Protokoll der Sitzung vom 12.11.2010

Eine wichtige inhaltliche Leitlinie ist dabei für uns auch der kürzlich gefasste Beschluss des Landesintegrationsbeirates mit dem Titel „Potenziale der Zuwanderung nutzen - Anerkennung ausländischer beruflicher Qualifikationen verbessern“.

Gezielte Zuwanderung, sehr geehrte Damen und Herren, von Fachkräften aus dem Ausland ist meines Erachtens für Sachsen-Anhalt noch kein besonders drängendes Thema, solange wir die Fachkräftepotenziale des Landes bei Weitem noch nicht ausgeschöpft haben. Aber es ist ein Thema, das ständig an Bedeutung zunimmt und das in gleichem Maße von uns mit bearbeitet werden muss. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Herr Minister, es gibt noch eine Nachfrage von Frau Dr. Hüskens. - Bitte sehr.

Frau Präsidentin, es ist eine Bemerkung, keine Nachfrage.

Da wir merken, dass dieses Thema ein Herzensanliegen des Ministers ist, wollte ich noch einmal auf einen Punkt hinweisen. Sie haben im Mittelteil versucht, deutlich zu machen, dass die Anerkennung von Qualifikationen eine Bundesangelegenheit ist. Im letzten Teil hatten Sie ein paar Ansätze genannt, dass auch das Land etwas machen könnte.

Hier im Bundesland ist im Augenblick zu merken - ich vermute, dass Ihnen meine Kollegen fast alle irgendwelche Beispiele dafür nennen können -, dass wir verwaltungsseitig Probleme haben, die es in anderen Bundesländern nicht gibt. Es kann nicht sein, dass der beschriebene Arzt, aber auch eine ganze Reihe von anderen Be

rufsgruppen in Sachsen-Anhalt nicht arbeiten dürfen, dann in andere Bundesländer gehen, die auch in Deutschland liegen, und dort arbeiten können.

Es kann auch nicht sein, dass man immer wieder vorgetragen bekommt, dass man in der Verwaltung dann doch noch einem solchen Vorbehalt - ich formuliere es höflich - begegnet. Ich glaube, da ist in den Ressorts, im MS, MW, MI und MK, erheblicher Bedarf in Richtung unserer Behörden.

Das andere ist eine Frage, die mich seit Tagen umtreibt. Der Ministerpräsident hat etwas wegweisender aufgezeigt, was er sich an Zuwanderung vorstellt. Ich habe das nicht ganz verstanden. Ich habe mich als Katholik durchaus gefreut, dass ich hier im Bundesland zukünftig willkommen bin.

Aber ich wollte von Ihnen, weil der Ministerpräsident leider nicht zu diesem Thema redet, einmal hören, was sich die Landesregierung in diesem Fall vorstellt, wen sie im Auge gehabt hat und wie sie sich vorstellt, dieses Problem der Zuwanderung in dem Bereich zu lösen.

(Zustimmung bei der FDP - Lachen bei der SPD)

Zum letzten Thema, liebe Frau Hüskens, bin ich nicht autorisiert zu reden.

(Unruhe)

Wir können ihn aber mal gemeinsam fragen. - So viel vielleicht zum ersten Thema.

(Frau Budde, SPD: Jetzt drücken Sie sich aber ein bisschen!)

Wir sind uns darin einig, dass unser Hauptproblem derzeit immer noch darin besteht, dass wir ein Abwanderungs- und kein Zuwanderungsland sind. Uns verlassen zu viele Menschen. Da muss uns deutlich mehr gelingen.

Allerdings ist das kein Ausschlusskriterium für den anderen Prozess. Sie haben vollkommen Recht: Man muss genau hinschauen, ob ein Quervergleich der Bundesländer möglich ist und wie es dort läuft. An dieser Stelle muss ich sagen: Ja, es gibt Handlungsbedarf. Den haben wir identifiziert und wir haben auch schon etwas veranlasst. Da müssen wir auch ständig etwas veranlassen. Sie waren selbst einmal in einem Ministerium tätig und wissen sicherlich, dass man dort politisch immer etwas weiter befördern muss. Das ist eine ganz klare Ansage.

