Aber so sehr ich bekannt habe, dass ich am Anfang vielleicht ein wenig zu kleingläubig gewesen bin ob der Möglichkeiten, Deutschland in Frieden und Freiheit mitten in Europa wieder vereinigen zu können, so war ich auch blauäugig bezüglich der notwendigen Zeitspanne, die vergehen wird, bis wir im Osten Deutschlands die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Westteils in etwa
Am Anfang der 90er-Jahre haben sich viele geirrt. Wer Anfang der 90er-Jahre gesagt hätte, wir werden uns im Jahr 2010 darüber unterhalten, dass es ein ehrgeiziges Ziel sein könnten, bis zum Auslaufen des Solidarpaktes 2002 im Jahr 2019 in etwa dieselbe Leistungsfähigkeit erreicht zu haben wie die alten Bundesländer, der wäre doch sehr der Hasenfüßigkeit bezichtigt worden. Das will ich gerne zugeben an dieser Stelle, meine Damen und Herren. Aber so ist es nun einmal.
Die Zeiten der sozialistischen Diktatur haben dem deutschen Osten doch mehr zugesetzt, als wir vielleicht selber manchmal wahrhaben wollen. Aber das, was wir inzwischen erreicht haben, kann sich sehen lassen. Anlässlich eines solchen Jubiläums sind schon viele Beispiele genannt worden. Ich möchte nun keine große Erfolgsbilanz in Erinnerung rufen, aber wenige Einsprengsel möchte ich nennen, um den großen Unterschied auch für diesen Tag bewusst zu machen.
Ich glaube, am meisten spürbar ist es für jeden geworden, wenn er sich die Sozialpolitik anschaut. Die Sozialpolitik war dadurch gekennzeichnet, dass die soziale Infrastruktur sehr am Boden lag und wir durch die großen Hilfen aus den alten Ländern sehr schnell ein Niveau erreicht haben, das wir vorher überhaupt nicht kannten.
Ich nenne in diesem Zusammenhang den Aufbau einer Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt, wie wir sie vorher nicht kannten. Wir können es sogar an den Statistiken ablesen, an einigen der wenigen untrüglichen Zahlen: Wenn in dieser kurzen Zeit von 20 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung in den neuen Ländern statistisch deutlich gestiegen ist, so ist das die unmittelbare Folge dieser doch wesentlich besseren medizinischen Versorgung, die vorher überhaupt nicht denkbar war, meine Damen und Herren.
Man muss und darf in Sachsen-Anhalt immer wieder daran erinnern, dass es der erste CDU-Sozialminister Werner Schreiber war, dem wir eines der modernsten Kinderbetreuungsrechte in Deutschland zu verdanken haben. Dieses Kindertagesstättengesetz bildet bis heute die Grundsäulen für unser geltendes Gesetz in SachsenAnhalt. Mit beträchtlichen Haushaltsmitteln investieren wir in die Kinderbetreuung. Wir haben im bundesweiten Vergleich auch weiterhin einen der Spitzenplätze. Viele alte Länder müssen erst das erreichen, was bei uns in Sachsen-Anhalt Selbstverständlichkeit ist.
Ich denke auch an die Bildungspolitik. Sie wird uns in den nächsten Monaten sicherlich noch beschäftigen. Aber aus der Sicht der CDU möchte ich schon betonen, dass wir auf Kontinuität zurückblicken. Schon der erste Regierungschef Dr. Gies sagte in seiner Regierungserklärung am 2. November 1990: Das moderne gegliederte, differenzierte und leistungsorientierte Schulwesen wollen wir in Sachsen-Anhalt aufbauen und ausbauen. Das ist bis heute CDU-Politik in diesem Land geblieben, meine Damen und Herren.
Die Vergleiche über die Schulleistungen bestärken uns auf diesem Weg. Ich hoffe, dass wir diesen Weg weitergehen können und genügend Partner im Land SachsenAnhalt finden, die anerkennen, dass es eines der erfolg
Wenn auch Frau Kollegin Budde ein bisschen skeptisch guckt, sollten Sie doch diese Erfolge durchaus mit anerkennen. Ich freue mich auf weitere Streitgespräche mit Ihnen. Bis jetzt haben wir immer einen Weg gefunden.
Ich sage ganz deutlich: Der beste Weg kann nicht nur der sein, mit dem das eigene Ego am besten befriedigt wird, sondern der, der für unsere Kinder am besten ist.
Wir sollten noch eine Weile darüber streiten. Wir sollten dann aber nicht vergessen, dass letztlich die Kinder die Nutznießer sein müssen. Nicht dass irgendjemand von uns sagt, er habe gewonnen. Deshalb werden wir, Frau Kollegin Budde, auf diesem Weg auch nicht so schnell nachgeben; darin können Sie sicher sein. Denn der Kampf um die beste Erziehung unserer Kinder ist ein lohnender Kampf.
