Nunmehr hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung in Deutschland in den Deutschen Bundestag eingebracht, der neben der Übersetzung der Konvention eine Denkschrift der Bundesregierung be
1. Wie war die Landesregierung in den Prozess der Erarbeitung der Denkschrift einbezogen, welche Positionen hat sie selbst eingebracht und warum hält die Landesregierung eine Denkschrift diesen Inhaltes für notwendig?
2. Welche inhaltlichen Positionen der Denkschrift finden die besondere Unterstützung der Landesregierung und warum?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete! Die Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Eckert beantworte ich für die Landesregierung wie folgt.
Zu 1: Die Landesregierung war in die Erarbeitung der Denkschrift nicht einbezogen. Die Denkschrift ist nur auf der Ebene der Bundesregierung erarbeitet worden und keine für das Ratifizierungsverfahren notwendige Vorlage. Die Diskussion über die Denkschrift sollte daher die Ratifizierung des Abkommens nicht verzögern.
Zu 2: Die allgemeinen Ausführungen unter Abschnitt A der Denkschrift zum Übereinkommen - es gibt daneben auch eine Denkschrift zum Fakultativprotokoll - sind zum besseren Verständnis des Übereinkommens durchaus hilfreich. Dies gilt insbesondere für die Darstellung der Entstehungsgeschichte, der Einbettung des Abkommens in die Politik der Vereinten Nationen und des Verhältnisses des Abkommens zu den Instrumenten der Europäischen Gemeinschaft.
Das Abkommen selbst tritt als dritte Säule neben die zwei wichtigsten Instrumente zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf der Ebene der Vereinten Nationen. Das sind das Weltaktionsprogramm für Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 1982 und die Rahmenbestimmungen für die Herstellung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 1993.
Ausgangspunkt für die Verhandlungen über die UN-Konvention war eine von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Studie, die aufzeigte, dass die bereits bestehenden Menschenrechtsverträge Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend schützten. Bei der innerstaatlichen Umsetzung von Menschenrechtsverträgen wurden Menschen mit Behinderungen nicht oder nur in sozial- bzw. gesundheitspolitischen Zusammenhängen berücksichtigt.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen entschied mit ihrer Resolution vom 19. Dezember 2001, die Vorarbeiten für ein umfassendes und in sich geschlossenes internationales Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Die Generalversammlung nahm dann am 13. Dezember 2006 den von einem Komitee erarbeiteten Text des Übereinkommens und des Fakultativprotokolls an. Das Überein
kommen und das Fakultativprotokoll liegen seit dem 30. März 2007 zur Zeichnung und zur Ratifikation aus. Das Übereinkommen ist - Sie haben es dargestellt - am 3. Mai 2008 nach der 20. Ratifikation in Kraft getreten.
Zu begrüßen ist aus meiner Sicht die Würdigung des Übereinkommens unter Abschnitt A Punkt III der Denkschrift, insbesondere die Überwindung des in vielen Ländern vorherrschenden defizitorientierten Verständnisses und die Herausstellung der Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens, der Zugang von 650 Millionen Menschen mit Behinderungen zu universell verbrieften Rechten, der verbindliche Charakter des ratifizierten Übereinkommens mit dem Hinweis darauf, dass die schon genannten älteren behinderungspolitischen Instrumente der Vereinten Nationen lediglich empfehlenden Charakter haben, ferner die Bedeutung des Übereinkommens für die Ausführung des mit dem Sozialgesetzbuch IX in Deutschland eingeleiteten Paradigmenwechsels und auch die Kritik an dem Zustand, dass nur 40 Staaten - zumeist die Industrienationen - eine nationale behindertenpolitische Gesetzgebung haben.
Auch die Ausführungen zu den einzelnen Bestimmungen des Übereinkommens unter Abschnitt B der Denkschrift sind im Großen und Ganzen hilfreich.
Erstens ist das der Hinweis, dass laut Buchstabe e der Präambel das Verständnis von Behinderung sich weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und Einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Verdeutlicht wird, dass ein Verständnis von Behinderung nicht als ein fest definiertes Konzept verstanden wird, sondern von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig ist.
Zweitens ist das der Hinweis, dass aus dem Übereinkommen nicht unmittelbar subjektive Rechte abgeleitet werden können, sondern die sich aus dem Übereinkommen ergebenden Staatenverpflichtungen in innerstaatliches Recht überführt werden müssen. Dies geschieht durch Gesetze, Verordnungen, Verwaltungs- und sonstige Maßnahmen, aber auch durch die Änderung von Handlungen und Praktiken, die mit dem Übereinkommen unvereinbar sind, durch Forschung und Entwicklung für Güter, Dienstleistungen, Geräte und Einrichtungen.
