Protokoll der Sitzung vom 12.12.2008

Es ist schwierig, diesbezüglich allgemeingültige Aussagen zu treffen. Jeder Fall ist ein Einzelfall, und es obliegt der Entscheidung des Richters, die angemessene Strafe zu finden. Dabei spielt oftmals eine Vielzahl von Faktoren für den Täter eine Rolle, die nicht mehr in der Zeitung stehen und die in der öffentlichen Wahrnehmung und in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielen. Es spielt insbesondere auch keine Rolle - das habe ich vorhin bereits gesagt -, dass die Resozialisierung, also die Chance, dass jemand nicht erneut Straftaten verübt, umso größer ist, je milder die Strafe ist.

Das gilt sicherlich nicht für alle Fälle. Es gibt sicherlich auch einige Fälle, bei denen man vielleicht einmal überlegen muss, ob es sinnvoll ist, dass bei einer Vielzahl von Straftaten viele Bewährungsstrafen hintereinander ausgeurteilt werden, es nach der siebenten oder achten Bewährungsstrafe tatsächlich zu einer Haftstrafe kommt und sich in der Zwischenzeit so viel aufgestaut hat, dass er für vier oder fünf Jahre in die Anstalt geht.

Es gibt für uns Fragen, die wir derzeit untersuchen, bei denen wir überlegen, inwieweit auch das derzeitige Jugendgerichtsgesetz aufgrund bestimmter Regelungen möglicherweise flexible Regelungen behindert. Es geht insbesondere um die Regelung, dass der Richter für eine Haftstrafe ein sozialschädliches Verhalten feststellen muss. Das sind Dinge, vor denen sich der Richter scheut. Es herrscht also oftmals die Vorstellung, dass durch die Vielzahl der Angebote, die wir haben, durch die Betreuung im Rahmen einer Bewährungsstrafe, durch die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit ein Umdenken einsetzt. Das ist in der Praxis nicht immer so.

Wir haben uns darüber hinaus intensiv Gedanken gemacht und sind dabei, neue Konzepte zu entwickeln, was die jugendlichen Mehrfach- und Intensivtäter betrifft; denn ich glaube, dass es insbesondere um diese Gruppe geht, eine relativ kleine Gruppe, die nur 3 % aller Straftäter umfasst, aber für ungefähr ein Drittel aller Straftaten verantwortlich ist. Es gibt bereits einen gemeinsamen Runderlass, den wir mit dem Innenministerium erarbeitet haben, der eine sehr intensive Fallarbeit zum Inhalt hat, in der ausgehend von dem jeweiligen Einzelfall durch Fallkonferenzen vor Ort ermittelt werden soll, wo die Defizite bei dem betreffenden Straftäter liegen und mit welchen Maßnahmen ihm am besten gehol

fen werden kann, sodass er in Zukunft keine Straftaten mehr verübt.

Ich habe an der einen oder anderen Stelle gehört, dass das praktisch noch nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben, dass gerade auch die Netzwerkbildung noch nicht immer optimal ist, sodass ich auch hierbei Verbesserungsbedarf sehe. Wir wollen gemeinsam mit dem Innenministerium überlegen, inwieweit es uns gelingen kann, unter den betroffenen Behörden - hierbei sind ja Staatsanwaltschaften und Gerichte, aber auch die Polizei und die Jugendämter gefordert - wirklich intensiv zusammenzuarbeiten. Dabei gibt es aus meiner Sicht in Zukunft noch Gesprächsbedarf und daran wollen wir weiter arbeiten.

Vielen Dank. Ich sehe keinen Wunsch aus der SPDFraktion, hierzu nachzufragen. - Damit geht das Fragerecht an die FDP-Fraktion über. Der Abgeordnete Herr Wolpert hat das Wort. Bitte schön, Herr Wolpert.

Frau Ministerin, Sie sprachen schon von dem Projekt Zebra. Als dieses Projekt dem Rechtsausschuss vorgestellt wurde, hat der Vertreter des Ministeriums erklärt, dass die Vereine schon wesentlich mehr machen könnten, es allerdings am Geld fehle und das Ministerium gezwungen sei, eine Mangelverwaltung vorzunehmen.

