Ich finde es gut, dass es auch bei unserem Koalitionspartner differenzierte Aussagen dazu gibt. Der Ministerpräsident und auch der Fraktionsvorsitzende Herr Scharf haben sich positiv dazu geäußert. Ich finde es gut, dass diese Diskussion stattfindet. Das ist auch bei uns nicht unumstritten. Wer das sagt, redet Unsinn.
Natürlich stimmt es, dass man über das Thema Arbeitskosten reden muss, Herr Minister. Das ist richtig. Man muss nicht nur über Löhne, sondern man muss auch über Arbeitskosten reden, weil das deutsche System nicht mit den Systemen anderer Länder vergleichbar ist. Aber das ist doch kein Totschlagargument dergestalt, dass man verschweigen muss, dass Löhne von 3, 4, 5 € wirklich fast sittenwidrig sind. Das ist nämlich pure Ausbeutung für diejenigen, die möglicherweise dafür 40 Stunden in der Woche arbeiten müssen.
Ich will noch ein erschreckendes Beispiel bringen. Wir orientieren uns, wenn es um das Thema Bildungspolitik, um Hochschulen, um Zugang zu Hochschulen, um die Studierendenquote geht, an den OECD-Richtlinien und an den Erkenntnissen der OECD. Dort gibt es so etwas auch für den Mindestlohn. Die OECD gibt einen so genannten Medianlohn vor. Dabei liegt die Grenze der Geringverdiener bei den Kosten, die es in Deutschland gibt, bei 9,78 €. Darüber reden wir alle nicht, wenn wir über den gesetzlichen Mindestlohn reden. Ich will das nur für den Hinterkopf sagen. Bei dem, was hochgerechnet wird bei bestehenden Sozialsystemen, bei der Unterstützung durch den Staat auf der einen und bei den Lebenskosten auf der anderen Seite, liegt die Grenze, die die OECD ausrechnet, bei 9,78 €. Wir müssen das zumindest im Hinterkopf behalten, wenn wir über eine größere Gerechtigkeit in der Entlohnung und in der Gesellschaft reden wollen.
Herr Minister, wir haben am vergangenen Dienstag in der Fraktion schon über dieses Thema geredet. Ich finde es gut, dass Sie sich der Diskussion stellen. Ich glaube auch, dass es bestimmte Schnittmengen gibt. Vor allen Dingen bin ich dafür dankbar, dass wir, anders als im Wahlkampf, die Möglichkeit haben, alle Argumente sachlich abzuwägen, das Lohnargument, das Arbeitskostenargument, die Sozialsysteme, die es in Deutschland gibt, und dass wir dann, hoffe ich, mit einer breiten, überparteilich zumindest von den großen Fraktionen getragenen Auffassung vom Grundsatz her kommen, dass wir in Deutschland zu einer gerechteren Entlohnung kommen müssen. Das muss in einem Staat wie dem un
seren möglich sein. In dieser Hinsicht dürfen wir wirklich nicht hinter anderen Staaten zurückbleiben.
Es ist wirklich erschreckend, was sich im Niedriglohnsektor abspielt. Meine Damen und Herren! Das ist jetzt kein moralisches Element, aber wenn man darüber redet, muss man tatsächlich ab und zu darüber nachdenken, ob man zu diesen Bedingungen arbeiten wollte. Ich glaube, da sagen wir alle Nein.
Man kann die Jobs, die ausgeführt werden, nicht miteinander vergleichen, natürlich nicht. Um sich aber in der Diskussion nicht selber zu sehr von ideologischen Argumenten drängen zu lassen und für sich selbst einen Abwägungsprozess hinzubekommen, ist es, glaube ich, ganz gut, ab und zu darüber nachzudenken.
Vielen Dank, Frau Budde, für Ihren Beitrag. - Sie haben eine kurze Nachfrage von Herrn Professor Dr. Paqué zugelassen.
Frau Budde, Sie haben gesagt, dass Löhne im Bereich von 4 € aus Ihrer Sicht sittenwidrig seien. Gilt das auch, wenn sie von Tarifpartnern, wie zum Beispiel im Frisörhandwerk, wo die Löhne in dieser Größenordnung liegen, auf völlig freiwilliger Basis unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Branche abgeschlossen werden?
Die Gewerkschaft hat nicht mehr aushandeln können, aber dass sie diese Löhne gut findet, steht doch überhaupt nicht zur Debatte. Ja, ich finde, dass die Leute in diesen Branchen unterbezahlt sind, Herr Dr. Paqué.
