Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

Sehr freundlich, Herr Scharf. Herzlichen Dank für Ihren Beitrag. - Wir kommen jetzt zum Debattenbeitrag der Fraktion DIE LINKE. Herr Dr. Thiel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte leicht der Versuchung erliegen, mit den Worten zu beginnen, mit denen Herr Scharf aufgehört hat, nämlich zu sagen: Die Zeit reicht nicht aus, um den Koalitionsvertrag angemessen zu bewerten. Aber ich glaube, dass man in zehn Minuten schon wesentliche Dinge darüber sagen kann, wie die neue Regierung in Berlin agieren wird und welche konkreten Auswirkungen das auf das Land Sachsen-Anhalt hat.

(Zuruf von der CDU: Wohlstand für viele!)

Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag:

„Herkunft darf nicht über Zukunft entscheiden. Alle Menschen in unserem Land sollen die Chance auf wirtschaftlichen Erfolg, sozialen Zusammenhalt und ein Leben in Freiheit und Sicherheit haben. Deswegen steht der Mensch im Mittelpunkt unserer Politik.“

Das sind sehr hohe Ansprüche. Dazu kann man durchaus Bewertungen vornehmen in die Richtung: Wie wird man diesem Anspruch mit den konkreten Vorhaben des Vertrages gerecht? Dazu gibt es vieles zu sagen und darin haben meine Vorredner völlig Recht.

Nun zu Ihrer Bemerkung, Herr Wolpert. Ich halte es immer für problematisch, wenn führende Parteien von chancenlosen Alternativen sprechen. Es gibt immer Alternativen, über die man diskutieren muss. Ich werde versuchen, in meiner Rede auf einige hinzuweisen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn man eine generelle Bewertung des Vertrages versucht, dann kann man sagen: Die neue Regierung setzt auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft und auf starkes Wachstum, nicht jedoch auf eine solidarische Gesellschaft und auf die Bürgerinnen und Bürger. Die Koalition gibt keine neuen Antworten auf die aktuellen Probleme, mit denen die Gesellschaft und die Wirtschaft durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise kon

frontiert werden. Sie unternimmt nicht einmal den Versuch, über die Ursachen zu sprechen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Allen, die auf abhängige Erwerbsarbeit angewiesen sind, verspricht die Koalition mindestens zwölf Monate Schonzeit. Die krisenbedingten Löcher in den Sozialkassen werden durch die Aufnahme neuer Schulden gestopft. Von der angekündigten Steuerreform sollen auch die Beschäftigten mit niedrigem und mittlerem Einkommen etwas haben - aber es ist absehbar, dass die Belastungen später als höhere Beiträge für Gesundheit und Pflege und als höhere Gebühren für kommunale Dienste kommen werden.

Finanziert werden Steuerentlastungen für Durchschnittsverdiener in der Krise eben nicht durch höhere Steuereinnahmen an anderer Stelle, sondern auf Pump. Diese Koalition tut das, was seit der Kohl-Regierung ein Markenzeichen liberal-konservativer Politik ist: Sie flieht in die Neuverschuldung, und zwar ohne eine entsprechende Wirtschaftskraftstärkung und ohne Nachhaltigkeit zu entwickeln. Das hat wirklich keinen Neuigkeitswert.

Wir sind der Meinung, dass durch die neue Nettokreditaufnahme keine zusätzlichen Werte geschaffen werden, wie das bei öffentlichen Investitionsprogrammen der Fall wäre. Die Neuverschuldung dient allein der Umverteilung. Sie muss später von allen Steuerzahlern getilgt werden, und dann zahlen eben auch alle - auch über die Umsatzsteuer und andere Steuern, die nicht auf Einkommen erhoben werden. Diese Steuersenkungen auf Pump schaffen gerade unter dem Vorzeichen der Schuldenbremse die Sachzwänge für den Sozialabbau von morgen und übermorgen, und die Umverteilung von unten nach oben geht weiter.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von der CDU)

Im Bereich der Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik vermittelt der Koalitionsvertrag lauter Déjà-vu-Erlebnisse, nämlich die Rückkehr der längst als überholt geltenden Schmalspurökonomie, wonach Steuersenkungen und weniger Regeln zum Zwecke des Allgemeinwohls wundertätig Wachstum und Wohlstand hervorbringen.

(Zuruf von der CDU)

Wer das noch glaubt, der tut mir leid. Das haben wir bereits im Jahr 2002 gesehen, als die groß angekündigten Unternehmenssteuerreformen stattgefunden haben: Anstatt in die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens zu investieren, haben die Großkonzerne das Geld vorrangig genutzt, um kräftig an der Börse zu spekulieren.

(Zurufe von der CDU: Das war Rot-Grün! - Die konnten das!)

