Lassen Sie mich selbstbewusst sagen: Wir schauen zuversichtlich in die Zukunft und mit Stolz zurück. Das Land hat einen Wandel gemeistert, auf den es stolz sein kann. Für uns Liberale ist das Glas halb voll und nicht halb leer. Deshalb tragen wir diesen Pin mit Stolz. - Ich danke Ihnen.
Herzlichen Dank dem Abgeordneten Herrn Wolpert für seinen Beitrag. - Meine Damen und Herren! Ich darf die zweite Gruppe Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Calbe auf der Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Rede zum Thema „20 Jahre deutsche Einheit“ darf damit beginnen, daran zu erinnern, wo wir im Jahr 1989 standen. Der erste Kronzeuge soll Gerhard Schürer sein, der in seinem Bericht schrieb:
„Das bestehende System der Leitung und Planung hat sich trotz großer Anstrengungen zentraler und örtlicher Organe nicht bewährt. Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis
Auch der vielen noch bekannte DDR-Wirtschaftslenker Günter Mittag, seit 1966 Mitglied des Politbüros des ZK und ab 1976 Sekretär des ZK der SED, fasste in einem „Spiegel“-Interview von 1991 zusammen:
„Man denke nur angesichts der schwierigen Lage in der Sowjetunion, was heute hier los wäre, wenn es die DDR noch gäbe. Unbeschreiblich. Da läuft es mir heiß über den Rücken. Mord und Totschlag, Elend, Hunger. Es reißt mir das Herz kaputt. Mein Wunsch ist, Vertrauen in die Zukunft zu schaffen. Das ist wichtig. Jeder Mensch braucht Zuversicht, braucht etwas, woran er sich festhalten kann.“
Meine Damen und Herren! Diese zwei Beispiele offenbaren das wirkliche Desaster der DDR-Wirtschaft und die Perspektivlosigkeit, die der Bevölkerung kurz vor dem Untergang der DDR immer deutlicher wurde. Vor diesem Hintergrund - nur vor diesem Hintergrund, keinem anderen - muss bewertet werden, wo wir heute stehen, meine Damen und Herren.
Das 20. Jahrhundert kennt für Deutschland nur wenige glückliche Momente, aber mehrere geschichtliche Katastrophen. Der Erste Weltkrieg wurde zumindest von Deutschland mit verschuldet. Der Zweite Weltkrieg wurde von Deutschland ausgelöst. Der Rassenwahn entfaltete in Deutschland eine der schlimmsten Verirrungen der jüngsten Weltgeschichte.
Meine Damen und Herren! Vor diesem Hintergrund kann ich gut verstehen, dass es so manchem Deutschen schwer fiel, stolz auf sein Vaterland zu sein; denn die vielen hervorragenden Zeugnisse deutscher Kulturgeschichte waren doch durch diese schrecklichen Verirrungen mehr als verdunkelt.
Leider, meine Damen und Herren, wurde die Niederlage des nationalsozialistischen Regimes nicht in ganz Deutschland zum Aufbau einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung genutzt. Dem Osten Deutschlands wurde die Freiheit wieder verwehrt und er musste eine weitere deutsche Diktatur erleiden.
Meine Damen und Herren! Es muss heute ganz deutlich daran erinnert werden, dass diese Diktatur mit ihren insgesamt wohl 250 000 politischen Gefangenen eben keine kommode Diktatur war. Es muss aber auch gesagt werden, dass die politischen Freiräume im Osten zu unterschiedlichen Zeiten tatsächlich unterschiedlich groß waren. Während man in den 50er- und 60er-Jahren durchaus für einen politischen Witz noch ins Gefängnis kommen konnte, ist das, denke ich, in den 80er-Jahren niemandem mehr passiert.
Aber die politischen Grundlagen hatten sich nie geändert. Der demokratische Zentralismus war nie demokratisch und die Diktatur des Proletariats war immer nur die Diktatur einer selbst ernannten kleinen Clique, meine Damen und Herren.
Freilich, es gehört auch zur Beschreibung der deutschen Wirklichkeit, dass die meisten Menschen versucht haben, sich einzurichten. Das Recht hatten sie durchaus. Niemand ist zum Märtyrer geboren. Auch ich hatte keine
Lust, Märtyrer zu sein. Aber das Perfide der heutigen Versuche, die jüngste DDR-Geschichte umzuinterpretieren, meine Damen und Herren, ist doch der Versuch, aus einem durchaus gelungenen Leben unter den Bedingungen der sozialistischen Diktatur die Rechtfertigung der Diktatur selbst abzuleiten.
