Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns in diesem Raum alle einig, dass Lesekompetenz einen, wenn nicht sogar den Schlüssel für einen nachhaltigen Bildungserfolg darstellt. Den Stellenwert der Lesekompetenz muss man von vornherein anerkennen. Dieser Stellenwert wurde im Antrag nicht so explizit hervorgehoben, wie er heute noch einmal benannt bzw. eingefordert wurde.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Wir können nicht mit Gewissheit sagen, wie Lesekompetenz entsteht und wie sie verfestigt wird. Aus meiner Sicht ist das ein Entwicklungsprozess, der sich aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Teilfähigkeiten ergibt. Dabei spielt ohne Frage auch der Schriftspracherwerb in der Grundschule eine große Rolle.

Eines möchte ich gleich vorwegschicken: Ob die im Ausschuss besprochenen Maßnahmen letztlich ausreichend sind, um die Lesekompetenz in dem Maße zu steigern, das wir für den Bildungserfolg als notwendig erachten, und diese auch eine erfolgreiche Teilnahme an Leistungsvergleichen gewährleistet, muss die Zukunft zei

gen, weil Prozesse Zeit brauchen. Neue Konzepte helfen da nicht immer weiter.

Ich bin mir aber sicher - das wurde auch schon mehrfach benannt -, dass dieses Thema dem Landtag erhalten bleibt. Dennoch kann man sich zu diesem Antrag positionieren.

Die Voraussetzungen zur Entwicklung von Lesekompetenz - das wurde bereits ausführlich besprochen - liegen in der Vorschulzeit, denn bereits hier wird der Grundstein für eine Lesesozialisation gelegt. Hierbei spielen auch die Familie und die Kindestageseinrichtungen, eine große Rolle.

Erstaunlich ist sicherlich nicht nur für mich der Unterschied bei der Lesekompetenz von Viertklässlern in der Iglu-Studie und von 15-Jährigen in der Pisa-Studie gewesen. Während sich die getesteten Zehnjährigen im nationalen und internationalen Vergleich beachtlich schlagen, fällt die Leistungskurve fünf Jahre später deutlich ab. Interessanterweise erfolgt der Abschwung genau ab dem Zeitpunkt, zu dem die Aufteilung der Schüler in die unterschiedlichen Schulformen erfolgt.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Wir hatten bei der Einbringung darüber gesprochen, wie die Situation deutschlandweit aussieht. Wir haben vier Millionen Analphabeten. Daraus ergeben sich Folgekosten von 7 Milliarden €, ohne Berücksichtigung der Transferleistungen für Arbeitslosigkeit und dergleichen mehr.

Der Ausschuss hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Das Kultusministerium hat vorgetragen, welche Maßnahmen in den letzten Jahren eingeleitet wurden, um die Lesekompetenz, aber auch die Lesefreude unserer Schülerinnen und Schüler zu steigern. Damit wurde der Antrag der LINKEN zu großen Teilen umgesetzt.

Der Ausschuss hat das Ministerium beauftragt, eine Übersicht über die durchgeführten Maßnahmen und Projekte zur Förderung der Lesekompetenz anzufertigen und dem Ausschuss vorzulegen. Im Ausschuss wurde ausdrücklich betont, dass die Thematik unabhängig von der Bescheidung des aktuellen Antrages bleiben soll und bei Bedarf wieder aufgerufen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest uns akzeptabel, heute zu beschließen, dass dem Antrag Rechnung getragen wurde.

Ich möchte abschließend darauf hinweisen - die Frau Ministerin hat es angesprochen: Am Samstag, also morgen, wird der Tag der deutsche Sprache begangen. Uta Seewald-Heeg, die Vorsitzende der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen, also einer Vereinigung zur Pflege der deutschen Sprache, stellt die These auf: „Nur wer die Muttersprache gut beherrscht, kann Fremdsprachen erfolgreich lernen.“ Das heißt, nur wenn Kinder ihre Muttersprache vom Kleinkindalter an gut lernen, ist das Fundament für den Fremdsprachenerwerb gelegt. Auch diese Thematik gehört in diesem Kontext dazu.

