Protokoll der Sitzung vom 19.03.2010

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 74. Sitzung des Landtages und begrüße die Damen und Herren im Saal ganz herzlich.

Meine Damen und Herren! Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 39. Sitzungsperiode wie vereinbart mit dem Tagesordnungspunkt 1 b fort. Danach folgt der Tagesordnungspunkt 9.

Ich verweise auf die bereits am gestrigen Tag vorgebrachten Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Ich erspare es mir, das noch einmal vorzutragen.

Meine Damen und Herren! Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 1 b:

Aktuelle Debatte

Agieren der Landesregierung im Vorfeld der Veranstaltung zur Lehrerfortbildung „Diktaturenvergleich als Methode der Extremismusforschung“

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2504

Die Debattenbeiträge werden in der folgenden Reihenfolge geleistet: FDP, CDU, DIE LINKE und SPD. Es wurde eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart.

Zunächst erteile ich dem Antragsteller das Wort, Herrn Kosmehl von der Fraktion der FDP.

Meine Damen und Herren! Bevor Herr Kosmehl das Wort ergreift, habe ich einen Vorschlag. Da wir gestern zwei Tagesordnungspunkte vorgezogen haben, frage ich Sie, ob Sie damit einverstanden sind, dass wir die Veranstaltung ohne Mittagspause durchführen.

(Zustimmung aus allen Fraktionen)

- Ich höre Zustimmung und sehe Nicken. Sollen wir, wenn sich die Sitzung dennoch etwas länger gestaltet, eine Mittagspause einfügen? - Ich merke, Sie würden dem Vorschlag folgen, dass wir die Mittagspause entfallen lassen und die Sitzung ohne Unterbrechung durchlaufen lassen. - Gut.

Herr Kosmehl, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lehrerfortbildungsveranstaltung mit dem Titel „Diktaturenvergleich als Methode der Extremismusforschung“ findet heute und morgen in der Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle statt. Die Gedenkstätte „Roter Ochse“ ist ein Ort der Erinnerung an beide Diktaturen auf deutschem Boden, ein Ort der Erinnerung an das Leid und das Schicksal der Menschen, die einem totalitären Regime zu unbequem oder einfach nur im Weg waren.

Organisiert wird die Veranstaltung von der Landeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit der FriedrichNaumann-Stiftung für die Freiheit.

Seit ca. einem Monat sorgt diese Veranstaltung für erregte Diskussionen in der Presse. Losgetreten wurde die Debatte vom Staatssekretär im Innenministerium Herrn Erben mit seiner Pressemitteilung vom 18. Februar 2010. Der Titel lautete: „Staatssekretär Erben stellt klar: Keine Gleichsetzung von Diktaturen“. Herr Erben distanzierte sich inhaltlich vom Tagungskonzept und kündigte an, dass Mitarbeiter der Gedenkstättenstiftung bzw. des Innenministeriums sich nicht an der Veranstaltung beteiligen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Dies verwundert, weil die Planung dieser Veranstaltung zu diesem Thema schon Monate vorher der Gedenkstättenstiftung und damit auch dem Vorsitzenden des Beirats der Gedenkstättenstiftung bekannt war.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in meinem Redebeitrag drei Stichworte der Diskussion aufgreifen. Das erste Stichwort ist: Diktaturenvergleich. Wir Liberalen sind der Auffassung, dass der Diktaturenvergleich eine anerkannte wissenschaftliche Methode darstellt. Wie viele Methoden in der Wissenschaft ist diese nicht unumstritten, aber die Zulässigkeit des Diktaturenvergleiches steht für uns außer Zweifel.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vergleichen heißt und bedeutet nicht gleichsetzen. Die Interpretation der Veranstaltung durch Herrn Erben ist für uns nicht nur ein Schnellschuss, der nicht zwischen Diktaturenvergleich und Gleichsetzung von Diktaturen differenziert; sie wirft auch ein überraschendes Licht auf den Innenstaatssekretär und zugleich Vorsitzenden des Stiftungsbeirats der Gedenkstättenstiftung.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Anstatt sachlich zu argumentieren, wird pauschaliert. Statt einmal nachzufragen, ob und gegebenenfalls seit wann sich die Gedenkstättenstiftung mit der Planung beschäftigt hat bzw. seit wann der Gedenkstättenstiftung die Planung bekannt war und von ihr begleitet wird, distanziert man sich per Pressemitteilung davon.

