Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Die Demografie wird uns in allen Lebensbereichen erfassen, aber wir müssen sie als Chance begreifen. Wir müssen prüfen, welche Haltefunktionen wir an der Stelle haben. An dieser Stelle nenne ich zwei, die für mich wichtig sind:

Eine Haltefunktion ist der Stadtumbau, den wir jetzt in die Dörfer tragen, damit sie die Innenentwicklung vor der Außenentwicklung organisieren - das ist übrigens auch ein Beispiel dafür, wie wir den Flächenverbrauch reduzieren - und die vorhandene Infrastruktur - Versorgung, Entsorgung, Straßenbau, Erschließung - besser konzentrieren können. Wir wollen die Kerne der Dörfer wieder organisieren, vielleicht auch die leerstehenden Hofgebäude revitalisieren. Vielleicht brauchen wir eine neue Möglichkeit der Umnutzung, vielleicht einfachere Möglichkeiten der Umnutzung. Vielleicht müssen wir auch Möglichkeiten des Denkmalschutzes neu begreifen.

Eine zweite Haltefunktion ist das Eigentum. Hierbei geht es nicht nur um Wohneigentum, sondern auch um Eigentum an Grund und Boden, um Waldeigentum. Das sind Dinge, die Menschen in der Region halten.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Das sind Dinge, die uns, glaube ich, in die Lage versetzen, hier voranzukommen. Eigentum ist im ländlichen Raum eine ganz zentrale Frage, über die wir uns in Zukunft und in der nächsten Legislaturperiode sicherlich noch ausführlicher unterhalten werden müssen.

(Herr Tullner, CDU: Aber auch in den Oberzentren!)

- Selbstverständlich, Herr Tullner. Auch in den Oberzentren darf man Eigentum haben, klar.

Um das zu erreichen, gab es in der Vergangenheit, Gott sei Dank, die EU-Mittel und die EU-Förderung, die wir, glaube ich, in guter Weise genutzt haben. Wenn wir uns ansehen, wie unsere Dörfer heute aussehen - ich sage jetzt bewusst nicht: wenn wir da durchfahren, sondern: wenn wir in den Dörfern sind -, dann stellen wir fest, dass viele unserer Dörfer heute so aussehen, wie sich manches Dorf in den alten Bundesländern vielleicht gern darstellen würde. Das gehört auch zur Wahrheit. Wir sind sehr weit in der Frage der dörflichen Infrastruktur und in der Wiederherstellung des dörflichen Aussehens vorangekommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber wir müssen auch klar erkennen, dass die Mittel in der Form, wie wir sie bislang gehabt haben, nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Deswegen müssen wir uns über die Prioritäten neu unterhalten. Bei der Prioritätensetzung muss klar sein, dass die kommunalen Haushalte nicht überfordert werden dürfen.

Wir müssen uns überlegen, ob wir weiterhin Projekte fördern, die anschließend Folgekosten für die kommunalen Haushalte haben, ob das nachhaltig ist, was wir dort tun, ob wir wirklich jedem Dorf sein Gemeinschaftshaus finanzieren müssen, das anschließend auch von der Kommune nachhaltig organisiert und unterhalten werden muss, ob wir wirklich jeden Sportplatz und jede Sportanlage fördern müssen, wenn es im Nachbardorf eine gibt, die nicht ausgelastet ist. Das sind Fragen, über die wir wirklich ernsthaft diskutieren müssen.

Ich gönne jedem Ort seinen Schießstand, seinen Sportplatz und sein Dorfgemeinschaftshaus - das ist nicht mein Thema -, aber zur Ehrlichkeit und zur Nachhaltigkeit gehört auch, dass wir verantwortlich mit Haushaltsmitteln umgehen und bestimmte Dinge eben unter den gegebenen Möglichkeiten organisieren.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Wir haben ein hervorragendes Mittel, ein hervorragendes Instrument: das Leader-Instrument im ländlichen Raum. Die vielen Aktionsgruppen, die sich im ländlichen Raum mit Leader beschäftigen, die vielen Menschen, die sich dort engagieren - ich selbst bin in einer solchen Gruppe -, die heftigen Diskussionen, die es dazu gibt, was mit den vorhandenen Mitteln gefördert werden kann - das ist, glaube ich, der richtige Ansatz.