Diesem illegitimen Versuch kann nach meiner Auffassung nur durch Aufklärung, beginnend in der Schule, durch umfangreiche, genaue historische Forschung sowie gute Darstellung dieser Geschichte mit literarischen, filmischen und anderen medialen Mitteln erfolgen. Zum Glück haben wir mehr und mehr gute Kunstwerke, die diese Geschichte zeitgemäß und auch altersgemäß darstellen. Zu Recht wurde daran erinnert: Für jemanden, der jünger als 30 Jahre ist, ist das reine Geschichte, genauso wie die Geschichte des Kaiserreiches. Das muss man denjenigen nur über diese filmischen Mittel beibringen, und ich denke, das wird mehr und mehr gemacht.
Alle, die in diesem Saal sitzen, wussten bzw. hatten seit Mitte der 80er-Jahre das sichere Gefühl, dass es so nicht dauernd weitergehen konnte. Mit dem Sturz Honeckers kam Hoffnung auf, aber mit der versuchten Stabilisierung der DDR unter Egon Krenz kamen auch wieder große Befürchtungen auf, dass das Aufbegehren des Volkes niedergewalzt werden könnte wie einige Monate zuvor in der Volksrepublik China auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Deshalb, meine Damen und Herren, gehört die friedliche Revolution zu den ganz großen, raren glücklichen Stunden des deutschen Volkes im 20. Jahrhundert.
Eine weitere glückliche Stunde schloss sich an. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die von der ersten frei gewählten Volkskammer gewählte Regierung der DDR ergriffen, unterstützt von einer breiten Volksbewegung in ganz Deutschland, die historische Chance, Deutschland in Frieden und Freiheit wieder zu vereinen.
Meine Damen und Herren! Es gibt Politiker, die von sich sagen, dass sie an der Wiedervereinigung Deutschlands nie gezweifelt haben. Ich gehöre nicht dazu. Mein Mut reichte nur bis zu der Vorstellung einer vielleicht österreichischen Lösung mit drei deutschen Staaten in Mitteleuropa. Ich war da zu kleingläubig. Andere hatten aber zum Glück den Mut und das politische Können, dieses kühne Vorhaben zur rechten Zeit und Stunde friedlich umsetzen zu können.
Meine Damen und Herren! Die letzte Volkskammer hat in wenigen Monaten Großartiges geleistet. Da wiegen die Fehler und Unzulänglichkeiten, die passiert sind, in meinen Augen eher klein. Es sollte da heute keiner besserwisserisch sein. Nach meiner Einschätzung prägen - das haben wir auch an den heutigen Reden gemerkt - die in dieser geschichtlichen Knotenzeit gemachten Erfahrungen zum Teil noch heute die Politiker der ersten Stunde.
Ich erinnere bewusst an die wiederholt gestellte Frage, ob die Wiedervereinigung genutzt werden sollte, eine
neue, gesamtdeutsche Verfassung zu schaffen, oder ob der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nicht der bessere Weg sei. Die Volkskammer hat sich für den zweiten Weg entschieden und die Bevölkerung hätte wohl durch Abstimmung mit den Füßen den ersten Weg auch verhindert - zu Recht verhindert.
Herr Gallert sagt, wir hätten uns mit einer Alternative nicht auseinandersetzen wollen. Gab es denn Alternativen zu dieser Politik? Es sind einige Beispiele aus der Geschichte der Treuhand genannt worden.
Herr Schucht war offensichtlich einer der Patrioten, der seine Aufgabe darin gesehen hat, zum Ende seiner „Karriere“ etwas dafür zu tun, dass die Industriegeschichte in Deutschland eine würdige Fortsetzung hat. Das ist ihm gelungen.
Aber wenn wir uns die Beispiele in Magdeburg anschauen, hätte es zum Beispiel den Förderanlagenbau in Magdeburg nicht geben dürfen, wenn ein anderer wichtiger Politiker seiner Zeit, der in die Treuhand gegangen ist, nämlich Herr von Dohnanyi, sich durchgesetzt hätte, denn er wollte FAM plattmachen. Es passte nicht in sein Weltbild, dass hier in Magdeburg weiterhin erfolgreicher Förderanlagenbau existieren sollte.
Das heißt, es hing offensichtlich sehr von den handelnden Personen ab. Es wurden da große Fehler gemacht. Den beiden handelnden Personen, Schucht und Dohnanyi, unterstelle ich keinerlei persönliche Motive. Wahrscheinlich waren es Lageeinschätzungen, die sie unterschiedlich getroffen haben, die auch mal katastrophal falsch sein konnten, die auch richtig sein konnten.
Aber wir haben natürlich eine ganze Menge Glücksritter gehabt - ich habe das selber erlebt -, und so mancher Betrieb hat tatsächlich nur interessiert, damit die Marktbereinigung billiger erfolgen konnte als in den alten Ländern. Wir können heute oft erkennen, dass es die Betriebe noch gibt, für die ehrliche Partner gefunden worden sind. Wo, war ziemlich egal, aber der ehrliche Partner musste gefunden werden. Ein Herr Dr. Nathusius, denke ich, gehört auch zu den Patrioten, sonst würde es hier in der Umgebung auch nicht den modernen Maschinenbau geben.
