Noch eine Anmerkung, die vielleicht erklärt, weshalb die Consens-Studie bei der Landesregierung „unbekannt“ ist. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Leistungsberechtigten betrugen in Sachsen-Anhalt pro Jahr ca. 26 900 €, in den alten Bundesländern aber 36 000 €. Die Angleichung der östlichen an die westlichen Verhältnisse macht also in der Behindertenhilfe einen sehr großen Bogen um Sachsen-Anhalt. Wenn sich diesbezüglich nichts ändert, steuern wir neben den anderen Problemen auf einen Fachkräftemangel zu. Möchte ich wirklich Heimeinweisungen vermeiden, sind in diesem Bereich insgesamt Änderungen unumgänglich.
Da die Sozialagentur steuernd wirkt, und zwar immer im Auftrag der Landesregierung, ist festzustellen, dass positive Entwicklungen in Richtung eines Mehr an ambulanter Betreuung im Bundestrend liegen. In Sachsen-Anhalt wurden diese zaghaften Entwicklungen nicht durch, sondern trotz der Sozialagentur möglich.
Meine Damen und Herren! Abschließend einige Bemerkungen zur Perspektive. Die Behindertenpolitik wird erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um die künftigen Aufgaben lösen zu können. Als solche sind unter anderem zu benennen: Umgang mit und Betreuung einer ganzen Generation älterer behinderter Menschen, Schaffung von Rahmenbedingungen, die das Entstehen eines umfänglichen ambulanten Dienstleistungssektors ermöglichen, und Schaffung von fließenden Übergängen von der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt.
Die Landesregierung hat diese oder andere Aufgaben als Herausforderung nicht benannt. Die in der Großen Anfrage formulierten Grundsätze sind allgemein und wenig konkret. So erwartet sie beispielsweise keinen grundsätzlich veränderten Hilfebedarf - ich verstehe das gar nicht -, sondern nur Verschiebungen in der Nachfrage aufgrund der demografischen Entwicklung. Formuliert wird, dass nicht nur eine bedarfsgerechte Umgestaltung der Betreuungsangebote erforderlich sei, sondern auch eine verstärkte Erörterung mit Betroffenen.
Sie begrüßt zwar die Überlegungen zur Modernisierung der Eingliederungshilfe auf Bundesebene, aber in der Großen Anfrage findet sich kein Wort zu der in diesem Zusammenhang anvisierten personenzentrierten Förderung. Das hat doch Konsequenzen, wenn ich das durchsetzen will.
Fasse ich alles zusammen, ist festzustellen: Konzepte und Umbauszenarien, wie wir in Sachsen-Anhalt von der Fremdbestimmung zu einem selbstbestimmten Leben für alle Menschen mit Behinderungen, die es wünschen, kommen können, sind nicht dargestellt worden. Hemmnisse und Probleme, die in Gesetzen und Verordnungen ihre Ursache haben, werden ignoriert. Der Tenor der Antworten der Landesregierung lautet: Wir sind gut, weiter so!
Wir fordern die Landesregierung auf, vor den drängenden Problemen nicht weiter die Augen zu verschließen und einen Paradigmenwechsel in der Realität herbeizuführen. Die Notwendigkeit dieses Wechsels hat sie mit ihren Antworten auf die Große Anfrage selbst begründet.
In „Radio Brocken“, glaube ich, wurde gesagt, wir seien als Fraktion der Auffassung, dass die Landesregierung zu wenig tue. - Das ist so nicht richtig. Sie tut das Falsche, und das auf vielen Gebieten zu oft und zu viel. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Nun erhält für die Landesregierung Frau Ministerin Dr. Kuppe das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Seit der Darstellung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt- und Sozialbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2000/2001 haben der Bund und das Land die rechtlichen Rahmenbedingungen für Teilhabeleistungen zugunsten von Menschen mit Behinderungen mehrfach geändert.
