Protokoll der Sitzung vom 08.05.2009

(Frau Budde, SPD, lacht)

Es betrifft auch nicht so sehr Ihren Redebeitrag. Ich wollte eigentlich nur darauf aufmerksam machen, dass diese Debatte nun wirklich wichtig genug ist, sie in Anwesenheit des zuständigen Ministers zu führen.

(Starker Beifall bei der LINKEN)

Ich meine, ich kümmere mich jetzt ganz bestimmt nicht um den Koalitionsfrieden - -

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Nein, während ihres Debattenbeitrages war er nicht dabei. Dazu sage ich: Bei so einem Thema ist das eigentlich nicht in Ordnung. Es ist nicht nur die Frage, wie er sich gegenüber Frau Budde, sondern auch eine Frage, wie er sich gegenüber dem gesamten Parlament verhält. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Quatsch!)

Wir kommen nun zum Debattenbeitrag der Landesregierung. Der Ministerpräsident Herr Professor Dr. Böhmer erhält das Wort. Bevor er das Wort ergreift, begrüße ich

auf der Tribüne die Damen und Herren vom Seniorenverein „Goldener Herbst“ aus Wernigerode. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um erstens einige Sorgen in dieser Welt zu zerstreuen: Ich habe Frau Budde sehr aufmerksam zugehört, weil ich erstens vorhatte, zu diesem Punkt für die Landesregierung zu sprechen, und weil ich zweitens derjenige war, der einen Teil der Gespräche - nicht alle - und Verhandlungen zu diesem Problem geführt hat. Insofern können Sie unbesorgt sein.

(Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

- Das ist Ihre Angelegenheit.

Zweitens habe ich mit Freude gehört, dass Frau Budde gesagt hat, wir hätten hier andere Sorgen, als Bundestagswahlkampf zu spielen. Darin gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht. Aber wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, die CDU und der Bundestag hätten das alles boykottiert, dann kommt natürlich der Verdacht auf, dass es ein Schlenker in diese Richtung sein sollte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das steht Ihnen allerdings zu.

(Zurufe von der SPD)

- Ich kann doch damit leben.

(Frau Budde, SPD: Es entspricht schlichtweg der Wahrheit!)

- Das ist Ihre Wahrheit.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

- Ich beneide Menschen, die die Wahrheit für sich gepachtet haben. Die haben es aber besonders schwer im Leben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Frau Budde, SPD)

Es ist richtig, dass über dieses Problem in der letzten Zeit sehr viel und an sehr vielen Stellen auch sehr kontrovers diskutiert worden ist. Es ist richtig, dass es auf der Arbeitsebene und auch unter den für die Arbeitsmarktpolitik zuständigen Ministern aller 16 Bundesländer über einen Vorschlag eine Einigung gegeben hat. Es ist nicht richtig, dass sich die Ministerpräsidenten diesem Vorschlag angeschlossen hätten; sie haben ihn nämlich bei größten Bedenken aufgenommen und gesagt: So werden wir das nicht hinbekommen.

Der Vorschlag, von dem die Rede ist, ist die Gründung einer Zentrale für Arbeitsmarktpolitik bzw. Arbeitsmarktförderung und Grundsicherung, umgangssprachlich ZAG genannt. Dieser Vorschlag existiert seit längerer Zeit und befindet sich in der Debatte. Von diesem Vorschlag wissen alle: Er wird ohne Grundgesetzänderung nicht realisierbar sein.

Deshalb ist immer gesagt worden: Dann müssen wir eben das Grundgesetz ändern. Niemand hat gesagt, wie oder an welcher Stelle. Aber das ist ja etwas Belang

loses; Hauptsache, wir werden uns in der Sache einig. Das kriegen wir dann schon hin. - Dies war ein Irrtum.

Hinzu kommt, dass der für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zuständige Bundesminister Herr Scholz diese Idee von vornherein abgelehnt hat. Wenn Sie, verehrte Frau Budde, die ausführliche Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 23. September 2008 gelesen hätten, dann hätten Sie feststellen können, wie ausführlich sich dieses Ministerium schon damals unter Leitung von Minister Herrn Scholz gegen diese Lösung ausgesprochen hat; denn sie bedeutet die Schaffung von 370 völlig neuen Behörden.

