Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

Wie ich gerade ausgeführt habe, existieren vielfältige Konzepte, um die Lesekompetenz in unserem Land zu fördern. So gesehen haben wir gesagt: Es bedarf nicht noch einmal eines Konzepts in Druckform, um das klarzustellen. Somit ist nach Auffassung der Mehrheit der Ausschussmitglieder der Antrag bereits erledigt.

Das Konzept existiert also, jedoch nicht in schriftlicher Fassung, wie Sie es sich vielleicht aufgrund unserer Antwort vorgestellt haben.

Eine Nachfrage, Frau Dr. Hüskens? - Ich darf daran erinnern, dass es sich um einen Bericht des Ausschussvorsitzenden handelt.

Ich habe eine Nachfrage. Herr Schellenberger, wie ist es zu der Entscheidung des Ausschusses gekommen? Was ist in dem Bericht des Ministeriums im Ausschuss materiell anders oder neu gegenüber dem gewesen, was seinerzeit Herr Olbertz schon im Plenum dargestellt hat, was uns dann bewogen hat zu entscheiden, den Antrag in den Ausschuss zu überweisen? Worin hat der materielle Unterschied bestanden?

Ich denke, der materielle Unterschied wird klar, wenn man diesen Ausschussbericht noch einmal durchliest, das heißt das, was seitens des Ministeriums gekommen ist. Ich denke, das funktioniert.

Vielen Dank, Herr Dr. Schellenberger. - Bevor ich der Ministerin Frau Professor Dr. Wolff das Wort erteile, haben wir die Freude, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Brettin auf der Südtribüne begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Bitte, Frau Ministerin Wolff.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, uns allen ist klar, dass mit der Erledigung eines Antrages zur Förderung von Lesekompetenz das Anliegen selbst nicht erledigt ist und nicht erledigt sein darf.

Sachsen-Anhalts Schülerinnen und Schüler - Herr Dr. Schellenberger deutete es bereits an - müssen sich insbesondere in der Grundschule im Quervergleich insgesamt nicht verstecken. Das gilt für die Mädchen noch

mehr als für die Jungen. Aber das wäre jetzt ein anderes Thema.

Insgesamt haben wir zweifelsohne immer noch zu viele Kinder auf einer Kompetenzstufe, die ihnen nicht nur Lesevergnügen verwehrt, sondern auch ein erfolgreiches Fortkommen in der Schule und darüber hinaus. Das Problem, denke ich, ist bekannt. Initiativen, um daran zu arbeiten, Veranstaltungen und Wettbewerbe gibt es im Land genau deshalb bereits etliche.

Dazu gehören

• der Vorlesewettbewerb „Lesekrone“, an dem 2009 rund 170 Grundschulen teilnahmen,

• die Initiative „Schule und Bibliothek“ als Kooperationsvorhaben des Landesverbandes Sachsen-Anhalt im Deutschen Bibliotheksverband und des Kultusministeriums,

• der Ausbau der Schulbibliotheken - zurzeit haben 25 % aller Schulen des Landes eigene Schulbibliotheken -,

• landesweite Maßnahmen zur Förderung der Lesekompetenz. Ein Beispiel ist das KMK-Projekt „Pro Lesen“, an dem in Sachsen-Anhalt zunächst zwölf Schulen teilnahmen, die diese Teilnahme offensichtlich als großen Gewinn betrachten.

Projekte wie „Pro Lesen“ müssen keineswegs mit Anregungen aufwarten, die man sonst nicht ohnehin schon hätte. Oft ist es einfach nur wichtig, dass die Teilnahme an einem solchen Projekt dafür sensibilisiert, dass Lesekompetenz auch für weiterführende Schulformen kein Selbstläufer, sondern ein wichtiges Thema ist.

Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, das Anliegen des KMK-Projekts „Pro Lesen“ in noch mehr Schulen durchzuführen.

(Zustimmung bei der CDU)

Dankbar bin ich auch für die Zusammenarbeit mit weiteren Partnern in der Leseförderung, unter anderem der Stiftung Lesen, dem Buchhandel, dem FriedrichBödecker-Kreis. Gerade dessen zahlreiche Schreibwerkstätten zeigen, dass Lese- und Schreibkompetenz eng zusammengehören. Deshalb verdienen hier auch Schreibwettbewerbe genannt zu werden.

So findet morgen in Köthen die Preisverleihung zum Wettbewerb „Schöne deutsche Sprache“ statt, den die Fruchtbringende Gesellschaft ausgelobt hat. Obwohl der Wettbewerb noch jung ist, beteiligen sich in diesem Jahr schon rund 600 Kinder daran.

