Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien in der Drs. 5/2868 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? - Das ist die FDP-Fraktion. Der Beschlussempfehlung wurde somit zugestimmt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen für eine Neuberechnung der Regelsätze vorgelegt, hat also quasi ihre Hausaufgaben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vorgelegt. Das Ergebnis ist, wie ich finde, zu Recht auf scharfe Kritik gestoßen.
Ich denke, eine Erhöhung um 5 €, meine Damen und Herren, muss man schlichtweg als Provokation empfinden. Es ist ja auch eine.
Meine Damen und Herren! Ich finde es ein Stück weit grenzwertig, sich dann auch noch mit Zynismus hinzustellen und es groß zu bedauern, dass die Kinderregelsätze nach dieser Rechnung eigentlich noch sinken müssten. Ich glaube, um 12 €, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.
Meiner Auffassung nach gehört nicht die Rechnung, allenfalls noch die Transparenz, aber eben nicht die Rechnung unter die Kritik. Denn ich denke schon, hinter jeder Rechnung steht vor allen Dingen eine politische Absicht, meine Damen und Herren. Damit muss man sich auseinandersetzen; denn - das behaupte ich - diese 5 € sind politisch gewollt.
Was soll nun Menschen zugestanden werden, die keine Arbeit haben oder die keine Arbeit finden? Um es einmal ganz klar zu sagen: Hier geht es eben nicht um anstrengungslosen Wohlstand. Wer sich die IAB-Studien gerade aus dem Jahr 2010 anschaut, der findet darin ganz eindeutige Forschungsergebnisse, ganz eindeutige Botschaften, dass Menschen im SGB-II-Bezug genauso aktiv und genauso faul sind wie ihre Mitstreiter oder ihre Zeitgenossen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Es ist also Schnulli, wenn jemand immer wieder behauptet, die seien besonders faul.
Nein, meine Damen und Herren, es geht um ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, und das eben nicht verglichen mit den Menschen, die in Afrika leben.
Die Menschen erleben hier, was eine Gesellschaft zu bieten hat, und sie erleben hier, dass sie davon ausgeschlossen werden. Sie leben am Rande dieser Gesellschaft und nicht am Rande der afrikanischen Gesellschaft. Sie müssen hier die Kosten für Energie, für das Internet, für Nahrungsmittel und für Bücher bezahlen.
Das Problem an dieser Debatte - das will ich auch gleich sagen - ist, dass auf diese Art und Weise die Botschaft versandt wird: Ihr, liebe Leute, habt gar keinen Grund, zu jammern. Liebe Leute, euch geht es vergleichsweise gut. - Sie, meine Damen und Herren, die diese Argumentation bemühen, diskreditieren damit Armutslagen in Deutschland.
Das bekommt uns allen nicht gut; denn das Funktionieren einer Demokratie ist davon abhängig, ob und inwiefern Menschen ihr Land als sozial gerecht empfinden.
Wenn sie aber erleben, dass auf der einen Seite der Reichtum steigt und auf der anderen Seite immer mehr Menschen ausgegrenzt werden bzw. daran nicht teilhaben können, dann empfinden sie das nicht als sozial gerecht.
Meine Damen und Herren! Wie das wirkt, werden Sie verstehen, wenn Sie sich einmal den „Tagesspiegel“
durchlesen. Darin wird darüber berichtet, dass CDU/CSUFraktionschef Kauder „Botschafter des Bieres 2010“ ist. Dieser sagt dazu - das ist kein Witz -: „Zwei, drei Weizenbier am Tag gehören dazu. Die müssen einfach sein.“
Meine Damen und Herren! Wie das auf jemanden wirkt, der die hunderttausendste Bewerbung geschrieben hat, das hunderttausendste Mal an Lehrgängen zum Thema „Wie bewerbe ich mich richtig?“ teilgenommen hat, ist das Problem. So erleben Erwerbslose das, was hierzulande unter „sozial gerecht“ verstanden wird.