Wir haben eine Kulturlandschaft aufgebaut und gesichert, die in ganz Deutschland noch immer ihresgleichen sucht. Wir haben eine Ausstattungsquote mit Theatern in Sachsen-Anhalt, wie sie in vielen reicheren alten Bundesländern so nicht üblich ist. Wir haben im guten Sinne des Wortes etwas zu bewahren und zu erhalten. Dass uns das bis an die Grenzen unserer haushalterischen Möglichkeiten führt, merken wir bei jeder Haushaltsberatung. Aber ich denke, das soll uns die Sache auch wert sein; denn Kultur ist nun einmal das Lebenselixier eines jeden Volkes.
Ich erinnere daran, dass wir auf dem Gebiet der Innenpolitik vorangekommen sind. Kommunale Selbstverwaltung gab es zu DDR-Zeiten nicht. Der demokratische Zentralismus sah das nicht vor. Es wurde in Berlin entschieden, wohin die nächste Kaufhalle gebaut werden muss. Diese Zeiten sind vorbei. Freilich quälen wir uns, weil die Kommunalpolitiker unsere Ideen nicht immer als die guten Ideen anerkennen wollen. Aber Demokratie ist nun einmal mühsam und es gibt dazu letztlich keine Alternative.
Ich erinnere an die Justiz. Ich erinnere daran, dass Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung heutzutage selbstverständliche Bestandteile unserer Demokratie sind und dass so manche Diskussion über staatliche Willkür heutzutage vollkommen unverständlich wäre, wenn wir nicht wüssten, woher wir kommen.
Deshalb ist es nicht hoch genug zu achten, dass wir eine Verwaltungsgerichtsbarkeit haben, dass wir sichere rechtsstaatliche Verfahren haben, auch wenn wir als Parlament die eine oder andere Gerichtsentscheidung mit Verwunderung zu Kenntnis nehmen; so ist es nun einmal. Wer Gewaltenteilung haben will, der muss Gewaltenteilung auch aushalten
und der muss auch anerkennen, dass andere die eigene Arbeit vielleicht anders beurteilen als man sie selber
Wer sich die großen Veränderungen auf dem Gebiet der Landesentwicklung und des Verkehrs anschaut, wer sich darüber ärgert, dass wir oft im Stau stehen auf der A 14, die es vorher gar nicht gab, die in unerreichbarer Ferne war,
der muss doch sehen, dass wir heutzutage ganz andere Probleme diskutieren, als wir es Ende der 90er-Jahre noch getan haben. Wenn wir uns darüber ärgern, dass die Züge der Deutschen Bahn nicht pünktlich sind, dann ärgern wir uns doch auf einem ziemlich hohen Niveau, wenn man sich daran erinnert, dass man zeitweilig einmal zwei Stunden mit der Bahn von Magdeburg nach Halle gebraucht hat. Von Magdeburg nach Braunschweig konnten wir gar nicht fahren, weil ein Grenzkontrollpunkt dazwischen lag, meine Damen und Herren.
Deshalb sollten wir bei allem berechtigten Zorn über Mängel der Deutschen Bahn AG diese auch ein Stück weit in der Milde des Lichtes sehen, was hätte sein können, wenn wir die friedliche Revolution nicht gehabt hätten.
- Nein, dann ärgere ich mich auch. Aber ich erinnere mich dann daran, wie es früher war, und dann ärgere ich mich nicht mehr ganz so sehr, Herr Dr. Püchel. Diese Freiheit muss man sich manchmal auch wieder selbst erarbeiten.
Oder blicken wir auf den Städtebau. Schauen wir uns einmal die Städte an, wie sie aufgebaut sind, wie wir mithilfe der Städtebauförderungsmittel wirklich moderne Städte entstehen lassen konnten und wie wir mit der IBA 2010 innovative gestalterische Ansätze für die bauliche Bewältigung auch der demografischen Entwicklung für ganz Deutschland zeigen können. Das ist doch wirklich ein Highlight, und das wird, meine ich, auch von der Bevölkerung gesehen und anerkannt.
Ich möchte jetzt wirklich nicht durch alle Bereiche gehen, die sich gut entwickelt haben. Ich möchte diese Rede auch dazu nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir durchaus noch Probleme zu überwinden haben, die wir vor 20 Jahren vielleicht noch nicht so gesehen haben.
Wir müssen aber auch sehen, dass wir zum Teil noch immer hartnäckige Vorurteile zu überwinden haben, die es in manchen Teilen der Bevölkerung gibt. Die subjektiven Wahrnehmungen erstrecken sich von verklärter Ostalgie mancher Ostdeutscher bis hin zu Westdeutschen, welche die deutsche Einheit finanziell noch immer unter einem Gesichtspunkt sehen, der sie ärgert. Das wird sich erst auswachsen; das kann man nicht per Dekret abschaffen.
