Protokoll der Sitzung vom 23.01.2009

Es muss eine Orientierung auf die Bedürfnisse erfolgen, die künftig von der Wirtschaft geäußert werden, und für jeden jungen Menschen muss seinen Fähigkeiten entsprechend eine Beratung und Qualifizierung erfolgen.

Ich wünsche uns eine intensive Beratung und hoffe, dass wir insbesondere für unsere jungen Menschen am Ende etwas Positives erreichen können. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Danke, für die Einbringung, Herr Kley. - Für die Landesregierung spricht nun der Kultusminister Herr Professor Dr. Olbertz.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An der Rede von Herrn Kley hat mir offen gestanden einiges, was die Schilderung des Handlungsbedarfes betrifft, sehr gefallen. Trotzdem muss ich ein paar kritische Fragen stellen, insbesondere weil mich natürlich verwundert, wie manch ein politischer Fahrensmann jetzt Aussagen zu Protokoll gibt, die er früher vermutlich nicht einmal selbst für möglich gehalten hätte, nämlich den Gedanken, Schulen und Schulformen seien mehr oder weniger direkt am Bedarf von Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten. Das kommt mir irgendwie bekannt vor, hat aber relativ wenig mit dem zu tun, was ich bisher als liberales politisches Gedankengut verstanden und nicht selten auch geschätzt habe.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Im Antrag steht nämlich, dass die Schulstrukturen und das Schulsystem auf diesen Bedarf auszurichten und auszubauen seien.

Gleichwohl bin ich dankbar dafür, dass Sie auf etwas hinweisen, was leicht in Vergessenheit gerät: Bei vielen Prognosen darüber, in welchen Bereichen der Wirtschaft dringend Nachwuchs gebraucht wird, konzentriert man sich in der Tat immer auf die höchsten Abschlüsse, auf die akademischen Abschlüsse. Deshalb finde ich es berechtigt, darauf aufmerksam zu machen, dass auch in zahlreichen Ausbildungsberufen - oft übrigens auch in hochqualifizierten - ein Fachkräftebedarf gegeben ist, den wir gar nicht genügend würdigen und behandeln.

Wenn aber nicht nur Prognosen, sondern auch Planungsansätze erwartet werden, dann müsste ich auch von Unternehmen verlässliche Planungen über ihre künftige Umsatzentwicklung verlangen. Ich hoffe aber nicht, dass wir diesen Gedanken wieder aufgreifen.

Sie gehen davon aus, dass die künftige Wirtschaftsstruktur durch hochwertige forschungs- und entwicklungsintensive Produkte und Dienstleistungen gekennzeichnet sein wird. Ich glaube, das ist richtig. Aus sektoraler Perspektive ist in der Tat von deutlichen Beschäftigungsgewinnen in den Bereichen der unternehmensbezogenen und sozialen Dienstleistungen und von einem Sinken der Beschäftigtenzahlen im primären Wirtschafts

bereich und im verarbeitenden Gewerbe auszugehen. Das ist ein Trend, der in den letzten Jahren deutlich sichtbar geworden ist.

Die vorliegenden aktuellen Arbeitsmarktprognosen bis zum Jahr 2020 gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren die Nachfrage nach Arbeitskräften in den höheren Qualifikationsgruppen bei einer weiterhin wahrnehmbaren Reduzierung der Nachfrage nach niedrigqualifizierten Personen steigen wird. Auch das ist sicher richtig. Darauf wäre man aber vermutlich auch selbst gekommen.

Um es zu wiederholen: Eine höherwertige Qualifikation umfasst nicht nur Hochschulabschlüsse, sondern auch Meister-, Techniker- und Fachschulabschlüsse. Auch der Anteil an Arbeitsplätzen mit Qualifikationsanforderungen auf dem Niveau einer abgeschlossenen Berufsausbildung wird für relativ stabil gehalten, wenn er nicht sogar steigt.

Für die betroffenen Regionen mit negativem Wanderungssaldo bedeutet das langfristig sinkende Arbeitskräfteangebot eine Schwächung des wirtschaftlichen Wachstumspotenzials und auch eine Gefährdung des Innovationspotenzials der Wirtschaft, vor allem in wissensintensiven Branchen. Die Ausschöpfung von Bildungsreserven gewinnt also vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklung bei der Arbeitskräftenachfrage und dem demografisch beeinflussten Angebot an Arbeitskräften tatsächlich enorm an Bedeutung.

Die Schule ist aber keine Fertigungshalle für zuvor bestelltes Humankapital. Ihr Bildungs- und Erziehungsauftrag knüpft vielmehr an der Person an und orientiert sich an Begabungen, Neigungen und Fähigkeiten des einzelnen Kindes und Jugendlichen. Das ist im Übrigen nicht nur pädagogisch geboten, sondern auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sinnvoll; denn je besser ein junger Mensch seine Potenziale ausschöpft, seine Stärken ausbaut und auf dieser Grundlage seinen künftigen Bildungs- und Berufsweg einschlägt, desto mehr dürfen wir annehmen, dass er sich bestmöglich in die Belange der Gemeinschaft einbringt.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU)

Umgekehrt würde sich eine Ausbildung entgegen den vorhandenen Stärken, Interessen und Neigungen der jungen Leute sicherlich auch nicht positiv auf die immer noch hohe Ausbildungs- und Studienabbrecherquote auswirken, vermute ich. Das schließt alles nicht aus, lieber Herr Kley, junge Menschen auf Berufsfelder aufmerksam zu machen, die sie bisher nicht im Blick hatten, oder sie darauf hinzuweisen, dass sie bei dieser oder jener Ausbildung diese oder jene Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Das ist eine Frage der Berufs- und Studienberatung.