Ich finde, die Menschen in diesen Branchen sind unterbezahlt. Ich finde es nicht gut, dass es so niedrige Tarifabschlüsse gibt. Deshalb erkläre ich die Gewerkschaften nicht für sittenwidrig, wenn Sie mich dahin gehend gleich einvernehmen wollen. Das sind zwei unterschiedliche Argumentationslinien.
Frau Budde, es gibt noch eine Nachfrage von Herrn Professor Dr. Paqué. Er könnte das zwar in seinem jetzt folgenden Beitrag bringen, aber ich lasse die Frage noch zu.
Ich will noch einen Satz hinzufügen, bevor Sie mir die nächste Frage stellen oder das nächste Gegenargument bringen.
Ich erkläre auch nicht jeden für sittenwidrig, der möglicherweise für die Reinigungskraft, die er anstellt, 5 €, 6 € oder 7 € bezahlt, aber ich halte es für falsch. Das ist der Unterschied. Ich kann nicht gleich jeden für sittenwidrig erklären, aber vom Prinzip her halte ich dieses Vorgehen für falsch.
Herr Paqué, wollen Sie jetzt noch eine Frage stellen? Oder wollen Sie das nicht lieber in Ihrem Beitrag bringen? Letzteres wäre, glaube ich, wirkungsvoller. - Herzlich Dank, Frau Budde, für Ihren Beitrag.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann an den letzten Punkt anknüpfen. Es ist in der Tat nicht gut, glaube ich, wenn wir juristische Terminologien wie Sittenwidrigkeit, die einen tiefen ethischen Gehalt haben, in diesem Zusammenhang nennen. Im Tarifbereich werden Verträge von dazu autorisierten Tarifpartnern abgeschlossen, die unter Maßgabe der gesamten wirtschaftlichen Situation Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen haben wir zu respektieren.
Das ist die Grundlage der Tarifautonomie, auf der in Deutschland unser Sozial- und Wirtschaftssystem beruht, meine Damen und Herren. Ich halte es nicht für gut, in dieser Gutmenschen-Attitüde, die wir von der Linkspartei.PDS hinlänglich kennen und die Sie, Frau Budde, in diesem Punkt übernehmen, darüber zu sprechen.
Meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht wundern, dass die FDP-Fraktion eindeutig gegen die Einführung von Mindestlöhnen ist, und zwar in allen Varianten, die bisher in der ausgesprochen verwirrten öffentlichen Debatte zur Diskussion standen. Ich will auf die wichtigsten Varianten zu sprechen kommen.
Ich möchte zunächst zum klassischen gesetzlichen Mindestlohn etwas sagen, der die bisherige Debatte - zumindest am Anfang - weitgehend beherrscht hat. Der klassische gesetzliche Mindestlohn, völlig ohne Berücksichtigung von irgendwelchen tarifvertraglichen Einigungen, ist ein klassisches Instrument in den Ländern, die einen außerordentlich freien Arbeitsmarkt haben, mit wenig Restriktionen, was den Kündigungsschutz angeht, mit wenig Restriktionen, was die private Autonomie beim Abschluss von entsprechenden Verträgen anbetrifft, und in aller Regel einen sehr geringen Einfluss der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Irland und die Niederlande sind Beispiele dafür, die in diese Kategorie fallen.
Meine Damen und Herren! In diesen Ländern ist es keineswegs so, dass durch die hohen Mindestlöhne ein entsprechendes Beschäftigungswachstum erzielt wurde. Das ist kompletter Unsinn.
Die Vereinigten Staaten hatten zwar immer einen Mindestlohn, aber dieser Mindestlohn war gerade in den kritischen Wirtschaftsphasen der amerikanischen Geschichte sehr niedrig, sodass es gelang, Randgruppen der Gesellschaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist immer die große Leistung der amerikanischen Wirtschaft gewesen. Dass später, als die Arbeitslosigkeit gesunken ist, der Mindestlohn angepasst wurde, war die Folge des wirtschaftlichen Erfolges und nicht die Voraussetzung.
Genau das Gleiche finden wir in Großbritannien, meine Damen und Herren. Großbritannien hat heute eine Arbeitslosenquote von unter 5 %. Großbritannien hat aber erst in der Spätphase seines Beschäftigungswunders, das durch Deregulierung, niedrige Steuern und was sonst noch zu einem liberalen Programm gehört, geschaffen wurde, einen Mindestlohn eingeführt. Dieser Mindestlohn hat in der Tat - das zeigen empirische Studien - keine so starken Wirkungen gehabt. Aber ich sage Ihnen eines ganz klar: Wenn die englische Wirtschaft in einen Wachstumsrückstand gelangen sollte, die Beschäftigung deutlich sinkt und die Arbeitslosigkeit steigt, wird man es sich in Großbritannien noch einmal genau überlegen. Diese Situation ist aber im Moment nicht gegeben.