Wenn wir all das mit den Arbeitsgemeinschaften in den Ämtern für Landwirtschaft verbinden und der Region tatsächlich die Möglichkeit geben, ihren Schwerpunkt selbst zu organisieren - nicht die Abarbeitung der Verwaltung, nicht die Abarbeitung der Anträge, sondern ihren Schwerpunkt selbst zu organisieren -, dann sind wir, glaube ich, ein ganzes Stück weiter. Dann werden wir erkennen, dass die meiste Sachkompetenz vor Ort vorhanden ist.

In der neuen Förderperiode werden wir uns, wenn wir in die Diskussion zu den Schwerpunkten kommen, einbringen, und wir werden über genau das, was ich gerade gesagt habe, sicherlich intensiv diskutieren.

Hier ist heute mehrfach gesagt worden, dass die Land- und Forstwirtschaft für den ländlichen Raum eine entscheidende Bedeutung hat. Als wir das letzte Mal darüber gesprochen haben, habe ich gesagt: Die Landwirtschaft ist nicht der Mittelpunkt, aber sie ist sozusagen der Herzschlag des ländlichen Raums, ein wesentlicher Bestandteil.

Nach wie vor gibt es große Herausforderungen für die Landwirtschaft. Wir schaffen es bis heute nicht, die gleichen Wertschöpfungspotenziale pro Hektar, pro Einheit, pro Gemeinde zu generieren, wie es anderen Bundesländern gelingt. Wir müssen an dieser Stelle durchaus noch einmal darüber nachdenken. Deshalb ist es richtig zu sagen: Wir wollen Veredelung, wir wollen mehr Veredelung. Aber Veredelung bezieht sich nicht nur auf Schweine, Kühe oder Kälbchen, sondern Veredelung bezieht auch Gemüse, Obst, Selbstvermarktung und Vermarktung von Handel und Wandel im ländlichen Raum ein.

Ich mache mir etwas Sorgen über verschiedene Bereiche, die an einer Grundschwelle leben, insbesondere im Milchviehbereich, wo bestimmte Strukturen nicht mehr tragen. Wenn es in manchen Regionen kaum noch Kühe gibt, dann gibt es in der Region auch niemanden mehr, der Klauen schneidet, niemanden mehr, der die Milchkontrolle macht. Dann wird es schwierig, die Milchviehhalter zu organisieren, also Rinderzuchtverbände und dergleichen vorzuhalten.

Man braucht einen bestimmten Sockel an Produktion, damit die Infrastruktur stimmt. Es müssen Menschen da sein, die sich mit der speziellen Technik auskennen. Wir wollen ja nicht, dass anschließend die Wartung von Firmen aus Niedersachsen, aus Nordrhein-Westfalen oder weiß der Teufel woher gemacht wird. Die Herausforderung ist die Bestandssicherung und der Aufbau von Veredlung und der weitere Aufbau der Nahrungsmittelindustrie.

An eine landwirtschaftliche Fläche werden heute sehr viele Ansprüche gestellt. In der Veredlung stehen sie in direkter Konkurrenz zur Energieerzeugung. Dazu sage ich ganz klar - damit bin ich ganz beim Minister -: Die Energieerzeugung über Biogas gehört in bäuerliche bzw. landwirtschaftliche Hände.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

- Die Akzeptanz des EEG liegt nicht zuletzt darin begründet, dass viele Menschen - - Jeder, der heute etwas machen möchte, kann durch eine Fotovoltaikanlage selbst vom EEG profitieren. Jeder, der es machen möchte, kann versuchen, sich selbst in diesem Bereich zu engagieren. Das ist gar kein Problem. Deswegen sind viele Menschen dazu bereit, wenn sie auf der einen Seite die Möglichkeit haben, auf der anderen Seite dafür einen etwas höheren Preis zu bezahlen.

Aber bei Biogas sage ich ganz deutlich: Wer darauf aus ist, dass Energiekonzerne oder Kapitalinvestoren die Biogasanlagen im ländlichen Raum übernehmen und damit die Landwirte sozusagen zu Rohstofflieferanten machen, ist bei mir an der falschen Adresse. Damit habe ich ein Problem.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Diesbezüglich müssen wir über viele Konstrukte in diesem Land nachdenken.

Meine Damen und Herren! Zur Energie gehört auch der Wald. Natürlich ist es so, dass wir die Kaskadennutzung bevorzugen. Das ist auch logisch, weil der Rohholzbedarf in Sachsen-Anhalt nun einmal so ist. Wir haben eine sehr starke Holzindustrie, aber nur die Hälfte des Holzes kommt aus Sachsen-Anhalt. Das gehört auch zur Wahrheit.