Das kann man machen; so etwas ist organisierbar. Das Argument, das in der CDU eine Rolle gespielt hat, dass es unverhältnismäßig teuer wird, hat mich nicht überzeugt; denn die jetzige Verwaltung verursacht auch Personal- und Sachkosten. Diese umzustrukturieren muss die Sache insgesamt nicht viel teurer machen. Das halte ich für ein etwas vorgeschobenes Argument.

Richtig ist aber, dass es Zeit braucht, dass es Aufwand bedeutet und dass in dieser Zeit - das wissen wir aus vielen Reformen, die wir selbst gemacht haben - die Betreuung der Arbeitslosen nicht so durchgeführt werden kann, wie wir uns das wünschen und wie wir das fordern.

Deswegen gibt es die ernst zu nehmende Meinung, dass man in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise, in der die Arbeitsmarktpolitik besonders gefordert ist, die Instrumente nicht grundsätzlich wechseln sollte. Man sollte lieber noch einmal darüber nachdenken, wie man das ordentlich hinbekommt.

Das sind Argumente, die ich zur Kenntnis nehme, über die man reden muss und zu denen ich sage: Man kann, wenn man das unbedingt will, natürlich gemeinsam irgendwelche Lösungen schaffen; wir haben auch schon andere Sachen hinbekommen. Aber ernst zu nehmen sind diese Argumente.

Die Sache wurde erst richtig schwierig, als der Erste gesagt hat: Wenn wir nun alle ZAG wollen und uns einigen, dass wir das Grundgesetz ändern, dann müssen wir das schnell tun, und dann müssen wir uns einig werden, wie wir es machen. Dazu sage ich: An dieser Stelle hat sich die Diskussion grundsätzlich verheddert, weshalb dann vor allen Dingen diejenigen, die für die Verfassung zuständig sind - die Ministerien, aber auch die Abgeordneten im Bundestag, die dem Verfassungsausschuss angehören -, gesagt haben: So geht es aber nicht.

Es ist ein bisschen schwierig, aber ich versuche trotzdem, das kurz darzustellen: Unser Grundgesetz, von dem wir gerade gesprochen haben, kennt zwei Staatsebenen: die Bundesebene und die Länder - mehr nicht. Es gibt in Artikel 35 die Vorschrift der Rechts- und Amtshilfe zwischen diesen beiden Verwaltungsebenen, also nur zwischen der Landesebene und der Bundesebene, und es gibt in Artikel 86 die Vorschriften für die bundeseigene Verwaltung. Aber es ist ganz schwierig, Mischverwaltungen zu konstruieren.

Ich selbst habe das erst lernen müssen, das gebe ich zu. Ich kann Ihnen sagen, dass ich es aus einer Doktorarbeit gelernt habe, deren Verfasser ich zwar nicht persönlich kenne, die mich aber sehr beeindruckt hat. Es gibt eine einzige Mischverwaltung, das ist die Finanzverwaltung. Diese Finanzverwaltung ist in Artikel 108 geregelt mit einer genauen Kompetenzverteilung. Denn die

Vorwürfe des Verfassungsgerichts betrafen die Intransparenz dieser Mischverwaltungen. Die Verantwortlichkeit muss deutlich gemacht werden.

Das heißt, diejenigen, die die ZAG ins Grundgesetz bringen wollten, mussten einen Weg suchen, wie sie die Transparenz dieser Verwaltungsstrukturen zwischen einer Ebene Bund und einer Ebene, die es im Grundgesetz so nicht gibt, den Kommunen, herstellen können. Daran hat sich die Diskussion letztlich festgefahren.

Der Landkreistag hätte das gern gesehen. Er will seit Jahren schon eine eigene Rechtsebene im Staatsgefüge werden und Verfassungsrang erhalten. Das ist bisher bei allen Föderalismusdiskussionen abgelehnt worden. Jetzt hätte man die Konstruktion einer Gemeinschaftsverwaltung von Bund und Ländern mit der Maßgabe finden müssen, dass die Länder berechtigt werden, sich in dieser Verwaltung durch die Kommune vertreten zu lassen.