Ich vermute - das ist von meiner Seite aus ein bisschen Spekulation, weil es da keinen Vorgänger gab -, der Unternehmer Otto aus Hamburg hätte den Otto-Versand auch nicht nach Haldensleben bringen müssen. Er hat wahrscheinlich auch durchaus eine gewisse gesamtdeutsche Aufgabe darin gesehen, sein Unternehmen in gesunder und guter Art und Weise zu entwickeln.
- Nein, es gibt selbstverständlich auch Hallenser Beispiele. Aber ich weiß nicht, woran es liegt, dass Halle noch ein bisschen aufholen muss.
Ich habe es schon einmal erzählt: Ich war der erste frei gewählte Betriebsrat in unserem kleinen Betrieb. Unser Betriebsleiter war zwar ein Genosse, aber er hätte den Betrieb mit Sicherheit weiterhin führen können, weil er anerkannt gewesen ist. Als wir die BGL nach Hause ge
schickt haben - das heißt Betriebsgewerkschaftsleitung, sofern jemand bei dem Vokabular nicht mehr so sicher ist -, ging ich zu unserem Betriebsleiter und fragte, wie wir das jetzt machen. Er sagte zu mir, ich solle etwas aufschreiben. Ich habe daraufhin gesagt, dass ich mir am Wochenende etwas überlegen werde. Ich hatte von Norbert Blüm bereits dicke Bücher über die soziale Marktwirtschaft und das Betriebsverfassungsgesetz bekommen. Ich sollte das Wichtigste von dem aufschreiben, was wir in den nächsten Monaten für den Betrieb brauchen. Ich habe es nach ein paar Tagen aufgegeben.
Aber es hat für mich eine nachhaltige Erkenntnis gehabt, nämlich dass es nicht möglich ist, so zu tun, als ob wir in statu nascendi - die Chemiker wissen, was das ist: Als ob man so tun könne, dass man im Entstehen etwas ganz neu macht - einen Staat oder eine Gesellschaft neu erfinden können. Es geht nicht, es sei denn, man hätte mehrere Jahre in Ruhe Zeit und ein Volk würde nicht laufend fragen, wie es weitergehen solle.
Deshalb ist für mich relativ schnell klar geworden: Es gibt keine Alternative dazu, eine funktionierende soziale Marktwirtschaft auch haben zu wollen, diese im Rechtssystem zu übernehmen - das haben wir gemacht - und natürlich weiter zu entwickeln, da es auch nicht die beste aller denkbaren Gesellschaften ist; das war mir auch relativ schnell klar. Aber ich glaube, die Leute haben sich relativ schnell danach sortiert, ob man meinte, man könne einen Staat neu erfinden, oder ob es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit und letztlich auch der einzig mögliche Weg war, schnell eine funktionierende soziale Marktwirtschaft auch hier zu implementieren, meine Damen und Herren.
Wir hatten vor Kurzem eine Veranstaltung mit Marianne Birthler. Marianne Birthler hat damals gegen den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland gestimmt, weil sie, wie sie sagte, die Auffassung hatte, man müsse den ernsthaften Versuch machen, einen deutschen demokratischen Staat neu zu erfinden. Sie hat vor ein paar Tagen gesagt, dass sie das heute auch als einen illusionären Weg sehe und der Beitritt der einzig mögliche und richtige Weg gewesen sei. Aber deshalb müssen wir gegenseitig anerkennen, dass wir unterschiedliche Wege gebraucht haben, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.
Aber das Signal, dass der Weg insgesamt richtig war - ich freue mich, Herr Gallert, dass Sie das auch gesagt haben -, muss heute auch von diesem Landtag ausgehen. Wir können letztlich froh sein, diesen friedlichen demokratischen Weg so gegangen zu sein, der im Großen und Ganzen alternativlos gewesen ist und der auch dazu geführt hat, dass es fast allen Menschen unter friedlichen und rechtlich gesicherten Bedingungen deutlich besser geht als zu den Zeiten, die in dem eingangs geschilderten Szenario von Herrn Mittag und Herrn Schürer beschrieben wurden, meine Damen und Herren.
Aber so sehr ich bekannt habe, dass ich am Anfang vielleicht ein wenig zu kleingläubig gewesen bin ob der Möglichkeiten, Deutschland in Frieden und Freiheit mitten in Europa wieder vereinigen zu können, so war ich auch blauäugig bezüglich der notwendigen Zeitspanne, die vergehen wird, bis wir im Osten Deutschlands die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Westteils in etwa