Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

(Herr Tullner, CDU: Horch!)

Wir sind jedenfalls der Auffassung, dass der Ausbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse das Ziel der Koalitionspolitik ist und dass Unternehmen ihre Beschäftigten stärker als bisher auffordern können, das, was sie zum Leben brauchen, über staatliche Subventionierungen zu erzielen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

In der DDR war oftmals von der zweiten Lohntüte die Rede, also staatlich garantierte Subventionen für den Kauf von Dingen des täglichen Bedarfs. Wohin das wirtschaftlich führte, haben wir vor 20 Jahren festgestellt.

Jetzt wird es ebenfalls immer mehr wirtschaftsfeindliche Realität, dass der Staat einspringen muss, um existenzsichernde Einkommen zu ermöglichen. Damit sollten wir Schluss machen.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Mit der Rede auch! - Weitere Zurufe von der CDU)

Sie können leicht feststellen, dass bezüglich des Themas Ostdeutschland nur vage Vorstellungen geäußert werden. Wir sind der Auffassung, dass Ostdeutschland und seine Entwicklungsperspektive strukturell vernach

lässigt werden. Es wird zwar davon gesprochen, eine weitgehende Angleichung der Lebensverhältnisse bis zum Jahr 2019 zu erreichen, aber die industriepolitischen Vorschläge dafür sind vage. Regionsspezifische Vorschläge sowie Vorschläge für strukturschwache Regionen in allen Bundesländern sind kaum im Koalitionsvertrag enthalten.

Das Problem bei der Bewertung des Vertrages ist, dass er in seiner Aussagekraft wirklich diffizil bleibt. Denn wie soll man einen Vertrag bewerten, der von einer politischen Mehrheit in Berlin beschlossen wurde, die aber offensichtlich nur eine Minderheit in der Gesellschaft aktiv vertritt?

CDU, FDP und CSU sind sich ihrer Mehrheit nicht sicher. Stützen können sie sich nur auf einen Anteil von etwa 48 % der Wählerinnen und Wähler in Deutschland und ein knappes Drittel der Wahlberechtigten. Über so wenig Rückhalt verfügte noch keine Bundesregierung bei Amtsantritt.

(Herr Gürth, CDU: Ihr würdet La-Ola-Wellen ma- chen, wenn ihr nur die Hälfte hättet!)

Der Bund betreibt nach unserer Auffassung eine Politik auf Kosten der Länder. Das Land reagiert aber auch nicht anders; es saniert sich auf Kosten der Kommunen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser waghalsigen Politik im Bund gilt es ein Stoppzeichen zu setzen. Denn das, was den oft zitierten Begriff „soziale Marktwirtschaft“ ausmacht, hat im Koalitionsvertrag bei tiefgründiger Analyse immer weniger mit „sozial“ und „Wirtschaft“ zu tun. Es hat nicht einmal mehr mit Marktwirtschaft zu tun. Der Begriff droht immer mehr Bestandteil einer Basarökonomie zu werden, nämlich Billiglohn und Billigleistung für viele und Höchstlohn und Höchstleistungen für wenige. Wir werden alles daransetzen, dass diese Strategie nicht aufgehen wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Dr. Thiel, es gibt eine Nachfrage von Herrn Franke. Wollen Sie diese beantworten?

Ja, gern.

Bitte schön, Herr Franke.

Herr Thiel, Sie haben in Ihrer Rede den Vergleich zur DDR gezogen. An dieser Stelle muss ich eine Frage stellen. Wir hatten zu DDR-Zeiten eine steuerliche Belastung der Unternehmen von 95 %.

(Oh! bei der LINKEN)

Ist das das Ziel Ihrer Politik, um damit die sozialen Leistungen zu finanzieren?

(Herr Gallert, DIE LINKE: 94 %, Herr Franke!)

Unsere Partei hat im Bundestagswahlprogramm klare Aussagen dazu getroffen. Das können Sie dort nach

lesen. Ich meinte mit meiner Aussage eigentlich etwas anderes. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es falsch ist, wenn der Staat versucht, in die Wirtschaft einzugreifen, indem er existenzsichernde Einkommen über Subventionen garantiert. Hier ist die Wirtschaft in die Verantwortung zu nehmen, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen mit ihrer Hände Arbeit genügend verdienen können. Das ist der Punkt.

(Starker Beifall bei der LINKEN)

Dies wollen wir eben nicht wieder haben. Wie gesagt, der Begriff „zweite Lohntüte“ war bekannt; die meisten kennen ihn noch. Wir wollen verhindern, dass die Arge oder die Arbeitsagentur sozusagen die zweite Lohntüte ausgibt. Das ist nicht unser Ziel.

(Beifall bei der LINKEN)

Das waren die Debattenbeiträge der Fraktionen. - Der Finanzminister Herr Bullerjahn hat an dieser Stelle um das Wort gebeten. Bitte schön.

(Oh! bei allen Fraktionen)

- Große Begeisterung.

Ja, die Fanclubs melden sich gleich, wenn ich nach vorn gehe. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich nicht gemeldet, wenn ich nicht Teilen des Parlaments gern eine Frage in die Mittagspause mitgeben würde. Das will ich auch gleich machen. Vorweg mache ich noch zwei, drei Bemerkungen.

Ich danke dem MP ausdrücklich. Ich kann jeden Satz unterstreichen. Ich danke der Fraktion, dass sie die Aktuelle Debatte beantragt hat.