Die Frage an Sie ist nun: Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um diese Mangelverwaltung im Bereich der Straffälligenhilfe abzuschaffen, und auf welche Weise versucht die Landesregierung, neben den Haushaltsmitteln auch weitere Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen, und denkt sie dabei wie in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz insbesondere auch an eine Opferstiftung?

Herr Wolpert, das Thema haben wir doch behandelt.

(Herr Stahlknecht, CDU: Deswegen stellt er ja die Frage!)

Ich glaube, ich würde mich wiederholen, wenn ich noch einmal zu dem Thema Opferstiftung Stellung nehmen würde.

Ich glaube, Ihr Ansatz, dass wir hier den Mangel verwalten, ist auch nicht der richtige.

(Herr Kosmehl, FDP: Das hat doch Ihr Vertreter gesagt!)

Wir haben gesagt, wenn wir dieses flächendeckende Konzept der zentralen Beratungsstellen umsetzen wollen, bedeutet das, dass man noch mehr finanzielle Mittel braucht. Wir haben es durch das Projekt Zebra aber jetzt schon erreicht, dass wir die Ressourcen zusammenführen und Angebote miteinander koppeln und verbinden können und dadurch auch Synergieeffekte erreichen, dass eben durch die Einheitlichkeit der Anlaufstellen für die Betroffenen die Wege kürzer und auch für die Mitarbeiter bestimmte Dinge gerade im Verwaltungsbereich reduziert werden.

Wir haben für die Zukunft ein Konzept entwickelt, das eine flächendeckende Versorgung mit diesen Zebras, mit diesen zentralen Anlaufstellen, vorsieht. Das können

wir im Moment noch nicht gewährleisten. Wir werden unsere Vorstellungen im Rahmen der Haushaltsberatungen zunächst einmal stufenweise einbringen. Es obliegt dann natürlich auch der Abwägung, inwieweit sich diese aus meiner Sicht durchaus berechtigten Forderungen des Justizministeriums darin wiederfinden. Wir arbeiten daran, dass wir noch mehr Gelder als in den letzten Jahren bekommen.

Wir haben es in den letzten Jahren immer erreicht, dass die Gelder, die für den Bereich freie Straffälligenhilfe vom Parlament zur Verfügung gestellt werden, angestiegen sind. Wir haben erreicht, dass wir zusätzlich europäische Fördermittel zur Verfügung stellen können. Das ist eine unwahrscheinlich positive Sache, weil das die zur Verfügung stehenden Mittel in erheblichem Maße erhöht hat.

Ich habe vorhin gesagt, dass wir daran arbeiten, auch die ehrenamtliche Arbeit in diesem Bereich zu verstärken. Das heißt, man braucht nicht immer nur mehr Geld, um bestimmte Dinge umzusetzen. Manchmal braucht man andere Organisationsstrukturen und andere Herangehensweisen, um die Effekte möglicherweise auch nicht mit dem Geld zu erreichen, welches man sich ursprünglich dafür vorgestellt hat.

Vielen Dank. - Ich sehe keinen Nachfragebedarf bei der FDP-Fraktion und auch nicht bei der SPD-Fraktion. Ich möchte damit die erste Runde abschließen und eröffne die zweite Runde, die maximal eine halbe Stunde dauert.

Mir liegen jetzt zwei Wortmeldungen vor. Ich sehe aber, dass Herr Kosmehl schon beim Schreiben ist; das wird dann die dritte. Wir können schon mit der ersten anfangen. Die Abgeordnete Frau von Angern von der Fraktion DIE LINKE hat eine Frage. Sie kann sie jetzt stellen und anschließend kommt Herr Kosmehl dran.

Sehr geehrte Frau Ministerin, zumindest den Mitgliedern des Ausschusses für Recht und Verfassung haben Sie es heute bei dem Thema nicht leicht gemacht, weil uns im Ausschuss all die Dinge, die Sie heute vorgetragen haben, schon bekannt waren. Ich finde es gut, dass Sie uns bei allen Schritten sozusagen mitgenommen haben. Ich gehe aber davon aus, dass alle anderen Abgeordneten Ihren Ausführungen heute intensiv gelauscht haben und es für sie eine Fortbildungsveranstaltung war.

