Protokoll der Sitzung vom 19.03.2010

90 % der Befragten vorstellen können, in Sachsen-Anhalt ein Teilzeitparlament zu machen.

Ich sage das deshalb, weil die Presse bei den Themen, bei denen es um eine Million Beschäftigte in diesem Land geht, jedes Mal weg ist und darüber keine Zeile in der Zeitung steht. Ich erwarte aber, dass man die Bürger darüber informiert. Vielleicht hätten sie etwas mehr Politikinteresse, wenn es um ihre Belange geht.

(Zustimmung bei der LINKEN, von Herrn Stein- ecke, CDU, und von Herrn Tullner, CDU - Herr Gürth, CDU: Das ist Teilzeit! Jetzt ist schon Fei- erabend!)

Ich möchte aus dem zugrunde liegenden Antrag noch einmal ein paar Schwerpunkte benennen oder in Erinnerung rufen. Es waren Forderungen an die Landesregierung,

erstens dass sie darauf Einfluss nimmt, dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Fördermitteln die Arbeitnehmer entsprechend geltender Tarifverträge zu entlohnen und die gültigen Bedingungen, wie Arbeitszeit und Urlaub und andere Regelungen, einzuhalten sind,

zweitens dass sie ihren politischen Einfluss gegenüber den Arbeitgeberverbänden geltend macht, deren gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Beschäftigten stärker in den Vordergrund zu rücken - insbesondere sind Wahlen von Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz in den Unternehmen zu unterstützen -,

drittens dass sie Ende 2008 im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit über die Situation bei der Umsetzung der Wirtschaftsdemokratie in Unternehmen in Sachsen-Anhalt berichtet.

Weiterhin war im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit eine Anhörung der Unternehmen, die positive Erfahrungen haben, durchzuführen.

Einiges ist schon gesagt worden. Trotzdem erlaube ich mir, noch einmal darauf hinzuweisen: Wir haben in den Wirtschaftsausschuss neun Unternehmen mit Betriebsrat und Geschäftsführung eingeladen. Herr Tögel hat dazu schon etwas gesagt. Drei sind erschienen.

Ich möchte an der Stelle nur sagen, dass wir ernsthaft darüber nachdenken müssen, warum Unternehmen nicht kommen, ob das etwas damit zu tun hat, dass sie das Parlament nicht ganz ernst nehmen.

An der Anhörung haben die Firmen InfraLeuna GmbH, Edeka Magdeburg und Ilsenburger Grobblech GmbH teilgenommen. Das sind Unternehmen, die sehr positive Erfahrungen gemacht haben und eigentlich auch die Frage beantwortet haben: Was bringen Betriebsräte in Unternehmen?

Ich möchte Herrn Hiltermann von der InfraLeuna GmbH zitieren. Er hat Folgendes gesagt:

„Am Standort Leuna wird zunehmend deutlich, dass ein vertrauensvoller Umgang zwischen den Geschäftsführungen und den Betriebsräten zur Erhöhung der Geschäftsergebnisse beiträgt. Vielfach sind Unternehmen, in denen dieses Vertrauensverhältnis nicht besteht, mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen oder sogar von Insolvenz bedroht. Im Umkehrschluss bedeutet dies die Erkenntnis, dass die Unternehmen gute wirtschaft

liche Ergebnisse erzielen, in denen die Rechte der Arbeitnehmer über das gesetzliche Maß hinaus beachtet werden, weil in ihnen motivierte Belegschaften tätig sind und nicht zuletzt der Krankenstand und die Unfallbilanz gering ist.“

Eine wichtige Lehre aus der Anhörung war: Die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen durch Mitbestimmung wirkt motivierend auf die Arbeit und verbessert das Ergebnis der Unternehmen.

(Herr Franke, FDP: Das ist aber keine neue Er- kenntnis!)

- Für manche schon.

Die zweite Forderung an die Landesregierung zielt darauf ab, eine Einschätzung der Umsetzung der Wirtschaftsdemokratie in Sachsen-Anhalt vorzunehmen. Herr Haseloff hat dies vorhin versucht. Der Bericht sollte bereits im Dezember 2008 vorliegen. Nach ständiger Aufforderung haben wir ihn endlich im Frühjahr 2010 erhalten.