Drittens ist das der Hinweis auf den Vorbehalt der progressiven Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, welcher der Tatsache Rechnung trägt, dass die Verwirklichung aller Rechte weltweit nicht innerhalb eines kurzen Zeitraumes erreicht werden kann, unbeschadet der Verpflichtung, so schnell und so wirksam wie möglich Schritte zur Verwirklichung dieser Rechte einzuleiten,
Viertens ist das der Hinweis, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt sind und aus diesem Grund im deutschen Rechtssystem die durchgängige Beachtung des GenderMainstreaming-Prinzips erforderlich ist.
Fünftens ist das der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Artikel 7 des Übereinkommens, der die Rechte von Kindern mit Behinderungen anspricht, und der Kinderrechtskonvention und der Hinweis auf den besonderen Schutz, dessen Kinder mit Behinderungen bedürfen, sowie ihre direkte und aktive Einbeziehung in die Umsetzung des Übereinkommens.
Sechstens ist das der Hinweis auf die Herstellung der Barrierefreiheit als eines dynamischen Prozesses und als Zielvorgabe für die Gestaltung aller Lebensbereiche. Damit verwendet die Denkschrift auch unter Hinweis auf das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes den Begriff der Barrierefreiheit. Sie geht damit über die amtliche Übersetzung des Artikels 9 des Übereinkommens hinaus, die von Zugänglichkeit spricht. Diese Perspektiverweiterung ist gerade vor dem Hintergrund der Kritik an der deutschen Übersetzung auch in diesem Punkt hilfreich.
Siebentens ist das der Hinweis, dass unabhängige Lebensführung laut Artikel 19 als selbstbestimmte Lebensführung zu verstehen sei, was genauso wichtig ist wie die Barrierefreiheit. Auch diese Übersetzung wurde von vielen, auch von uns, gefordert, ohne hiervon die Zustimmung zur Ratifizierung abhängig zu machen.
Achtens ist das der Hinweis, dass ausgehend vom Prinzip der Gleichberechtigung die Vertragsstaaten ein einbeziehendes Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen gewährleisten und dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen. Innerhalb des allgemeinen Bildungssystems sollen angemessene Vorkehrungen getroffen werden und die notwendige Unterstützung geleistet werden, um eine erfolgreiche Bildung zu erleichtern.
Noch deutlicher formuliert die Denkschrift im Sinne inklusiver Ansätze, indem sie sich für eine eher personenbezogene, individualisierende und nicht mehr vorrangig institutionsbezogene Sichtweise sonderpädagogischer Förderung und integrativer Bildung ausspricht.
Der Streit um die zutreffende Übersetzung des Artikels 24 - Inclusion - entweder als Integration oder als Inklusion dürfte vor dem Hintergrund dieser erhellenden Ausführungen in der Denkschrift mittlerweile eher nachrangig sein.
Neuntens ist das der Hinweis, dass das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderung das Recht auf die Möglichkeit der Arbeit in einem offenen, einbeziehenden und zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld einschließt.
Sehr geehrter Herr Dr. Eckert, ich beschränke mich an dieser Stelle auf einige zentrale Hinweise aus der Denkschrift. Ob tatsächlich alle Hinweise auf die aktuelle Rechtslage in Deutschland zielführend sind, mag dahingestellt sein. In der Summe betrachtet, stellt sich aber nicht der Eindruck ein, die Bundesregierung oder auch die Länder sähen keine Notwendigkeit mehr für weitergehende Maßnahmen zum Schutze der Rechte von Menschen mit Behinderung. Das ist nicht der Fall.
Artikel 33 stellt verfahrensmäßige Anforderungen an die Umsetzung des Übereinkommens. Danach bestimmen die Vertragsstaaten eine oder mehrere staatliche Anlaufstellen im Sinne von Focal Points, die als Anlaufstellen und Ansprechpartner dienen. Weiterhin prüfen die Vertragsstaaten die Schaffung oder Bestimmung eines staatlichen Koordinierungsmechanismus und vieles andere mehr.
Das Übereinkommen ist nach meiner festen Überzeugung ein Meilenstein auf dem Weg zu einem menschenrechtlichen Paradigma von Behinderung, wie Frau Professor Theresia Degener in der öffentlichen Anhörung
Frau Professor Degener war in der Zeit von 2002 bis 2006 Mitglied der deutschen Delegation im Ad-hocAusschuss der Vereinten Nationen zur Vorbereitung der Behindertenrechtskonvention. Sie weist darauf hin, dass die Erwartungen an die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention hoch sind.