Nichtsdestotrotz will ich die Möglichkeit nutzen, eine Frage zu stellen. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, dass ich das Thema dahin gehend etwas erweitere und meinen Wissensdurst dadurch stillen will,

(Herr Kosmehl, FDP: Oh!)

dass ich in den Zeitraum kurz vor der Haftentlassenennachsorge gehe, nämlich in den offenen Vollzug der Jugendanstalt Raßnitz.

Wir haben zu Beginn dieses Jahres das Jugendstrafvollzugsgesetz für Sachsen-Anhalt beschlossen und haben darin festgeschrieben, dass der offene Vollzug und der geschlossene Vollzug sich gleichberechtigt gegenüberstehen. Wir hatten nun Ende des letzten Jahres bzw. zu Beginn dieses Jahres 20 Haftplätze im offenen Vollzug.

Meine Frage ist: Haben Sie die Zahl dieser Haftplätze aufgestockt bzw. wenn nein, warum nicht?

Außerdem, wenn Sie es nicht getan haben: Wir sind in der Fachpresse Anfang dieses Jahres sehr kritisch beobachtet worden, weil auch diese 20 Plätze, die nur einem Bruchteil der aus der Haft zu Entlassenden zur Verfügung stehen - ich glaube, 5 % der Häftlinge in Raßnitz -, nur eine sehr geringe Auslastung erfahren haben. Meine Frage dazu wäre: Gibt es eine Veränderung in Raßnitz? Zeitigt unsere rechtliche Veränderung in diesem Bereich, diese bewusste Gleichstellung, schon erste Veränderungen auch in Raßnitz bzw. wenn nicht, warum nicht?

Frau Ministerin, Sie haben jetzt das Wort, nach der langen Frage.

Das ist natürlich eine sehr kritische Frage, die einen wunden Punkt betrifft, das Verhältnis von geschlossenem und offenem Vollzug, wie wir es im Gesetz festgelegt haben und wie es sich in der Praxis darstellt. Es hat sich in der Praxis bisher wenig geändert. Da die Plätze auch schon bisher nicht voll ausgelastet waren, haben wir bisher keine Aufstockung vornehmen müssen. Ich persönlich hätte mir das gewünscht.

Wir haben eine Vielzahl von Gesprächen geführt. Die Praktiker sagen, dass es immer weniger für den offenen Vollzug geeignete Gefangene unter den Jugendlichen gebe. Der offene Vollzug ist ja auch insoweit kritisch, als die Vollzugslockerungen dazu führen können, dass es auch einmal Verstöße gegen bestimmte Regeln gibt.

Das ist aus meiner Sicht gerade bei Jugendlichen, die erst wieder lernen müssen, mit ihrer Freiheit umzugehen, ein normaler Vorgang, der aber meistens dazu führt, dass es in der Presse viele Meldungen gibt, jemand sei wieder aus dem offenen Vollzug ausgebrochen oder von einem Heimaturlaub nicht zurückgekommen. Das führt bei den Kollegen, die die Entscheidung treffen müssen, zu Ängsten, dass sie darüber Berichte schreiben und sich dafür verantworten müssen.

Es ist also ein sehr sensibler Vorgang, für die Praxis zu erreichen, dass man einfach ein Stück weit mutiger ist, den Jugendlichen zu vertrauen und zu sagen, wir sehen eine gute Entwicklung und versuchen, im Rahmen des offenen Vollzugs diese positive Entwicklung auch weiter zu begleiten.

Wir erhoffen uns von dem Projekt, das ich vorgestellt habe, über dieses Nachsorgemanagement, dass wir zu einer stärkeren Auslastung des offenen Vollzugs kommen, weil es uns ja gerade darum geht, dass man gezielt Jugendliche auf den offenen Vollzug vorbereitet und sie dann auch über den offenen Vollzug hinaus in der Freiheit weiter begleitet. Aus unserer Sicht könnte das ein geeignetes Instrument sein, um die momentane Situation, mit der wir nicht zufrieden sind, in Zukunft zu verbessern.