Wir sind der Meinung, der Antrag ist abgearbeitet. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Reinecke. - Meine Damen und Herren! Passend zum Thema „Förderung der Lesekompetenz“ wurde bei mir soeben eine Lesebrille abgegeben.

Es ist nicht meine. Wir wissen nicht, wem sie gehört. Es könnte eine Damenbrille sein. Wir geben sie beim Saaldienst ab. Sollte jemand Schwierigkeiten beim Lesen haben und es fehlt an der Brille, dann kann er sie dort abholen.

Die Debatte geht weiter. Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kley. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben hier einen der schwärzesten Augenblicke in diesem Parlament,

(Widerspruch bei der CDU und bei der SPD)

wenn sich ein Großteil dieses Hauses freiwillig entmannt, um ein Ministerium, welches offensichtlich keine Lust hat, einem Antrag zu folgen, zu schützen.

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie sich noch einmal die Mühe machen und den Antrag der LINKEN ernsthaft lesen, dann werden Sie feststellen, dass nichts von dem, was dort steht, erledigt war - gar nichts!

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Sie hätten die Chance gehabt, diesen Antrag abzulehnen. Sagen Sie: Es gibt genug. Wir haben von der Ministerin bzw. vom damaligen Vertreter im Ausschuss gehört, dass etwas passiert in diesem Land, und das reicht uns. - Das kann man machen. Aber zu sagen, es liegt ein Konzept vor, und deshalb sei der Antrag erledigt, ist offensichtlich falsch.

Unterstrichen wird die ganze Farce noch, wenn sich jemand von Ihnen einmal die Mühe macht, das Ausschussprotokoll zu lesen. Dort ist zu lesen, dass eine Vertreterin einer Koalitionsfraktion ausführt, man habe jetzt genug gehört und könne diesen Antrag für erledigt erklären, und danach eine Vertreterin derselben Fraktion sagt: Ja, das wäre so, aber sie würde darum bitten, dass das Ministerium ihr eine Zuarbeit liefere, aus der hervorgehe, was sie eigentlich so machen. - Das ist wirklich der Gag der Geschichte, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP)

Aber das stört ja niemanden. Man will hier einfach sagen: Das ist es! Offensichtlich ist diese Erledigterklärung auch ein Zeichen der neuen Regentschaft im Kultusministerium. Hat der Kunstminister die Sachen einfach liegen lassen, so wird die Betriebswirtin wahrscheinlich zunehmend den Tisch räumen und mit der Erledigterklärung die Sachen, die bisher nicht getan wurden, auch nicht erledigen.

Ich finde das betrüblich, meine sehr geehrten Damen und Herren, und man sollte darüber nachdenken, ob wir damit den Kindern in unserem Land nicht einen Bärendienst erweisen. Ich möchte - Kollegin Budde ist leider nicht anwesend - an ihre Rede zur Armutsdebatte erinnern, als es darum ging, dass Bildung wichtig sei: „Investitionen in Bildung verhindern Arbeitslosigkeit und Armut.“

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Das ist ein Satz, den jeder unterstreichen kann. Aber wenn man das so sagt, dann muss man es auch ernst

meinen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Diesbezüglich danke ich ausdrücklich der verehrten Kollegin Fiedler, die darauf hinwies, dass diejenigen, die an jetzt stattfindenden Wettbewerben teilnehmen, zum einen häufig dieselben sind und zum anderen jene sind, die es eigentlich nicht nötig haben. An dieser Stelle ist das Ministerium gefragt, sich um die Sekundarschulen zu kümmern, die man plötzlich wieder im Munde führt, wenn der Wahlkampf vor der Tür steht. Dort muss man hingehen und gezielt die Schülerinnen und Schüler auffordern, etwas zu machen, und nicht zu warten, dass andere Institutionen die Arbeit erledigen.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, Sie können sich Ihre Krokodilstränen sparen. Sie lehnen im Ausschuss die Arbeit des Kultusministeriums ab, hier endlich Bildung reinzubringen, um andererseits zu erzählen, Bildung wäre wichtig. Etwas mehr Ehrlichkeit jenseits der Wahlkampfrhetorik würde allen gut tun.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von Frau Mittendorf, SPD, und von Frau Reinecke, SPD)

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich Sie nur auffordern, die Beschlussempfehlung des Ausschusses, den Antrag für erledigt zu erklären, abzulehnen; denn es ist gar nichts erledigt.

