Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

Frau Hüskens, ich würde Ihnen empfehlen, meine Rede nachzulesen. Dergleichen habe ich nicht gesagt.

Das haben Sie gesagt. Aber Sie wissen die Antwort nicht.

Es gibt keine weiteren Nachfragen. Vielen Dank, Herr Rosmeisl. Damit ist der erste Teil der Aktuellen Debatten zum Hochwasserschutz beendet.

Ich darf überleiten zum zweiten Thema der Aktuellen Debatte:

20 Jahre sachsen-anhaltisches Bildungssystem

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2888

Es wurde folgende Redereihenfolge festgelegt: FDP, SPD, DIE LINKE, CDU. Zunächst erhält der Abgeordnete Herr Wolpert für die antragstellende Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Wolpert, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist eine Aktuelle Debatte zu 20 Jahren Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt nach 20 Jahren eine recht harmlose Sache. Das Anliegen einer Fraktion, ein Thema an einem Sitzungstag etwas massiver zu behandeln, dürfte eigentlich nicht so erschreckend sein. Umso mehr hat es mich verwundert, dass die SPD-Fraktion versucht hat, diese Debatte über Geschäftsordnungstricks zu verhindern, indem gefragt wurde, ob diese Debatte denn einen aktuellen Bezug habe oder ob sie von allgemeiner Bedeutung sei.

Meine Damen und Herren! Einen aktuellen Bezug hat die Debatte schon deshalb, weil im letzten Monat der Bildungsbericht über 20 Jahre erstellt und veröffentlicht worden ist. Aber das allein als Thema hätte uns wahrscheinlich nicht ausgereicht. Viel interessanter ist allerdings - das lässt tiefer blicken -, dass die SPD-Fraktion offensichtlich Angst vor dieser Debatte hat, weil diese Debatte nämlich hervorbringen könnte, dass sich entweder die SPD oder die Koalition nicht einig sind. Aber auf alle Fälle bringt es eines hervor, nämlich dass der Kompromiss, der im Bildungskonvent geschlossen worden ist, ganz offensichtlich ein fauler Kompromiss ist, hinter dem keiner, der ihn unterschrieben hat, steht.

(Beifall bei der FDP)

Aber, meine Damen und Herren, bildungspolitisch steht der 3. Oktober 1990 eigentlich für einen Tag der Zäsur. Die Betroffenen, die täglich in den Schulen und Hochschulen lehrten und lernten, dürften es nicht unmittelbar bemerkt haben, aber zu diesem Zeitpunkt übernahm das Land Sachsen-Anhalt Verantwortung für sein eigenes Bildungssystem. Dies war gleichzeitig eine deutliche Absage an die zentralistische Steuerung durch das Ministerium für Volksbildung in den Jahrzehnten davor.

Sachsen-Anhalts Bildungspolitik hat von diesen neuen Einflussmöglichkeiten in den letzten 20 Jahren reichlich Gebrauch gemacht. Gerade in der Schulpolitik war dies wohl eher häufiger oder sogar zu häufig der Fall.

Bereits im Sommer 1990 hatte man sich in der gemeinsamen Bildungskommission darauf geeinigt, das Hamburger Abkommen anzuerkennen, damit die Freizügig

keit in dem gesamtdeutschen Bildungswesen organisiert werden kann. Heute wird häufig über eine bessere Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse diskutiert. Dabei erscheinen die Entscheidungen von damals zumindest vom Grundsatz her geradezu alternativlos. Wer glaubt, man hätte damals ein System übergestülpt, der muss sich fragen lassen, warum er danach schreit.

(Beifall bei der FDP)

Wir lesen heute Morgen in der Zeitung, dass wir zunehmend Studienanfänger aus den alten Ländern begrüßen können. Das ist nicht nur ein Zeichen für den guten Ausbaustand, den wir heute an unseren Hochschulen erreicht haben. Es ist auch eine Folge der damals vereinbarten Maßnahmen der Freizügigkeit im Bildungswesen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich bin für eine lebhafte Diskussion, aber ich bitte um Aufmerksamkeit. Wir können das hier vorn ganz schlecht verfolgen. Vielen Dank.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Stahlknecht, ich weiß, wenn ich über Rechtspolitik spreche, dann hören Sie mir aufmerksamer zu.

