Protokoll der Sitzung vom 15.09.2006

Beratung

Bildung eines Beirates für nachhaltige Entwicklung beim Landtag von Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/237

Ich bitte Herrn Lüderitz, die Einbringung vorzunehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsbegriff ist, wie bereits in der Antragsbegründung dargestellt, für dieses Hohe Haus an sich kein Novum und fast am Ende der Landtagssitzung auch kein einfaches Unterfangen. Gegenüber der zweiten und dritten Legislaturperiode verflachte die aktuelle Debatte über eine nachhaltige Entwicklung Sachsen-Anhalts aber zusehends.

Keine Mehrheit fand sich vor vier Jahren für einen Antrag der Fraktion der SPD mit dem Ziel der Einberufung eines Rates für Zukunftsfähigkeit. Damit fehlte ein starkes Integrativ, sodass die auf der außerparlamentarischen Ebene und in den Ministerien durchaus vorhandenen Aktivitäten wenig auf das Parlament ausstrahlten. Das wird den Anforderungen, die ein nachhaltiger Poli

tikansatz stellen sollte, nur in unzureichender Art und Weise gerecht.

Gerade in diesen Tagen startet Sachsen-Anhalt eine Aktionswoche „Sieben Tage Zukunft“ im Rahmen der UNDekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“, bei deren Umsetzung sich verschiedene Akteure und Regionen sehr intensiv eingebracht haben. Wir begrüßen diese Form der Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsgedanken vor allem wegen der Teilnahme von zahlreichen jungen Menschen, halten aber die enge zeitliche Beschränkung und die thematische Begrenzung auf Umweltbildung für ausbaubedürftig.

Bezüglich der Einschränkung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ auf „Ökologie“ ist festzustellen, hier wird ein allgemeines Problem der öffentlichen Wahrnehmung in der jetzigen Zeit deutlich. Ursprünglich, meine Damen und Herren, stammte der Begriff „Nachhaltigkeit“ bekanntermaßen aus der Forstwirtschaft. Er wurde zwar in Sachsen um 1700 geprägt, aber in Sachsen-Anhalt erstmals vor ca. 250 Jahren durch den Oberforstmeister von Zanthier im Umfeld meiner Heimatstadt Ilsenburg umgesetzt.

Von Zanthier prägte bereits damals den Satz - ich zitiere -:

„Es ist gewiss, dass kein Mensch nur für sich, sondern auch für andere und für die Nachkommenschaft sorgen muss.“

Nachhaltigkeit wird in der Öffentlichkeit oder in der Politik selten dieser oder der komplexen Definition der UNKommission von 1987 gerecht. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird inzwischen in der aktuellen Politik zunehmend sinnentleert zur Floskel, um einseitig nackten ökonomischen Belangen gegen Erfordernisse des Umweltschutzes oder der sozialen Ausgewogenheiten ein kleines grünes Deckmäntelchen umzuhängen. Diese Feststellung ist übrigens in dem Bericht der so genannten Ökoweisen der Bundesrepublik Deutschland nachzulesen.

Es sei noch einmal daran erinnert, dass die beiden Hauptaspekte für eine nachhaltige Entwicklung durch die UN-Kommission 1987 wie folgt formuliert wurden: Erstens ging es um die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Armen weltweit und zweitens um das Verfolgen eines Entwicklungsmusters, dass die begrenzten Naturressourcen auch für künftige Generationen erhält.

Diese Definition wurde bekanntermaßen im Jahr 1992 von der Konferenz in Rio fortgeschrieben und wird heute so gern als „Magisches Dreieck der Nachhaltigkeit“ bezeichnet. Das so genannte Drei-Säulen-Konzept bezieht die nachhaltige Entwicklung seit dem Gipfeltreffen in Rio also nicht mehr nur auf den langfristigen Schutz der Umwelt und der Ressourcen, sondern es bezieht gleichermaßen auch die Verwirklichung sozialer sowie ökonomischer Ziele mit ein, und zwar in einem gleichseitigen Dreieck.

Die politische Ebene hat die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass sich die noch sehr ungleichen Schenkel dieses Nachhaltigkeitsdreiecks einander annähern. Nur wenn der gesellschaftliche Mainstream und die Gesetzgebung Pflöcke einschlagen, wird die Fahrt in Richtung der Nachhaltigkeit gehen können. So kann aus dem „Magischen Dreieck“ vielleicht einmal eine wirklich gleichseitige Nachhaltigkeitspyramide werden.

Vor diesem Hintergrund haben die beiden vom Landtag von Sachsen-Anhalt in der zweiten und in der dritten Le

gislaturperiode eingesetzten Enquetekommissionen „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“ eine weitere kontinuierliche Begleitung von Landespolitik angemahnt.

