Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Danke sehr, Herr Kosmehl. Sie wussten nicht, wie Sie anfangen sollen. Sie wussten auch nicht ganz, wann Sie aufhören müssen. Ich sage der Fairness halber, dass Herr Kosmehl zwei Minuten überzogen hat, falls andere auch in Zeitschwierigkeiten kommen.

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rothe.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem Hinweis zum Abstimmungsverfahren beginnen: Ich glaube, dass Kollege Kosmehl insoweit Recht hat, dass der Änderungsantrag in der Drs. 5/2908 tatsächlich der am weitesten gehende ist, nämlich die Vorschrift in Bezug auf den Imsi-Catcher ganz zu streichen. Daher halte ich es auch für zweckmäßig, über den Änderungsantrag in der Drs. 5/2908 zuerst abzustimmen.

(Herr Wolpert, FDP: Und zuzustimmen!)

Weniger weitgehend ist sowohl die Umformulierung, die die FDP in dem Änderungsantrag in der Drs. 5/2907 unter Nr. 1 Buchstabe b vorschlägt. Weniger weitgehend ist auch der Antrag, den die Koalitionsfraktionen in der Drs. 5/2892 stellen, der darauf abzielt, die Evaluierungsfristen beim Imsi-Catcher zu verlängern. Diesen Änderungsantrag möchte ich kurz vorstellen, weil der Kollege Reichert für die CDU-Fraktion erst nach mir sprechen wird.

Bei der Erarbeitung der Beschlussempfehlung im Innenausschuss - Herr Stahlknecht hat das als Berichterstatter schon erwähnt - haben wir übersehen, dass die in § 17a Abs. 6 Satz 8 des Verfassungsschutzgesetzes vorgesehene Evaluierungsfrist bereits abgelaufen ist.

(Herr Stahlknecht, CDU: Genau! Das meinte ich! Das hat aber der Kollege Kosmehl nicht verstan- den!)

Dabei geht es um den Einsatz technischer Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräte- oder Kartennummer, also den so genannten Imsi-Catcher.

Die Evaluierung dieser Maßnahmen sollte dazu dienen festzustellen, ob die gesetzliche Ermächtigung auslaufen kann oder verlängert werden soll. Die Innenpolitiker der Koalitionsfraktionen haben sich auf ein Hinausschieben des Zeitpunkts der Evaluierung verständigt, die nun zum 31. Dezember 2011 erfolgen soll. Wenn der Landtag das Gesetz dann nicht ändert, tritt die Ermächtigung zum Einsatz des Imsi-Catchers zur Mitte des Jahres 2012 außer Kraft.

Bemerkenswerter als den Vorgang der Verlängerung der Evaluierungsfristen beim Imsi-Catcher finde ich, dass wir uns auf den Vorschlag der Parlamentarischen Kontrollkommission hin darauf verständigen konnten, die Möglichkeit zur Speicherung von Daten über Kinder ganz und gar aus dem Gesetz zu streichen. Nach bisheriger Gesetzeslage durften Daten von unter 14-Jährigen zwar nicht in Dateien, aber in Akten gespeichert werden.

Die elektronische Aktennachweisführung, zu der sich die Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums zunächst in einem so genannten Probebetrieb berechtigt sah, hat sich im Ergebnis einer gründlichen Untersuchung als

nicht gesetzeskonform erwiesen. Das war übrigens zwischenzeitlich nicht ganz so klar, wie es uns am Anfang schon schien, auch wenn wir im Ergebnis mit unserer Einschätzung im Rechtsausschuss am 18. Februar 2009 Recht hatten. Auch der Datenschutzbeauftragte Herr von Bose hat diesbezüglich noch differenziert prüfen müssen.

Die sofortige Korrektur der Speicherpraxis durch den Herrn Minister in der Sitzung des Rechtsausschusses am 18. Februar 2009 war in dieser Situation völlig angemessen. Wir ziehen jetzt die Konsequenz, dass wir Daten über Kinder, per Gesetz geregelt, künftig weder elektronisch noch in Papierform erfassen werden. Ich denke, das ist ein echter Fortschritt.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD, von Frau Grimm-Benne, SPD, von Frau von Angern, DIE LINKE, und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Bei der Ausgestaltung der Auskunftsbefugnisse des Verfassungsschutzes haben wir den gegen eine zu weitgehende Ermächtigung vorgetragenen Bedenken teilweise Rechnung getragen.