Wichtig erscheint mir auch, dass eine Veranstaltung wie die Landesliteraturtage inzwischen auch einen Kinderliteraturtag im Programm hat. Das könnte nicht nur einen Bogen zwischen Erwachsenen und Kindern, sondern auch zwischen verschiedenen Literaturgenres spannen. Vom Friedrich-Bödecker-Kreis las ich, dass er mit seinen Veranstaltungen, vor allem mit den Autorenlesungen, im Jahr 2009 über 17 000 Jugendliche erreicht hat.

Sie sehen, meine Damen und Herren, Sachsen-Anhalt muss sich in puncto direkte wie indirekte Leseförderung keineswegs verstecken. So wichtig all diese Initiativen sind: Die Vermittlung von Lesekompetenz ist und bleibt erstens eine Kernaufgabe der Schule, auch und gerade im ganz normalen Unterricht, und sie ist zweitens durch

aus auch eine Aufgabe der Elternhäuser; übrigens auch eine Aufgabe, die im Unterschied zum Besuch von Freizeitparks kaum vom Familieneinkommen abhängt. Die Bemühungen all dieser Akteure müssen wir weiterhin intensiv unterstützen, meine Damen und Herren. Dazu brauchen wir aber meines Erachtens nicht irgendein neues Konzept. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Möchten Sie eine Frage beantworten? - Bitte schön.

Frau Ministerin, Sie haben eine Reihe von Wettbewerben aufgezählt, die ich auch kenne. Diese sind sehr interessant und, wie ich finde, auch sehr wirkungsvoll. Meine Frage bezieht sich auf Folgendes: Es gibt allerdings auch Familien, in denen die kulturelle Prägung nicht unbedingt durch Bücher und Kultur in diesem Sinne gekennzeichnet ist. Wichtig ist aber, dass wir diese Kinder abholen. Dabei ist die Schwelle zum Beispiel zum Bödecker-Kreis oder zur Initiative „Wir schreiben“ doch recht hoch. Ich denke, unser Nachholbedarf ergibt sich genau an dieser Stelle. Ich glaube, unser Antrag hat genau darauf gezielt, konzeptionelle Überlegungen zu erstellen, wie es gelingen kann, diese Kinder an Lesen, an Bücher, an Schlüsselkompetenzen heranzuführen.

Ich glaube, ein Ansatzpunkt, an diese jungen Menschen heranzukommen - darüber werden wir heute noch sprechen -, ist, sie dort abzuholen, wo sie stehen. Und das sind die neuen Medien und nicht die traditionellen Bücher und die traditionelle Literatur. Ich könnte mir vorstellen, dass wir über das Thema Medienkompetenz auch das Thema Leseförderung aufgreifen können. Ich glaube, das ist vielversprechender, als bestimmten jungen Menschen ein Buch vor die Nase zu legen.

Vielen Dank, Frau Ministerin Wolff. - Nun hören wir die Beiträge der Fraktionen. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Fiedler. Bitte schön.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Sie befinden heute darüber, ob der Antrag zur Förderung von Lesekompetenz für erledigt erklärt wird. Bevor ich auf einige inhaltliche Punkte zu sprechen komme, will ich noch einmal etwas zum parlamentarischen Umgang mit diesem Antrag und anderen Anträgen anmerken und dabei auch noch einmal auf die Frage von Frau Dr. Hüskens eingehen.

Ja, unser Antrag zielte auf ein Konzept der Landesregierung zur Förderung von Lesekompetenz, einer Basiskompetenz für persönlichen Gewinn, für Ausbildungsreife und für demokratische Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ab. Es ist bereits gesagt worden: Der Antrag ist im Februar 2009 in den Bildungsausschuss überwiesen worden und schlief dann so vor sich hin. Dann kam er im Juni 2010 auf die Tagesordnung, und nach einem etwa viertelstündigen Gespräch wurde darüber abgestimmt, ob er für erklärt wird. Dieses Gespräch mit dem Vertreter des Kultusministeriums hat nicht Neues gebracht.

Dass mit den Anträgen der Opposition zunehmend so verfahren wird, fällt inzwischen nicht nur uns auf. Herr Kosmehl hat es gestern auch schon einmal angesprochen. Sie werden in den Ausschuss überwiesen, sie versanden dort und schlummern, wie im Fall des vorliegenden Antrags, 16 Monate lang, ehe sie wieder behandelt werden. Dann werden sie für erledigt erklärt.

(Zuruf von Herrn Weigelt, CDU)

Über die Sache wird aber im Parlament nicht entschieden. Bei diesem Antrag wird das Verfahren nun ganz besonders durchsichtig, weil das Kultusministerium und das Lisa innerhalb kurzer Zeit ein Konzept hätten schreiben können. Denn es gibt tatsächlich Projekte, die als Grundlagen für ein solches Konzept geeignet wären und die auch gut ankommen in den Schulen. Diese hat Ministerin Wolff gerade aufgeführt. Daher kann ich mir die Aufzählung sparen.