Zwar seien mit der Verabschiedung des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches im Jahr 2001, dem Behindertengleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2002 und dem allgemeinen Gleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2006 wichtige Vorgaben der Konvention in Deutschland bereits umgesetzt worden. Allerdings bleibe noch viel zu tun. Es sei verfrüht, den genauen legislativen Handlungsbedarf zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu spezifizieren. Es müsse aber auch immer darauf hingewiesen werden, dass Menschenrechtskonventionen für ihre Umsetzung auf Bewusstseinsbildung und Überzeugung angewiesen seien. Dieser Prozess muss immer wieder angestoßen und gefördert werden. - So Frau Professor Degener. Diese Einschätzung teile ich.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gibt zwei Nachfragen, Frau Ministerin, obwohl Ihre Beantwortung der Frage sehr umfassend war. - Bitte schön, Herr Dr. Eckert, Sie haben das Wort.
Für die Beantwortung bedanke ich mich. Ich möchte noch einmal den Hintergrund erläutern. Es wird ausgeführt, dass für die Denkschrift im Wesentlichen die Länder verantwortlich sind. Meine erste Frage: Wissen Sie, ob andere Bundesländer in die Erarbeitung der Denkschrift einbezogen worden sind?
Zweitens. Das, was Sie dargestellt haben, kann ich aus der Denkschrift so nicht herauslesen. Aber ich nehme an, dass das, was Sie dargestellt haben, auch das Handlungskonzept der Landesregierung ist. Ich frage deshalb: Halten Sie es dann nicht für unumgänglich, Umsetzungsgesetze sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene zu erarbeiten? - Danke.
Also ich kann Ihnen derzeit nur bestätigen, dass Sachsen-Anhalt an der Erarbeitung der Denkschrift nicht beteiligt war. Nach meiner Kenntnis war es alleinige Sache der Bundesregierung. Federführend war das Ministerium für Arbeit und Soziales. Ob andere Länder informell beteiligt waren, haben wir nicht erforscht. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.
Die Denkschrift kann möglicherweise unterschiedlich gesehen werden. Sie war nicht notwendig für das gesamte Ratifizierungsverfahren.
Aber sie liegt nun vor. Sie ist erst einmal eine Analyse und ein Anhaltspunkt vonseiten der Bundesregierung. Ich denke, es wird Aufgabe der ganzen Landesregierung und auch des Landtages sein, sich mit den Interpretatio
Ich teile aber die Auffassung von Frau Professor Degener, dass derzeit die konkreten legislativen Handlungskonzepte noch gar nicht im Detail ableitbar sind. Deswegen steht für mich an erster Stelle, dass das Ratifizierungsverfahren abgeschlossen wird - der Bundesrat wird sich am 19. Dezember 2008 im zweiten Durchgang mit diesem Thema befassen - und dass dann die entsprechenden Schlussfolgerungen in Sachsen-Anhalt wie auch in den Bundesländern und auf Bundesebene gezogen werden.
Vielen Dank. - Es gibt noch eine Nachfrage von Frau Bull von der LINKEN. Frau Bull, bitte schön, Ihre Frage.
Frau Ministerin, Artikel 24 greift direkt und sehr originär in die Zuständigkeit der Länder ein. Die Kultusministerkonferenz war an der Denkschrift beteiligt. An dieser Stelle ist explizit von der Übereinkunft abgewichen worden, die UN-Konvention wortwörtlich zu übersetzen. Sie hatten auf den Streit zwischen Inklusion und Integration hingewiesen, der für Insider oder Fachleute sehr wohl eine strategisch wichtige Debatte ist.
Deshalb meine Frage: War Artikel 24 wegen seiner Dimension und weil die Denkschrift von den Kultusministern mit erarbeitet wurde, nicht Gegenstand einer Kabinettsbefassung?
Dann kommen wir zur letzten Frage, der Frage 3. Der Abgeordnete Herr Heft von der LINKEN fragt zum Thema Wiederholte Verletzung des Landtagsinformationsgesetzes durch die Landesregierung SachsenAnhalts. Hierauf soll dann Herr Minister Daehre antworten. Bitte schön, Herr Heft, Sie haben das Wort.
Im Oktober dieses Jahres erhielten die Verbände einen ersten Entwurf zur Novelle des ÖPNV-Gesetzes des Landes Sachsen-Anhalt. Entsprechend Landtagsinformationsgesetz und Landtagsinformationsvereinbarung des Landes Sachsen-Anhalt ist mit der Information der betroffenen Verbände bei Gesetzesvorhaben der Landesregierung zeitgleich der Landtag Sachsen-Anhalts gleichlautend zu informieren.
1. Weshalb wird durch die Landesregierung wiederholt das Landtagsinformationsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt verletzt und dem Landtag die Information zur Novelle des ÖPNV-Gesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vorenthalten?