Dieser Bericht enthielt eine Zusammenfassung der Stellungnahmen der Arbeitgeber und des DGB. Wir haben jedoch eher eine Positionierung und Bewertung durch die Landesregierung erwartet.

Leider sind andere Punkte des Antrags nicht erfüllt worden. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Landesregierung in irgendeiner Weise beabsichtigt, diese umzusetzen. Das ist sehr schade, weil die Unternehmen, die mich veranlasst haben, diesen Antrag zu stellen, ihre Mitbestimmungsprobleme nach fast zwei Jahren nicht gelöst haben.

Es wird nach wie vor vonseiten der Geschäftsführung gegen die Einrichtung von Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz gewirkt. Die Wahl und der Einfluss von Betriebsräten würden im Unternehmen die in meinem Antrag genannten Probleme eindämmen. Durch Mitbestimmungsrechte bei Personalfragen und bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens könnte gezielt Einfluss auf die Einhaltung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Praktikantinnen und Praktikanten, auf die Beteiligung an Tarifverhandlungen sowie gegen die Ausspähung von Mitarbeitern genommen werden.

Die Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses lautet, diesen Antrag für erledigt zu erklären. Im Ausschuss hat sich DIE LINKE der Stimme enthalten, weil der Antrag weitgehend parlamentarisch abgearbeitet wurde. Politisch sind die von uns gestellten Forderungen aber noch lange nicht abgearbeitet. Deswegen lehnt unsere Fraktion die Beschlussempfehlung ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Rogée. - Für die CDU-Fraktion spricht die Frau Abgeordnete Take.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der heutigen Sitzung die Beschlussempfehlung ohne Debatte zur Kenntnis genommen und dieser Beschlussempfehlung gefolgt wären. DIE LINKE hat das nicht gewollt, also reden wir darüber.

Der Minister hat mit Zahlen und Fakten nochmals die Lage in Sachsen-Anhalt beschrieben. Dem habe ich keinen neuen Erkenntnisstand hinzuzufügen. Dennoch möchte ich Ihnen empfehlen, bei solchen Anträgen künftig eine Überschrift zu wählen, die nicht gleich suggeriert, in ganz Sachsen-Anhalt herrschten schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen.

(Zustimmung bei der CDU)

Hier hat DIE LINKE als Volkspartei, als die sie sich versteht, und als Oppositionspartei Verantwortung. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass es in diesem Teil Deutschlands vor 20 Jahren völlig anders aussah. Wir hatten abgewirtschaftete Betriebe mit einer steigenden Zahl von Betriebsunfällen. In vielen Kombinaten - in Magdeburg und in Köthen war es der Schwermaschinenbau, in Halle die chemische Industrie - gab es zunehmend unwürdige Arbeitsbedingungen. Bitte erinnern Sie sich an die Karbidproduktion in Buna, wo zum Schluss Strafgefangene eingesetzt wurden, um die eigentliche Belegschaft vor tödlichen Unfällen zu schützen, weil es Verpuffungen usw. gab.

Das alles ist noch nicht lange her und mit den heutigen Arbeitsbedingungen nicht zu vergleichen. Wenn ich es richtig verstanden habe, meinten Sie in Ihrem Antrag nicht die Arbeitsbedingungen, die ich eben geschildert habe, sondern Sie sprechen von der Betriebsverfassung. Deshalb noch einmal mein Hinweis auf die Überschrift Ihres Antrags.

Sie vermitteln darin den Eindruck, bei uns werde in zunehmendem Maße die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten verhindert. Leider vergessen Sie, diese Fälle zu qualifizieren. Sie verallgemeinern bewusst, sodass zwangsläufig der Eindruck entstehen muss, die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt sei außer Rand und Band, von allen guten Geistern verlassen und werde von rücksichtlosen Heuschrecken geführt.

(Zustimmung von Herrn Franke, FDP)

Ich finde es nicht richtig, Unternehmen unter Generalverdacht zu stellen. Dem widerspreche ich entschieden.

