Protokoll der Sitzung vom 23.01.2009

Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Fraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 11.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung

Konzept zum zukünftigen Bedarf der unterschiedlichen Bildungsabschlüsse

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/1707

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Kley. Bitte sehr.

(Unruhe)

Ich bitte darum, dass wir versuchen, den Geräuschpegel in den letzten Minuten der Sitzung zu senken.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die preußischen Schulreformen im 18. und 19. Jahrhundert dienten im Wesentlichen dazu, den Kindern eine Chance zu geben, sich Bildung anzueignen, und sie natürlich auch den Bauern wegzunehmen, die bis dahin der Meinung waren, das Kind sei auf dem Feld wertvoller als in der Schule. Die Reformen hatten aber auch das Ziel, die Kinder auszubilden, damit sie Fähigkeiten besaßen, um später in den wachsenden Städten und in den dort befindlichen Unternehmen eingesetzt werden zu können.

(Herr Tullner, CDU: Aber nichts gegen die Bau- ern!)

Dass auch die Reformen von Humboldt an den Hochschulen grundsätzlich den Zweck hatten, ausreichend Mediziner, Beamte und Theologen auszubilden, ist eine schlüssige Folge des Denkens von oben. Die Einrichtung des Bildungssystems wurde im Wesentlichen durch den steigenden Bedarf an Fachkräften in der Wirtschaft und natürlich auch in der Verwaltung verursacht.

Wenn man dies einmal Revue passieren lässt, dann ist man über die heutige Bildungsdebatte erstaunt, die nicht immer unter dem Hauptgesichtspunkt steht, worin der Bedarf besteht und damit die Pflicht des für die Bildung zuständigen Landes, neue Fachleute auszubilden. Vielmehr versuchen abgehobene Studien und Ideologien, einen realen Wirtschaftsbedarf zu ersetzen. Die Theorie, dass ein höchstmöglicher Abschluss für alle Arbeitsplätze für alle bedeuten würde, geistert immer wieder durch die bildungspolitischen Diskussionen.

Ich glaube, es ist dringend notwendig, einmal das Kultusministerium und das Wirtschaftsministerium an einen Tisch zu bringen, damit analysiert werden kann, wo künftig die realen Aufgaben des Landes liegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist bisher leider unterblieben. Auch die Anfrage der LINKEN zu dem Thema „Beschäftigungsinitiative des Bundes - Bedarf in Sachsen-Anhalt“ hat diesbezüglich keine Aufhellung der Zahlen ergeben. Es gibt aber genügend bundesweite Studien, die klar belegen, in welchen Wirtschaftsbereichen welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit welchen Qualifikationen gebraucht werden.

In die entsprechenden Schulformen sollten wir auch in Sachsen-Anhalt künftig verstärkt investieren. Die Absolventen dieser Bereiche, die gebraucht werden, bedürfen unserer besonderen Fürsorge. Wir müssen uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, endlich davon trennen zu sagen, nur ein Akademiker sei ein guter Facharbeiter. Das ist falsch.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Natürlich brauchen wir verstärkt Naturwissenschaftler und Ingenieure. Wir wissen, dass das dringend geboten ist. Aber der internationale Vorteil der deutschen Wirtschaft sind die Facharbeiter und Meister in der Industrie. Die haben den Erfolg der deutschen Wirtschaft im Wesentlichen mit begründet.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, und von Frau Feußner, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darauf muss man auch hinsichtlich der Vergleichbarkeit internationaler Studien zurückkommen. Sie alle kennen die OECDStudie „Bildung auf einen Blick 2008“. Sie bemängelt, dass es in Deutschland zu wenig Hochschulabsolventen gebe. Aber man muss natürlich hinterfragen, was international unter Hochschulabschlüssen zu verstehen ist, ob es das ist, was wir darunter verstehen; denn diese Studie beleuchtet an keiner Stelle das duale System in Deutschland, das bei uns zu Recht über Jahre hinweg als der Exportschlager galt und es meiner Meinung nach noch immer ist.

(Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Wir sagen ganz klar, dass wir auch in diesem Bereich einen verstärkten Fachkräftebedarf haben. Ich möchte diesbezüglich nur zwei Studien anführen. Das ist die BIBB-Studie „Demografischer Wandel und seine Folgen für die Sicherstellung des Fachkräftenachwuchses“ von Ulmer und Ulrich. Diese Studie sagt ganz klar, dass hauptsächlich Industrie und Handel in den nächsten Jahren einen erhöhten Fachkräftebedarf haben werden. Wenn man sich einmal die Staffelung anschaut, dann stellt man fest, dass gerade in diesem Bereich ein sehr hoher Anteil an qualifizierten Facharbeitern mit Berufsabschlüssen benötigt wird, aber im Bereich des Handels und im Bereich der Gaststätten und der Wirtschaft auch durchaus eine Chance für jene besteht, die leider keinen Abschluss erreicht haben, künftig noch eine Berufsausbildung zu bekommen. Das sollte man auch immer berücksichtigen.

