Protokoll der Sitzung vom 08.05.2009

(Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

aber sie nimmt mit dieser Haltung eben in Kauf, dass das ganze System der Arbeitslosensicherung, der Arbeitslosenförderung und der Arbeitsvermittlung gegen die Wand fährt, wenn nichts passiert; und das in einer Wirtschaftskrise, wie wir sie fast seit einem Jahrhundert nicht mehr gehabt haben.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz kurz in die Historie gehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 20. Dezember 2007 entschieden, dass es sich bei den Jobcentern in der jetzigen Form um eine nicht zulässige Mischverwaltung handelt.

Das Gericht hat darüber hinaus den Gesetzgeber ultimativ aufgefordert, bis Ende 2010 eine neue Regelung zu treffen. Sollte es keine neue Regelung geben, müssten die Aufgaben nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes ab dem 1. Januar 2011 wieder getrennt wahrgenommen werden. Getrennte Aufgabenwahrnehmung heißt aber: Die Bundesagentur ist für die Vermittlung der Arbeit zuständig und die Kommunen sind für die Bewilligung und Auszahlung der Kosten für Wohnung und Heizung sowie für die Gewährung sozialer Hilfeleistungen wie Schuldner- und Suchtberatung verantwortlich.

Derzeit ca. 6,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die die Leistungen in Anspruch nehmen müssen, müssten dann wieder zu zwei Behörden, müssten zweimal Anträge stellen, ihre Akten müssten zweimal geführt werden und sie bekämen wieder zweimal Bescheide.

(Herr Franke, FDP: Das ist doch besser!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, auch hier im Raum, dieses Ergebnis will.

(Zuruf von Herrn Franke, FDP)

Deshalb hatte sich auch die Arbeitsministerkonferenz im Nachgang zu dem Urteil zum einen damit auseinandergesetzt, wie der Status quo zum einen optimiert werden kann - natürlich unter der Maßgabe „Hilfe aus einer Hand“; das bleibt bestehen -, zum anderen hatten sie aber auch die Aufgabe mitgegeben, das Ganze verfassungsfest zu machen. Das heißt in der logischen Konsequenz, im Ergebnis, bei Beibehaltung des genannten Prinzips „Hilfe aus einer Hand“, dass die Verfassung geändert werden muss.

(Herr Franke, FDP: Nee, das heißt es nicht!)

Verfassungsänderungen sind natürlich immer nicht unproblematisch. Ich glaube trotzdem, dass sie an dieser Stelle unproblematisch wäre. Ich weiß, dass das von einigen, insbesondere auch aus der CDU-Bundestagsfraktion, anders gesehen wird. Dieses Argument ist ja immer wieder gekommen: Man dürfe die Verfassung nicht ändern, weil das Verfassungsgericht anders beschlossen habe.

Es geht aber in diesem Punkt nicht um die Ewigkeitswerte der Verfassung, sondern um eine schlichte Organisationsform. Deshalb halte ich es für vertretbar, hierfür neue Organisationsformen festzuschreiben.

(Beifall bei der SPD)

Aus meiner Sicht ist der Gesetzgeber sogar aufgefordert, die Verfassung ständig der Lebenswirklichkeit anzupassen. Dazu gehören die Veränderungen von Organisationsformen.

Herr Arbeits- und Wirtschaftsminister Haseloff hatte in seiner Funktion als Arbeitsminister - er ist nicht da; aber er wird ja noch wissen, was er gesagt hat - am 31. März 2009 erklärt: Wir brauchen möglichst noch vor der Bundestagswahl eine Klärung des Problems. Wenn man es politisch will, ist es machbar. Dem lassen sich verfassungsjuristische Beweggründe unterordnen. - Gut gesprochen.

Die Arbeitsminister haben ja dann auch einen Kompromiss ausgearbeitet, der mit 16 : 0 Stimmen angenommen, also von allen Ländern unterstützt wurde, und zwar sowohl von den Arbeitsministern als auch von den Ministerpräsidenten.

Danach sollen die Jobcenter künftig in Zentren für Arbeit und Grundleistung umgewandelt werden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, deren Träger Kommunen und BA gemeinsam sind.

(Herr Franke, FDP: Genauso falsch!)

Das war der Grundkompromiss, ein überparteilicher Grundkompromiss im Übrigen; denn an den 16 Landesregierungen, die zugestimmt haben, sind alle - alle! - in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien beteiligt.

Die Ministerpräsidenten Rüttgers und Beck sowie Bundesarbeitsminister Scholz wurden dann von der MPK mit den weiteren Detailverhandlungen betraut und haben auch die vom CDU-Präsidium erbetene weitere Grundgesetzänderung zur Absicherung der 69 zugelassenen Optionskommunen in den Kompromiss aufgenommen. Trotz dieses Ergebnisses hat die CDU-Bundestagsfraktion den Kompromiss einen Tag später geerdet. - Das ist die Historie.

(Herr Dr. Schrader, FDP, lacht)

Der Minister für Arbeit und Wirtschaft Haseloff hat dieses absurde Verhalten der Christdemokraten im Bundestag ganz scharf kritisiert. Er hat gesagt: Das Nein der Unionsbundestagsfraktion kann nicht das letzte Wort sein. Handlungsbedarf ist zeitnah und nach wie vor hochaktuell gegeben. Eine Nichtentscheidung hilft niemandem.

