- Doch. - Stellen Sie sich einmal vor, Sie arbeiteten den ganzen Tag als Minister, könnten aber davon nicht leben. Dass jemand, der 40 Stunden pro Woche arbeitet,
von dem Verdienst aus dieser Tätigkeit seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, das ist doch das eigentliche Problem. Das hat mit Tarifautonomie und so etwas überhaupt nichts zu tun. Ich muss ehrlich sagen: Ihre Argumente haben mich nicht überzeugt.
Nur eine ganz kurze Reaktion darauf, weil es eigentlich keine Frage war. Mir ist schon bewusst, was es bedeutet, arbeitslos oder langzeitarbeitslos zu sein. Mir sind diese Einkommensstrukturen aus meinem persönlichen familiären Umfeld sehr gut bekannt - davon können Sie ausgehen. Aber ich habe in den 16 Jahren Berufserfahrung eines erlebt: Das positive Wollen, diesen Menschen zu helfen und sie in einen anderen Status zu versetzen, und die realen Möglichkeiten einer offenen Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Struktur klaffen zuweilen so weit auseinander, dass man mit dem gutem Willen manchmal Schlechteres bewirkt, als wenn man realistisch herangeht und versucht, diesen Menschen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Gerade das Einstiegsgeld hat gezeigt, dass wir in den letzten zwölf Monaten im Niedriglohnbereich für 3 500 Menschen einen Job organisiert haben.
2 200 weitere sind noch drin. Mehr als 1 000 Personen sind aus diesem System schon wieder in andere, besser bezahlte Beschäftigungsverhältnisse integrierbar gewesen.
Das heißt, wir müssen realistisch sehen, welche Chancen und Möglichkeiten wir letztlich für bestimmte Personengruppen eröffnen müssen, die, mit Mehrfachvermittlungshemmnissen durch die Langzeitarbeitslosigkeit geprägt, versuchen wollen, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Wir dürfen diese Menschen nicht außen vor lassen.
Herr Minister, Sie haben soeben in dankenswerter Klarheit ein Plädoyer gegen Mindestlöhne gehalten. Es bleibt bei mir eine Verwunderung. Deshalb meine Frage. In der Vergangenheit hat die Landesregierung, insbesondere der Ministerpräsident, unter bestimmten Umständen - zumindest habe ich es so verstanden - Mindestlöhne befürwortet. Auch Sie haben sich einmal entsprechend geäußert. Könnten Sie noch einmal kurz erläutern, welche Umstände das konkret sind und was Sie damit gemeint haben?
Herr Paqué, Sie wissen - Sie verwenden den Begriff „Mindestlohn“ jetzt genauso unscharf -, dass der Begriff mehrfach besetzt ist. Der Begriff „Mindestlohn“ kann im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz, mit den allgemeinen Bundesgesetzlichkeiten und auch mit Tarifverträgen usw. geführt werden.
Wir plädieren eindeutig dafür, dass die Tarifpartner im Rahmen der Tarifautonomie einen Mindestlohn definie
ren. Das tun sie schon und das tun sie vor den realen Markthintergründen auch vernünftig, denke ich. Ich möchte nicht bestreiten, dass in verschiedenen Bereichen, etwa im Zusammenhang mit der Grundsicherung und dem Abstandsgebot, noch Handlungsbedarf besteht.
Die andere Sache ist - das ist das Problem, das auch Sie zur Kenntnis nehmen müssen -: Wir haben mit dem SGB II inzwischen ein Grundsicherungssystem, das es in dieser Komplexität und in dieser Ausweitung bisher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat und dessen Auswirkungen wir zurzeit gerade erst versuchen zu analysieren.
Wir wissen, dass der Bundesfinanzminister kaum in der Lage ist zu prognostizieren, welche Beträge man für Herrn Müntefering bzw. für die Kommunen bei den Kosten für die Unterkunft einstellen muss, weil dort Mechanismen der Findung von Bedarfsgemeinschaften bzw. der eigenen Einnahmemaximierung, die für die entsprechenden Leistungsempfänger legitim ist, ablaufen, bei denen diejenigen, die dieses Gesetzeswerk in Gang gesetzt haben, überhaupt nicht in der Lage waren, das zu prognostizieren. Das heißt, wir müssen das ganz klar beobachten.