Darüber ist nachgedacht worden. Das ist gescheitert, als wir zu fragen begannen, wer für die Bezahlung zuständig sei. Daraufhin haben die meisten Länder gesagt: Dafür muss der Bund zuständig bleiben; in die Finanzverantwortung wollen wir nicht einbezogen werden.

Dies ist der Diskussionsstand, angesichts dessen wir gesagt haben: So werden wir das Problem nicht lösen können; darüber muss erneut nachgedacht werden. Und es gibt einen sachlichen Grund, darüber nachzudenken. Ich gehöre zu denen, die für eine Betreuung aus einer Hand nahezu geschwärmt haben - ich sage bewusst „geschwärmt“. Ich selbst habe noch keine Betreuung in diesem Bereich gemacht.

(Zuruf von der CDU)

Ich habe mir gedacht, „aus einer Hand“ klingt richtig gut. In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass selbst in den Optionskommunen und in den Arbeitsgemeinschaften, in denen die Betreuung in einer Hand - momentan nicht der Verfassungsvorschrift entsprechend - organisiert wird, die Betreuung wieder in Bereiche aufgegliedert wird: erstens die Beratungskunden - das sind die, die vermittelbar sind, die wir unterkriegen können, für die wir etwas suchen müssen -, zweitens die Aktivierungs- oder Förderkunden - das sind die, die wir nicht sofort unterbekommen, die wir mit Fördermaßnahmen, Qualifizierungsmaßnahmen usw. erst vermittlungsfähig machen müssen - und drittens die so genannten Betreuungskunden - das sind, etwas unfreundlich formuliert, die, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, die wir laufend betreuen müssen - Stichwort Sozialbetreuung.

Dort, wo Betreuung aus einer Hand gemacht wird, wird dies jetzt schon in diese drei Bereiche aufgeteilt. Deshalb rentiert es sich, darüber nachzudenken und erst einmal das gegenwärtige Verfahren zu evaluieren und zu sagen: Wir wollen auf alle Fälle Betreuung unter einem Dach, aber darüber, ob sie aus einer Hand geschehen muss, müssen wir noch nachdenken.

Wir können durchaus auch Betreuung unter einem Dach machen, aber getrennt nach Verantwortungsbereichen, nämlich in den Bereich der Betreuungskunden, für die die Kommunen zuständig waren und wieder zuständig sein könnten, und in den Bereich der Vermittlungskunden, für die der Bund zuständig ist. Das könnten wir uns durchaus vorstellen.

Ich schwärme nicht dafür; denn dafür bin ich nicht Fachmann genug. Aber ich nehme das ernst und bin der

Ansicht, dass wir über diese Dinge reden müssen. Danach erst kann über eine neue Organisationsform entschieden werden. Denn eines ist für alle Ministerpräsidenten wichtig - das sage ich ganz unfreundlich -: Ein Auftrag, im Bundesrat aktiv zu werden, ohne diese Probleme vorher geklärt zu haben, wäre zu einer Lachnummer verkommen. Das muss man ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU)

Eines muss - das ist für uns ganz wichtig - geklärt werden: Für die Finanzierung des Arbeitsmarktes und den finanziellen Ausgleich der Arbeitslosenversicherung wollen wir als Länder nicht zuständig werden. Das muss beim Bund bleiben. Das ist für mich eine der ganz wichtigen Fragen.

Aber ich nehme auch zur Kenntnis, dass die Betreuung der schwer Vermittelbaren und das Organisieren von Ersatzangeboten, zum Beispiel von Bürgerarbeit, wie es sie bei uns gibt, oder von Kommunal-Kombi, die Herr Müntefering auf den Weg gebracht hat, am besten mit den Kommunen geht und nicht ohne sie. Auch das ist völlig klar. Deswegen muss für diese zweite Lösung auch die kommunale Beteiligung organisiert werden.

Es ist uns jedoch noch nicht gelungen, dafür eine grundgesetzkonforme Lösung zu finden. Deswegen spricht im Moment nichts dafür, dass mit der nächsten Grundgesetzänderung dafür schon eine praktikable Lösung vorhanden sein wird. Ich drängle dabei auch nicht; denn es funktioniert.