Demografisch kommen wir langsam in ruhiges Fahrwasser; Schulschließungen werden wohl nicht mehr ein großes Thema sein. Wir können also jetzt die Schulen das machen lassen, wofür sie eigentlich gedacht sind, nämlich sich um die Schülerinnen und Schüler zu kümmern.
Die Länder, die mit wenigen Schulstrukturen experimentiert haben - das ist ein empirischer Beweis; Sachsen und Thüringen stehen dafür -, hatten ähnliche Ausgangsbedingungen, aber sie stehen wesentlich besser da als Sachsen-Anhalt.
Bei Pisa beziehen Thüringen und Sachsen Spitzenplätze in Deutschland. Sie sind europaweit an der Spitze. Sachsen-Anhalt ist im Vergleich dazu erst an einem mittleren Platz angelangt. Wir haben uns zwar in den letzten Jahren verbessert, aber man kann, glaube ich, eines
deutlich erkennen: Wer ständig an den Strukturen herumbastelt, schadet dem System, vermindert die Chancen der Schülerinnen und Schüler und beschäftigt die Schule mit sich selbst anstatt mit dem pädagogischen Auftrag.
Meine Damen und Herren! Für uns ist Bildungspolitik in mehrerer Hinsicht ein wichtiger Schlüssel für die Zukunft. Zum einen ist es der Schlüssel für den Menschen als Individuum, sein Leben in freier Verantwortung selbst gestalten zu können. Zum anderen ist es der Schlüssel für die deutsche Marktwirtschaft, im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Wir verkaufen in der Welt Wissensvorsprung. Wir haben nichts anderes, was wir verkaufen können. Unser Wohlstand, unser sozialer Standard beruht darauf, dass wir hervorragend ausgebildet sind.
Aber es ist noch ein anderer Punkt. Das hat etwas mit unserer Freiheit zu tun. Bildung schafft den mündigen Bürger, den die Demokratie braucht. Wer seine Rechte nicht kennt, kann sie nicht wahrnehmen, und wer sie nicht wahrnimmt, nimmt an der Demokratie nicht teil.
Deshalb fordere ich alle Fraktionen in diesem Landtag auf: Konzentrieren wir uns auf die Verbesserung der Qualität unseres Schulsystems. Konzentrieren wir uns auf die Durchlässigkeit des Systems. Konzentrieren wir uns auf die wahren pädagogischen Fragen. Aber lassen Sie die Strukturen in Ruhe, Änderungen daran sind kontraproduktiv.
Herr Wolpert, es gibt eine Nachfrage der Abgeordneten Frau Fiedler. Möchten Sie diese beantworten? - Das möchten Sie. - Frau Fiedler, Sie haben das Wort. Bitte.
Herr Wolpert, welche gesicherte Grundlage haben Sie für Ihre Aussage, dass die Förderstufe keinen Wert hatte?
Die gefühlte Meinung von Gymnasiallehrern und Eltern, denke ich, ist da nicht sehr überzeugend. Sie sollten sich einmal die Ergebnisse der Jahrgänge bei den Realschulabschlüssen, bei den Abiturabschlüssen anschauen, die die Förderstufe durchlaufen haben.
Sie hören, dass die Korona schon antwortet. Die Zahlen, auf die Sie sich beziehen, widerlegen Ihre These. Die waren schlechter.
Es gibt auch eine andere Untersuchung, die besagt, dass eben diese Schulen, in denen das so genannte in
tegrierte System, das gemeinsame längere Lernen praktiziert wird, tatsächlich andere Ergebnisse bringen. Letztlich ist es so, dass der Anteil der höheren Schulabschlüsse niedriger ist. Damit ist der Beweis erbracht, dass sie den Schülern eine geringere Chance bieten als in dem jetzigen gegliederten Schulsystem.
Nur noch eine Korrektur aus meiner Sicht. Die Abschlüsse in den Abiturjahrgängen, die die Förderstufe durchlaufen haben, sind nicht schlechter gewesen.
Das steht Ihnen gern zu. Ich werde sie Ihnen zur Verfügung stellen. Aber ich glaube, Frau Feußner hat sie ohnehin schon dabei.
Vielen Dank. Weitere Nachfragen sehe ich nicht. - Dann kommen wir zum Beitrag der Landesregierung. Frau Ministerin Professor Dr. Wolff, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mir erzählen lassen, wie es war vor 20 Jahren, als die Abgeordneten der ersten Wahlperiode beraten und leidenschaftlich debattiert haben - nicht wie heute über die soundso vielte Änderung dieses oder jenes Gesetzes, sondern über das erste Schulgesetz des Landes überhaupt, über das erste Hochschulgesetz, über Reformgesetze.
Ich habe mit großem Interesse und mit Respekt zugehört. Bei niemandem hatte ich den Eindruck, dass er sich den damaligen Arbeitsaufwand nochmals wünscht, habe aber bei jedem die Freude gespürt, sich daran zu erinnern.
