründung des Antrages von „den Erfordernissen des ÖPNV“ die Rede ist. Mich interessieren in erster Linie Erfordernisse, die das Wohl der Kinder betreffen; alle weiteren Dinge sind wichtig, aber bei dieser Prämisse nachrangig.

Auf der anderen Seite ist gewiss - auch wenn niemand genau den Umfang einschätzen kann -, dass das Land mit seinen Zuschüssen - 2008 und 2009 jeweils über 23 Millionen € - die Schülerbeförderung zu einer tragenden Säule des ÖPNV insgesamt macht. Zugleich betreibt das Land damit eine nennenswerte Wirtschaftsförderung.

Der Zweck ist gleichwohl ein anderer, nämlich die Beförderung von Schülerinnen und Schülern. Und dazu - darin bin ich mir mit Herrn Kollegen Daehre völlig einig - können wir erwarten, dass die bestellte und bezahlte Dienstleistung möglichst gut, möglichst durchdacht, möglichst rasch und möglichst direkt erbracht wird. Das gilt übrigens nicht nur für den Weg zur Schule, sondern auch für den Heimweg.

Beides scheint derzeit, um es mit äußerster Vorsicht zu sagen, noch nicht überall der Fall zu sein, weshalb das Verkehrsministerium dankenswerterweise daran arbeitet, die Anreize für eine möglichst rasche Schülerbeförderung zu erhöhen.

Wenn das gelänge, müssten viele Schüler künftig auch ohne einen späteren Unterrichtsbeginn nicht mehr so früh aufstehen. Der Preis, dann vielleicht ein anderes Motto für unsere Landeskampagne finden zu müssen, dürfte unter dieser Prämisse bezahlbar sein.

Dann treten wir in die Diskussion der Fraktionen ein. Als erste Debattenrednerin hat Frau Mittendorf von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wir stehen früher auf“, ist die bekannte Redewendung bei uns im Lande. Das führt natürlich bei manchem dazu, dass er den ganzen Tag durchhängt; das soll es auch geben.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Aber es ist ein ernstes Anliegen, sich einmal damit zu befassen, wie es sich auswirkt, wenn der Anfangszeitkorridor für den Unterricht so ist, wie er in unserem Land ist. Ich halte das Anliegen für berechtigt. Ich danke Ihnen, wie auch gestern schon, dafür, dass Sie den Antrag eingebracht haben.

Wir haben die Möglichkeit, uns darüber zu verständigen, weil es Überlegungen geben muss, weil es neue Erkenntnisse gibt und weil die Regelungen in unserem Land durchaus differieren zu Regelungen in anderen Ländern.

In Ländern wie Baden-Württemberg oder in Sachsen erstreckt sich der Zeitkorridor von 7 bis 9 Uhr, in Nordrhein-Westfalen bis 8.30 Uhr. In Sachsen-Anhalt beginnt der Unterricht in der Regel zwischen 7.30 Uhr und 8 Uhr.

Das ist auf der einen Seite sicherlich eine willkürliche Festlegung, aber so willkürlich nun auch wieder nicht; denn sie hat einen guten Grund: Es ist zum einen eine über Jahrzehnte, möchte ich fast sagen, eingeübte Praxis, und zum anderen hat es etwas damit zu tun, dass eine Vereinbarung von Kinderbetreuung und Beruf mitunter nur durch diesen frühen Unterrichtsbeginn möglich ist. Der individuelle Lebensrhythmus vieler Familien ist auf diesen Unterrichtsbeginn eingestellt.

Ich bestreite jedoch nicht, dass ein Unterrichtsbeginn zwischen 7 Uhr und 7.30 Uhr in ländlichen Regionen völlig andere Auswirkungen hat als in der Stadt. Ich bin auch ein gelernter Stadtmensch und habe nun seit vielen Jahren einen ländlichen Wahlkreis. Ich habe diesbezüglich viel gelernt, weil ich weiß, was es bedeutet, wenn Kinder lange Anfahrtswege haben. Das ist schon sehr hart; es widerspricht wirklich dem Schlafbedürfnis von Kindern.

Ich glaube aber, dabei muss man verschiedene Ebenen betrachten. Man muss sehen, dass sich, wenn der Unterrichtsbeginn zu spät erfolgt, vieles nach hinten verlagert. Ich will nicht wiederholen, was schon gesagt worden ist, aber es bleibt dann kaum noch Zeit für andere Dinge.

Das Abwägen der Interessen aller Beteiligten ist wichtig. Dazu gehört es, darüber nachzudenken, wie die Mittagsverpflegung zu sichern ist, wie die Arbeitszeiten der Eltern sind und wie das mit der Schülerbeförderung zu regeln ist. Das alles steht, glaube ich, außer Frage.

Ich verstehe den Antrag der FDP-Fraktion so, dass der Zeitkorridor weiter flexibilisiert werden soll, dass er zum

Beispiel auf 8.30 Uhr oder 9 Uhr ausgedehnt werden soll. Ich halte solche Regelungen durchaus für denkbar. Man muss regional aber genau schauen, wie die einzelnen Entfernungen sind; gegebenenfalls muss man in einzelnen Schulen unterschiedliche Regelungen dazu treffen. Dazu bedarf es intelligenter Lösungen.