Grundlegend für die Weiterentwicklung des Schwerbehindertenrechts war die Einführung des Sozialgesetzbuches IX im Jahr 2001, mit dem der Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur Teilhabe und zur Selbstbestimmung in einem einheitlichen Regelwerk niedergelegt worden ist. Das war für mich die bis dahin wichtigste und einschneidendste Veränderung des Rechtsrahmens zur Umsetzung des Artikels 3 des Grundgesetzes hinsichtlich der Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Menschen.
Ebenfalls im Jahr 2001 hat der Bund mit dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine eigenständige Grundsicherungsleistung für ältere und dauerhaft erwerbsgeminderte Menschen eingeführt. Diese Regelung wurde mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch im Jahr 2003 in das SGB XII übernommen.
Auf Landesebene, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist insbesondere das Behindertengleichstellungsgesetz vom November 2001 zu nennen, das die Rechte von Menschen mit Behinderung stärkt und ihre Teilhabe an den Prozessen der politischen Willensbildung sichert.
Mit der Änderung des Ausführungsgesetzes zum BSHG im Jahr 2004 und durch das Ausführungsgesetz zum SGB XII aus dem Jahr 2005 wurden die Zuständigkeiten für die ambulanten Eingliederungshilfen und für die ambulanten Hilfen zur Pflege auf den überörtlichen Träger der Sozialhilfe übertragen. Ambulante, teilstationäre und stationäre Eingliederungshilfen und Hilfen zur Pflege werden seither in einheitlicher Zuständigkeit wahrgenommen.
Durch diese Zusammenführung wurde dem Organisationsprinzip der Hilfegewährung aus einer Hand Rechnung getragen. Dass es dabei an manchen Stellen noch holpert, Herr Dr. Eckert, gebe ich zu, aber dieses Systemprinzip halte ich für richtig.
Mit der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen, die Anfang 2009 innerstaatlich in Kraft getreten ist, werden die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen weiter gestärkt.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist eine grundlegende Aufarbeitung der fachlichen Daten und der Entwicklungstendenzen angezeigt und hilfreich. Insofern unterstützt die Große Anfrage die grundsätzliche Ausein
Das Land Sachsen-Anhalt leistet seit Jahren etwa 3 % der Eingliederungshilfe, die im Bundesgebiet insgesamt aufgewendet wird. Das ist deshalb auffällig, weil die Bevölkerungsentwicklung im Land Sachsen-Anhalt stärker rückläufig ist als im Bund. Darin wird nach meiner Überzeugung besonders deutlich, dass die demografische Entwicklung eine große Herausforderung insbesondere für die Behindertenpolitik im Land darstellt.
Infolge des Inkrafttretens des Sozialgesetzbuches IX im Jahr 2001 und der Behindertengleichstellungsgesetze in Sachsen-Anhalt und im Bund sind die Grundsätze der Selbstbestimmung und der Teilhabe in den Mittelpunkt sowohl der fachpolitischen Auseinandersetzung als auch der Praxis getreten. Durch gesetzliche Regelungen und Maßnahmen der Verwaltung sind diese Zielsetzungen seither verfolgt worden.
Ich will in diesem Zusammenhang nur wenige Punkte ansprechen - einiges wird noch ausführlicher darzustellen sein -:
Zu nennen sind die Anstrengungen des Landes zur Herstellung der Barrierefreiheit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Das betrifft alle Ressorts und dabei strengen sich auch alle Ressorts an. Hierbei spreche ich nicht nur für das Sozialressort, Herr Dr. Eckert, sondern für die gesamte Landesregierung.
Die Einführung des Rechtsanspruchs auf das trägerübergreifende persönliche Budget zu Beginn des Jahres 2008 will ich nennen, die Zusammenführung der Zuständigkeit, die ich bereits erwähnt habe, und die Übernahme der Zuständigkeit für die Frühförderung durch das Land.