In diesem Zusammenhang ist uns dieses Instrument Kombilohn, Einstiegsgeld an die Hand gegeben worden. Dazu sage ich aus der praktischen Erfahrung heraus ganz klar, dass es durchaus gute Gründe dafür geben kann, auch über das Thema „Mindestlohn“ - das ist für mich kein tabuisiertes Wort - vonseiten des Staates zu sprechen, wenn es darum geht, die eigenen Zuschussgrößen, die in einem Bundeshaushalt verankert werden müssen, entsprechend zu justieren. Denn es kann bei einem realen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nicht sein, dass wir in Sachsen-Anhalt, wo wir 225 000 Arbeitslose und rund 10 000 offene Stellen haben, von den Arbeitgebern Löhne angeboten bekommen, die so weit unterhalb der Grundsicherungsschwelle liegen, dass faktisch der Staat den gesamten Lohn zu übernehmen hat. Ich denke, in diesen Bereichen ist es legitim, unter dem Begriff „Mindestlohn“ über eine Grenze nachzudenken, die bedeutet, ein existenzsicherndes Einkommen zu schaffen, Anreizsysteme zu organisieren und trotzdem den Bundesfinanzminister vor dem haushaltsmäßigen Chaos zu bewahren.
Vielen Dank für die Fragen und auch für die umfangreiche Beantwortung, Herr Minister. - Wir setzen die Debatte jetzt mit dem Redebeitrag der SPD fort. Frau Budde, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Ziel in der Debatte um den Mindestlohn ist, dass der Grundsatz gelten muss: Wer einen Vollzeitjob hat, muss auch einen vollen Lohn bekommen und von dem muss er seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Das müssen der Grundsatz und das Ziel in der Diskussion sein.
Die Diskussion über die Wege und der Austausch der Argumente werden noch eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Das Ziel muss aber das sein, das ich eben genannt habe.
Das zweite Ziel ist, dass derjenige, der in Vollzeit arbeitet, dafür auch einen Lohn erhalten muss, der oberhalb der Armutsgrenze liegt. Das müssen wir uns in Deutschland doch als Ziel setzen können.
Darüber, ob das in bestimmten Bereichen über den Kombilohn, den Einstieglohn für eine bestimmte Klientel geht und in anderen Bereichen über eine tarifliche Regelung, können wir diskutieren. Auch über die Frage, welche Argumente dazu vorgebracht werden können und wie man dies gestalten muss, können wir diskutieren. Aber in Bezug auf dieses Ziel sind wir uns - das hoffe ich - einig; denn ich glaube, diesen Grundsatz nehmen wir für uns alle hier im Raum in Anspruch und den sollte man auch jedem zugestehen, der einen Vollzeitjob hat.
Ich bin fest davon überzeugt, dass dies nicht nur eine zentrale Frage von sozialer Gerechtigkeit ist, sondern dass dies auch ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft ist. Wenn wir über Lohndumping sprechen, dann muss auch das Thema „Mindestlohn“ angefasst werden.
Ein Vertreter eines größeren Fleisch- und Wurstwarenherstellers in Halberstadt hat vor Kurzem zu Herrn Miesterfeldt gesagt: Ja, ich bin für Mindestlöhne, wenn es für alle verpflichtend ist und sich niemand herausstehlen kann. - Genau das ist der Grundsatz.
Das ist auch ein Ansatz für uns, Lohndumping nach unten zu verhindern. Das kommt dann sowohl Beschäftigten als auch Unternehmen und den öffentlichen Haushalten zugute. Deshalb ist es aus meiner Sicht in der Tat auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft.
Um dem Argument entgegenzutreten, wir trieben mit den Mindestlöhnen bestimmte Branchen aus dem Land, möchte ich Folgendes sagen: Wenn man sich ansieht, in welchen Branchen Niedriglöhne zuvorderst gezahlt werden, dann stellt man fest, dass es mit einem Anteil von 93 % beim Frisörgewerbe anfängt und mit einem Anteil von 30 % bei den Zahntechnikern aufhört. Dazu gehören außerdem die Floristen, die Wäscher, die Kellner, die Reinigungskräfte, Landarbeitskräfte, Näher, Apothekenhelfer, Sprechstundenhelfer, Köche, Wächter, Aufseher, Verkäufer, Kassierer und Konditoren. Diese Branchen treiben wir nicht aus dem Land. Möglicherweise müssen wir alle 1 Cent mehr für das Brötchen bezahlen,
Deshalb sage ich: In der SPD gab es auch viele Diskussionen über das Für und Wider, für Mindestlöhne, gegen Mindestlöhne, gesetzliche, keine gesetzlichen. Ich halte die Einigung, die auf der Bundesebene in den letzten Tagen erreicht worden ist, für einen sehr vernünftigen Vorschlag. Er orientiert sich an der speziellen deutschen Situation, dass es in der Regel Tariflöhne geben sollte. Der tarifliche Lohn steht also an erster Stelle. Er wird ausgehandelt. Das Entsendegesetz kann und muss natürlich helfen, um nicht nur die nationale Billiglohnkonkurrenz, sondern auch die internationale möglichst auszugrenzen.