Es ist in der Tat heute so, dass in ländlichen Regionen viele Kinder zum Schulbeginn bereits drei Stunden auf den Beinen sind, weil sie eine lange Anfahrt haben. Nicht zu Unrecht, glaube ich, beschweren sich viele Lehrerinnen und Lehrer, dass zu Unterrichtsbeginn das sinnvolle Lernen erschwert wird, weil das Leistungspotenzial nicht ausgeschöpft werden kann.

Es hilft auch hier, wie immer, ein Blick in andere Länder. In vielen Ländern in Europa beginnt der Unterricht in der Tat später, allerdings muss man dazu eine grundsätzliche Nebenbemerkung machen: In diesen Ländern ist der spätere Unterrichtsbeginn häufig in einen regulären Ganztagsschulbetrieb eingebettet. Das ist etwas ganz anderes. Deutschland ist hierbei die klassische Ausnahme. Ich will jetzt nicht wieder vom Schulsystem anfangen, aber ich möchte sagen: Die Halbtagsschule in Deutschland erschwert auch solche Dinge.

Ich denke, wir können der Überweisung in die genannten Ausschüsse zustimmen. Wir sollten darüber wirklich ergebnisoffen und in Richtung einer Flexibilisierung diskutieren. Damit könnte man, glaube ich, vielen Leuten einen Gefallen tun. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau Fiedler. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Über den Antrag sollte in den genannten Ausschüssen gesprochen werden; dieser Meinung sind auch wir. Er wird auch sicherlich zu Hause Anlass für Gespräche. Ich könnte mir Eltern vorstellen, die zu Hause aufatmen, weil sie ihre lieben Kleinen endlich nicht mehr so zeitig wecken müssen.

Wenn Sie schon einmal früh über Land gefahren sind und die Knirpse in aller Herrgottsfrühe an der Bushaltestelle im Dunkeln und jetzt vielleicht auch zunehmend im Kalten haben stehen sehen, dann bekommen Sie vielleicht eine Ahnung davon, warum das Wort „Morgengrauen“ erfunden worden ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und bei der FDP - Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Ol- bertz)

Ich kann mir aber auch Mütter und Väter vorstellen, die jetzt einfach nur genervt sind und überlegen: Wie soll ich das bloß machen? Der Ablauf ist jetzt so schön geregelt; ich gehe selbst um 6 Uhr aus dem Haus. Wann soll ich denn nun das liebe Kind richtig ausgerüstet in die Schule schicken?

Es wird wieder andere geben, die sagen: Mein Gott, dann sollen doch die Eltern die lieben Kindlein abends zeitig genug ins Bett schicken und dann sind die früh ausgeschlafen und können um 5 Uhr aufstehen.

Das hat auch etwas für sich, weil - jetzt sage ich doch, was der Herr Minister weggelassen hat - die Schlaffor

scher Folgendes sagen: Kinder und Jugendliche sollen wenigstens neun bis zehn Stunden schlafen, und zwar nicht von 23 Uhr bis irgendwann, sondern zwischen 19 oder 20 Uhr bis früh um 6 Uhr, wo sie vielleicht von selbst munter werden. Denn der Schlaf in der ersten Nachthälfte ist nun einmal erholsamer ist als der in der zweiten Nachthälfte.

Mit diesen Aussagen die Verantwortung den Eltern zuzuweisen, dem kann ich durchaus etwas abgewinnen. Ich bin sehr für Regeln und Rituale auch im häuslichen Ablauf. Das hat schon etwas für sich. Es muss nicht sein, dass die Kinder bis irgendwann vor dem Fernseher sitzen. Aber so ist das im Leben, jeder hat dazu eine andere Meinung. Was dem einen sin Ul, ist dem andern sin Nachtigall.

Wir LINKEN werden mit diesem Antrag freundlich umgehen, auch deshalb: Wenn Sie schon einmal in unser Leitbild zur räumlichen Gliederung der öffentlichen Daseinsvorsorge geschaut haben, dann sehen Sie, dass dieser Satz dort fast genau so drin steht. Wir sehen ebenfalls den Zusammenhang zwischen Schulöffnung und Schülerbeförderung.

Jetzt stelle ich mir einmal vor - ich war selbst einmal Schulleiterin -, ich wäre eine sehr mutige Schulleiterin und würde denken, dass ficht mich alles nicht an. Das Schulgesetz ist das Größte, das Gesetz ist nun einmal die höchste Hürde, und dort steht ja nichts von einer Uhrzeit drin. Also gestalte ich als Schulleiterin den Unterrichtsbeginn wie ich will. Nun gibt es aber den Erlass, von dem schon die Rede war. Der Unterrichtsbeginn soll zwischen 7 Uhr und 8.15 Uhr liegen. Und so viele mutige Schulleiter, die den Erlass umgehen, haben wir nun einmal nicht im Land - vielleicht nirgendwo.