Des Weiteren ist festzustellen, dass diejenigen, die die Schuldenbremse am vehementesten gefordert haben, nämlich die CDU/CSU und die FDP, jetzt eine Politik betreiben, die die Grundlagen dieser Entscheidung total beseitigt. Deshalb kommt es darauf an, die vermeintlich für Sachsen-Anhalt segensreichen Steuergeschenke aus Berlin zu verhindern und eine sozial gerechte Besteuerung durchzusetzen und, solange dies nicht Realität ist, die Schuldenbremse aufzuheben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir fordern daher die Regierung auf, im Bundesrat gegen diese Steuersenkungen zu stimmen und sich damit

der unsozialen Umverteilungspolitik des Bundes zu verweigern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Ernsthaftigkeit der Position des Ministerpräsidenten wird sich darin erweisen, wie weit er seinen Einfluss in seiner eigenen Partei, der CDU, geltend machen kann, um für Sachsen-Anhalt diese sozialen Verwerfungen zu verhindern. Genau an diesem Punkt erwarten wir von Ihnen, Herr Ministerpräsident, eine klare Stellungnahme und Durchhaltevermögen, um den Fantastereien in der Steuerpolitik ein Ende zu setzen.

(Zuruf von der CDU: Haben Sie daran Zweifel?)

Denn die Auswirkungen auf das Land sind offensichtlich. Die Länder tragen die Steuermindereinnahmen, aber sie tragen sie an die Kommunen weiter. Insofern tut Schwarz-Gelb im Bund nichts anderes als Schwarz-Rot im Land: Der Schwarze Peter wird nach unten geschoben.

(Zustimmung bei der LINKEN - Oh! bei der CDU)

Und was tun die Kommunen? - Die Kommunen sind dann gezwungen, diese Belastungen an die Bürgerinnen und Bürger weiterzureichen. Für viele Wählerinnen und Wähler war die Nachricht über die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages durchaus erfreulich. Doch die Gegenfinanzierung wird auf Pump gemacht. Und was nützt es den Familien mit Kindern, wenn ihnen das zusätzliche Geld mit erhöhten Ausgaben für Kinderbetreuung, Gesundheitsvorsorge und Bildung wieder aus der Tasche gezogen wird?

DIE LINKE will keine Steuersenkungen auf Pump und schon gar keine Steuersenkungen für Besserverdienende und Großerben, wie es in dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz geplant ist.

(Unruhe bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Sie wol- len Steuererhöhungen!)

Wir wollen eine gerechte Besteuerung der Vermögen. Diese Mehreinnahmen brauchen wir dringend, um das weitere Auseinanderdriften unserer Gesellschaft zu verhindern.

(Zurufe von der CDU - Herr Gürth, CDU, hält ein Schild mit der Aufschrift „Stopp“ hoch)

Zum Thema Gesundheitspolitik. Dazu sind hier heute schon eine Menge Aussagen getroffen worden. Das, was uns Sorge bereitet, ist, dass das Gesundheitswesen durch die Gesundheitspolitik tatsächlich immer mehr zu einer Gesundheitswirtschaft verkommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zitat aus dem Koalitionsvertrag:

„Der Gesundheitsmarkt ist der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungssektor in Deutschland.“

Es kann doch wohl nicht sein, dass der Gesundheitsmarkt der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungssektor in Deutschland sein soll.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Ich glaube, es stehen andere Aufgaben vor uns. Eine ausreichende, auf das konkrete Krankheitsbild orientierte Versorgung wird sich wohl nur ein Teil der Kranken leisten können; denn es soll ja ein Markt werden,

(Herr Tullner, CDU: Ach du Gott!)

ein Markt mit Angebot und Nachfrage. Wer weniger nachfragen kann, der muss halt mit einem schlechten Angebot leben. Ich weiß nicht, ob das Wort ZweiKlassen-Medizin noch ausreicht, um die zu erwartenden Perspektiven zu beschreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE setzt dem deshalb das Modell der solidarischen Bürgerversicherung entgegen, in die alle einzahlen, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Versicherungsbeiträge je zur Hälfte tragen und in der sich die Aufwendungen nicht am Geldbeutel, sondern am Krankheitsbild des Patienten orientieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Über die Themen Mindestlohn, Arbeitsplatzsicherung und Mitbestimmung ist in diesem Landtag schon oft diskutiert worden. Wir finden es bedenklich, dass diese wichtigen Fragen nur beiläufig am Rande erwähnt werden. Um die Mitbestimmung ging es nur ein einziges Mal. Um die Gewerkschaften geht es nur im Zusammenhang mit dem Ausbildungspakt für Jugend.

Wir denken, dass hier auf jeden Fall entsprechende Regelungen vereinbart worden sind, an denen erkennbar wird, dass diese Regierung eben nicht für einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen steht. Vielmehr hat sie das Primat der Politik in der Gesellschaft zugunsten der Privatinteressen von Einzelnen aufgegeben.

(Herr Tullner, CDU: Ach!)

Es bedarf nicht der Wirtschaftsweisen, um zu erkennen, an welchen Problemen die Wirtschaft des Landes krankt und wo gerade kleine und mittelständische Unternehmen Probleme haben.

Es mangelt an Aufträgen. Es mangelt am sicheren Zugang zu notwendigen Kreditlinien. Es mangelt im Land an Kaufkraft, bedingt durch die oftmals nicht leistungsgerechten Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dass sich das Land Sachsen-Anhalt auch polarisierend in die Richtung eines Billiglohnlandes bewegt, beklagen eben nicht nur Arbeitnehmer; das stellen in wachsendem Maße auch Unternehmerkreise fest.

(Herr Tullner, CDU: Horch!)