Wir sollten nicht nur über die reden, die den höchstmöglichen Abschluss haben, sondern wir müssen auch über die Chancen derjenigen diskutieren, die bisher keinen befriedigenden Schulabschluss erreicht haben. Diesen muss über Nachqualifizierungen künftig eine Chance auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden; denn - ich glaube, das müssen wir anerkennen, meine sehr geehrten Damen und Herren - es funktioniert nicht, dass jeder einen Hochschulabschluss erreichen kann.

(Beifall bei der FDP - Herr Höhn, DIE LINKE: Das will auch keiner! - Frau Mittendorf, SPD: Das will auch keiner! Wer hat denn das gesagt?)

Wenn wir an dieser Stelle sind, dann schauen wir uns einmal das Nachfragepotenzial an. Bezüglich des Nachfragepotenzials in Sachsen-Anhalt und insgesamt in den neuen Bundesländern geht man davon aus, dass im Jahr 2008 in etwa die Anzahl der Abschlüsse des Vorjahres abgesichert werden kann. Aber bereits in den Jahren 2009 und 2010 werden weniger Absolventen der Real- und Hauptschulen auf den Ausbildungsmarkt kommen. Die Frage ist natürlich, wie man an dieser Stelle Abhilfe leisten kann.

Der Report sagt ganz klar, dass eine Reduktion des außerbetrieblichen Ausbildungspotenzials stattfinden sollte. Aber auch dabei ist noch einmal klar zu untersuchen, ob die Zahl der Berufsschulen und der Berufsfachschulen,

die nicht betriebsbezogen arbeiten, wirklich reduziert werden kann. Es gibt eine Reihe von Ausbildungsgängen, die weiterhin notwendig sind.

Ein wesentlicher Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, der dort genannt wird, ist die frühzeitige Berufsberatung. Leider wird es allzu oft versäumt, den Schülerinnen und Schülern frühzeitig ein Berufsbild zu vermitteln. Gerade Gymnasiasten sind erst mit 19 oder 20 Jahren erstmals mit der Berufswahl konfrontiert. Manche schleppen sich dann noch durch das Studium, um sich erst hinterher einmal zu fragen, wo ihre berufliche Zukunft liegt. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es aus unserer Sicht notwendig, frühzeitig eine klare Perspektive zu eröffnen und insbesondere schon bei der Wahl der Schulform ab Klasse 5 beratend tätig zu sein.

Ich finde es unerträglich, wie wir es jüngst im Bildungskonvent erlebt haben, dass Professoren der Universität Halle sagen, es sei ein Abstieg, wenn man in einer Realschule lernen würde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist die Kernschule des deutschen Schulsystems. Es ist kein Abstieg. Es ist eine vollwertige und sehr gute Schule, die hervorragende Schüler eben mit einer spezifischen Ausbildung ausbildet.

(Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Deswegen müssen wir auch den Gesichtspunkt stärker darauf legen. Dort muss die Praxisbezogenheit erfolgen. Dort müssen die Schüler die Chance bekommen, in das künftige Berufsleben hineinzuschnuppern. Man muss eben auch jenen, die keinen geistigen Beruf ergreifen möchten, sondern ganz andere Fähigkeiten haben, die Chance geben, Erfolgserlebnisse zu feiern, und darf nicht der Illusion anhängen, dass nur derjenige, der auf das Gymnasium kommt, eine Perspektive hat. Nein, gerade diese Fachkräfte sind es, die künftig in Deutschland gebraucht werden.

(Zustimmung von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Es ist geradezu aberwitzig, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn dann als Alternative angeboten wird, für Studierfähige eine Attraktivitätssteigerung des dualen Systems herbeizuführen. Man lässt die jungen Menschen also zwölf Jahre lang in die Schule gehen und stellt hinterher fest, jetzt könnten sie studieren, aber wir brauchen sie an anderer Stelle.