Die Sache ist ganz klar: Die Einführung eines Mindestlohns in diesen Ländern ist das klassische Ergebnis von schönem Wetter am Arbeitsmarkt. Wenn das der Fall ist, dann kann man das machen. Aber, meine Damen und Herren, in Deutschland können wir nicht von schönem Wetter am Arbeitsmarkt sprechen. Wir haben deutschlandweit eine Arbeitslosigkeit von 12 %. Wir haben eine Arbeitslosigkeit von fast 20 % in den mittel- und ostdeutschen Ländern. Diesbezüglich ist es völlig verantwortungslos, eine Mindestlohndebatte anzustoßen.
Meine Damen und Herren von der PDS, es ist natürlich purer Populismus, der damit betrieben wird. Man verteidigt die Interessen der Beschäftigten, aber man kümmert sich nicht um die Interessen der Arbeitslosen, die in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten.
(Herr Dr. Thiel, Linkspartei.PDS: Das ist Ihr Po- pulismus, Herr Paqué! Das machen wir eben ge- rade nicht! Hören Sie einmal zu, was wir sagen! - Zuruf von Herrn Gallert, Linkspartei.PDS)
Ich möchte mich bei dem zweiten Bereich der Mindestlöhne etwas kürzer fassen, als ich es eigentlich vorhatte; denn der Minister hat dankenswerterweise dazu schon sehr klare Ausführungen gemacht. Wir haben in Deutschland die Tarifautonomie. Diese Tarifautonomie ist, wenn man sich die Geschichte der Bundesrepublik anschaut, eine Grundsäule, auf der unser Sozialstaat steht. Diese Grundsäule darf nicht angetastet werden.
Die Grundfrage ist aber, inwieweit die Tarifautonomie dazu dienen darf, auch denen, die nicht am Arbeitsmarkt organisiert sind, irgendwelche Bedingungen vorzuschreiben, die nicht von den durch die Tarifpartner ausgehandelten Verträge abgedeckt werden. Auch die Tarifautonomie - das sage ich sehr deutlich - braucht ein gewisses Maß an Außenseiterkonkurrenz. Es kann nicht sein, dass wir die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durch die,
die nicht organisiert sind - seien es Arbeitgeber, seien es Arbeitnehmer -, einfach beseitigen. Es wäre im Übrigen verfassungswidrig, denn Artikel 9 Abs. 3 unseres Grundgesetzes sichert in aller Tragweite auch die negative Koalitionsfreiheit. Negative Koalitionsfreiheit heißt auch, Arbeitsverträge in freien Vertragswerken, wenn man in einem Arbeitsgeberverband oder in einer Gewerkschaft nicht gebunden sein will, abzuschließen.
Deshalb, meine Damen und Herren, laufen die Vorstellungen der SPD, die allerdings außerordentlich weich gespült von Frau Budde vorgetragen wurden und die von Herrn Müntefering in dankenswerter Klarheit in den letzten Vereinbarungen mit den Gewerkschaften ausgesprochen wurden, die diese Woche durch die Presse gingen, darauf hinaus, das Entsendegesetz per Verordnung sukzessive auf alle Branchen anzuwenden.
- Darüber kann ich mich nur wundern. Ich schaue einmal zu Herrn Rothe, Ihrem Rechtsexperten. Wenn man das macht, würde man erstens vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen, weil das Verfassungsgericht klar sagen wird: Artikel 9 des Grundgesetzes garantiert die Koalitionsfreiheit. Das wäre letztlich die völlige Aushöhlung der Koalitionsfreiheit. Man würde zweitens eine Arbeitslosigkeit produzieren,
die noch deutlich über der liegen würde, die wir bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes auf einem vernünftig niedrigen Niveau hätten.
- Frau Budde, das sind sehr differenzierte Löhne. Es gibt sehr hohe Löhne in bestimmten Branchen, zum Beispiel in der Metallverarbeitung, aber es gibt auch sehr niedrige Löhne, zum Beispiel im ernährungswirtschaftlichen Bereich. Das ist eine Struktur, die würde oktroyiert auf diejenigen, die nicht organisiert sind. Das wäre - das muss ich sehr deutlich sagen - das Ende des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt und auch in den Produktmärkten.