Herr Kosmehl, aus Ihren Worten geht auch hervor, dass der Ausschuss durchaus differenziert mit Ihren Änderungswünschen umgegangen ist. Wir haben in § 17a Abs. 2 des Verfassungsschutzgesetzes eine Ergänzung vorgenommen, die die Übermittlung von besonderen Informationen an die Verfassungsschutzbehörde beschränkt. Solche Informationen sollen nur bei ganz bestimmten Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung übermittelt werden, also wenn beispielsweise eine besondere Militanz vorliegt, wenn zur Willkür oder zum Hass gegen Minderheiten in der Bevölkerung aufgestachelt oder Gewalt angewendet werden soll.

Wir sind dem Änderungswunsch der FDP-Fraktion nicht gefolgt, die Eingriffsvoraussetzungen einer erheblichen Gefährdung von Schutzgütern durch die Worte „schwerwiegende Gefahr“ zu ersetzen. Das ist der Wunsch, der jetzt noch einmal in Form des Änderungsantrages in der Drs. 5/2907 vorliegt.

Wir haben uns dem im Ergebnis einer Abwägung verweigert. Auf der einen Seite gibt es den Aspekt des Datenschutzes, also auch die klassisch liberale Sicht, und auf der anderen Seite den Aspekt der Extremismusbekämpfung.

(Zustimmung von Herrn Kolze, CDU)

Damit haben wir landesspezifische Erfahrungen. Ich erwähne das Thema Finanzströme. Wir haben in Sachsen-Anhalt im Jahr 1998 die Erfahrung gemacht, dass ein Münchener Millionär eine extremistische Kampagne finanziert hat. Heute würde man von einer virtuellen Kampagne sprechen, ohne wirklich aktive Kandidaten dieser Partei vor Ort. Dennoch gelang es der DVU bei der Landtagswahl im Jahr 1998, ein Zweitstimmenergebnis von 12,9 % einzufahren. Ich denke, das ist ein Anlass, Finanzströme im extremistischen Bereich intensiver zu beobachten.

Im Übrigen möchte ich persönlich Folgendes anmerken: Ich habe vor ein paar Monaten die Hitler-Biografie von Joachim Fest gelesen. Der Autor beschreibt sehr ausführlich, wie es in den 20er-Jahren unterlassen worden ist, von den damals vorhandenen rechtsstaatlichen Instrumenten hinreichend Gebrauch zu machen, und dass

an es auch versäumt hat, diese Instrumente an der einen oder anderen Stelle zu schärfen.

(Herr Steinecke, CDU: So ist es!)

Ich komme selbst eher aus der liberalen Schule.

(Herr Kosmehl, FDP: Das ist lange her!)

Aber mit den Jahren habe ich zunehmend Verständnis dafür, dass man in einem Land, das von extremistischen Strömungen nicht frei ist,

(Herr Kosmehl, FDP: Absolut!)

auch manchmal über das hinausgeht, was in anderen Ländern üblich ist.

Natürlich müssen wir uns am Ende, wenn wir über das Übliche hinausgehen, auch einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung stellen. Ich bin mir nicht einmal sicher, wie sie ausgeht. Aber ich denke, es ist, wenn man sich sorgfältig Gedanken macht, legitim, in der Bekämpfung des Extremismus auch einmal weiter zu gehen, als es anderswo üblich ist. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Hövelmann - Herr Kosmehl, FDP: Wenn Sie in der Opposition wären, würden Sie anders abstim- men!)

Danke sehr, Herr Rothe. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau von Angern.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es liegt nun zwei Jahre zurück, dass wir uns in diesem Hause erstmalig mit der Änderung des Verfassungsschutzgesetzes beschäftigten. Ich denke, zu diesem Zeitpunkt war wohl keinem der damaligen Redner in vollem Umfange bewusst, welche Brisanz in der Thematik lag bzw. liegt.

Meine Vorredner sprachen es bereits an: Dreh - und Angelpunkt sowohl im Ausschuss für Recht und Verfassung als auch im Ausschuss für Inneres war vor allem der Umgang des Staates, namentlich des Verfassungsschutzes, mit den Daten von Kindern, sprich von Minderjährigen unter 14 Jahren.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist durchaus ein positives Signal für eine funktionierende Demokratie, dass das Gesetzesvorhaben in dem Moment gestoppt wurde, als Verstöße beim Verfassungsschutz im Umgang mit diesen sehr sensiblen Daten festgestellt wurden und die Parlamentarische Kontrollkommission beauftragt wurde, den Sachverhalt im Rahmen ihrer Befugnisse aufzuklären. Das hat die PKK in zahlreichen Sitzungen getan und einen entsprechenden Bericht an den federführenden Ausschuss für Inneres übersandt.