Das ist das Ziel und das ist richtig. Was im Baugewerbe richtig ist, was jetzt für die Gebäudereiniger gilt, muss auch für andere Branchen gelten, in denen die Gefahr besteht, dass unsere eigenen Unternehmen von Unternehmen unterboten werden, die mit Billiglohnarbeitern aus dem europäischen Ausland arbeiten. Unsere eigenen Unternehmen müssen wieder die Chance haben, die Aufträge zu bekommen.
Das ist ein Stück der Wahrheit, wenn wir über Mindestlöhne reden. Ich glaube, bei diesem Argument treffen wir uns auch mit den Arbeitgebern. Im Arbeitgeberlager gibt es natürlich erst einmal eine große ideologische Ablehnung. Aber wenn man zum Beispiel in das regionale Handwerk geht, bekommt man mit einem Mal eine sehr differenzierte Zustimmung.
Das haben wir im Übrigen auch - das ist ein Wort, das zugegebenermaßen nicht von allen hier in diesem Hause gern gehört wird - bei der damaligen Aufstellung des Tariftreuegesetzes erlebt. Es gab viele Innungen, die von sich aus gesagt haben: Ja, wenn das für alle gilt, dann machen wir das, weil wir endlich nicht mehr unterboten werden können und weil sich auch die öffentliche Hand daran halten und uns vernünftige, auskömmliche Preise zahlen muss. Das gehört auch in diese Diskussion.
Ich finde es auch richtig, dass wir, wenn es nicht die Möglichkeit gibt, alles über tarifliche Regelungen abzudecken, über einen gesetzlichen Mindestlohn reden. Dabei hat die Politik die Grundsatzentscheidung zu treffen, aber nicht zu sagen, wie hoch der Mindestlohn sein soll.
Dabei will ich sagen, dass mir die tarifliche Auseinandersetzung und die tarifliche Findung lieber ist. Die Low Pay Commission, die es in Großbritannien gibt, ist, denke ich, von der Zusammensetzung her in Ordnung. Sie ist ausgewogen. Inzwischen hat man dort die Situation erreicht, dass sich die Arbeitgeber nicht mehr nach unten gegenseitig Konkurrenz machen, sondern dass sie gegenseitig auch darauf achten, dass alle das festgelegte Niveau bezahlen. Das ist, denke ich, das Ziel.
Wenn es tarifliche Abschlüsse gibt, die bei 3, 4 oder 5 € liegen, dann ist das zwar so, aber man muss es doch nicht gut finden, dass unter dem Druck der Verhältnisse diese Löhne gezahlt werden.
Dann ist es doch besser - die gesellschaftliche Diskussion ist, glaube ich, auch ein Stück weitergegangen -, gemeinsam daran zu arbeiten, dass dort eben höhere Löhne bezahlt werden und nicht die niedrigen Löhne, bei denen wir als Staat auch immer etwas obendrauf legen müssen. Das gehört auch zur Wahrheit.
Wenn wie in Frankreich ungefähr 1 % des Bruttoinlandsprodukts trotz Mindestlöhnen, weil es nämlich andere Sozialsysteme gibt - darin haben Sie Recht, Herr Gürth -, für die Zusubventionierung draufgehen, können wir es uns in der gegenwärtigen Situation der öffentlichen Haushalte nicht wirklich leisten, das für eine flächendeckende Subventionierung von Kombilohn- und Einstiegsmodellen einzusetzen.
Deshalb plädiere ich dafür, dass diese wirklich auf eine bestimmte Klientel zugeschnitten eingeführt werden. Ich verteufle sie nicht. Ich finde sie richtig als einen Beitrag zur Lösung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt, aber für eine grundsätzliche Lösung des Problems der Mindestlöhne eignen sie sich aus meiner Sicht nicht.
Ich finde es gut, dass es auch bei unserem Koalitionspartner differenzierte Aussagen dazu gibt. Der Ministerpräsident und auch der Fraktionsvorsitzende Herr Scharf haben sich positiv dazu geäußert. Ich finde es gut, dass diese Diskussion stattfindet. Das ist auch bei uns nicht unumstritten. Wer das sagt, redet Unsinn.