Wir vertreten die Auffassung, dass insbesondere die Legislative in der ganzen Breite ihrer Mitglieder alltäglich und viel bewusster ihr gesetzgeberisches Handeln an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten sollte, dass also eine Gesetzesfolgenabschätzung vorgenommen wird.

Wegen der Komplexität der Problematik halten wir eine unabhängige und kompetente fachliche Unterstützung des Parlaments und der Parlamentarier durch einen Nachhaltigkeitsbeirat beim Landtag für zwingend erforderlich und zielführend. Wie in der Antragsbegründung nachzulesen ist, möchten wir dabei nicht zuletzt auf die guten Erfahrungen des Deutschen Bundestages in dessen 15. und 16. Legislaturperiode verweisen.

Dieser Parlamentarische Beirat für Nachhaltige Entwicklung beim Deutschen Bundestag wurde übrigens trotz vielfältiger anderer Beratungsgremien der Bundesregierung als ein ausschließlich den Bundestag begleitendes Gremium selbst gebildet, und zwar auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnis 90/Die Grünen.

Um die Aufgaben eines solchen Beirates näher zu beschreiben, möchte ich aus dem Beschlusstext des Deutschen Bundestages Folgendes zitieren:

„Angesichts der Herausforderungen der Globalisierung“

- das kann man dort nachlesen -

„kommt es darauf an, dass sich der Deutsche Bundestag zu einer nachhaltigen Entwicklung bekennt. Die Dringlichkeit einer nachhaltigen Entwicklung in allen Politikbereichen wird immer deutlicher und benötigt eine angemessene parlamentarische Begleitung.

Das zentrale Merkmal eines parlamentarischen Gremiums zur Nachhaltigkeit besteht darin, dass es über die Grenzen der Fachausschüsse hinweg insbesondere die Langfristigkeit politischer Entscheidungen und ihre Auswirkungen auf zukünftige Generationen im Auge hat. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung kann somit Anwalt langfristiger Verantwortung im politischen Geschehen sein und Politik für kommende Generationen strukturieren. Der gesellschaftliche Dialog auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung muss von Politik und Öffentlichkeit als eine grundlegende Aufgabe der gemeinsamen Zukunftsgestaltung verstanden werden.“

Dem ist eigentlich nicht viel hinzuzufügen. Aber vielleicht noch ein weiteres Zitat. Es stammt aus Ihrer Koalitionsvereinbarung, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD. Darin steht zum Thema Nachhaltigkeit Folgendes - ich zitiere -:

„Sachsen-Anhalt braucht eine Nachhaltigkeitsstrategie in allen Politikbereichen. Die Aktivitäten für eine nachhaltige Entwicklung sind Chance und Grundlage für eine selbsttragende zukunftsfähige Entwicklung in den Kommunen und Regionen. Sie dienen der Bestimmung von Entwicklungszielen, der Lösung von Problemen und kreieren Maßnahmen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt.“

Lassen Sie uns doch deshalb ebenfalls einen Nachhaltigkeitsbeirat kreieren. Einer breiten Zustimmung zum Vorschlag der Bildung eines solchen Gremiums dürfte in diesem Hohen Hause eigentlich nichts im Wege stehen.

Es gibt diesbezüglich vielleicht die Hürde, dass unsere Geschäftsordnung ein solches Gremium nicht kennt und somit auch nicht näher definiert. Interessanterweise kennt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ebenfalls kein solches Gremium. Dort ermöglicht allein die Beschlusslage ein solches aktives Agieren des Beirates.

Um eventuelle Streitigkeiten auszuschließen, schlagen wir vor, dass der Ältestenrat, falls doch eine Änderung des Geschäftsordnung notwendig werden sollte, damit beauftragt wird, diese vorzubereiten und dem Landtag zeitnah einen Änderungsvorschlag vorzulegen.

Da es sich bei dem Nachhaltigkeitsbeirat nicht um ein aus Abgeordneten besetztes Gremium handeln soll, verweisen wir unter Punkt 3 unseres Antrages auf die fünf wesentlichen Aufgaben, die durch diesen wahrgenommen werden sollten. Der Beirat soll danach Prüforgan im Sinne von Nachhaltigkeitsrelevanz der Landespolitik sein. Er soll Empfehlungsorgan für die Landespolitik sein und soll den Dialog zwischen Politik und Gesellschaft fördern. Um diese Funktionen erfüllen zu können, muss es dem Beirat möglich sein, möglichst ungebunden zu agieren und sich seine Schwerpunkte auch selbst zu wählen. Damit diese Zielorientierung für den Landtag nachvollziehbar erfolgt, wird eine zweijährige Berichtspflicht in diesem Hohen Hause vorgeschlagen.