Aber ich will Sie zumindest darauf hinweisen, dass es bei der Anwendung von Bundesverwaltungsvorschriften durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Wenn sie beispielsweise bei 136 000 Arbeitslosen bestimmte Qualifikationen vorfinden und es geht um die Erteilung von Arbeitserlaubnissen, dann muss nach Bundesrecht geprüft werden, ob die Besetzung von Stellen im regionalen Arbeitsmarkt aus dem deutschen Arbeitslosenpotenzial möglich ist. Erst wenn dies nicht der Fall ist, kann die Arbeitserlaubnis erteilt werden, was ja zuhauf auch getan wird.

Das kann in den einzelnen Bundesländern durchaus unterschiedlich sein. Das Potenzial kann in NordrheinWestfahlen schon ausgeschöpft sein oder selbst in Sachsen teilweise schon ausgeschöpft sein und die Arbeitserlaubnis wird erteilt, während bei uns formal in der

Statistik der Bundesagentur - das sind letztendlich diejenigen, die mitwirken müssen - zumindest noch statistisch entsprechende Arbeitslose - ob sie vermittlungsfähig und geeignet sind, ist eine andere Frage - vorhanden sind.

Dass das Thema trotzdem angegangen werden muss, weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich weiß auch, dass die Sache noch wesentlich flexibler und offener gehandhabt werden muss. Darin bin ich vollkommen Ihrer Meinung. An der Stelle müssen wir politisch ansetzen.

Noch eine Nachfrage, Frau Dr. Hüskens?

Ja. - Herr Minister, ich finde es sehr gut, dass Sie sich dem Thema widmen wollen. Aber Sie haben es jetzt wieder relativiert. Es geht nicht um Vertreter der Berufsgruppen, von denen wir hier im Bundesland mehr als genug haben. Ich habe genau wegen dieser Relativierung, die man immer wieder hört, die Sorge, dass wir einen elementaren Fehler machen.

Wir sagen: Der Arbeitsmarkt zieht jetzt an; wir haben eigentlich noch genügend Arbeitskräfte. Wir wissen aber alle, dass wir in Zukunft auf alle Ressourcen zugreifen müssen; ich sage ganz bewusst: auf alle Ressourcen.

Aber in der Verwaltung herrscht immer noch das Denken vor, wir haben eigentlich genug. Aus diesem Denken heraus - das haben Sie völlig zu Recht beschrieben - sind diese ganzen Verfahren passiert.

Zumindest beim medizinischen Personal, bei den Ärzten und bei den Krankenschwestern, sehen wir es im Augenblick schon. Auch ihnen wird hier die Arbeitserlaubnis verweigert, während sie in anderen Bundesländern arbeiten können. Ich glaube, dass man nicht abwarten kann, bis wir das Problem wirklich haben, sondern dass hier tatsächlich ein Umdenken stattfinden muss bei den Behörden.

Das muss bald stattfinden, weil wir auch in den nächsten zehn, 20 Jahren nicht genügend junge Ärzte selber ausbilden können. Das heißt, wir werden auf Zuwanderung angewiesen sei. Die nehmen keinem den Arbeitsplatz weg. Ich glaube, das ist ein Punkt, den man auch klar sagen muss.

Frau Hüskens, trotzdem sage ich Ihnen, es gibt immer das Primat der Politik.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Das haben wir beim Atomkompromiss gesehen!)

Wenn sich ein Verwaltungsmitarbeiter hinter bestimmte Formulierungen zurückziehen kann, dann haben wir auch die Aufgabe, an bestimmten Stellen - wir sind gerade dabei, das zu tun, angefangen von der Bundesebene bis hin zu den Schulungen, die wir vor Ort machen müssen - nachzujustieren.

Bestimmte Dinge sind auch in den rechtlichen Grundlagen derzeit immer noch nicht ausreichend nachgeführt, sodass wir sagen können: Das, was an eigentlicher Problematik besteht und was jetzt schon angegangen werden muss, weil es relativ schnell in den nächsten Jahren reinläuft, ist noch nicht ausreichend abgebildet. Da müssen wir deutlich forcieren.