Deswegen ist das Jammern der Holzindustrie über nicht vorhandene Kapazitäten manchmal auch ein Jammern auf hohem Niveau, weil man das Rohholz organisieren muss. Wir können ein wenig mehr Rohholz in SachsenAnhalt organisieren. Dazu müssen wir aber den Privatwald und vor allen Dingen den Kleinstwald noch einmal in Angriff nehmen.

(Herr Tullner, CDU: Wir können auch mehr Bäu- me pflanzen!)

- Nein, Herr Tullner, wir müssen nicht unbedingt mehr Bäume pflanzen. Wenn wir den vorhandenen Wald optimal nutzen, dann sind wir schon ein ganzes Stück wei

ter. Ich glaube, dann kommen wir auch dazu, dass die Holzindustrie zufrieden sein kann.

Die Ansprüche, die an den Wald gestellt werden, sind vielfältig, vor allem sind sie hochemotional in unserem Land. Deutschland ist nach wie vor das waldreichste Land in Europa. Man glaubt es nicht, aber es ist so. Es ist anteilmäßig waldreicher als Schweden und die anderen skandinavischen Länder. Deswegen ist die Holzindustrie in Deutschland und damit auch in SachsenAnhalt weit verbreitet.

Aber die Stellen, an denen wir ansetzen müssen - - Ich glaube, wir müssen ein wenig mehr auf die Förster hören. Sie sind die Erfinder der Nachhaltigkeit. Die Förster sind diejenigen, die am besten wissen, wie man mit dem Wald umgeht und wie man die Ansprüche von Natur, Nachhaltigkeit und Nutzung in Einklang bringt. Hier müssen wir schauen, wie sich die Waldbesitzer und die Förster verhalten. Die Menschen, die mit dem Wald zu tun haben, wissen das sehr genau. Es nützt überhaupt nichts, wenn wir mehr Waldflächen stilllegen, sondern wichtig ist, dass wir vernünftig mit dem Wald umgehen. Wir müssen ihn nutzen und schützen.

Heute ist viel zu den Themen Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau und Fischerei sowie zur Veredelung von Obst und Gemüse gesagt worden. Das ist alles richtig. Ich will noch zwei Punkte zur Ausbildung hinzufügen.

In Sachsen-Anhalt haben wir nach wie vor eine hervorragende Ausbildung. Die agrarpolitischen Sprecher aller Fraktionen führen jährlich eine Veranstaltung an der Fachschule in Haldensleben durch. Dort sieht man, dass die jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung auf dem Gebiet der Landwirtschaft interessieren und diese absolvieren, sehr gut ausgebildet und an der Entwicklung unseres Landes interessiert sind.

Wenn die jungen Menschen dort fertig sind und Abitur haben, macht der eine oder andere vielleicht noch ein Studium und geht nach Halle. Jetzt ist Marco Tullner wieder weg, sonst hätte ich ihn jetzt für seinen Einsatz für die drei Professorenstellen gelobt. Insofern glaube ich, dass wir mit dem wissenschaftlichen Zentrum Mitteldeutschland Halle/DLG sehr gut leben können, mit den Züchtern und mit Gatersleben ein wirkliches Cluster von Biotechnologie, von Ausbildung und von Hochschulbildung im mitteldeutschen Raum haben.

Meine Damen und Herren! Ich muss noch drei Sätze zu den Themen sagen, die ebenfalls angesprochen worden sind. Das eine ist der Flächenverbrauch. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir sagen: Jawohl, dort, wo sich Industrie ansiedelt und Arbeitsplätze schafft, müssen wir die Nettofläche zur Verfügung stellen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist gar keine Frage, sondern die Fragen lauten: Was sind die Ersatz- und Ausgleichsflächen? Was ist rundherum? Was kommt noch hinzu?

Hierbei haben wir in Sachsen-Anhalt einen guten Ansatz gefunden, mit der Möglichkeit des Öko-Kontos, mit der Möglichkeit der Stiftung und mit der Schärfung des Bewusstseins derjenigen, die sich damit beschäftigen, den Flächenverbrauch deutlich zu reduzieren.