Aber ich habe auch gespürt, dass es aufgesetzt wirkte, wenn ich mich nunmehr sozusagen in die Rolle des Zeitzeugen begeben würde. Zum Glück gibt es mehrere Möglichkeiten, ein Fazit zu ziehen. Man kann es in einer Zeitreise tun und dabei wichtige Marken hervorheben. Man kann es aber auch mit jenem Rückblick tun, der von heute aus geworfen wird und fragt, wie es denn nun weitergehen könnte.
Wie bei kaum einem Bundesland hat man in SachsenAnhalt den Eindruck, dass in der Bildungspolitik bundesdeutsche Diskussionen im Zeitraffer nach- und mitvollzogen wurden. Das dürfte sich nirgendwo deutlicher zeigen als in den vielen Jahren, in denen vielen das einzig Beständige an unserem Schulsystem der Wandel zu sein schien.
Die entsprechenden Kristallisationspunkte dieses Empfindens - sie wurden eben auch schon genannt - waren
Dann, nach einer langen Zeit relativ faktenarmer pädagogischer Diskussionen, kamen die ersten Schulleistungsstudien. Ein paar gab es auch schon früher. Aber erst TIMSS und dann Pisa erhielten die Aufmerksamkeit, derer es für eine breite öffentliche Diskussion bedarf.
Man kann an dem Ertrag dieser Untersuchungen viele Zweifel haben, vor allem an der Aussagekraft für das Schulwesen als Ganzes. Mir wird es auch rätselhaft bleiben, wie sich Sachsen-Anhalt in kürzester Zeit von einem angeblich sozial hochselektiven Land in ein Land verwandeln konnte, in dem die Bildungsabschlüsse der Eltern eine vergleichsweise nur geringe Rolle spielen.
Es ist dennoch sehr schön, wenn wir in Länderrankings wie dem aktuellen Bildungsmonitor als das Land mit der dynamischsten Entwicklung bezeichnet werden und unser Standing auf Platz sieben verbessern.
Rankings hin, Rankings her - woran mir kaum ein Zweifel möglich scheint, ist, dass die Studien die bildungspolitische Diskussionskultur insgesamt veränderten, auch und gerade in der KMK.
Es zeigte sich nämlich, dass es im Hinblick auf schulische Leistungen zwischen den einzelnen Bundesländern zwar enorme Unterschiede gab, Unterschiede, die in mehreren Schuljahren gemessen wurden. Aber es zeigte sich auch, dass selbst die besten Länder keinen Anlass hatten, sich selbst schon zur bestmöglichen aller denkbaren Welten auszurufen, in der jede Änderung nur Verschlechterung bedeuten könnte.
Das hat das Diskussionsklima in der Tat verändert - nicht in dem Sinne, dass bildungspolitische Grundpositionen aufgegeben wurden, aber so, dass man sich immer klarer darüber wurde, dass es unabhängig von diesen Grundpositionen gemeinsame Probleme gab und gibt und es sich darum lohnen könnte, gemeinsam über Lösungen nachzudenken.
Das geschieht in der KMK. Es geschieht aber auch in unserem Land. Auch hier ist es möglich, bildungspolitische Unterschiede festzustellen und dennoch beispielsweise das Bemühen um gemeinsamen Unterricht anzuerkennen.
Manchmal tut auch die Realität das Ihrige. Wir werden zum Beispiel heute noch darauf kommen, dass eine allseits gewollte kleine Sekundarschule eigene Hauptschulklassen immer weniger zulässt oder dass im produktiven Lernen rund 80 % der Schüler, die sonst die Schule vermutlich ohne Abschluss verlassen müssten, doch einen Abschluss erhalten, wieder motiviert werden und eine Lehrstelle finden. So etwas wird auch nicht durch eventuelle grundsätzliche Bedenken infrage gestellt.
Wenn man wollte, könnte man das durchaus infrage stellen. Der eine könnte die Sekundarschule und die dort angebotenen Abschlüsse infrage stellen, der andere könnte eine neue verkappte Schulform wittern. Aber ganz offensichtlich zählt für alle das Resultat mehr, nämlich die neue Lebensperspektive für Hunderte von Jugendlichen.
Was Schulleistungsstudien betrifft, schneidet SachsenAnhalt - wir haben es ja eben auch schon gehört -, erst recht gemessen an der nicht immer leichten Ausgangssituation, meist ordentlich ab. Dennoch sehe ich zahlreiche andere Möglichkeiten, Dinge gemeinsam anzugehen, die uns alle beschäftigen. Da ist die individuelle Förderung. Da ist die Aufgabe, dass so vielen Schülern wie möglich ein Abschluss ermöglicht wird.
Rund 6 % Abgänger ohne Abschluss an den Sekundarschulen sind weniger als die 11 %, die es einmal waren, es sind aber eben immer noch zu viele. Und 12,8 % Abgänger unterhalb des Hauptschulabschlusses, vor allem an Förderschulen, sind auch zu viel. Auch deswegen haben wir den gemeinsamen Unterricht ausgebaut und werden ihn weiter ausbauen.
Wir müssen weiter daran arbeiten, dass sich die sehr hohe Quote an Übertritten an das Gymnasium von über 45 % auch in den entsprechenden Abiturientenzahlen niederschlägt.