Man fragt sich wirklich, ob man sich auf diese Art und Weise für das Amt eines Stiftungsratsvorsitzenden bzw. eines Innenstaatssekretärs empfiehlt.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz erläutern, warum aus der Sicht der Liberalen ein Vergleich zweier Diktaturen auf deutschem Boden nicht nur zulässig, sondern auch notwendig ist, und darstellen, dass ein solcher Vergleich zweier Diktaturen einer Gleichsetzung gerade entgegenwirkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Nationalsozialismus stellt ein einzigartiges und verabscheuungswürdiges Ereignis der deutschen Geschichte dar.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Er ist das dunkelste Kapitel unserer deutschen Geschichte. Millionen Menschen sind systematisch ermordet worden. Tod und Leid, Verfolgung und Unfreiheit haben zwölf Jahre lang das Schicksal der Menschen in Deutschland und auch der Menschen in unseren Nachbarstaaten

bestimmt. Dies dürfen und dies werden wir niemals vergessen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Und genauso wenig dürfen wir die Geschehnisse relativieren. Wir müssen allen entgegentreten, die diese Zeit, diese Geschehnisse oder dieses totalitäre Regime verharmlosen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das DDR-Unrechtsregime unterscheidet sich in vielen Punkten fundamental vom Nationalsozialismus. Ich möchte an dieser Stelle aber auf ein Zitat meines Fraktionsvorsitzenden Herrn Wolpert anlässlich der Aktuellen Debatte „60 Jahre Grundgesetz - 20 Jahre friedliche Revolution“ am 8. Mai 2009 zurückgreifen. Ich zitiere:

„In der DDR gab es keine Meinungsfreiheit. Es gab keine Versammlungsfreiheit. Es gab keine Pressefreiheit. Es gab keine Berufsfreiheit und keine Reisefreiheit. Es gab keine freien Wahlen - schon gar nicht geheim und ungefälscht. Es gab keinen Rechtsstaat.“

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Weiter sagte Herr Wolpert:

„Willkür erzeugt kein Recht, sondern Unrecht. Dieses Unrecht war staatlich gewollt und organisiert. Die DDR war ein Unrechtsstaat.“

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! An diesen Beispielnuancen, die Herr Wolpert schon angedeutet hat, können Sie durchaus Anhaltspunkte dafür sehen, wo man zwei unterschiedliche Diktaturen miteinander vergleichen kann, ohne sie gleichzusetzen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Ich möchte Ihnen auch an einem persönlichen Beispiel näher bringen, warum ich der Meinung bin, dass der Vergleich notwendig ist, auch in diesen Zeiten.

Wie viele von Ihnen, die in der DDR aufgewachsen sind, war auch ich im Jahr 1988 im ehemaligen Konzentrationslager in Buchenwald. Wir haben damals als junge Menschen vieles an dem Ort erkannt und mitgeteilt bekommen über das, was im Nationalsozialismus geschehen war.

Als ich viele Jahre später anlässlich der Ernennung der Stadt Weimar zur Kulturhauptstadt Europas mit Freunden aus den alten Bundesländern wieder einmal in der Nähe war, habe ich sie gebeten, mitzukommen und das Konzentrationslager in Buchenwald zu besuchen.

Dort, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist mir etwas aufgefallen. Dort war nämlich eine Ausstellung über die Nutzung des Areals nach dem Krieg als Lager und als Stätte für Gedenkveranstaltungen. Mir sind zwei Bilder in Erinnerung geblieben: auf der einen Seite ein Bild aus der Zeit des Nationalsozialismus, ein Aufmarsch der Hitlerjugend bzw. von NSDAP-Mitgliedern mit Fackeln, auf der anderen Seite das Bild eines Fahnenappells der FDJ, auch mit Fackeln und am gleichen Ort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe dort zum ersten Mal ernsthaft darüber nachgedacht, wie gleich doch Symbole sind, auch wenn die Zielrichtungen dieser Organisationen vollkommen unterschiedlich waren. Aber man hat sich gleicher Symbole bedient. Das, meine Damen und Herren, hat bei mir zum Hinterfragen, zum Nachfragen und zum Nachdenken geführt.

Auch deshalb meine ich, dass man Diktaturen vergleichen sollte, um festzustellen, wo sie sich unter Umständen auch gleicher Symbolik bedient haben. Man kann dadurch aber auch klar machen, dass man im Ergebnis eine Diktatur nicht mit der anderen gleichsetzen darf, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Lassen Sie mich ein zweites Stichwort nennen: Handeln. Damit meine ich das Handeln des Staatssekretärs Herrn Erben. Staatssekretär Erben hat in seiner Pressemitteilung einen Durchgriff auf die Mitarbeiter der Gedenkstättenstiftung bzw. die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes angekündigt, die ursprünglich als Referenten für diese Veranstaltung vorgesehen waren. Den Betreffenden sollte die Mitwirkung an der Organisation bzw. an der Durchführung der Veranstaltung, die Begleitung dieser Veranstaltung und sogar die Unterstützung dieser Veranstaltung als Referent untersagt werden.

Dabei stellen sich folgende Fragen: Kann der Vorsitzende des Gedenkstättenstiftungsbeirats über die Mitarbeiter der Gedenkstättenstiftung dienstrechtlich bestimmen? Und wo, meine sehr geehrten Damen und Herren, war in dieser gesamten Debatte eigentlich Innenminister Hövelmann?

(Beifall bei der FDP)