Danke sehr, Herr Minister. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Miesterfeldt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Hüskens, Sie haben es gesagt: Wir alle müssen umdenken. Deutschland sucht den Superstar Fachkraft. Das sage ich jetzt ganz besonders in Richtung Empore: Es lohnt sich wieder, in der Schule zu lernen.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Es lohnt sich wieder, eine hochqualifizierte Berufsausbildung oder ein Studium zu absolvieren, um eine solche Fachkraft werden zu können.

Der Grund ist genannt worden: Wir befinden uns in einer historisch beispiellosen Situation. Die seit 1990 dramatisch niedrigen Geburtenzahlen und die überdurchschnittlich hohe Abwanderungsquote haben zu dem Stand geführt, den wir heute haben. Wir sind nach den Zahlen im Moment ganz eindeutig ein Auswanderungsland.

Dies führt auch zu den beschriebenen Engpässen bei den Fachkräften. Dies führt gleichzeitig zum Teil aber auch dazu, dass sich die Chancen für gering Qualifizierte eher verschlechtern werden, eben weil Fachkräfte gesucht werden. Auch das ist ein Grund, sich gut zu qualifizieren.

Ich will eine Zahl nennen, die mir in der jüngsten Vergangenheit aufgefallen ist. In den nächsten zehn Jahren werden auf 175 Menschen, die in Rente gehen, nur 100 Berufseinsteiger kommen. Das muss man sich deutschlandweit einmal vor Augen halten.

Der IHK-Präsident Olbricht sagte kürzlich auf einer Veranstaltung: „In der Altmark wird es in den nächsten Jahren“ - ich glaube, er ging von fünf bis sechs Jahren aus - „Betriebe geben, die werden zumachen müssen, weil sie nicht genug Fachkräfte haben.“

Diesen Tatsachen müssen wir uns stellen. Die Entwicklungen haben eingesetzt; wir beobachten sie schon heute.

In 67 % der Unternehmen in Deutschland haben die Beschäftigten ein Durchschnittsalter zwischen 38 und 44 Jahren. Ich war in der letzten Woche Gast eines Betriebsrates eines Industrieunternehmens. Bis auf eine junge Frau, die vielleicht Mitte 20 war, waren alle anderen mindestens so alt wie ich.

(Herr Wolpert, FDP: Was nicht unbedingt schlecht ist!)

- Ich finde mein Alter hervorragend, aber ich glaube, für die Zukunft eines Unternehmens sollte es in der betrieblichen Zusammensetzung auch Ingenieure und Facharbeiter geben, die jünger als Mitte 50 sind.

Die Ursachen für offene Stellen und Fachkräftemangel liegen nicht nur in fehlenden oder unpassenden Qualifikationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie liegen auch - das ist insbesondere auf Ostdeutschland und Sachsen-Anhalt zu beziehen - in einem unzureichenden Lohnniveau.

Lieber Herr Wolpert, von den Studentinnen und Studenten, von denen Sie sprachen, werden vielleicht einige in Magdeburg und Umgebung bleiben, weil ihnen die Elbe

gefällt, und einige werden bleiben, weil sie hier Mann oder Frau gefunden haben. Aber die Mehrheit derer, die bleiben werden, wird bleiben, weil sie einen attraktiven Arbeitsplatz gefunden haben mit einem mittel- und langfristigen Arbeitsvertrag und mit einem vernünftigen Einkommen. Alles andere ist Illusion und Romantik.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Deshalb sollte schon der Gedanke - vom Aussprechen wollen wir gar nicht reden - ausgedient haben, dass sich Sachsen-Anhalt als Niedriglohnland profiliert oder präsentiert.

(Beifall bei der SPD)

Ich werde das an dieser Stelle so lange sagen, bis das Ergebnis erreicht ist. Wir brauchen starke Tarifpartner und Sozialpartner. Wir brauchen eine ausgeprägte Tarifautonomie, die die Grundlage dafür bietet, diese Dinge auszuhandeln und zu diesen Ergebnissen zu kommen. Auch das ist eine ganz wesentliche Zielrichtung, um in Sachsen-Anhalt zu Fachkräften zu kommen.