Meine Damen und Herren! Wir müssen der Ehrlichkeit halber aber auch feststellen, dass es Bereiche gibt, auf denen wir nicht so schnell vorangekommen sind, wie wir uns das gewünscht haben. Wir müssen anerkennen,
dass neue Aufgaben auf uns zugekommen sind, die wir vor Jahren noch nicht als so drängend erkannt haben oder die sich erst in jüngster Zeit als dringend zu lösen herausgestellt haben.
Ich nenne als Erstes das in meinem Augen noch immer nicht hinzunehmende Ausmaß der Arbeitslosigkeit. Auch wenn wir uns zu Recht darüber freuen, dass wir in Sachsen-Anhalt im September 2010 lediglich eine Arbeitslosenquote von 11,5 % zu verzeichnen haben, so sind das in meinen Augen noch immer viel zu viele Arbeitslose, viel zu viele Lebenschancen, die nicht verwirklicht werden können. Deshalb muss die wirtschaftliche Entwicklung Sachsen-Anhalts mit dem Ziel des Abbaus der Arbeitslosigkeit auch weiterhin eines unserer Hauptarbeitsgebiete sein, meine Damen und Herren.
Ich denke aber auch, wir müssen uns den Menschen zuwenden, die den gesellschaftlichen Anschluss verloren haben und die für sich nur noch die Perspektive sehen, dass die Gesellschaft sie auf einem möglichst hohen Niveau versorgen muss, die für sich selbst keine andere Perspektive mehr sehen, die für sich selbst nicht mehr annehmen, dass sie ihren Lebensunterhalt einmal selbst verdienen können oder - noch viel schlimmer - verdienen wollen. Diese Leute müssen wir abholen und auch diesen müssen wir eine Perspektive geben. Ich halte das für eine ziemlich schwierige Aufgabe, weil wir an diese Milieus, zumal wenn sie sich verfestigt haben, auch nur schwer herankommen werden.
Meine Damen und Herren! Wir müssen aber auch sehen, dass uns die weltweite Finanzkrise mit der damit einhergehenden Wirtschaftskrise veranlasst, über die Rolle des Staates im Wirtschafts- und Finanzgeschehen neu nachzudenken. Nach meiner Auffassung darf sich der Staat doch nicht so weit zurücknehmen, wie viele von uns es noch vor wenigen Jahren gedacht haben.
Meine Damen und Herren! Die Frage nach der guten Bildung für unsere Kinder und die Organisation des lebenslangen Lernens habe ich bereits angesprochen. Es stimmt mich schon etwas bedenklich, dass es uns zumindest in der öffentlichen Auseinandersetzung nicht so recht gelingen will, uns zu einigen, was unsere Kinder denn nun können müssen, wenn sie aus der Schule kommen, und in welchen Schulstrukturen wir dieses Ziel gut und zugleich effektiv erreichen können.
Meine Damen und Herren! Zur Frage der Bevölkerungsentwicklung. Die einfache demografische Berechnung, dass uns noch immer und wohl auch auf mittlere Sicht pro Generation mit Sicherheit ein Drittel des zur einfachen Reproduktion notwendigen Nachwuchses fehlt, führt uns in drei Generationen zu zwei Dritteln hoch drei, also ungefähr 0,28. Das heißt, die Zahl der Menschen in Sachsen-Anhalt läge dann bei weniger als 30 % dessen, was wir gegenwärtig haben.
Meine Damen und Herren! Das wird so nicht passieren, weil diese Rechnung viel zu grob ist. Sie beinhaltet nicht anzuerkennen, dass sich die Lebenszeit der Menschen deutlich verlängert hat, sie berücksichtigt auch überhaupt nicht die Frage der Migration.
Aber ich denke, diese einfache drastische Rechnung, dass, wenn es so weitergeht, in 80 bis 100 Jahren nur noch ein Drittel der Bevölkerung aus denen bestehen wird, die ursprünglich hier lebten, macht uns deutlich,
dass eine kulturelle und wirtschaftliche Veränderung in einer Größenordnung vor uns steht, die wir heute nur erahnen können.
Deshalb, meine Damen und Herren, finde ich es ganz richtig, dass der Bundespräsident Wulff uns jetzt auf diese Frage hingewiesen hat. Ich stimme ihm voll darin zu, dass die Frage einer gelingenden Integration unserer ausländischen Mitbürger wahrscheinlich eine der Kernfragen zukünftiger Politik in Deutschland sein wird, auch wenn das in Sachsen-Anhalt jetzt noch nicht die bedeutende Frage ist, meine Damen und Herren.