Protokoll der Sitzung vom 30.04.2010

Ferner haben wir in der letzten Sitzung des Ausschusses für Soziales eine Anhörung zum Länderreport „Frühkindliche Bildungssysteme 2009“ der Bertelsmannstiftung beschlossen. Die benannten Themen, die mit den Anzuhörenden erörtert werden sollen, decken sich in weiten Teilen ebenfalls mit dem vorliegenden Antrag. Der Vollständigkeit halber will ich auch darauf hinweisen, dass Teile des Antrages auf Empfehlungen des Bildungskonvents basieren und diese auch aufgreifen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts dieser Sachlage ist dieser Antrag unserer Meinung nach überflüssig, da er die Beratung dieses Themas weder im Hohen Haus noch in den Ausschüssen über den bereits bestehenden Beratungsumfang hinaus weiterentwickelt. Vor diesem Hintergrund wäre der Antrag eigentlich abzulehnen.

(Frau Bull, DIE LINKE: Dann lehnen Sie ihn doch ab! Machen Sie mal!)

- Im Hinblick darauf, liebe Frau Bull, dass wir uns aber inzwischen im Vorwahlkampf befinden

(Frau Bull, DIE LINKE: Ach!)

und vorhersehbar ist, wie eine solche Ablehnung den Betroffenen und ihren Vertreterinnen und Vertretern gegenüber seitens der Antragstellerin kommuniziert werden würde,

(Frau von Angern, DIE LINKE: Das sagen Sie auch noch öffentlich! - Weitere Zurufe von der LINKEN)

haben sich die Regierungsfraktionen darauf verständigt, einen Alternativantrag zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE einzubringen.

Ich meine, es ist schon interessant, dass Frau Bull 20 Jahre nach der Wiedervereinigung - daher verstehe ich auch Ihr hehres Interesse, Frau Bull - einen Lobbyverband für behinderte Menschen führt. Es ist toll, dass sie sich dort ehrenamtlich engagiert. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung führt jemand von den LINKEN den Behindertenverband. - Das ist interessant.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Was sagt denn das aus?)

Das ist für uns als Regierungsfraktion interessant. Daher kann ich es nachempfinden, wie sich Frau Bull vollends engagiert.

Anders als die Antragstellerin sehen die Regierungsfraktionen die langjährigen Bemühungen der Landesregierung, Kinder mit Behinderung so weit wie möglich in den Regeleinrichtungen zu betreuen, auf einem guten Weg. Unser System kann sich sehen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Darauf können wir 20 Jahre nach der Wiedervereinigung stolz sein.

(Zustimmung bei der CDU)

Verbesserungen bei der Betreuung von Kindern mit Behinderung in Regeleinrichtungen sind unübersehbar. Dies schließt nicht aus, dass hierbei Fortschritte zu erzielen sind, weshalb wir die Landesregierung bitten wollen, diese Anstrengungen fortzusetzen und die integrative Kindertagesbetreuung weiterzuentwickeln.

Zur Unterstützung dieses Ansatzes bitten wir die Landesregierung um einen Bericht zur Lage der integrativen Kinderbetreuung und -bildung in Sachsen-Anhalt. Dies dient dazu, der Landesregierung die Gelegenheit zu geben, dem Landtag zu berichten, wie die Situation der integrativen Kinderbetreuung tatsächlich aussieht und wie sie weiterentwickelt werden soll.

Hinsichtlich der Konkretisierung dieses Berichtsauftrages haben wir auch die Berichtswünsche der Fraktion DIE LINKE einbezogen und berücksichtigt, ohne diese allerdings in Gänze zu übernehmen. Wir sind der Auffassung, dass der von uns beschriebene Berichtsauftrag ausreicht.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden den Antrag der Fraktion DIE LINKE ablehnen. Ich bitte um Zustimmung zu dem Alternativantrag der Regierungsfraktionen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kurze. Möchten Sie eine Frage von Frau von Angern beantworten?

Das möchte er nicht. - Dann geht es weiter mit den Debattenbeiträgen. Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Dr. Hüskens. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Sachverhalt ist in mehr oder weniger heftiger Tonlage bereits alles gesagt worden. Wir als FDP können dem, was Frau Bull vorgetragen hat, in den meisten Punkten zustimmen. Ich glaube, das geht fast allen Abgeordneten im Haus so.

Unser Ziel ist es, Menschen möglichst ein inklusives Leben zu ermöglichen. Wir wollen, dass Menschen mit Behinderungen, sei es im Kindergarten, sei es in der Schule, möglichst normal behandelt werden. Aber wir alle haben auch ausreichend Lebenserfahrung, um zu wissen, dass es dafür Grenzen gibt und dass man für Kinder, die man nicht oder nicht integrativ beschulen kann, auch entsprechende Angebote vorhalten muss. Ich glaube, darüber sind auch wir alle hier im Raum uns einig.