Zum zweiten Komplex, den Sie in Ihrer Großen Anfrage angesprochen haben, Teilhabe und Hilfsangebote für behinderte Menschen, will ich als erstes darauf hinweisen, dass zur Stärkung der Position von Menschen mit Behinderungen und zu ihrer Einbindung in politische Entscheidungsprozesse die Landesregierung neben dem Runden Tisch für Menschen mit Behinderungen den Landesbehindertenbeirat eingerichtet hat. Die Mitarbeit am Runden Tisch steht allen Menschen mit und ohne Behinderungen offen, unabhängig von Partei- und Verbandszugehörigkeit. Aufgabe des Landesbehindertenbeirates ist es, die Landesregierung in Fragen der Behindertenpolitik zu beraten.
Diese beiden Gremien, der Runde Tisch und der Landesbehindertenbeirat, verfügen in den betroffenen Kreisen über eine sehr hohe Akzeptanz und haben mit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes Sachsen-Anhalt - Sachsen-Anhalt war nach Berlin das zweite Bundesland, das überhaupt ein solches Gesetz hatte - eine gesetzliche Grundlage erhalten. Auch das ist nicht Alltag in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Landesregierung unterstützt die chancengleiche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen, vom Wohnen bis zur Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt.
Insgesamt meine ich - das sage ich noch einmal sehr deutlich in Ihre Richtung, Herr Dr. Eckert -, dass der
Integrationsprozess von Menschen mit Behinderungen in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren sichtbare Fortschritte gemacht hat.
Gleichwohl - das sage ich auch sehr deutlich - sind noch weitere erhebliche Anstrengungen notwendig, um zu einer allumfassenden Integration, Teilhabe und Inklusion auch mit Einbindung in die örtlichen sozialen Netzwerke zu gelangen. Insbesondere gilt es, auf eine Fortentwicklung des Bewusstseins in der Bevölkerung hinzuwirken.
Einen starken Impuls hin zu noch mehr Teilhabe und Inklusion gibt die Anfang 2009 innerstaatlich in Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Aus der Vielzahl der in der Antwort der Landesregierung zusammengestellten Angaben, die eine Stärkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Sinne von Normalität belegen, will ich die Quote der ambulanten Leistungen im Bereich Wohnen herausgreifen - auch wenn Sie das kleinreden wollen, Herr Dr. Eckert. Der Anteil der ambulanten Leistungen an der Eingliederungshilfe ist von 10,7 % im Jahr 2001 auf mehr als 36 % im Jahr 2008 angestiegen.
Damit erhält heute mehr als ein Drittel aller Leistungsberechtigten Leistungen der Eingliederungshilfe in ambulanter Form. Das ist ein sehr erfreulicher Schritt in eine richtige Richtung. Gerade das selbstbestimmte Wohnen in der eigenen Häuslichkeit wird auch in der UN-Konvention gefordert.
Die Anzahl der stationären Plätze in der Eingliederungshilfe konnte seit dem Jahr 2004 auf ca. 9 200 begrenzt werden. Der Trend geht auch hierbei zu niedrigschwelligeren und wohnortnäheren Angeboten in Form des intensiv betreuten Wohnens. In diesem Bereich sehe ich die Notwendigkeit, auch neue und flexibel anzupassende Angebote zu entwickeln. Das werden wir auch gemeinsam mit den Verbänden diskutieren.
Das persönliche Budget hat in den letzten Jahren zur Verbesserung beigetragen. Wir haben durchaus ermutigende Anfangserfolge. Das, so denke ich, ist auch ein Stück Ermutigung, auf diesem Weg weiter voranzukommen. Hiermit wird für Menschen mit Behinderungen ein Stück Emanzipation von herkömmlichen Hilfeformen ermöglicht. Darin sind wir uns absolut einig. In diesem Bereich gibt es in der Tat noch viele Ressourcen für eine Weiterentwicklung. Das werden wir konsequent verfolgen. Wir können dabei auf einer soliden Ausgangsbasis fußen. Das werden wir weiterhin im Blick behalten.
