Das Leitbild der Landesregierung wurde dann folgerichtig unter Abwesenheit von Kriterien der Raumordnung und Landesplanung erarbeitet. Das Ergebnis sehen wir heute nur zu gut.
Auch der Beschluss des zweiten Leitbildes der Gemeindegebietsreform vom 7. August 2007 sowie das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform waren weitere Sahnehäubchen. Dazu wurden Anhörungen durchgeführt und deren Beratungsgrundlagen kurz zuvor geändert. Oder es wurde eine inhaltliche Bewertung des Anliegens der Volksinitiative 2010 schlichtweg im Ausschuss verweigert.
Änderungsanträge der LINKEN zum Ortschaftsverfassungsrecht, Zweitbeschlussverlangensrecht usw. wurden vom Tisch gefegt, um nunmehr mit dem Siegel von SPD und CDU in den vorliegenden Gesetzentwürfen wieder neu eingeführt zu werden. Toll!
Während man sich im Jahr 2004 noch gegen die Gleichzeitigkeit tiefgreifender Veränderungen im kommunalen Bereich aussprach, wurden zeitgleich die Einführung der Doppik, die Änderung des FAG und der Vollzug der Haushaltskonsolidierung beschlossen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Auch das Gesetz über die Fortentwicklung der Kommunalverfassung vom 14. November 2008 reiht sich in dieses Durcheinander der letzten Jahre ein. Allein der Name verspricht, was das Gesetz nicht hält.
Nach nunmehr zehn Jahren hat sich die Mehrzahl der Gemeinden „freiwillig“ neu gebildet, soll der restliche Bestand durch Zuordnung einer erfolgreichen zukünftigen Entwicklung zugeführt werden. Wer jedoch dachte, dass die Grundsätze des Begleitgesetzes dem Prozess der Neubildung zugrunde gelegt wurden, wurde herb ent
täuscht. Politische Willkür, aus meiner Sicht provinzielle Partikularinteressen und das komplette Fehlen eines raumordnerisch durchdachten und sinnvoll vernetzten Konzepts zur Gemeindegebietsreform kennzeichnen die bisherigen Ergebnisse.
So wurde der Grundsatz der Umwandlung von Verwaltungsgemeinschaften mit prägendem Ort im Verhältnis 1 : 1 in Einheitsgemeinden wie im Falle von Gernrode wegen gerade einmal 545 Einwohnern nicht genehmigt. Im Gegenteil, man ermunterte die Gemeinden Friedrichsbrunn und Stecklenberg, aus der Verwaltungsgemeinschaft auszuscheren.
Aber auch der bestehende Teil der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode, Bad Suderode und Rieder, ist mit 7 743 Einwohnern zwar unter der magischen Zahl von 8 000, jedoch erheblich über der bestandsgeschützten Stadt Falkenstein, die per 31. Dezember 2008 noch 5 942 Einwohner aufweist.
Ähnliches erfolgte mit der Verwaltungsgemeinschaft Oranienbaum. Die Zulassung von Gemeindeaustritten im Rahmen der freiwilligen Phase wurde dann als Begründung für die Nichtgenehmigungsfähigkeit herangezogen. Das kann es nicht sein.
Unsere Fraktion stellt daher den Änderungsantrag auf Zulassung der Bildung der Einheitsgemeinde Gernrode.
Ein offenes Problem stellt im Landkreis Mansfeld-Südharz die Stadt Arnstein dar. Hier versucht die Landesregierung, eine gemeinsame Gemarkungsgrenze zu definieren, um Sandersleben über Arnstedt und Wiederstedt anbinden zu können. Berücksichtigt man jedoch die Bürgeranhörungen, dann ergibt sich, dass die bisherigen Gemeinden Walbeck und Ritterode eben nicht mehr nach Hettstedt wollen, dafür jedoch die Gemeinden Arnstedt und Wiederstedt. Hierzu bleibt in der Anhörung die Aufgabe, die unterschiedlichen Interessen abzuwägen.