Solche Aktionen, wie wir sie eben gehört haben, kurbeln tatsächlich die Lesemotivation bei den Schülern an. Das wiederum kann sich durchaus positiv auf die Lesekompetenz auswirken. So richtig wirkungsvoll ist das aber bloß bei den Schülern, die bereits über eine ausreichende Grundkompetenz im Lesen verfügen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Bei ihnen kann die Leistungsbreite tatsächlich in höhere Bereiche steigen. Das hat der KMK-Ländervergleich von 2009 gezeigt. Aber solche Projekte allein reichen eben nicht; das betrifft die Frage, die Frau Bull eben gestellt hat. In dem eben genannten KMK-Ländertest wurde nämlich Ähnliches festgestellt wie in den drei Pisa-Ländertests vorher, dass nämlich bei den 15-Jährigen, bei denen die grundlegenden Anforderungen an Lesekompetenz selbst bei einfachen Aufgaben nicht ausreichen oder die sie zum großen Teil auch gar nicht erfüllen, keine wesentliche Verbesserung eintritt.

Bei diesen Risikolesern, wie sie genannt werden, greifen die bisherigen Projekte zur Leseförderung nicht oder kaum, weil bei ihnen schon die Grundlagen des Lesenkönnens fehlen. Wer noch in der Sekundarstufe I mit Mühe beim Lesen buchstabiert oder von Wort zu Wort hoppelt, bei dem ist die Freude am Lesen längst verlorengegangen. Sie lassen sich auch durch Bibliotheksbesuche, durch Vorlesewettbewerbe oder durch Büchergutscheine nicht locken. Bei ihnen muss grundlegendes Lesenkönnen geübt werden, und zwar so, dass darüber der Spaß am Lesen überhaupt aufkommt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Hierfür braucht es ansprechende und individuelle Übungsprogramme und Übungsmaterialien. Ich bin übrigens auf die dafür gedachten Ergebnisse des KMKProjektes „Pro Lesen“ gespannt. Diese sind von zwölf Schulen in Sachsen-Anhalt erarbeitet worden und sollen Ende 2010 veröffentlicht werden.

Es braucht aber auch den geübten Blick des Lehrers im Analyseprozess, um aus Risikolesern Leser zu machen. Das ist besonders deshalb wichtig, weil es ja nicht bei der Risikogruppe im Lesen bleibt. Die Jugendlichen, die nicht ausreichend lesen können, sind zum großen Teil die Schulabgänger, die die Schule unterhalb des Realschulabschlusses verlassen. Es sind schließlich auch die, die meist ohne Ausbildungsplatz bleiben und dann oft arbeitslos und armutsgefährdet sind. Ich sehe zwischen solchen Befunden enge Zusammenhänge.

Das Institut für Qualitätsverbesserung im Bildungswesen in Berlin stellte in seinem Fazit zum Ländervergleich 2009 fest, dass Leseförderprogramme nach wie vor hohe Relevanz besitzen.

Welchen Stellenwert Leseförderprogramme in unserem Land haben sollen, das müssen Sie heute entscheiden; denn Sie entscheiden eigentlich nicht darüber, den Antrag für erledigt zu erklären. Sie entscheiden vielmehr indirekt darüber, welchen Stellenwert Leseförderung in unserem Land hat und wie dies bei Kindern und Jugendlichen ankommt.

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP)

Ich bitte Sie also, gegen die Beschlussempfehlung des Ausschusses zu stimmen. Denn es geht auch darum, die bisher guten Projekte zu einem Konzept zusammenzufassen, und darum, die erheblichen Anstrengungen unserer Lehrer in eine Richtung zu bündeln, die dann tatsächlich Breitenwirkung entfalten kann.

Dadurch können auch solche Fragen beantwortet werden, wie: Warum gibt es denn bessere Leseleistungen in den Grundschulen als in der Sek I? Übrigens erfüllen auch unsere Gymnasien in Sachsen-Anhalt die Leseanforderungen nur im Mittelwert. Auch kann auf die Frage eingegangen werden, warum die Mädchen sehr viel bessere Leseleistungen als die Jungen haben.

Das alles sind Fragen, die einmal im Zusammenhang in einem Konzept beantwortet werden sollten. Deshalb bitte ich Sie herzlich, gegen die Beschlussempfehlung des Bildungsausschuss, den Antrag für erledigt zu erklären, zu votieren.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Fiedler. - Nun erteile ich Frau Reinecke das Wort, um für die SPD-Fraktion zu sprechen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns in diesem Raum alle einig, dass Lesekompetenz einen, wenn nicht sogar den Schlüssel für einen nachhaltigen Bildungserfolg darstellt. Den Stellenwert der Lesekompetenz muss man von vornherein anerkennen. Dieser Stellenwert wurde im Antrag nicht so explizit hervorgehoben, wie er heute noch einmal benannt bzw. eingefordert wurde.