Eine weitere Hürde stellt die Einbeziehung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens dar. Unsere Geschäftsordnung lässt eine solche Einbeziehung gemäß § 7 nur für Enquetekommissionen zu. Demnach können auch nur maximal fünf Sachverständige des öffentlichen Lebens hinzugezogen werden. Wir meinen, dies würde der Aufgabenstellung eines solchen Gremiums nicht gerecht werden.

Wir schlagen deshalb zwei Varianten vor. Man könnte sich an dem Rat für Zukunftsfähigkeit orientieren und zwölf Sachverständige des öffentlichen Lebens benennen oder man wählt eine Mischform mit acht Sachverständigen und jeweils einem Vertreter der Fraktionen. Die Personen sollten durch die Fraktionen nach dem Rangmaßzahlverfahren für dieses Gremium benannt werden. Die letzte Entscheidung zu diesen technischen Details sollte aber dem Ältestenrat vorbehalten bleiben. Dazu ist deshalb in dem Beschlusstext nichts enthalten.

Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt auch vor dem der mahnenden Worte, die die Redner auf der Fachtagung zu der Aktionswoche am Mittwoch geäußert haben, bitte ich dieses Hohe Haus um Zustimmung zu unserem Antrag hinsichtlich eines solchen Nachhaltigkeitsbeirats. - Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Lüderitz. Möchten Sie eine Frage von Herrn Franke beantworten? - Bitte schön.

Der Parlamentarische Beirat für Nachhaltigkeit im Bundestag ist mit Abgeordneten des Bundestages besetzt.

Habe ich richtig verstanden, dass das im Landtag externe Berater sein sollen?

Vielen Dank. - Nun kommen die Beiträge der Fraktionen. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir gedacht, so eine Gelegenheit darf man sich nicht entgehen lassen, noch dazu, wenn man weiß, dass die SPD vor vier Jahren, nach der verlorenen Landtagswahl 2002, genau so einen Antrag gestellt hat. Die damalige Begründung von Peter Oleikiewitz war so ähnlich wie die von Herrn Lüderitz eben. Damit haben wir uns als SPD einen Storch gebraten, wie man so sagt. So ist das, wenn man einige Jahre später auf der Regierungsbank sitzt und sich schwer tut, auf einmal Anträge abzulehnen, die man einmal selbst gestellt hat.

(Zuruf von Herrn Dr. Köck, Linkspartei.PDS)

Überzeugungen sollten nachhaltig sein und man sollte nicht bei jedem Sturm einknicken. Das ist sicherlich richtig.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nun könnte man nach vier Jahren sagen, dass man auch dazulernt und das lebenslange Lernen dazugehört. Diesbezüglich gibt es auch unter uns manche Unwilligen oder Schwerfälligen. Ich glaube aber, dass das kein gutes Argument wäre. Es könnte auch so sein: Es gibt eine neue Rollenverteilung, man sitzt in der Regierung und was stören einen da die Anträge von gestern oder das Geschwätz von gestern? Aber ich glaube, dass das die FDP besser kann. Sie sieht schon nach wenigen Wochen manche Dinge in einem völlig anderen Licht. Man bezeichnet das ja manchmal auch als Variabel-Sein. Herr Gürth sagt manchmal auch, dass man das sportlich nehmen müsse. Es gibt also Situationen, in denen man das auf die leichte Schulter nimmt.

Aber so leicht lässt uns die PDS wahrscheinlich jetzt nicht aus der Verantwortung. Ich sehe dort ein leichtes Lächeln und die Frage: Wie kriegt der jetzt die Kurve?

(Zuruf von der Linkspartei.PDS)

Nun, ich will es nicht so spannend machen. Ich habe die Beiträge der damaligen Debatte noch einmal genau nachgelesen. Wie ist das damals eigentlich gelaufen? Ganz abgesehen davon, dass Herr Tullner damals gesagt hat, jetzt werde nicht mehr geredet, sondern jetzt werde gehandelt - so etwas bleibt ja der Nachwelt auch erhalten -, war die inhaltliche Debatte damals absolut richtig. Ich weiß nicht, Herr Lüderitz, ob Sie die Debatte nachgelesen haben, die es damals im Landtag zu diesem Antrag gab. Da ging es nämlich tatsächlich um die Nachhaltigkeit in allen Bereichen des politischen und wirtschaftlichen Handelns.

Was mich beim Nachlesen am meisten überzeugt hat, war die Aussage des Ministerpräsidenten. Er ist jetzt nicht anwesend, sodass ich niemandem Mus um den Mund schmieren muss. Der Ministerpräsident sagte da

mals, wir sollten erst einmal anfangen, die vorliegenden Empfehlungen der Enquetekommission, die immerhin acht Jahre getagt habe, umzusetzen. Damit hätten wir schon genug zu tun. - Das war im Jahr 2002.