Dem meisten, was in dem Antrag der LINKEN steht, könnten wir eigentlich zustimmen. Wir sehen aber ein Problem in dem Antrag und werden ihm deshalb nicht zustimmen. Ich finde es immer etwas irritierend, wenn der Landtag zunächst beschließen soll, die Situation im Lande sei schlecht, um dann fünf Zeilen später zu sagen: Außerdem hätten wir gern einen Bericht, wie die Situation im Lande ist.

Zumindest an den unterschiedlichen Zahlen, die wir von Herrn Bischoff und Frau Bull gehört haben, sieht man, dass das mit der Zahlenlage offensichtlich nicht so klar ist.

Ich persönlich halte sehr viel von folgendem Vorgehen: Wir lassen uns von der Landesregierung berichten, wie die Situation im Land tatsächlich ist, wie die Situation in - ich sage es einmal untechnisch - Einrichtungen ist, die einzelne behinderte Kinder integrativ aufgenommen haben, wie die Situation in den formal integrativen Einrichtungen ist und welche Kinder darüber hinaus - ich denke etwa an Halberstadt - in speziellen Einrichtungen betreut und gefördert werden. Dann müssen wir aus dem Bericht heraus feststellen, welchen Handlungsbedarf wir in diesem Land haben. Ich glaube, das ist eine sinnvolle Vorgehensweise.

Das Ziel eint uns alle: auszuloten, an welchen Stellen wir noch arbeiten müssen. Dass noch nicht alles so ist, wie wir es uns als Sozialpolitiker wünschen, das wissen wir auch. Das brauchen wir hier im Plenum nicht noch extra zu betonen. Dass unser Bundesland in Relation zu den anderen Ländern aber auch nicht schlecht dasteht, sollten wir akzeptieren und betonen. Die Aussage, wir in Sachsen-Anhalt sind das Schlusslicht und laufen hinterher, würde meiner Meinung nach der Realität nicht gerecht werden.

Wir haben in anderen bundesweit ansetzenden Studien auch sehr differenzierte Auffassungen. Nicht immer ist es richtig, was dort statistisch zusammengefasst worden ist. Deshalb schlage ich noch einmal diese Vorgehensweise vor: Auch wir werden den Antrag der LINKEN deshalb ablehnen und dem Alternativantrag zustimmen. Ich hoffe, dass wir dann für die nächste Legislaturperiode eine Reihe von konstruktiven und praktikablen Vorschlägen bekommen, wie wir die Betreuung der Kinder mit Behinderungen weiter verbessern können. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Reinecke. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorausschicken, dass ich Aussagen unterstreiche, die Frau Hüskens gerade getroffen hat: Das Ziel in dieser Angelegenheit eint uns alle. Ich denke, das kann man unbedingt so stehen lassen. Ich stelle auch fest, dass wir uns prozesshaft mit diesem Thema beschäftigen. Vor diesem Hintergrund kam dieser Antrag für mich auch etwas überraschend. Ich war darüber auch etwas verwundert.

Mir stand noch der letzte Sozialausschuss vor dem geistigen Auge, in dem wir eine Anhörung zur Kinderbetreuung beschlossen haben. Diesen Antrag auf Selbstbefas

sung hatte ich wiederum erwartet; denn im Kontext mit der Studie der Bertelsmannstiftung, dem Länderreport, und der Pressemitteilung von Frau von Angern vom 4. Februar 2010 war diese Anhörung bereits angekündigt worden.

Unter der Rubrik Teilhabe sind in der Tat drei umfangreiche Fragen zu diesem Thema benannt worden. Meine Annahme war auch, dass sich beide Kolleginnen, sowohl Frau von Angern als auch Frau Bull, zu diesem Thema abgestimmt haben und die Fragen so gestellt haben. Dies war zumindest meine Annahme.

Ich möchte auch anmerken, dass sich der Landtag als Ganzes mit diesem Thema regelmäßig beschäftigt, allein schon vor dem Hintergrund der UN-Konvention. Das wurde an dieser Stelle auch mehrmals gesagt. Gerade vor diesem Hintergrund liegen bereits klare Beschlusslagen vor. Die Frage des Ob steht in der Tat nicht mehr im Raum.

Wir erinnern uns vielleicht an die eine oder andere Debatte hier im Hohen Hause. Meist wurde der Dreiklang - Bildung, Soziales und Behindertenpolitik - bedient. Mit Blick auf die Schnittstellen, die angesprochen wurden, wurden auch vordringliche Handlungsempfehlungen für den Bereich der frühkindlichen Bildung erarbeitet. Ich verweise auch hierzu auf die Empfehlungen, die der Bildungskonvent erarbeitet hat.

Dann, meine Damen und Herren, kommt für mich hinzu, dass jeder Abgeordnete vor seiner Haustür in den Kindertagesstätten unterwegs ist und sich dort über die Situation unterrichten lässt, sei es in den integrativen oder in den normalen Kitas. Dort gibt es in der Tat unterschiedliche Erfahrungen. Wir kennen die Vielfalt der Trägerlandschaft. Wir kennen auch die Bemühungen zur Konzepterarbeitung, der Auseinandersetzung mit den konzeptionellen Entwicklungen und auch das Engagement der Erzieherinnen vor Ort.