(Herr Stahlknecht, CDU: Das stimmt!)

Ihr bildungspolitischer Anteil ist in Ihrem Leben offensichtlich schon gelaufen.

(Zustimmung bei der FDP - Herr Stahlknecht, CDU: Longlife Learning gilt auch bei mir!)

Nach den Erfahrungen in der DDR, in der die Verteilung der Lebens- und Bildungschancen von oben verordnet wurde, ist es eigentlich auch nicht verwunderlich, dass die Menschen ein anderes System wollten. Sie wollten ein Bildungssystem, in dem Begabung und Fleiß, Talent und Lernwille ausschlaggebend sind. Selbst in Brandenburg, in dem die SPD regierte, führte letztlich am Gymnasium kein Weg vorbei.

Bis zum Ende des damals bereits laufenden Schuljahres musste auch in Sachsen-Anhalt ein Schulsystem völlig neu geregelt werden. Mit der Verabschiedung des so genannten Schulreformgesetzes wurde im Land in der Primarstufe eine vierjährige Grundschule eingeführt; in den Sekundarstufen entstand ein zweigliedriges System aus Gymnasium und Sekundarschule.

Im Allgemeinbildungsbereich wurden somit nach dem Ende des Schuljahres1990/1991 49 Erweiterte Oberschulen, 986 Polytechnische Oberschulen und 88 Hilfs- und Sonderschulen in 142 Gymnasien, 604 Sekundarschulen, 851 Grundschulen und 132 Sonderschulen umgestaltet. Hinzu kamen vier Gesamtschulen, die als Modellversuche geführt wurden.

Tatsächlich musste die Zahl der Schulen aufgrund der Auswirkungen des demografischen Wandels seitdem halbiert werden. Die Anzahl der Sekundarschulen ging sogar auf ein Drittel zurück. Wäre man ausschließlich nach der Anzahl der Schüler gegangen, hätten die Grundschulen dieses Schicksal geteilt. Mit Blick auf die Schulwege gerade für die Jüngsten ist es nachvollziehbar, dass man das nicht getan hat.

Unter diesen Umständen mag es auch nicht erstaunen, dass sich bezüglich des Schulreformgesetzes schon

bald größerer Korrekturbedarf angesammelt hatte. Bereits im Jahr 1993 sorgte die Festlegung der gymnasialen Oberstufe auf eine dreijährige Einführungs- und Qualifikationsphase mit Beginn der 10. Klasse für Aufregung. Ab dem Schuljahr 1993/1994 waren die Rahmenbedingungen allerdings so gesetzt und rechtlich gesichert, dass eine Etablierung der neuen Strukturen stattfinden konnte.

Aber das führte nicht zu einer längeren Phase der Ruhe, ganz im Gegenteil. Spätestens mit der Reform zur Einführung der Integrierten Förderstufe im Schuljahr 1997/ 1998 fand erneut ein tiefgreifender Einschnitt in das Schulsystem statt. Es wurde damals kolportiert, dass die rot-grüne Minderheitsregierung auf Druck der PDS vermeiden wollte, an den Grundschulen trotz sinkender Schülerzahlen Entlassungen vornehmen zu müssen.

Was auch immer die tatsächlichen Gründe waren - im Endeffekt verloren die meisten Gymnasien ihre 5. und 6. Klassen. Darüber hinaus wurde die gymnasiale Oberstufe ab dem Schuljahr 2000/2001 um ein Jahr auf die Klassen 11 bis 13 verschoben. Die Sekundarschulen bekamen im Gegenzug in der Orientierungsstufe der Klassen 5 und 6 eine große Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die eigentlich lieber gleich auf das Gymnasium gegangen wären. Dazu kam in den Jahren 1999 bis 2000 die Umstrukturierung ab der 7. Klasse mit der Aufhebung der abschlussbezogenen Bildungsgänge.