Dann gab es noch einmal eine kurze Nachfrage von der Fragestellerin. Ich bitte aber darum, sich ein Stückchen an die vorgegebene Zeit zu halten. Bitte, Sie haben das Wort, Frau von Angern.

Habe ich zu lange geredet?

Ein bisschen. Aber es war schön.

Eine kurze Nachfrage in Bezug auf Ihre Aussage, dass die Praxis in Sachsen-Anhalt zeigt, dass immer weniger Gefangene für den offenen Vollzug geeignet seien. Warum ist das in anderen Ländern unserer Republik anders? Warum wird das anders bewertet? Hängt das auch mit denen zusammen, die das entscheiden, oder hängt das an unseren jugendlichen Straftätern?

Das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann. Das hängt zum einen mit der allgemeinen Frage zusammen, warum wir in Sachsen-Anhalt eine höhere Jugendkriminalität als in anderen Ländern haben.

(Zurufe von der LINKEN)

- Ja, das ist so. Wir haben gerade auch hinsichtlich der Insassen in der Jugendanstalt bundesweit die höchste Pro-Kopf-Quote.

Die Frage nach den Ursachen im Einzelfall kann ich nicht beantworten, weil dafür einfach keine empirischen Untersuchungen vorliegen. Wir beteiligen uns aus diesem Grund an einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen. Dafür haben wir in diesem Jahr intensive Gespräche auch mit dem Kultusministerium geführt. Meines Wissens finden die notwendigen Befragungen dazu im Frühjahr 2009 statt, sodass wir uns im Sommer 2009 die ersten Ergebnisse davon erhoffen.

Insbesondere wegen der Suchtprobleme sind viele Jugendliche nicht für den offenen Vollzug geeignet. Die Jugendlichen, die bei uns in die Jugendanstalt kommen, haben zu 80 % ein Suchtproblem. Das können sowohl Alkohol als auch Drogen sein. Manche haben MehrfachSuchtproblematiken. Das sind insbesondere die kritischen Aspekte, bei denen die Kolleginnen und Kollegen vorsichtig sind und von einer Verlegung in den offenen Vollzug im Einzelfall dann doch vielleicht einmal Abstand nehmen.

Vielen Dank. - Dann hat Herr Kosmehl das Wort, um seine Frage zu stellen. Anschließend kann Frau Tiedge ihre Frage stellen.

Frau Ministerin, auch ich begebe mich etwas weiter, wie es aber auch in der Begründung der SPD-Fraktion schon angelegt ist. Wie schätzen die Landesregierung und das Justizministerium Aussteigerprogramme für Personen aus der rechtsextremistischen Szene wie beispielweise das Aussteigerprogramm „Exit Deutschland“ ein bzw. wurde das bereits in Sachsen-Anhalt angewendet?

Es gibt derzeit kein Aussteigerprogramm im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums. Es gibt eines im Be

reich des Innenministeriums. Weil ich dafür nicht zuständig bin, möchte ich mich zu den Erfolgen jetzt nicht äußern.

Wir werden im Jahr 2009 meinen Kollegen in Niedersachsen besuchen. Niedersachsen hat in den letzten Jahren ein - jedenfalls wurde es von den Kolleginnen und Kollegen vor Ort so eingeschätzt - sehr erfolgreiches Aussteigerprogramm aufgelegt, das insbesondere auch am sozialen Dienst der Justiz angedockt ist. Wir wollen uns das anschauen und werden dann überlegen, inwieweit es uns gelingt, ein solches Projekt auch in Sachsen-Anhalt zu initiieren.

Eine Nachfrage von Herrn Kosmehl.

Gibt es auch Bestrebungen zur Zusammenarbeit mit den anderen Ländern in der Initiative Mitteldeutschland in diesem Bereich, weil gerade auch in Sachsen die NPD und die Aussteigerprogramme durchaus darstellbar sind?

Darüber haben wir im Moment noch nicht gesprochen. Wenn es konkrete Konzepte gibt, dann werde ich natürlich auch mit meinen Kollegen aus Sachsen und Thüringen darüber reden. Wenn Interesse besteht, dann kann man so etwas natürlich auch gemeinsam machen. Das hängt immer konkret davon ab, wo das angebunden wird.