Völlig konfus sind aus unserer Sicht die Entscheidungen im Bereich Genthin und Jerichow. Folgte man dem Gleichheitsgrundsatz, dann müsste für Genthin die gleiche inhaltliche Begründung wie bei der Entscheidung für die Stadt Zerbst gelten. Die jetzt getroffene Entscheidung zur Stadt Jerichow lässt politisches Kalkül erahnen. Wir werden im Verlaufe der Anhörungen auf weitere nicht nachvollziehbare Entscheidungen eingehen und diese hinterfragen.
Eines steht bereits jetzt fest - das zeigt sich bei einer ganzen Reihe weiterer Entscheidungen -: Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird in vielen Fällen die Ausnahme zur Regel gemacht und das Begleitgesetz faktisch ausgehebelt.
Noch ein Wort zum Begleitgesetz selbst. Ich finde es ausgesprochen gut, dass nach vierjähriger Ignoranz seitens der Koalitionsfraktionen nunmehr der Vorschlag meiner Fraktion zum erweiterten Ortschaftsverfassungsrecht und zum Zweitbeschlussverlangensrecht umgesetzt werden soll.
Trotz dieses positiven Aspekts wird jedoch auch mit den vorliegenden Gesetzentwürfen gegen das erste Begleitgesetz verstoßen, das die Einführung des Ortschaftsverfassungsrechtes in der staatlichen Phase ausschloss. Offensichtlich wurde diese Festlegung nur als Drohpotenzial für die freiwillige Phase benutzt und soll nunmehr, da sie ihr Ziel erreicht hat, abgeschafft werden.
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen sollen in Gemeinden Neuwahlen angeordnet werden, wenn der einzugemeindende Teil mehr als ein Drittel der Einwohnerzahl ausmacht. Hiermit bedient sich die Landesregierung eines Taschenspielertricks: Sie addiert erst die Einwohnerzahlen aller Ortsteile und bestimmt dann, ob der Neuzugang ein Drittel ausmacht.
Nach unserer Berechnung - Altbestand zu Neubestand - wären Neuwahlen neben den vorgeschlagen drei auch in vier weiteren Landkreisen anzuordnen. Der Minister ist auf die unterschiedlichen Rechenmodelle eingegangen. Wir werden uns darüber im Ausschuss trefflich streiten können.
Um die Aufwendungen, die sich für die Gemeinden aus den Anordnungen ergeben, auszugleichen, haben wir einen Änderungsantrag gestellt. Wir hoffen, dass auch Sie unserem Anliegen folgen können.
Werte Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Geräuscharm war und ist dieser Prozess nicht. Nach wie vor klagt die Volksinitiative „Sachsen-Anhalt 2010“ vor dem Verfassungsgericht. Nach wie vor besteht erheblicher Frust in der Einwohnerschaft hinsichtlich der Sinnhaftigkeit der durchgeführten Bürgeranhörungen und deren „Eingang“ in die Entscheidungsvorschläge.
Ungeklärte Probleme greift das Zweite Begleitgesetz nicht auf. So gibt es zum Beispiel erhebliche Mehraufwendungen im Bereich der postalischen Zuordnung von Ortsteilen. Die Gemeindeverwaltungen spielen Briefverteilzentrum, da die Post offensichtlich überfordert ist, oder es werden Bonitätsprüfungen negativ attestiert, da eine genaue Zuordnung des Hauptwohnsitzes der Person nicht mehr gegeben ist. Auch ist die „Freude“ der Bürger über die durch die Gebietsänderungen notwendigen Änderungen in ihren persönlichen Daten und deren finanzielle Auswirkungen sehr gedämpft.
Die fehlende gesetzliche Verankerung der interkommunalen Funktionalreform als inhaltliche Rechtfertigung für den erheblichen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung stellt die Sinnhaftigkeit der Reform nachhaltig infrage.