Meine Damen und Herren! Das war eine komplette Umwälzung der Schullandschaft. Es ist genau das passiert, was man vermuten konnte: Schule hat sich mit sich selbst beschäftigt, allerdings nicht mit den Schülern und mit dem pädagogischen Auftrag.

(Beifall bei der FDP)

Diese Reformen schürten viel Unmut bei den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch in der Bevölkerung allgemein. Vor allem an den Gymnasien beklagte man sich über die Qualität der Förderstufe. Die Schulen in freier Trägerschaft und die Landesgymnasien erlebten einen unbekannten Ansturm. Manche Eltern sollen sogar den Wechsel nach Sachsen und Thüringen vorgezogen haben. Es war unausweichlich - und dazu stehe ich auch heute -, diese Reformversuche nach der Abwahl der Höppner-Regierung wieder zu beenden.

(Beifall bei der FDP)

Auch das führte natürlich erneut zu Unruhe. Diese hätten wir auch gerne vermieden. Aber der Volksmund bevorzugt nicht umsonst ein Ende mit Schrecken als gar keines. Wenn man sich heute bei den Sekundarschullehrern und an den Gymnasien umhört, dann stellt man fest, dass es die meisten so sehen: Es war ein richtiger Schritt.

Seit 2007 sind die Schulen in unserem Land zwar von größeren Strukturänderungen verschont geblieben, doch echte Ruhe wollte wiederum nicht einkehren. Stattdessen wurde ein Bildungskonvent eingesetzt, der eigentlich nur kaschieren sollte, dass sich die Koalition in diesem Bereich nicht einigen konnte und letztlich darüber diskutieren wollte, ob die Schulstrukturänderung wieder in Angriff genommen werden sollte oder nicht.

Das Ergebnis dieses Bildungskonvents war, dass in den Schulen wiederum keine Ruhe einkehrte, dass die Betroffenen wieder darum fürchten mussten, dass an den Strukturen gebastelt wird, dass man gespannt darauf sah, was dort besprochen wurde und dass man wie

derum den eigentlichen Auftrag nicht wirklich erfüllen konnte.

Ich hoffe, dass man zukünftig genau überlegt, ob man die Schulen weiteren Experimenten aussetzt. Die integrierten Gesamtschulen, die es auch in Sachsen-Anhalt schon eine ganze Weile gibt, haben weder hier noch in den anderen Ländern der Bundesrepublik ihre Überlegenheit beweisen können.

(Beifall bei der FDP)

Im Gegenteil: In bundesweiten Vergleichen schneiden sie etwa bei den Lernfortschritten schlechter ab als die Realschulen.

Im Wahlkampf werden wir sicherlich trotzdem eine Menge über längeres gemeinsames Lernen hören. Es ist zu befürchten, dass es sich am Ende wieder einmal um eine umetikettierte Förderstufe handeln würde. Uns fehlen schon die baulichen Gegebenheiten für eine Verlängerung der Grundschulzeit in den bestehenden Gebäuden.

(Zuruf von der LINKEN)

Auf jeden Fall würden wiederum dem Gymnasium Klassen verloren gehen. Die Oberbürgermeister von Magdeburg und Halle haben schon vorsorglich gewarnt. Das sollte man sich bei aller Begeisterung doch einmal zu Herzen nehmen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Feuß- ner, CDU)

Aber auch jenseits solcher praktischen Fragen sind uns die Advokaten des längeren gemeinsamen Lernens bisher einen Beweis schuldig geblieben, dass das wirklich etwas bringt.

(Frau Bull, DIE LINKE: Und umgekehrt!)

Wir wehren uns jedenfalls entschieden dagegen, nur wegen einer kuscheligen Formel das ganze Schulsystem schon wieder umzupflügen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Alle Fraktionen hier im Haus haben mit Strukturreformen, die bestimmt alle gut gemeint waren - das würde ich niemandem in Abrede stellen -, den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch den Familien bereits einiges zugemutet. Dass unsere Schulen trotzdem ein recht ordentliches Ergebnis bieten, liegt, glaube ich, im Wesentlichen an der Qualität der Lehrer. Dafür einmal ein Dankeschön.

(Beifall bei der FDP)