(Zustimmung bei der CDU)

Sachsen-Anhalt ist nicht nur der interessanteste Wirtschaftsstandort in Ostdeutschland, er ist auch einer der modernsten.

(Zustimmung bei der CDU)

Im Übrigen finden in den Ausschreibungen der öffentlichen Hand Kriterien wie Tariftreue usw. - alles das, was Sie in Ihrem Antrag fordern - bereits jetzt Berücksichtigung. Bei öffentlichen Auftragsvergaben ist es also gang und gäbe, dass nach Tariftreue gefragt wird.

Jeder Arbeitnehmer, der hierzulande einen Job findet, kann sicher sein, dass er an bester Technik arbeitet. Die Arbeitsbedingungen haben hierzulande ein Niveau erreicht, das in Europa seinesgleichen sucht.

Die Lohnsituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert. Heute gelten in vielen Branchen Tariflöhne. Andere Branchen lehnen sich an solche Tarifverträge an. Das Lohnniveau wird sich in den nächsten Jahren weiter verbessern. Dafür sorgt allein schon der Facharbeitermangel. Betriebe werden es sich in dieser Situation dreimal überlegen, ob sie einen fähigen Mitarbeiter nur befristet einstellen und dabei riskieren, dass er den Be

trieb nach Ablauf der Befristung verlässt und damit eine Facharbeiterlücke entsteht, die immer schwerer zu füllen ist.

Ihr Antrag gipfelt darin, dass Sie die Regierung auffordern, dahin gehend Einfluss auf die Eigentümer der Unternehmen zu nehmen, dass diese den Betrieb nicht als Privatsache betrachten. Wo sind wir denn hier? - Jeder Unternehmer haftet mit allem, was er hat, für seinen Betrieb. Natürlich ist dieser Betrieb seine Privatsache. Der Unternehmer trägt die Verantwortung für die Arbeitnehmer. Er trägt die Verantwortung für Löhne, für Arbeitsschutzvorschriften, für die Absicherung seiner Belegschaft im Krankheitsfall, für die Qualifikation seiner Leute, für den Umsatz und den Erfolg des Betriebs.

(Zustimmung von Herrn Franke, FDP)

Dadurch hält er den Betrieb am Leben und sorgt dafür, dass Steuern gezahlt werden, und dies häufig unter Hintanstellung seiner Familie und seiner eigenen Interessen. Natürlich ist das seine ureigenste Aufgabe. Darauf brauchen wir als Parlament keinen Einfluss zu nehmen. Das gilt auch für die Landesregierung.

Ich spreche hier für die vielen Mittelständler in unserem Land, die ihre Betriebe verantwortungsvoll leiten und die die meisten Mitarbeiter beschäftigen. Ausnahmen und schwarze Schafe gibt es immer. Diese gibt es in der Wirtschaft, in den Gewerkschaften und in den Betriebsräten. Ich erinnere nur an VW. Durch Mutmaßungen, wie sie in Ihrem Antrag formuliert werden, sehe ich den sozialen Frieden gefährdet. Ich fürchte um das Ansehen unseres Landes.

(Zustimmung bei der FDP)

Insofern appelliere ich an unsere Gesamtverantwortung. Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Ausschusses zu folgen und diesen Antrag für erledigt zu erklären. - Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Frau Abgeordnete Take. Es gibt eine Nachfrage von Frau Rogée. Möchten Sie diese beantworten?

Bitte sehr, Frau Rogée.

Ich bleibe auch jetzt positiv. Unser Antrag war ganz bewusst positiv überschrieben. Wir wollen die guten Arbeitsbedingungen in Sachsen-Anhalt sichern. So lautet die Überschrift unseres Antrages. Ich weiß nicht, was Sie daran Negatives erkennen können.

Ich möchte ganz kurz zitieren. Selbst der Arbeitgeberverband hat in seinem Papier, das uns das Wirtschaftsministerium zukommen lassen hat, zum Ausdruck gebracht, dass er die betriebliche Mitbestimmung für einen wichtigen Faktor der Arbeitsbeziehungen hält. In der Stellungnahme heißt es: