Um die sonderpädagogische und die präventive Förderung zu verbessern, wurden in den letzten Jahren regionale und überregionale Förderzentren gegründet. Ich fand es gut, dass Sie deren Arbeit gewürdigt haben; denn diese verfolgen neben einem wohnortnahen Förderangebot unter anderem das Ziel, die Zusammenarbeit zwischen Schulen zu stärken, den gemeinsamen Unterricht auszuweiten, die Förderkompetenz der Lehrkräfte in allen Schulen zu stärken und auf diesem Weg die Zahl der Förderschülerinnen und -schüler allmählich zu senken; denn in diesem Ziel sind wir uns, glaube ich, alle einig.
Um aber diese Aufgabe zu erfüllen, stehen den Förderzentren ganz verschiedene Fördermöglichkeiten zur Verfügung: zum Ersten ambulante Kurse zur Förderung, zum Zweiten mobile Beratungs- und Fortbildungsangebote, zum Dritten Kooperationsklassen, zum Vierten der gemeinsame Unterricht und zum Fünften die Förderung
in einer Förderschule mit dem Ziel, die Schüler auf den Besuch einer allgemeinen Schule vorzubereiten.
Die Zahl der Förderzentren hat seit dem Jahr 2005 kontinuierlich zugenommen. Sie wissen das. Im Schuljahr 2007/2008 haben 31 genehmigte Förderzentren gearbeitet. Für das Schuljahr 2008/2009 sind weitere fünf Regionen mit ihren Konzepten zur Bildung eines Förderzentrums im Gespräch und haben die Konzepterprobung aufgenommen.
Das Angebot der ambulanten Förderung ist im Schuljahr 2006/2007 gegenüber dem Schuljahr 2007/2008 nahezu verdoppelt worden. Im Schuljahr 2006/2007 haben 1 360 Kinder an den 239 angebotenen ambulanten Kursen teilgenommen. Im Schuljahr 2007/2008 waren es schon 2 260 in insgesamt fast 500 Kursen.
Auch die Zahl der Kooperationsklassen hat sich von elf im Schuljahr 2005/2006 auf 42 Klassen im Schuljahr 2008/2009 mit immerhin 365 Schülern ausgeweitet.
Das gilt übrigens auch für den gemeinsamen Unterricht, der vor acht Jahren gerade einmal 200 Schüler umfasst hat, im laufenden Schuljahr aber immerhin schon 1 300 umfasst.
Ich trage das nur vor, um zu zeigen, dass wir hier auf einem, glaube ich, ganz guten Entwicklungsweg sind. Ich trage das nicht vor, um Ihnen einzureden, ich wäre mit dieser Entwicklung bereits zufrieden und ich würde die durchaus ernste Problematik der hohen Förderschulquote geringschätzen oder ihr nicht den nötigen Stellenwert in der Landespolitik beimessen.
Aber gleichwohl: Schulische Integration findet gegenwärtig an jeder zweiten allgemeinen Schule statt. Ich halte das für ein erfreuliches Ergebnis, bin aber gern bereit, Frau Bull, noch einmal nachzurechnen, wenn es so ist, wie Sie sagen. Das muss ich nachrechnen; das konnte ich ad hoc nicht machen. Damit haben Sie mich kalt erwischt.
- Nein, das hätte ich auch nicht liegen gelassen, jedenfalls dann nicht, wenn es stimmt. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür. Das rechne ich einfach nach. Möglicherweise steckt der Unterschied zwischen absoluten und relativen Zahlen dahinter.
Jedenfalls haben wir nach wie vor das Problem, dass etwa 74 % der Anmeldungen für die Förderschulen Kinder vor Übertritt in die Jahrgangsstufe 3 betreffen und fast 20 % Kinder vor Schuleintritt, im Rahmen der Aufnahmegespräche.