Zu Ihrem dritten Bereich - Hilfsangebote im Rahmen der Frühförderung und in der Schule - möchte ich ebenfalls einige Dingen nennen. Seitdem das Land die Aufgabe der Frühförderung wahrnimmt, ist die Anzahl der Kinder, die im vorschulischen Alter betreut werden, von ca. 350 auf 1 600 im Jahr 2008 gestiegen. Die frühzeitige Intervention zur Überwindung drohender Behinderung und zur Überwindung von Entwicklungsstörungen oder Entwicklungsverzögerungen von Kindern ist besonders wirkungsvoll. Frühe Interventionen helfen, spätere, weitaus aufwendigere und weniger wirksame Interventionen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.
Die verstärkten Anstrengungen im Zusammenhang mit der Frühförderung und die hiermit erzielten Ergebnisse begrüße ich ausdrücklich. Sie sind sicherlich dem gewachsenen Bewusstsein für die Bedeutung der frühen Intervention, aber auch einem höheren Informationsgrad zu verdanken.
Im Bereich der integrativen Tagesbetreuung in den Kindertagesstätten unseres Landes ist festzustellen, dass es zu Beginn des Jahres 2000 92 Einrichtungen mit rund 6 600 Plätzen gab. Im Jahr 2008 hatten wir 145 integrative Einrichtungen mit mehr als 13 600 Plätzen. Die Anzahl der integrativen Einrichtungen ist also im Berichtszeitraum um 53 gestiegen. Auch in diesem Bereich gibt es noch Potenzen, die zu entwickeln sind. Die Anzahl der Plätze ist um mehr als das Doppelte angestiegen. Ich glaube, das ist ebenfalls ein richtiger Trend, der fortgesetzt werden muss.
Im Schulbereich wird ein ganz besonderer Wert darauf gelegt, dass im Bereich der flexiblen Schuleingangsphase vermehrt sonderpädagogische Unterstützung gewährleistet wird, damit so viele Kinder wie möglich einen regulären Schulabschluss erreichen können. An dieser Stelle hat das Kultusministerium die Anstrengungen verstärkt.
Zur Situation von Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten und auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Herr Dr. Eckert, Sie haben berichtet, dass die Anzahl der Beschäftigten in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen im Laufe der letzten Jahre deutlich angestiegen ist. Damit liegen wir im Bundestrend.
Für die Verbesserung der Qualität haben wir in Sachsen-Anhalt eine Prüfungsordnung für sonderpädagogische Zusatzqualifikationen für Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter in den Werkstätten durchgesetzt, die zu dem anerkannten Abschluss „Geprüfte Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung in Werkstätten für behinderte Menschen“ führt. Diese Prüfungsordnung wird seit 2003 umgesetzt.
Die Beschäftigungssituation behinderter Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt ist unverändert schwierig. Das ist überhaupt nicht zu leugnen. Es wurden und werden weiterhin bundesgesetzliche Regelungen im Land umgesetzt und unterstützt. Aber es werden natürlich auch eigene Arbeitsmarktprogramme zielgruppenspezifisch aufgelegt. Damit können wir punktuelle Verbesserungen erzielen.
Mit der Aufnahme des Fördertatbestandes der unterstützten Beschäftigung in das SGB IX hat der Bundesgesetzgeber im vergangenen Jahr ein wichtiges Instrument für die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben geschaffen. Allerdings liegen aufgrund der Kürze der Zeit noch keine praktischen Erfahrungen im Umgang mit diesem neuen Instrument vor. Die Bundesagentur für Arbeit führt derzeit das Vergabeverfahren durch.
Wir als Land Sachsen-Anhalt haben gezielte Programme zur Förderung der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt mit Mitteln der Ausgleichsabgabe wieder aufgelegt, insbesondere mit dem Ziel, schwerbehinderte Jugendliche und Alleinerziehende zu unterstützen. Das war auch Gegenstand der Diskussion im Ausschuss.
Ich möchte noch auf den sechsten Komplex eingehen. Dieser betrifft die älteren Menschen mit Behinderungen. Das ist ein Komplex, mit dem wir uns in den nächsten