(Beifall bei der SPD)

Er hat in diesem Zusammenhang eine Grundgesetzänderung zur Reform der Jobcenter noch vor der Bundestagswahl, und zwar vor der diesjährigen Bundestagswahl, angemahnt und hat sich für eine Bundesratsinitiative ausgesprochen. Dem können wir als Sozialdemokraten nachdrücklich und ausdrücklich zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Leider, Herr Haseloff, müssen Sie wohl Ihre eigene Fraktion hier im Landtag noch davon überzeugen; denn die lässt Sie bei diesem Punkt ziemlich im Regen stehen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Ich muss auch sagen: Ich habe mir Ihre Antwort auf die Anfrage von Frau Hampel, unserer arbeitsmarktpolitischen Sprecherin, in der Fragestunde gestern schriftlich geben lassen, die Sie ansonsten mündlich gegeben hätten. Diese Frage hat sie ja nicht ohne Grund gestellt. Es

ist schon mehr als bescheiden, was darauf als schriftliche Antwort gegeben worden ist. Da hört nämlich die Argumentation bei Juli 2008 auf.

Also: Entweder werden Sie mit Ihrer Position im Regen stehen gelassen. Oder Sie lassen sich gerade von der CDU-Fraktion Rückendeckung geben, weil Sie nämlich selbst einen Rückzug in der Sache antreten. Das würde ich sehr schade finden. Wir hatten dafür geworben, heute und hier einen gemeinsamen Antrag für eine entsprechende Bundesratsinitiative zu beschließen. Das ist leider am Veto unseres Koalitionspartners gescheitert. Ob wir im Bundesrat durchgekommen wären, ist eine andere Frage. Aber ich denke, die ostdeutschen Länder, die hiervon besonders betroffen sind, sollten zumindest hierbei ihre Interessen deutlich wahrnehmen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Landtagsfraktion, sich vor Ihre Kollegen aus dem Bundestag stellen. Das geht mir manchmal auch so; das gebe ich ja zu. Ich glaube aber, dass das an dieser Stelle absolut falsch verstandener Corpsgeist ist.

Wir haben hier in Sachsen-Anhalt jetzt weiß Gott andere Sorgen, als im Landtag schon Bundestagswahlkampf zu spielen.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von Herrn Gürth, CDU, und von Herrn Wolpert, FDP - Herr Franke, FDP: Machen Sie doch gerade! - Herr Dr. Schra- der, FDP: Richtig!)

Wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist, dann droht ab dem Jahr 2011 ein heilloses Chaos für die Betroffenen, genauso für die Kommunen und für die Angestellten in den Jobcentern. Dann ist für die Betroffenen - das ist das Schlimmste an der Sache - Schluss mit der Hilfe aus einer Hand. Dann müssen sie wie vor dem Jahr 2005 zu verschiedenen Stellen gehen, um die ihnen zustehenden Leistungen zu bekommen und um in Arbeit vermittelt zu werden.

Das macht die sowieso schon schwierige persönliche Situation, so glaube ich jedenfalls, noch ein Stück unerträglicher. Ich glaube auch, dass das in einer Krise wie dieser, während der wieder mehr Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden, eine falsche Antwort ist.

(Zustimmung von Ministerin Frau Prof. Dr. Kolb)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier jemand will.

Was die Kommunen betrifft: Wir brauchen uns nur alle daran zu erinnern, wie schwer es war, die Argen überhaupt zum Funktionieren zu bringen und die Jobcenter aufzubauen. Aber jetzt, wo sie gut arbeiten, sollen sie eingestampft werden. - Das finde ich weder logisch noch sinnvoll.

(Beifall bei der SPD)

Die Kommunen haben keine eigene IT, sie haben nicht den Aktenbestand - der müsste komplett kopiert werden -, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fangen wieder von vorne an - jetzt, da sie in die einzelnen, immer sehr persönlichen Fälle eingearbeitet sind. Die Reibungsverluste möchte ich gar nicht benennen oder das zerstörte Know-how und den zusätzlichen Aufwand öffentlicher Gelder.

Wenn man sich das vor Augen führt, kann es, glaube ich, nur eine Schlussfolgerung hieraus geben - die Zeit ist eben wirklich knapp -: Wir brauchen so schnell wie

möglich die Umsetzung des Kompromisses, auch wenn er besser hätte sein mögen. Ja. Aber es gibt nur diesen einen Kompromiss, mit dem man die Hilfe aus einer Hand jetzt mit dieser Mehrheit organisieren kann. Alles, was nach der Bundestagswahl kommen wird, ist ungewiss. Wir wissen auch nicht, was dann überhaupt organisiert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Zudem liegt die Lösung ja bereits fertig auf dem Tisch und es steht Sachsen-Anhalt, glaube ich, gut zu Gesicht, wenn wir im Bundesrat unsere Position dazu deutlich machen. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal darum bitten und an Sie appellieren, möglicherweise, auch wenn wir die Unzulänglichkeiten dieser Lösung alle kennen und diese in jeder Kleinigkeit vortragen könnten, doch im Interesse der - jetzt hätte ich beinahe gesagt: der Verwaltung der Arbeitslosen; darum stocke ich so; das ist nämlich falsch -

(Zuruf von Herrn Dr. Eckert, DIE LINKE)

Organisation der Arbeitsverwaltung und der Hilfen aus einer Hand noch einmal zu überlegen, ob wir nicht vor der Bundestagswahl versuchen sollten, gemeinsam mit anderen Ländern eine Bundesratsinitiative in Angriff zu nehmen und damit einen nahtlosen Anschluss für die Hilfen aus einer Hand ab dem 1. Januar 2011 zu organisieren.

(Beifall bei der SPD und von der Regierungs- bank)

Vielen Dank für die Einführung, Frau Budde. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Gallert. Wollen Sie diese beantworten? - Bitte schön, Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Frau Budde, Sie können entscheiden, ob es eine Nachfrage oder eine Intervention ist.

(Frau Budde, SPD, lacht)