In diesem Zusammenhang hätten Sie Recht, wenn Sie sagen würden, die Grundschule mit flexibler Eingangsphase funktioniere nicht in der Weise, wie wir sie uns konzeptionell gedacht hätten. Sie ist konfrontiert mit einem traditionellen oder konventionellen Ansatz der Einteilung in Jahrgänge. Wenn jemand für die Schuleingangsphase drei Jahre benötigt, dann ist das in der öffentlichen Wahrnehmung der Schule und offensichtlich auch der Eltern so etwas Ähnliches wie sitzenbleiben.
Da nützt es uns gar nichts, wenn wir in Jahren rechnen und dann letztlich Kinder tatsächlich als zurückbleibende Kinder empfunden und erlebt werden, obwohl sie eigentlich nur in ihrem individuellen Tempo ein bisschen an
ders gefördert und geleitet werden müssen und dafür einfach ein Jahr länger brauchen. Es ist aber sowohl sprachlich als auch im öffentlichen Bewusstsein sehr schwer zu etablieren, dass dies eigentlich nur Varianten einer Schulform sind und nicht das Hängenbleiben, Sitzenbleiben oder Zurückbleiben.
Was die ersten Erkenntnisse aus der Eingangsphase anbelangt, stellt sich nicht nur mir die Frage, ob wir nicht mitunter zu früh das Feststellungsverfahren beantragt sehen. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man nach der Eingangsphase zu dem Ergebnis kommt, dass sonderpädagogischer Förderbedarf fortbesteht, oder ob man das schon vorher macht und damit nur den Lernort wechselt und die Entwicklung, die in der Grundschule stattfinden könnte, gar nicht abwartet, bevor man zu einer Förderentscheidung in Bezug auf den institutionellen Kontext kommt. Darüber bin ich auch nicht glücklich. Da sind wir auch dran.
Ich möchte Ihnen nicht vorschnell mit moralischen Kategorien kommen oder gar Schuldvorwürfe erheben. Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass sich in der Grundschule immer noch viele Verantwortliche irgendwie schwer tun mit der Vorstellung von einer heterogenen Schülerschaft. Ich glaube, das ist eine Beschreibung, der ich nicht widersprechen sollte. Es ist tatsächlich auch nicht leicht, in heterogenen Gruppen - die werden immer heterogener durch die sehr unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens - gemeinsame Ziele zu formulieren.
Umgekehrt, Frau Bull, finde ich es auch richtig, Kinder daran zu vergleichen, ob sie annähernd gleiche Lernfortschritte zeigen. Eine gute Pädagogik könnte individuell gar keine Zuwendung organisieren, wenn sie nicht vorher die Ausgangssituation feststellen würde und auch den Abstand der Kinder untereinander nach einem einigermaßen gut definierten Erwartungsdurchschnitt feststellen würde. Das ist anders gar nicht möglich. Anders kann ich individuellen Förderbedarf nicht einmal identifizieren.
Deshalb würde ich es nicht befehden, dass festgestellt werden muss, ob die Kinder einigermaßen gleichmäßig zu einigermaßen gleichen Ergebnissen kommen. Das ist kein Verstoß gegen Heterogenität. Das ist die Voraussetzung, um diejenigen zu identifizieren, denen ich mit besonderer Zuwendung helfen muss.
Ich wollte zum Schluss noch sagen, dass wir zunächst in zwei Landkreisen auf der Grundlage der Arbeit in den Förderzentren Lehrkräfte aus Förderschulen modellweise in Regelschulen einsetzen wollen; denn anders geht es gar nicht. Da haben Sie Recht. Umgekehrt soll diese Zusammenarbeit, verknüpft mit Fortbildungsangeboten, Grundschullehrerinnen und -lehrer in die Lage versetzen, ihrerseits Förderpläne zu erstellen und umzusetzen, besondere Förderbedarfslagen zu erkennen und vor allem in ihrer Unterrichtsgestaltung diesen Bedarfslagen zu entsprechen.