Es ist sehr wichtig, die Lesekompetenz zu stärken, und zwar in den Schulen, die bisher nicht dabei sind. Wenn wir an die Sache ernsthaft herangehen wollen, die Anzahl der Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, zu senken, dann müssen wir genau dort anfangen. Wie soll denn jemand etwas lernen, wenn er nicht einmal in der Lage ist, den Text zu lesen und zu verstehen? Wenn die Grundkompetenz fehlt, ändert sich am Ende gar nichts.

Wenn Sie sich den letzten Bildungsbericht des Landes Sachsen-Anhalt anschauen, sehen Sie, dass sich etwas geändert hat: Das Grußwort ist nicht mehr vom Minister, sondern von der Ministerin. Ansonsten ist die Tendenz hinsichtlich des Anteils der Schüler ohne Abschluss immer noch die gleiche.

Ich finde es unverantwortlich zu sagen, dass die Forderungen zur Lesekompetenz erfüllt seien und der Antrag für erledigt erklärt werden könne. Ich bitte Sie, diese Beschlussempfehlung abzulehnen und sich im Ausschuss noch einmal ernsthaft mit diesem Thema zu befassen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kley. - Zum Abschluss der Debatte hören wir Frau Gorr. Sie spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Über die vielen Angebote und Maßnahmen zur Verbesserung der Lesekompetenz an den Schulen im Land SachsenAnhalt hat uns seinerzeit im Bildungsausschuss Minister Herr Olbertz und heute wieder Ministerin Frau Wolff informiert. Ministerin Frau Wolff hat eben noch einmal auf die Bedeutung der Geschlechtergerechtigkeit im Bereich des Lesens hingewiesen.

In dem gerade vorgelegten Bildungsbericht des Landes wird auf die verbesserten Ergebnisse und auf die Bedeu

tung der Lesekompetenz im Gesamtkontext Schule hingewiesen. Damit ist deutlich geworden, dass im Schulwesen in Sachsen-Anhalt genug Augenmerk auf die Bedeutung dieser Kernkompetenz gelegt wird. Ich möchte daher darauf verzichten, noch einmal einzelne Aspekte vorzutragen.

Die von Frau Fiedler geforderten Verbesserungen hinsichtlich des Leseverhaltens sind meiner Meinung nach nur durch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu lösen, zum Beispiel durch die Stärkung der Familien, durch mehr Lesen in den Kindereinrichtungen oder durch ehrenamtliches Engagement, das es vielerorts gibt wie Vorlesen und andere Hilfeleistungen. Außerdem ist beim Nachlassen der Lesekompetenz auch auf die Rolle der anderen Medien hinzuweisen, wie Frau Professor Wolff angemerkt hat.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf einen in meiner letzten Rede vorgetragenen Aspekt hinweisen, nämlich auf die Alphabetisierung, die im außerschulischen Bereich leider eine große Rolle spielt, wie wir gestern im Zusammenhang mit dem Maßregelvollzug gehört haben. Die Notwendigkeit, Menschen, die der Schule entwachsen sind - das sind oft auch Eltern, meine Damen und Herren -, zu befähigen, durch Lese- und Schreibkompetenz am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ist hier im Hohen Hause noch einmal explizit zu benennen, haben wir doch am 8. September den Weltalphabetisierungstag begangen, der jedes Jahr wieder auf bestehende Defizite hinweist.

Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag für erledigt zu erklären. Frau Reinecke hat darauf hingewiesen, dass das Ministerium eine Übersicht über die bisherigen Projekte anfertigt. Ich denke, das wird uns allen helfen, damit wir uns alle ein wenig schlauer machen können.

Im Übrigen handelt es sich bei der Entwicklung von Angeboten um einen stetigen Prozess. Sie wissen, dass sich die Jugendlichen, die Jungen und die Mädchen, in ihrem Verhalten in unserer medialen Welt stetig verändern, worauf immer wieder neu eingegangen werden muss. Ich bitte also, den Antrag für erledigt zu erklären.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Gorr, möchten Sie eine Frage von Frau Dr. Hüskens beantworten?