Dann werden Hilfsstudiengänge eingerichtet, die sich an das duale System anlehnen, sodass die jungen Menschen anstatt mit 18 oder 19 Jahren vielleicht erst mit 25 Jahren ins Berufsleben einsteigen und eventuell noch frustriert sind, weil sie durch irgendwelche Umwege dorthin gekommen sind. Dazu muss man ganz klar sagen: Frühzeitige Ausbildung, Abschluss der 10. Klasse und dann in die Berufsschule, das ist der Weg, und keine Ehrenrunden in irgendwelchen Hilfsstudiengängen.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich den IZA-Report „Zukunft von Bildung und Arbeit - Perspektiven von Arbeitskräftebedarf und -angebot bis 2020“ anguckt, geschrieben von Bonin, Schneider, Quinke und Arens, dann stellt man fest, dass auch dieser Report ganz klar aussagt, dass künftig ein erhöhter Bedarf an Berufsschulabsolventen bzw. an Fachkräften

mit Meister- und Technikerabschlüssen besteht. Bis zu 70 % aller Absolventen werden dort gebraucht.

Wenn wir unsere gegenwärtige Besuchsfrequenz von Sekundarschule und Gymnasium betrachten, dann stellen wir eine große Diskrepanz fest. 50 % aller Schülerinnen und Schüler - häufig sind es ihre Eltern - wählen mittlerweile das Gymnasium als Bildungsweg, obwohl dieser nach der Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nur für einen Anteil in Höhe von etwa 24 %, 25 % der künftigen Arbeitsplätze nötig ist.

Es ist also davon auszugehen, dass die Hälfte der Schülerinnen und Schüler dieses Bereiches im Nachhinein entweder eine Qualifikation hat, die nicht entsprechend eingesetzt werden kann, oder nach zwölf Jahren eine Lehre beginnt und damit wertvolle Lebenszeit an dieser Stelle verschenkt hat, die sie für ihre berufliche Qualifizierung längst hätte nutzen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Wir sind der Meinung, dass in Sachsen-Anhalt endlich eine Debatte stattfinden muss, die sich nicht mehr darum dreht, welche Form unseres sehr erfolgreichen gegliederten Schulsystems diejenige ist, die unbedingt gewählt werden soll. Sondern es muss endlich klar gemacht werden, wie man Schülerinnen und Schülern und deren Eltern frühzeitig beraten kann, um jeden auf den optimalen Berufsweg vorzubereiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb hoffen wir, dass im Ergebnis der Beratungen die Haupt- und Realschulen in Sachsen-Anhalt endlich wieder einen gebührenden Platz erhalten, dass man wieder darüber diskutiert, dass jede Schulform ihre Berechtigung hat und jede Schulform ihre besondere Förderung verdient, aber nicht die Abschaffung der einen oder anderen Schulform das Optimale ist, um den Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade das gegliederte Schulsystem sorgt dafür, dass Kinder zielgenau ausgebildet und dazu gebracht werden, für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit einer entsprechenden Qualifikation und unter besonderer Förderung tätig zu werden.

Gestern haben wir in der Rede des Herrn Ministerpräsidenten gehört, dass Realschulen in Verbindung mit der Produktion Chancen bieten, dass dort die Möglichkeit für junge Menschen mit praktischen Fähigkeiten besteht, ihren Weg zu finden. Das ist richtig. Es ist wichtig, dass wir dies fördern.

(Zustimmung bei der FDP)

Ich kann mich daran erinnern, dass die SPD auch Beifall geklatscht hat, dies also auch ihre Meinung ist.

(Frau Mittendorf, SPD: Nein! Das ist es nicht!)

- Frau Mittendorf, wenn Sie mitteilen, dass Sie nicht mit der Regierungserklärung übereinstimmen, dann nehmen wir das zur Kenntnis, bedauern das aber natürlich für die CDU. Damit müssen Sie fertig werden. Perspektiven eröffnen sich aber immer wieder, wie Hessen gezeigt hat.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hoffen, dass über diesen Antrag intensiv beraten wird und sich insbesondere der Wirtschaftsminister in die Diskussion einbringt. Wer auf dem Neujahrsempfang der IHK in Hal

le war, der hat vernommen, dass die neue Präsidentin Wert auf die Feststellung gelegt hat, dass der Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren gedeckt werden muss und wir mit einem ständig steigenden Anteil von Studierenden, auf 50 % oder 60 %, an der anderen Stelle eine Lücke reißen.

Es muss eine Orientierung auf die Bedürfnisse erfolgen, die künftig von der Wirtschaft geäußert werden, und für jeden jungen Menschen muss seinen Fähigkeiten entsprechend eine Beratung und Qualifizierung erfolgen.