Auch wenn meine Fraktion heute dem Gesetzentwurf in seiner endgültigen Fassung nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten wird, kann ich Ihnen sagen, dass wir die konsequente Entscheidung gegen die Speicherung von Daten von Kindern, sei es in Akten oder in Dateien, als sehr positiv erachten. Es war der richtige Schritt des Innenausschusses, dem Änderungsantrag der LINKEN zuzustimmen.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Kinder sind keine kleinen Kriminellen, die vom Verfassungsschutz überwacht werden müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Kinder sind auch keine Gefahr für die Verfassung und den Staat. Deshalb hat Herr Kosmehl berechtigterweise darauf hingewiesen, dass es eben nicht, wie der Minister sagte, nur um Rechtsklarheit geht; es geht hierbei ganz klar um eine politische materielle Entscheidung gegen das Sammeln von Daten von Minderjährigen unter 14 Jahren.

Nicht ohne Grund unterscheidet auch das Strafgesetzbuch in richtiger Weise zwischen Kindern, die für ihr Handeln eben noch nicht verantwortlich gemacht werden können, weil sie dies in der letzten Konsequenz eben noch nicht einschätzen können, und Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr, die für ihr Handeln durchaus schon verantwortlich gemacht werden können, aber eben nicht im gleichen Maße wie Erwachsene, und die schon gar nicht mit denselben Sanktionen bestraft werden können.

Daher sei mir an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass bei Verfehlungen von Kindern, aber auch von Jugendlichen vor allem die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder- und Jugendhilfe, aber nicht der Verfassungsschutz in der Verantwortung stehen, adäquat zu reagieren. Langfristig dürfte die direkte Auseinandersetzung, das direkte Gespräch entschieden nachhaltiger sein als das Sammeln von Daten in einer Akte. Wir sind alle in der Pflicht, genau hinzuschauen und, falls es erforderlich ist, tätig zu werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der im Rahmen der Gesetzesberatung bekannt gewordene Umgang der Verfassungsschutzbehörde mit den Rechten von Menschen, mit sehr sensiblen Daten hat erneut gezeigt, wie wichtig eine eng auslegbare rechtliche Grundlage für die Arbeit des Verfassungsschutzes ist. Wie wir gesehen haben, reicht das Gesetz manchmal nicht aus; denn auch über dieses kann sich in unzulässiger Weise hinweggesetzt werden.

Daran wurde deutlich, welche wesentliche Rolle der Aufsicht über die Verfassungsschutzbehörde beizumessen ist. Da ist zum einen die Parlamentarische Kontrollkommission zu nennen, die in ihren Möglichkeiten allerdings sehr beschränkt ist. Ich denke, dass wir darüber noch einmal eine Debatte führen müssen. Zum anderen trägt die oberste Behörde, das Innenministerium und dessen Hausspitze, eine wesentliche Verantwortung, deren Wahrnehmung in dem vorliegenden Fall nicht bis ins Letzte durch die Parlamentarische Kontrollkommission aufgeklärt werden konnte.

Gerade weil wir es hier mit einer sehr sensiblen Schnittstelle zwischen staatlichen Eingriffen und den Grundrechten des Einzelnen zu tun haben, wird meine Fraktion auch weiterhin die Arbeit des Verfassungsschutzes sehr kritisch beobachten; denn der Zweck heiligt eben nicht alle Mittel.

Zu den Änderungsanträgen der FDP-Fraktion kann ich Folgendes sagen: Dem Änderungsantrag, über den zuerst abgestimmt wird, der sich auf die Streichung von § 17 Abs. 6 bezieht, stimmen wir zu. Zu dem Folgeantrag werden wir uns der Stimme enthalten. Ebenso werden wir uns zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD der Stimme enthalten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr. - Als letzter Debattenredner spricht der Abgeordnete Herr Reichert für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich heute aufgrund meiner gesundheitlichen Verfassung meinen Redebeitrag zu Protokoll geben. Aber das geht gar nicht.

Seit September 2008 befasst sich nun der Innenausschuss mit der Gesetzesänderung zum Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt. Intensive und ausführliche Beratungen haben stattgefunden und zu der vorliegenden Beschlussempfehlung des Innenausschusses geführt. Die heutige abschließende Beratung erfolgt im Endeffekt über ein Gesetz, das gut ist.

(Zustimmung bei der CDU)

In Anbetracht der Tatsache, dass wir jederzeit terroristischen und extremistischen Übergriffen ausgesetzt sind - die letzten Meldungen haben das auch bestätigt -, halte ich die Arbeit des Verfassungsschutzes für unverzichtbar. Ich möchte hier auch einmal im Namen der CDU den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes Dank sagen; denn ihre Arbeit ist unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)