Mehr und erst recht eine Ausrichtung von ganzen Bildungsstrukturen an Bedarfsvermutungen, die sich in der Vergangenheit oft genug als nicht belastbar erwiesen haben, schiene mir aber überzogen zu sein. Ohne entsprechende von der Wirtschaft auf Jahre im Voraus erklärte Übernahmegarantien - am besten bei Vorlage prospektiver Branchenbilanzen - wäre dies ein ziemlich einseitiges Geschäft.

Sie wissen selbst, dass das überhaupt nicht geht. Es geht also darum, aus der Person an ihren Stärken entlang das Bestmögliche zu machen, eine intelligente Studien- und Berufsberatung und natürlich eine Bedarfs

reflexion durchzuführen auf der Basis permanenter Prognosen, die immer wieder neu gemacht werden, die sich aber auch oft wiederholen und widersprechen. Dann kann man sehr wohl eine qualifizierte Betrachtung der künftigen Kapazitäten und Ressourcen des Bildungssystems anstellen, ohne gleich in staatliche Planwirtschaftsphantasien zu verfallen.

Was macht man nun mit dem Antrag? - Ich glaube, man sollte ihn nicht umschreiben oder neu schreiben und man sollte ihn schon gar nicht verwerfen; denn er enthält ein im Kern wichtiges Anliegen: Studien- und Berufsberatung, Frühstudien, die Qualität von Unterricht, Lehre und Ausbildung, individuelle Förderung, Kooperationsbeziehungen zwischen Schule, Hochschule und Wirtschaft und vieles mehr gehören dazu.

Deshalb habe ich den Regierungsfraktionen empfohlen, das Thema in den zuständigen Ausschüssen, also im Bildungs- und im Wirtschaftsausschuss zu erörtern und den Antrag der FDP-Fraktion an diese Ausschüsse zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die SPD-Fraktion spricht nun die Abgeordnete Frau Mittendorf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie können sicher sein, dass der Antrag der FDP bei uns in der Fraktion auch für einige Verwunderung gesorgt hat, weil er gerade von denen eingebracht wurde, die sonst keine Gelegenheit auslassen, um wirklich gegen jede Regelung mobil zu machen. Zum anderen meinen wir auch - das will ich hier sehr deutlich sagen -, dass es um ein falsches Verständnis hinsichtlich des künftigen Fachkräftebedarfes geht.

Meine Damen und Herren! Ich möchte daran erinnern: Im Oktober 2008 hatten wir die Aussprache zur Anfrage zur Qualifizierungsinitiative. In der Debatte nahm ich Bezug auf eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die für das Jahr 2020 einen Arbeitskräftemangel von 4,5 bis sechs Millionen Beschäftigten, je nach Wirtschaftswachstum, in Deutschland prognostiziert hat. McKinsey verweist darauf, dass insbesondere hochqualifizierte Fachkräfte und Akademiker gebraucht werden. Der Wissenschaftsrat prognostiziert bis 2015 einen Bedarf von 30 % der Arbeitsplätze für Absolventen der Hochschulen. Gegenwärtig beträgt der Anteil 20 %. Im Gegenzug prognostiziert der Wissenschaftsrat, dass der Anteil der Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeitsprofilen in den nächsten zwei Jahrzehnten unter 20 % fallen wird. Damit gehen die Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte erheblich zurück.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist die Zielrichtung des Antrages geradezu anachronistisch. Wir benötigen eben keine festgelegten Quoten für Bildungsabschlüsse. Wir brauchen keine Planwirtschaft für Schule und Wirtschaft. Das hat sich alles schon mal als nicht so günstig erwiesen.

(Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Was wir brauchen, ist ein generelles Umdenken im Hinblick auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes, aber

eben nicht nur. Es geht doch nicht nur darum, junge Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen, sondern auch darum, sie fit zu machen für das, was das gesamte Leben ausmacht.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt natürlich besonders für unser Bundesland. Bildung ist wirklich mehr als die Vorbereitung auf das Arbeitsleben.

Werden wir mal konkret. Schaut man sich die Schulabgängerzahlen des Schuljahres 2007/2008 nach Abschlussarten und Schulformen an, kann man schon die künftigen Probleme erkennen, wenn man das will. Es verließen in diesem Jahr insgesamt 23 690 Schüler die verschiedenen Schulformen in unserem Bundesland. Zur Erinnerung: In den Jahren davor waren es deutlich mehr als 30 000, 2007 aufgrund des doppelten Abiturjahrgangs sogar fast 35 000.