Mit dieser Erprobung sollen Kinder mit besonderem Förderbedarf im Lernen und in der emotional-sozialen Entwicklung zunächst im Rahmen des flexiblen Schuleingangs gefördert werden. Eine Einschulung oder Umsetzung in Förderschulen wäre dann also hier schon nicht mehr vorgesehen.
Das wollen wir gern ausprobieren. Wir machen es vorsichtig mit diesen Modellregionen, weil man einen beträchtlichen Einsatz an konzeptioneller Vorbereitung und
an Qualifikation der Lehrkräfte dafür voraussetzen muss; denn es ist eine außerordentlich anspruchsvolle Aufgabe. Wir werden das beobachten.
Das heißt mit anderen Worten: Wir sind schon auf dem Weg, auch bis in die institutionelle und methodische Reform hinein, diese Kinder viel stärker zu integrieren als bisher. Aber wir werden das nicht ad hoc machen, nur damit wir uns anschließend politisch auf die Schulter klopfen können, weil die Statistik wieder einigermaßen stimmt und dem bundesdeutschen Durchschnitt folgt.
Wir werden diese Integration vielmehr sehr behutsam und versuchsweise organisieren. Ein Grundstein ist mit den Förderzentren gelegt worden. Dies kann und soll sich weiterentwickeln. Aber am Ende muss all das nicht mit politischen Ambitionen verknüpft sein, sondern mit dem Interesse am Wohl der betreffenden Kinder. - Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Wir kommen jetzt zu den Debattenbeiträgen der Fraktionen. Die SPD-Fraktion hat jetzt für acht Minuten das Wort. Frau Dr. Späthe, bitte schön.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der LINKEN zum sonderpädagogischen Förderbedarf bei den Schülern unseres Landes greift eine weitere Fassette der bildungspolitischen Diskussion auf, die den Landtag, die entsprechenden Gremien, den Bildungskonvent und die breite Öffentlichkeit seit Langem bewegt.
In fast jeder Sitzung des Landtages haben wir bildungspolitische Themen abgearbeitet. Über den Sachverhalt wurde auch auf dem bildungspolitischen Forum der Behindertenvertretungen am 5. Mai 2008 diskutiert. Im Plenum haben wir uns damit am 29. Mai 2008 sowie in der vorletzten und in der letzten Sitzung des Landtages zum Teil sehr kontrovers und sehr vehement beschäftigt. Sie erinnern sich an die Auseinandersetzung über die Begriffe der Ausgrenzung und Separierung der Schüler.
Das heutige Thema fügt sich aus meiner Sicht jedoch besonders in die Debatte ein, da nunmehr umfangreiches Zahlmaterial vorliegt. Dieses Thema muss man aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Es ist ganz klar ein Fall für die bildungspolitische Sprecherin. Es ist wegen der Armutsbekämpfung aber auch für die sozialpolitischen Sprecher von Interesse. Und es ist natürlich ein ganz wichtiges Thema aus der Sicht der Behindertenpolitik. Auf dem Weg zur Integration und Inklusion von Menschen ist es grundlegend von Bedeutung.
Deshalb möchte ich Ihnen allen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen im Raum, die Auswertung dieser Großen Anfrage unter dem Dreiklang Bildung, Soziales und Behindertenpolitik ans Herz legen - und das möglichst unter Integration der Finanzpolitiker.
Fakt ist, wir haben 14 773 Kinder mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf, den höchsten Anteil bundesweit. Fakt ist, entsprechend der demografischen Entwicklung sind nicht nur die Kinderzahlen zurückgegangen, sondern abgenommen hat auch die Zahl der Kinder mit sinnes-, geistig oder körperlich bedingtem sonder
pädagogischem Zusatzbedarf. Fakt ist aber auch, dass bei einem Rückgang der Gesamtzahl um zirka 30 % seit dem Jahr 1995 der Anteil der Lernbehinderten relativ gesehen immer noch überproportional hoch ist und sich der Anteil der Kinder mit einem sozial-emotional geprägten Förderbedarf im selben Zeitraum verdoppelt hat.