Werte Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE wird trotz der vielen offenen Fragen und der grundsätzlichen Kritik einer Überweisung zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Inneres und zur Mitberatung an den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr zustimmen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nein, ich habe keine Nachfrage, Herr Präsident. Wir haben bei Herrn Grünert gesehen, dass auch er zeitlich gesehen leichte Schwierigkeiten mit seiner Rede hatte. Da der Minister schätzungsweise locker 20 Minuten geredet hat, ergibt sich die Frage, ob die weiteren Redner nicht entsprechend mehr Zeit für ihre Reden erhalten sollten.
Ich habe nicht die Absicht, die Redner zu unterbrechen. Da der Herr Minister länger gesprochen hat, werden wir das aufteilen. Ja? - So werden wir verfahren. - Herzlichen Dank, Herr Grünert. Sie können sich dann setzen.
Wir kommen dann zu dem Debattenbeitrag der CDU. Der Abgeordnete Herr Stahlknecht hat das Wort. Bitte schön, Herr Stahlknecht.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde für meinen Beitrag voraussichtlich die Zeit, die der Minister zusätzlich gebraucht hat, weniger benötigen.
- Herr Kosmehl, wir haben schon einiges zu sagen. - Das, was wir zu sagen haben, ist, dass das, was wir heute tun, die logische Konsequenz politischen Handelns ist. Denn wir haben am 22. Februar 2008 das Gesetz beschlossen, in dem festgelegt wird, dass sich die Kommunen bis zum 30 Juni 2009 freiwillig in den neuen Strukturen finden können.
Daraufhin haben sich 85 % der Kommunen freiwillig gefunden. Wir haben von Anfang an und auch in dem Gesetz gesagt: Wer sich bis zum 30. Juni 2009 nicht freiwillig findet, der wird durch den Gesetzgeber zugeordnet. Insofern ist die heutige erste Lesung dieses Gesetzes die logische Konsequenz politisch stringenten Handelns.
Herr Grünert, selbstverständlich haben Kommunalreformen immer Begleitgeräusche. Das war immer so, das wird immer so sein und das ist auch heute nicht anders. Nur, wenn die 15 %, über die wir heute und in den nächsten Wochen verhandeln müssen, sich freiwillig gefunden hätten mit all dem Wissen über die Konsequenzen, die auf sie zukamen und zukommen werden, dann hätten wir diese Lesung heute nicht gebraucht.
Gleichwohl werden wir bei der Zuordnung dieser Kommunen im Ausfluss des Demokratieprinzips Wahlen für neue Ortschaftsräte mit aus deren Mitte gewählten Ortschaftsbürgermeistern verbindlich vereinbaren, die dann das Recht haben, in dem Einheitsgemeinderat die Belange ihrer Ortschaften zu vertreten. Das ist guter demokratischer Brauch, den wir einsetzen und einführen werden.
Wir haben verabredet, Herr Grünert, dass es, wenn ein Anteil von 33 % von der Gesamteinwohnerzahl hinzu
kommt, Neuwahlen geben wird, um auch dort dem Demokratieprinzip Rechnung zu tragen. Sie verwenden lediglich einen anderen mathematischen Ansatz, über den wir uns im Ausschuss trefflich streiten können; im Ergebnis sind wir uns einig.
Insofern, liebe Frau Hüskens, weiß ich nicht, warum Sie zehn, 20 Minuten reden wollen. Denn die politische Auseinandersetzung über das Ob ist längst entschieden. Wir reden heute nur noch über die Technik, über das Wie.
So etwas sollte man seriös und in Ruhe tun. Denn ich glaube, dass es für alle Beteiligten, für diejenigen, die dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben,
die es verabschiedet haben, und für diejenigen, die sich freiwillig gefunden haben, ein schwerer Weg war. Sie hoffen jetzt, dass sie mindestens in den nächsten 20 Jahren - das müssen wir auch vereinbaren, verlässlich vereinbaren - Ruhe haben werden, um in diesen neuen Strukturen arbeiten zu können.