Ich denke, die Probleme, die an uns herangetragen werden, werden in der Tat auch kurzfristig an das Fachministerium herangetragen bzw. wir diskutieren darüber immer wieder aktuell im Ausschuss.

Wir haben überlegt, wie wir mit diesem Antrag umgehen. Herr Kurze hat hier eine Situation herbeigeführt, die ich mir so nicht wünsche. Ich möchte das etwas abmildern; denn wir wollen am Thema arbeiten. Das muss uns einen. Deshalb haben wir unseren Alternativantrag eingebracht. Der Minister hat die Berichterstattung zugesagt. Daher sind für mich die Bedingungen an dieser Stelle erfüllt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Reinecke. - Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich noch einmal Frau Bull das Wort.

Meine Damen und Herren! Auf einige Argumente möchte ich noch eingehen. Herr Minister, es ist natürlich verlockend zu sagen, es sei ein wissenschaftlicher Streit. Dann ist Ihnen sicher, dass die Leute abwinken. Aber es ist kein wissenschaftlicher Streit. Es wird in den Wohlfahrtsverbänden fast tagtäglich über Inklusion diskutiert.

Kommen Sie zu den Veranstaltungen, zu denen wir eingeladen werden. Wir haben am nächsten Mittwoch eine.

Dann können wir gern noch einmal darüber reden. Die Wissenschaftler haben möglicherweise vor zehn Jahren darüber gesprochen. Das Thema ist jetzt durch. Ich finde es ärgerlich, dass man hier immer wieder versucht, es so darzustellen, als sei das ein Streit um Begriffe.

Des Weiteren möchte ich sagen: Ich plädiere auch für kleine Schritte, aber die Betonung liegt auf „Schritte“, meine Damen und Herren. Man muss dann schon einmal überlegen. Ich könnte mich für die La-Ola-Welle unter Punkt 1 vielleicht noch erwärmen. Aber es gibt keinen Anlass dafür. Seien Sie doch nicht so empfindlich! Unter Punkt 1 steht lediglich: Es ist ungenügend entwickelt. Ja, logisch! In welchem Land ist es denn genügend entwickelt?

Diese Frage steht aufgrund der UN-Konvention seit drei Jahren auf der Tagesordnung. Da ist bei Weitem noch kein Land in Sicht, sodass man sagen könnte, wir können die weiße Fahne hissen. Es ist gar keine Frage, es geht um kleine Schritte. Aber ich sage auch noch einmal, dass es eben um Schritte geht und nicht um einen gegenseitigen Austausch von La-Ola-Wellen.

In Bezug auf Punkt 2 bleibt immer ein bisschen der Eindruck im Raum stehen, dass sei im Rahmen er Selbstbefassung abzuarbeiten. Natürlich ist ein Stück weit auch Berichterstattung darin enthalten - keine Frage -, und die steht auf der Tagesordnung. Das widerspricht nach meiner Auffassung nicht dem Punkt 1 und der Aussage, es sei ungenügend entwickelt. Das geben die Zahlen her, meine Damen und Herren. Lediglich 7 bis 8 % der Einrichtungen arbeiten inklusiv. Diese Zahl können Sie nicht uminterpretieren. Das ist schon ein Stand.

Man kann weiter darüber diskutieren. Man kann auch weitere Berichte abfordern. Man kann sich austauschen. In unserem Antrag geht es aber um konkrete Vorschläge, meine Damen und Herren. Es geht nämlich erstens darum zu erfahren, wie wir es mit den Standards halten. Zweitens geht es darum, ob die Idee der Förderzentren auch für die Regel-Kitas geeignet ist. Drittens wollen wir erfahren, wie wir mit dem Bildungsprogramm „Bildung elementar“ umgehen und wie wir mit den Spannungsfeldern dahinter umgehen, die ich alle genannt habe.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Dann brauchen wir gar keinen Antrag! Das findet per- manent statt!)

- Das ist das Problem. Insofern hätten wir hineinschreiben können: wir fordern, wir fordern, wir fordern. - Nein, wir fordern nicht, weil wir uns an diesen Stellen eben auch noch etwas unsicher sind. Ich finde, da ist ein fairer Austausch schon in Ordnung.

Herr Kurze, Ihre Andeutungen waren reichlich diffus. Sie waren auch nicht bereit, sie deutlicher zu erklären. Wenn Sie das schon in einer solchen unvergleichlichen - in Anführungsstrichen - Sensibilität ins Plenum zerren, dann will ich Ihnen ganz deutlich sagen: Ich finde es sehr mutig und empfinde es als Vertrauensbeweis, dass mein Verband den Mut hatte, mich zu seiner Vorsitzenden zu machen. Dazu stehe ich und diese Arbeit macht Spaß.