Protokoll der Sitzung vom 10.12.2010

(Beifall bei der CDU)

Ich hoffe sehr, dass sich weitere Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände diesem Bündnis anschließen werden. Ich glaube auch, dass wir das dringender brauchen; denn ein Europa ohne Grenzen bedeutet natürlich nicht nur mehr Vielfalt und mehr Möglichkeiten, sondern es bedeutet auch einen viel härteren Wettbewerb.

Der Vorteil von Flächentarifverträgen lag ja insbesondere darin, dass man weniger über die Löhne als vielmehr über die Qualität der Dienstleistungen und der Produkte den Wettbewerb gesucht hat. Dadurch sind wir zur innovativsten Volkswirtschaft der Welt geworden. Das muss in Zukunft wieder im Zentrum der Entwicklung unserer Wirtschaft stehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, dass es mehrere Ansatzmöglichkeiten gibt. Ich denke auch, dass das nur ein Auftakt sein wird. Und ich hoffe, dass unser gemeinsamer Antrag ein Auftakt für eine Entwicklung sein wird, die wir alle gemeinsam verfolgen und unterstützen wollen.

(Zuruf von Herrn Kley, FDP)

Ich will an zwei Dinge erinnern, weil das sicherlich auch in der politischen Landschaft unterschiedlich diskutiert wird.

Was hat uns unser System der Tarifautonomie wirklich messbar gebracht, in dessen Rahmen nicht Politiker Löhne beschließen, sondern Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam festlegen, zu welchen Arbeitsbedingungen - Urlaubstage, Entlohnung und andere Dinge - gearbeitet wird?

Diese gemeinschaftliche Übereinkunft über Einzelvereinbarungen aus einem Unternehmen hinaus in Flächentarifverträgen hat über viele Jahrzehnte einen enormen volkswirtschaftlichen Vorteil gebracht. Sie sehen das, wenn Sie sich einmal die Anzahl der Streiktage anschauen.

Wir haben für den Zeitraum von 2000 bis 2005 eine OECD-Erhebung gehabt. Diese Erhebung der OECD hat genau untersucht, wie viele Streiktage bzw. Arbeitsausfalltage pro 1 000 sozialversicherungspflichtig Beschäf

tigte in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU stattgefunden haben. Da haben wir Durchschnittswerte von - ich will mal einen der schlechtesten Werte nennen, und zwar den von Frankreich - 102 Streikausfalltagen pro 1 000 Arbeitnehmern im Jahr. Der Wert für Deutschland beträgt drei Streikausfalltage.

Wenn man sich das einmal umrechnet - wir sind ja alle Vor-Pisa-Generationen und können uns das im Kopf ausrechnen -, dann sehen wir, was das für jedes Unternehmen bedeutet, wenn es mehr von Streikausfällen und sozialem Unfrieden bedroht wäre, wenn wir nicht das System hätten, das wir bisher in Deutschland haben und bezüglich dessen wir feststellen konnten, dass es recht gut funktioniert.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Na ja!)

Ich will aber auch darauf hinweisen, vor welcher Gefahr wir da stehen, gerade weil ich diese beiden Länder ausgesucht habe. Was ist der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland?

(Herr Miesterfeldt, SPD: Der Rotwein!)

Ich bin froh, dass wir nicht französische Verhältnisse haben, nicht nur weil die 102 Streiktage haben und wir vielleicht nur drei Streiktage. Das ist ein enormer Schaden,

(Zuruf von der LINKEN: Ja!)

weil das die Produktion teurer macht und Arbeitsplätze gefährdet.

Wie kommt es dazu? - Der Unterschied liegt in einer ganz wichtigen Geschichte. In dieser Hinsicht unterscheiden sich alle anderen Parteien im Parlament von den LINKEN.

(Herr Kurze, CDU: Ja!)

Es ist die Forderung der LINKEN - die ich für unverantwortlich halte -, politische Streiks der Gewerkschaften zuzulassen. Bei uns ist es eine Lehre aus der Weimarer Republik gewesen, dies nicht zuzulassen. Wir waren gut beraten.

(Starker Beifall bei der CDU - Herr Miesterfeldt, SPD: Richtig!)

Wenn Parteien Gewerkschaften instrumentalisieren, sind die Parteien nicht mehr übergreifend für alle Arbeitnehmer zuständig. Dann sind das politische Gewerkschaften. Das ist falsch.

Wozu führen politische Streiks? - Gucken wir uns das mal an. In Frankreich führen die politischen Streiks und die hohe Zahl an Streiktagen nicht nur dazu, dass hohe Arbeitsausfälle für die Arbeitgeber entstehen und Arbeitsplätze gefährdet werden. Schauen Sie sich auch einmal an, wie das den Nachwuchs betrifft. Frankreich hat eine der höchsten Jugendarbeitslosenquoten in Europa.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Durchschnittlich jeder vierte Jugendliche ist nach dem Ausscheiden aus der Schule von Arbeitslosigkeit betroffen.

(Frau Feußner, CDU: Ja!)

Verglichen mit den Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, die immer noch zu hoch sind, haben wir hier nur einen Bruchteil davon. Das liegt auch ein Stück weit an den Unterschieden der Systeme von Frankreich

und Deutschland. Deswegen plädieren wir ja auch für das deutsche System.

Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen. Es gibt sicherlich unterschiedliche Ursachen für den Organisationsgrad. Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren eine Abnahme des Organisationsgrades in den Gewerkschaften genauso wie bei den Arbeitgeberverbänden gehabt. In den Gewerkschaften ist der Organisationsgrad von 36 % im Jahr 1990 auf jetzt 23 % gesunken. Ich persönlich finde das nicht gut, auch wenn es vielleicht den einen oder anderen freuen mag. Ich finde das nicht gut.

Wir haben - das sieht man, wenn man einmal vergleicht, wo wir in Europa stehen - extreme Unterschiede. Wenn Sie sich in den Gent-Staaten, Schweden, Dänemark oder Finnland, umschauen, dann stellen Sie fest, dort liegt der Organisationsgrad von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Gewerkschaften bei 70 % bis 80 %. Da gibt es Unterschiede. Wir werden das niemals erreichen. Deswegen warne ich auch davor, jetzt Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Es hängt auch davon ab, welchen Einfluss die Tarifparteien auf bestimmte Stellschrauben im System haben. Es gibt dieses so genannte Gent-Modell, eines der ersten in der Stadt Gent. Ich glaube, 1901 oder so hat man in der Stadt Gent so etwas wie eine freiwillige Arbeitslosenversicherung eingeführt. Die kam aber von den Arbeitnehmervertretungen, von den Gewerkschaften.

Wenn die Gewerkschaften selbst das Modell organisieren, also die Höhe des Arbeitslosengeldes bestimmen, die Auszahlung des Arbeitslosengeldes regeln, festlegen, wer wie viel bekommt und wer entlassen werden darf, dann ist es logisch, dass sich bei einem solchen Modell mehr Menschen in Gewerkschaften organisieren. Das ist auch eine Frage, wie man es macht. Wir haben ein anderes System.

Dennoch haben wir sozialen Frieden, Wettbewerbsfähigkeit und hohen Wohlstand organisieren können. Wir müssen versuchen, das dauerhaft zu gewährleisten, indem wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer motivieren, sich in Gewerkschaften zu engagieren, indem wir Gewerkschaften auch gut zureden, dem Versuch der Politisierung zu widerstehen, und indem wir Arbeitgebern, Unternehmern zuraten, sich zusammenzuschließen und nicht jeder für sich allein zu sterben, sondern sich in Arbeitgeberverbänden zu organisieren und sich als Tarifpartner zur Verfügung zu stellen.

Es gibt - dazu wird die Zeit heute nicht mehr ausreichen, um das alles zu beschreiben - eine Vielzahl von Möglichkeiten, auf einem Weg, der noch vor uns liegt, mit vielen kleinen einzelnen Schritten einen Beitrag dazu zu leisten.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Ja, machen Sie das!)

Das fängt an mit der Missbrauchsbekämpfung, indem man sich erst einmal die Tariffähigkeit von Tarifpartnern anschaut. Wir haben in der jüngsten Geschichte zum einen aktuelle Rechtsprechung, die teilweise Anlass zur Sorge ist, und wir haben auch Entwicklungen gehabt, die Gott sei Dank Einzelfälle waren, die aber ebenso Anlass zur Sorge sind.

Ich sage mal: Es ist völlig richtig, dass bezüglich der Tarifparteien zum Beispiel in § 19 des Betriebsverfassungsgesetzes geregelt ist, dass Betriebsräte, die kor

rumpiert werden wie im Fall VW, dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Aber ich sage: Dazu gehört - zumindest für die CDU - auch, dass Gewerkschafter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie sich korrumpieren lassen. Dazu gehört aber auch, dass der, der korrumpiert, der kauft, genauso strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird.

Fall Siemens. Da war es eine Sauerei, dass man glaubte, sich mit einer Scheingewerkschaft sozusagen einen Betriebsrat vom Hals schaffen zu können.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Genau!)

Das war Missbrauch. Solche Art von Missbrauch soll und muss nach Auffassung der CDU-Fraktion bekämpft werden.

(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, das Signal, das wir mit diesem Antrag gemeinsam setzen wollten, ist angekommen. Ich baue auf Ihre Zustimmung und würde mich freuen, wenn wir eine breite Mehrheit für unseren Antrag im Parlament bekommen würden.

(Beifall bei der CDU und von Minister Herrn Dr. Haseloff)

Danke sehr für die Einbringung.

(Herr Gallert, DIE LINKE, meldet sich zu Wort)

- Entschuldigung. Herr Gürth, würden Sie noch eine Frage von Herrn Gallert beantworten? - Bitte sehr, Herr Gallert.

Herr Gürth, Ihr Bezug auf das aus Ihrer Sicht so genannte Negativbeispiel Frankreich hat mich dann doch zu dieser Frage provoziert. Wir haben erst gestern neue statistische Zahlen über die Lohnentwicklung in den letzten zehn Jahren innerhalb der Eurozone und der Europäischen Union zur Kenntnis nehmen dürfen. Danach gab es eine durchschnittliche Lohnentwicklung innerhalb der Eurozone in den letzten zehn Jahren von plus 38 %, in der Bundesrepublik Deutschland von plus 22 %. Damit ist die Bundesrepublik Deutschland an der Stelle das Land mit der roten Laterne.

(Herr Borgwardt, CDU: Jetzt hören Sie doch auf!)