Jetzt noch einmal zu diesen 23 690 Schülern des Schuljahres 2007/2008. 11 % verließen die Schule ohne einen Hauptschulabschluss, 12 % mit einem Hauptschulabschluss, 37 % mit einem Realschulabschluss bzw. einem erweiterten Realschulabschluss, 37 % mit einer Hochschulreife bzw. Fachhochschulreife. Und - bitte aufmerken -: Mehr als 10 % eines Altersjahrganges lernten in den Klassenstufen 7 bis 9 an Förderschulen. Die Zahlen habe ich nicht erfunden, sie kommen vom Statistischen Landesamt.

Ein Blick in die Stellenausschreibungen und die Einstellungspraxis vieler Unternehmen lässt klar erkennen, dass Schulabgänger ohne Abschluss bzw. mit einem Hauptschulabschluss wirklich geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Das ist, wenn man sich die Zahl anguckt, fast ein Viertel aller Schulabgänger. Gleichzeitig sinkt, bedingt durch die demografische Entwicklung, der Anteil der Schulabgänger mit der klassischen mittleren Reife, dem Realschulabschluss. 2002 waren es einschließlich des erweiterten Realschulabschlusses noch fast 19 000, 2008 sind es noch 8 800 Absolventen, weniger als die Hälfte.

Unternehmer lassen aber, wie wir immer wieder erleben, eher eine Stelle unbesetzt, als sie mit einem Schulabgänger zu besetzen, der den Anforderungen nicht gerecht wird. Das muss uns alarmieren. Wir müssen es schaffen, den Arbeitskräftebedarf der Zukunft so zu gestalten, dass wir über die Anhebung des Abschlussniveaus insgesamt vorankommen. Wir müssen uns nicht so sehr um die angeblich zu hohe Quote der Abiturienten kümmern, sondern ausdrücklich um jenes Viertel, das unterhalb des Realschulabschlusses liegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist ein Potenzial von Menschen, auf das wir nicht mehr verzichten können.

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben in der Begründung richtig erkannt, dass eine Erhöhung des Anteils auf der einen Seite nur auf Kosten sinkender Zahlen in den anderen Schulformen möglich ist. Nur, das geht genau in die falsche Richtung. Wir benötigen mehr Leute mit einer Hochschulzugangsberechtigung, aber wir brauchen auch mehr Schulabgänger mit dem Realschulabschluss. Zwangsweise hat das aus unserer Sicht zur Folge: Der Anteil der Schulabgänger mit oder ohne Hauptschulabschluss muss sinken. Das habe ich, wie gesagt, nicht erfunden.

Wie kann man das erreichen? - Wir denken, dass es eine Maßnahme sein kann, die Trennung der Bildungswege ab Klasse 7 aufzuheben und eigentlich auch schon ab der 4. Klasse nicht diese Trennung vorzunehmen, sondern wirklich länger gemeinsam zu lernen, die Schullaufbahn länger offen zu halten, die entwicklungspsychologische Seite zu sehen, die Chancen, die Stärken und Schwächen des Einzelnen sich über die Pubertät entwickeln zu lassen und dann zu gucken: Wer hat wirklich die Chance in welchem Berufsweg? - Dazu gehören genauso auch die Berufsorientierung und dergleichen mehr.

Im Moment stellen wir fest, dass wir statt Bildungsexpansion Bildungsreduktion haben. Ich glaube, das können wir uns nicht leisten;

(Beifall bei der SPD)

denn diese hohe Zahl von Schülern mit diesem „unteren“ Abschluss können wir uns nicht leisten. Er ist für den Einzelnen durchaus ein Erfolg. Ich stelle das gar nicht in Abrede. Ich habe auch nie gesagt, dass wir nur Abitur machen sollen oder nur Realschulabschluss. Das geht gar nicht. Es gibt diese Differenzierung. Aber die Größe, die jetzt entstanden ist, ist nicht von Gott gegeben, sondern die ist durch unser Schulsystem organisiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Die ist von manchen auch politisch so gewollt, aber nicht von uns. Insofern überweisen wir den Antrag in den Ausschuss und werden genau die Debatte führen, die Sie angestoßen haben. Aber die Richtung ist, glaube ich, eine andere, als Sie angekündigt haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Herr Höhn.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines muss man der FDP ja lassen: Der Antrag ist in der Tat von einer entwaffnenden Klarheit, sowohl im Text als auch in der Begründung. Ich denke jetzt noch einmal ein paar Minuten zurück an den Tagesordnungspunkt davor, als wir über staatliche Regulierung und Vorgaben sprachen.

Der Minister hat sich schon ein Stückchen vorgewagt und darauf hingewiesen, worauf das hinausläuft. Sie wollen auf der Grundlage einer volkswirtschaftlichen Planung das Schulsystem ausbauen. Das steht fast wörtlich so darin. Ich möchte Ihnen ein Zitat vorlesen:

„Das Ministerium für Volksbildung sichert auf der Grundlage des Perspektivplanes zur Entwicklung der Volkswirtschaft die proportionale Entwicklung der ihm unterstehenden Einrichtungen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich stelle fest, im Grunde Ihres Herzens sind Sie doch Planwirtschaftler!