Wir sehen diese Entwicklung kritisch und mit Besorgnis. Warum? - Weil die Einschulung in eine Förderschule fast immer eine Einbahnstraße ist und eben nicht eine zeitlich begrenzte Fördermaßnahme - die Rückführung von der Förderschule in die Regelschule ist selten, die Zahl 30 wurde genannt -, weil diese Einbahnstraße bei Schülern mit lernbedingtem und sozial-emotionalem Förderbedarf - hier ca. 60 % - ohne Abschluss endet und nach vielfältigen Zwischenstationen von Maßnahmen in die Arbeitslosigkeit oder in die Werkstatt für Behinderte führt und weil schon das Einbiegen in diese Einbahnstraße den Interessen der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den meisten Fällen widerspricht und auch nicht mehr zeitgemäß ist.
Dies erfordert langfristig gesehen die notwendige Entwicklung unseres gegliederten Förderschulsystems hin zum gemeinsamen integrativen Ansatz, worüber hier im Haus Gott sei Dank keine Zweifel herrschen.
Die von diesem Hohen Haus nachdrücklich begrüßte UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen regelt in Artikel 24 das Recht auf Bildung. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, ein integratives, inklusives - das ist noch unklar - Bildungssystem einzuführen, das sicherstellt, dass Kinder nicht aufgrund ihrer Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschul- und Sekundarschulunterricht ausgeschlossen werden.
Artikel 24 der Konvention erteilt dem gegliederten System der Förderschulen - natürlich mit den gebotenen Ausnahmen - perspektivisch eine klare Absage. Das haben wir am 26. April 2007 in großer Einmütigkeit ohne Gegenstimmen hier beschlossen.
(Herr Scharf, CDU: Frau Kollegin, ich denke, Sie überinterpretieren jetzt einiges! Ich muss wider- sprechen, damit wir uns hinterher nicht streiten und Sie behaupten, dass wir uns einig waren!)
(Herr Gallert, DIE LINKE, an die SPD gewandt: Ob uns das passt oder nicht, wir machen das trotzdem!)
Vor uns liegt ein umfangreiches Faktenmaterial. Ich möchte mich in weiteren Ausführungen auf ausgewählte Punkte beschränken, ohne alle anderen in ihrer Bedeutung zu schmälern. Das hat seine Ursache in der Kürze der Zeit, die ohnehin viel zu schnell vergeht.
Die Meinung über die Ursachen der aufgezeigten Entwicklung im Bereich der sozial-emotionalen lernbezogenen Förderung sind so vielfältig wie die Ursachen selbst. Bildungsferne Elternhäuser, Arbeitslosigkeit, allgemeines Desinteresse, totale Reizüberflutung in einer hektischen Welt etc. - davon ist die Rede, aber auch von mangelnder Bereitschaft, das Anderssein von Kindern zu akzeptieren, von mangelnder Bereitschaft, gleiche und gemeinsame Beschulung als selbstverständlich zu
Aus humanitären, aber auch aus finanziellen Gründen müssen wir einfach eine nachhaltige Senkung der Schülerzahlen erreichen, ohne die bedarfsgerechte Versorgung dieser Schüler dabei zu gefährden.
Es sind zwei grundlegende Aufgabenfelder erkennbar - ich muss mich jetzt kurz fassen -: Erstens müssen wir alles tun, um die Notwendigkeit des Eintritts in die Förderschulen möglichst von vornherein zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern.
Derzeit kommen die meisten Anmeldungen für ein Feststellungsverfahren auf Förderbedarf bereits aus den Kitas und danach aus den Grundschulen; das heißt, hier ist ein Handlungsfeld gegeben. Wir haben bereits sehr viel unternommen bzw. vieles ist in Arbeit. Das geht los mit „Bildung elementar“, Aus- und Weiterbildung des Erziehungspersonals in den Kitas, die Sprachstandsfeststellung mit der sich daraus ergebenden Förderung, personelle Ressourcen in den Kitas usw.