Ich glaube, wir können, die verschiedenen europäischen Fördermittel in Zukunft so zu verbinden, dass es möglich ist. Wir können die Wasserrahmenrichtlinie verbinden mit Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen. Wir können si

cherlich auch versuchen, die Stiftung dort mehr einzubringen. Das wäre unbedingt notwendig. Wir sind an dieser Stelle auf einem sehr guten Weg.

Einen Punkt - diesbezüglich muss ich Herrn Krause widersprechen - möchte ich zum Bodenmarkt ansprechen. Der Boden ist für die Gesellschaft von großer Bedeutung. Die Verteilung von Grund und Boden entscheidet mit darüber, inwieweit sich ländliche Räume selbst organisieren können und ob es regionale Geldkreisläufe gibt oder nicht.

Deswegen ist die Frage, ob die BVVG ausschließlich nach dem Motto verfährt: „Je mehr Geld, desto besser“, gar nicht so entscheidend, wenn man weiß, dass der Anteil der BVVG am Gesamtumsatz von Flächen nicht sehr groß ist. Ich glaube, der Anteil in den neuen Bundesländern beträgt 7 %, in Sachsen-Anhalt ist der Anteil ein bisschen größer. Das heißt aber im Umkehrschluss: Der überwiegende Teil der Flächen wird zwischen Privat und Privat gehandelt. Darüber muss man noch einmal nachdenken. Wir müssen bei dem Verkauf durch die BVVG darüber nachdenken: Wer kauft denn da wirklich? Wer ist eigentlich Gesellschafter und wo fließt das eigentlich hin? Wer hat bislang gekauft?

(Herr Gürth, CDU: Richtig!)

Wenn ich von manchen Betrieben höre, dass sie gern noch 50 ha kaufen möchten und sich beschweren, weil sie diese nicht bekommen, aber schon 500 oder 600 ha zu Konditionen gekauft haben, die deutlich unter den heutigen Bedingungen liegen, dann frage ich mich auch, wie das zustande kommt. Wir müssen nicht schauen, wie groß der Betrieb ist; das ist gar nicht so entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, wie die Gesellschafterstruktur ist, wie viel Betriebe mit Strohmännern arbeiten und wo es nur vorgeschobene Argumente sind.

Dabei gibt es durchaus einige, die klare Interessen haben - ich will das nicht verallgemeinern -; aber ich warne davor, dass wir uns auf die BVVG fokussieren. Der Großteil des Flächenmarktes findet mengenmäßig außerhalb der BVVG statt. Wenn man das betriebswirtschaftlich rechnet - ich gehe einmal von einem Durchschnittsbetrieb in Sachsen-Anhalt aus -, dann wissen wir alle, dass ein Betrieb mit 300 ha in einer Generation vielleicht 60 ha erwirtschaften kann, wenn er auf einem sehr günstigen Standort liegt, vielleicht 100 ha. Aber er wird nicht in einer Generation oder anderthalb Generationen 300 ha kaufen und diese auch bezahlen können. Das geht nur mit Nachhaltigkeit und nur in Form eines Generationswechsels.

Ich frage mich bei dem einen oder anderen schon: Ist es wirklich sinnvoll, wenn Betriebe - die dann sagen, das will ich alles noch kaufen und das nehme ich jetzt alles auf - Nachfolger haben und diese Nachfolger derart mit Kapitaldienst belastet werden, dass sie nicht mehr über ihr eigenes Leben entscheiden können, sondern gezwungen sind, diesen Weg mitzugehen.

Ich glaube, es gehört auch zur Nachhaltigkeit von landwirtschaftlichen Betrieben und zur Verantwortung eines Unternehmers, dass er nachfolgenden Generationen die Möglichkeit lässt, ihr Leben selbst zu gestalten und die Schwerpunkte richtig zu setzen.

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass wir über lange Zeit in Sachsen-Anhalt eine Pächtersituation haben. Darin liegt die Schwierigkeit. Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir einen Generationswechsel haben, dass

viele Erbengemeinschaften entstehen, von denen einzelne sagen, okay, jetzt weg mit dem Acker, und dass dadurch Druck entsteht, etwas kaufen zu wollen, und der Landwirt sagt, ich muss ja kaufen, sonst verliere ich meine Produktionsgrundlage. Aber wer unendlich viel kauft - das haben wir auch schon erlebt - und sozusagen Selbstmord begeht aus Angst vor dem Tod, der hat natürlich auch ein Problem.