Herr Scharf, nicht wegen Dresden. Die haben in Dresden ganz andere Sorgen. Ich glaube nicht, dass die mitkriegen, dass wir hier gerade eine Debatte halten. Ich frage heute Abend gern nach, ob sie es bemerkt haben. Wenn ja, dann sollte es mich wundern. Ich glaube, bis Sonntag - -

(Zurufe)

- Ja, wenn die Probleme so klein wären, dass wir darüber reden müssten, wäre ich auch dankbar. Davon einmal abgesehen.

Aber zwei, drei Bemerkungen vorweg. Herr Scharf, Sie haben das Thema „Sozialstaat und Bildung“ angesprochen. Ich gehe darin mit Ihnen mit. Wir müssen einige Dinge klären, zum Beispiel Pflege, Gesundheit und vieles andere wie Arbeitskosten. Aber es steht eben die Frage: Wie löst man das? Ich glaube nicht, dass es dadurch gelöst wird, dass einige sogar noch gut dabei wegkommen.

Ich gebe Ihnen Recht: Es gibt im Moment nicht den Königsweg. Aber die Staaten, die das Modell Kopfpauschale oder das Umlegen auf die Einzelnen befürworten, nutzen mittlerweile auch die Steuerfinanzierung, indem sie den Spitzensteuersatz floaten lassen. Das heißt, da gibt es dann nicht gleichzeitig die Kappung bei denen, die viel verdienen, indem sie beim Spitzensteuersatz auch noch gut wegkommen. Darüber wird zu reden sein.

Am dollsten fand ich die Forderungen von Herrn Wolpert - er hat sie auch noch einmal verteidigt -: Steuern runter,

Abgaben runter, Ausgaben hoch. - So wie ich Mathematik mitbekommen habe, geht das nicht, Herr Wolpert. Das wissen Sie doch auch.

(Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

So viel Wachstum können wir in Deutschland gar nicht haben. Ich habe der CDU gut zugeschaut: So viel Begeisterung gab es nicht. Ich glaube, es gibt eine unheimliche Portion Realismus auch in Ihren Reihen. Ich glaube, ich habe noch nie eine Koalitionsvereinbarung erlebt, in der stand: Alles steht unter Haushaltsvorbehalt. Das steht meistens nur im Wahlprogramm. Es ist der am meisten gefürchtete Satz aller Politiker, wenn Finanzpolitiker sagen: Das muss noch sein.

Leute, lasst uns ehrlich bleiben. Wenn Frau Pieper herumläuft und sagt: „Wir wollen die Bildungsausgaben wesentlich erhöhen“, dann können nicht die Leute aus ein und derselben Partei herumlaufen und sagen: „Wir müssen die Steuern senken, bei den Abgaben müssen wir auch noch entlasten und das Ganze wird durch ein bisschen Wachstum aufgefangen“. Das ist schlichtweg gelogen. Das wissen alle Beteiligten.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Frau Dr. Hüs- kens, FDP)

Herr Scharf, Sie haben in einem Recht. Ich glaube, diesbezüglich müssen sich CDU und SPD auch etwas vorwerfen lassen.

Wir haben, so glaube ich, den Punkt überschritten, an dem das Steuersystem aufgrund der Entlastung einkommensstarker Schichten die Ausgaben nicht mehr tragen kann. Das müssen alle, auch die sozial Schwachen, mittragen. Das müssen wir alle, die das in den letzten Jahren getan haben, gemeinsam diskutieren. Ich denke, die SPD wird damit am Wochenende beginnen. Auch die CDU wird schauen müssen, inwieweit wir die Ausgaben, die steigen sollen, durch Einnahmen von denen decken können, die mit starken Schultern etwas dazu beitragen können.

Nun zu dem zentralen Punkt, den ich ursprünglich ansprechen wollte. Es gibt bei den einen, auch im Bundesrat, die Vehemenz, dass das gemacht werden sollte. Die anderen sind zurückhaltend. Keine der beiden Fraktionen hat gesagt, wie Sachsen-Anhalt mit den 70 Millionen € umgehen soll. Frau Budde hat es angesprochen. Die LINKEN haben es auch angesprochen. Ich will die Gelegenheit nutzen, um die Diskussion in den letzten Monaten aufzugreifen. Herr Tullner, jetzt kommt es auch auf Sie zu.

Die LINKEN haben mit Blick auf die Verschuldungsdiskussion gesagt, dies sei nicht ihr Thema. Das halte ich für falsch, aber es ist ihre Strategie. Damit muss ich umgehen. Die SPD hat gesagt, okay, es sei ein Vorschlag des Finanzministers, aber dann müsse es auch gut sein. Herr Tullner, in der CDU gab es Leute, die gesagt haben, das Weichei dort vorn. Heute früh habe ich gelesen, dass das Weichei zur Kenntnis nehmen muss, dass die anderen Weicheier in den Fachausschüssen jämmerlich einbrechen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht bei den Hochschulen, beim Wasserpfennig und allem anderen nicht hoch genug. Ich sage: Das ist Ihr gutes Recht. Das Parlament ist Herr des Verfahrens. Aber ich bitte Sie dann auch mitzudiskutieren, wie die 70 Millionen €, über die wir hier reden, auch noch zu

schultern sind. So viel kann ich von allen Beteiligten verlangen - von der CDU und erst recht von der FDP.

Herr Wolpert, Sie haben, glaube ich, nicht einen einzigen Satz dazu gesagt, wie Sachsen-Anhalt mit diesen Mindereinnahmen in den Jahren 2010 und 2011 umgehen soll. So viel Ehrlichkeit kann ich von allen Beteiligten erwarten. Sie wissen das auch. Ich schätze Sie. Aber wer hier nach vorn geht und vehement den Wahlsieg feiert