Deshalb sollten wir uns darauf verständigen und immer wieder darauf schauen: Welche Maßnahmen helfen wie?
Mit Frau Hannelore Kraft bin ich mir selten einig, wenn es um die Themen der Verteilung der Gelder zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland geht.
Zu der Unterstützung gehört übrigens auch eine ehrliche Auseinandersetzung damit, was in der Gestaltung der Einheit schiefgelaufen ist. Das gehört zu der Debatte heute dazu. Deshalb muss ich Sie noch einmal mit dem Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit behelligen. Darin steht:
„Die mit der Privatisierung und Sanierung der Staatsunternehmen beauftragte Treuhandanstalt konnte aufgrund ihres konsequenten Privatisierungskonzeptes bereits 1994 ihren Kernauftrag, den Unternehmensbestand zu privatisieren, weitgehend abschließen. Damit war eine grundlegende Voraussetzung für die Herausbildung einer leistungsfähigen privaten Unternehmensbasis in den neuen Ländern geschaffen.“
Ich will das einmal etwas zugespitzt zusammenfassen: Es musste erst alles plattgemacht werden, damit etwas Neues entstehen konnte. Diese Haltung zu den schweren wirtschaftlichen Umbrüchen, die die Menschen in ihren Erwerbsbiografien zu bewältigen hatten und die die Wirtschaftsstruktur stark beschädigt hinterlassen haben, ist für mich in der Tat blanker Hohn.
Ja, die DDR-Wirtschaft war kaputt. Das stimmt. Aber wie Sanierung und Neuaufbau beginnen können, das hat jemand wie Klaus Schucht gezeigt, der, als er noch in der Treuhandanstalt war, entschieden hat, dass die Chemieindustrie eben nicht einfach an einen Konkurrenten verkauft wird. Auch darum haben wir dort, wo es gelungen ist, in der Regel ausländische Investoren, weil sie Interesse hatten, eine wirklich konkurrenzfähige Wettbewerbswirtschaft im Osten Deutschlands aufzubauen.
Da das leider nicht das Prinzip der Treuhand war - das Prinzip war eben ein anderes -, ist es dem Zufall überlassen gewesen, wo es Menschen wie Klaus Schucht gab,
- der saß nicht in der Treuhandanstalt - die sich dieses Prinzip zu eigen gemacht haben und ganz praktisch an der Sanierung und dem Wiederaufbau industrieller Strukturen mitgewirkt haben.
Das war der Fehler: Es ist dem Zufall überlassen worden, wo der eine oder andere es in der Treuhandanstalt als richtig angesehen und gemacht hat. Deshalb ist der ganze Bereich der Maschinenbauindustrie in SachsenAnhalt, dem Land des Schwermaschinenbaus, nicht entsprechend saniert und nicht entsprechend umstrukturiert worden; denn dort hatte man nicht einen Klaus Schucht sitzen wie in der Chemieindustrie.
Ich mache es auch der Bundesregierung - das wissen Sie auch aus den alten Debatten im Landtag - zum Vorwurf, dass das damals dem Zufall überlassen war und dass das Grundprinzip aus meiner Sicht falsch war.
Fakt ist, dass mit der Währungsreform den ostdeutschen Unternehmen die Märkte im ehemaligen Ostblock über Nacht verlorengegangen sind. Fakt ist auch, dass mit dem im Einigungsvertrag verankerten Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ Investitionen ausgebremst worden sind, die auch nicht über das Investitionsvorranggesetz ausgeglichen werden konnten. Fakt ist auch, dass bei den Privatisierungen durch die Treuhand eine Reihe der so genannten Investoren die günstige Gelegenheit genutzt hat, sich missliebiger ostdeutscher Konkurrenz zu entledigen.
Ostdeutschland wurde in den meisten Bereichen - Gott sei Dank nicht in allen - zur bloßen Werkbank des Westens deklassiert. Das ist leider heute noch so. Die zwangsläufige Folge war eine katastrophale Massenarbeitslosigkeit mit verheerenden ökonomischen, aber eben auch seelischen Folgen für die Betroffenen. Diese wirken bis heute nach.
Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie das ernst nimmt und nicht im Nachhinein Geschichtsklitterung betreibt; denn nur so kann man auch daraus lernen.
(Zustimmung von Frau Fischer, SPD, und von Herrn Tögel, SPD - Herr Tullner, CDU: Das macht doch keiner!)
Meine Damen und Herren! Zu einer Würdigung der deutschen Einheit gehören auch der Dank an und die Anerkennung für diejenigen, die die Wiedervereinigung überhaupt erst möglich gemacht haben.
Denn ebenso wenig wie die friedliche Revolution war die deutsche Einheit ein rein deutsches Ereignis.
Sie war Teil einer europäischen Bewegung, die in dem Fall des Eisernen Vorhangs mündete und die ihre Mütter und Väter überall in den Staaten des Ostblocks hatte. Die Zauberworte dieser Bewegung hießen: Solidarnosc, Glasnost und Perestroika. Die Stätten dieses Zaubers hießen Danzig, Prag, Budapest, Leipzig und dann auch Berlin. Ohne diese Mütter und Väter wäre der Ostblock niemals ins Wanken gekommen, wäre die deutsche Einheit nicht denkbar gewesen. Ihnen gebührt unser Dank.
Die Einheit wäre auch nicht ohne den Willen der Alliierten zustande gekommen. Die Einheit mag in Bonn und Berlin erdacht, erhofft, ersehnt und auch entworfen worden sein.
Entschieden wurde sie in London, Moskau, Washington und Paris. Ohne den Einsatz des damaligen US-Präsidenten George Bush Senior hätte es keinen Zwei-plusvier-Vertrag und keinen 3. Oktober gegeben.
Die Ängste und Bedenken waren verständlich. Doch am Ende haben die Alliierten trotz der Erfahrungen zugestimmt, die Europa mit Deutschland im 20. Jahrhundert gemacht hatte,
Für diesen immensen Vertrauensvorschuss verdienen sie unseren tiefen Respekt. Wir haben das Vertrauen zurückgezahlt, indem die neue Bundesrepublik eine tragende Säule der Europäischen Union geworden ist.
Aus heutiger Sicht steht fest: Die deutsche Einheit war nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ein wichtiger Baustein einer neuen Friedensordnung in Europa, die Sicherheit nicht durch Abschreckung und Konfrontation, sondern durch Partnerschaft und Kooperation verheißt. Die deutsche Einheit ist also auch eine europäische Erfolgsgeschichte und wir sollten weiter gemeinsam daran schreiben. - Vielen Dank.
- Er möchte intervenieren. Bevor Sie intervenieren, möchte ich Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Calbe begrüßen. Ich glaube, es sind auch Schülerinnen und Schüler der Clausewitz-Sekundarschule Burg anwesend. Herzlich willkommen!