Darüber hinaus ist anzumerken, auch die vermeintliche Erhöhung ist eine Milchbubenrechnung. Wir haben gestiegene Verbraucherausgaben, und zwar seit dem Jahr 2003 um 20 %.
In dem Zusammenhang möchte ich nur kurz sagen. In einer Großen Anfrage zum Thema Hartz IV haben wir die Landesregierung gefragt: Wie ist für Verbraucher das Preisniveau in Sachsen-Anhalt gestiegen und wie verhalten sich dazu die Regelsätze? - Die Landesregierung antwortete darauf, dass der Verbraucherindex um, ich glaube, 7,5 % und die Regelsätze um mehr als 8 % gestiegen sind.
Nun könnte man sich eigentlich zurücklehnen und sagen, gut. Wenn man aber genauer hinguckt, dann kann man sehen, dass zum Beispiel die Ost-West-Angleichung dort mit hineingerechnet worden ist. Die war nun garantiert nicht dazu gedacht, die Preissteigerung auszugleichen. Sie war dazu gedacht, lediglich das Niveau zwischen Ost und West anzugleichen.
Gleichzeitig werden das Elterngeld für Hartz-IV-Empfängerinnen und der gerade erst eingeführte Heizkostenanteil gestrichen.
Zweitens. Immer wieder wird das Lohnabstandsgebot bemüht. Wer arbeiten geht, muss mehr in der Tasche haben als der, der zu Hause ist. Logisch. Das klingt sehr eingängig. Es ist völlig klar: Arbeit muss sich lohnen. Es wäre auch logisch, meine Damen und Herren, wenn die Realität dem standhalten würde,
wenn der so Motivierte nämlich losgehen könnte, um sich eine Arbeit zu nehmen, von der er halbwegs leben könnte. Das ist aber nicht so.
Stattdessen funktioniert dieses Lohnabstandsgebot in der Realität ganz anders. Mit Hartz IV ist ein riesiger Niedriglohnsektor entstanden. Also, wenn etwas boomt, dann ist es der Niedriglohnsektor. Wir haben derzeit ca. 1,3 Millionen Menschen, die trotz Berufstätigkeit auf Hartz IV angewiesen sind. Das ist ein Zuwachs von 1 %. Das sind so viele Fälle wie nie zuvor. In Sachsen-Anhalt sind es 77 000 Menschen. Die Zahl der Mini-Jobs ist um 7 % angestiegen.
Demgegenüber ist die Zahl der Jobs mit mehr als 800 € monatlich um 13 % gesunken. Das heißt, die Löhne im Niedriglohnsektor sinken. Genau das benutzt die Bundesregierung. Zur Referenzgruppe für die Berechnungen, meine Damen und Herren, gehören nämlich mitt
Nicht herausgerechnet werden dabei die Fälle versteckter Armut, also Menschen, die de facto arbeiten gehen, aber nicht von ihren Leistungsansprüchen Gebrauch machen. Auch Aufstocker und ehemalige Elterngeldbezieher werden nicht herausgerechnet.
Um die Wirkung einmal ganz konkret zu machen: Gerade Familien, die in diesem Bereich unterwegs sind, die in schwierigen finanziellen Lebenslagen sind, können sich mitunter kein Internet leisten. Meinethalben weil sie in die Situation geraten, für ihr Kind ein Fahrrad kaufen zu müssen. Das heißt, sie kaufen auch keinen Internetanschluss. Dieses Verbraucherverhalten fließt dann in die Rechnung ein.
Da verwundert es nicht, dass man bei 18-Jährigen bei der Position Nachrichtenübermittlung, um nur eine Position zu nennen, bei 15 € bleibt.
Ich will es ganz klar sagen: Unter diesen Umständen auf das Lohnabstandsgebot zu pochen und gleichzeitig einen Mindestlohn zu verweigern, das heißt ganz klar, das Existenzminimum immer weiter nach unten zu schrauben.
Ich finde, das muss man dann auch so sagen. Das genau verbirgt sich hinter der Losung „Sozial ist, was Arbeit schafft“. Da muss man nämlich mal ein bisschen genauer gucken, welche Arbeit hier geschaffen wird.