Protokoll der Sitzung vom 10.12.2010

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Unruhe bei der LINKEN)

Wir haben nicht nur eine Verantwortung für diejenigen, die Hilfe vom Staat brauchen.

Meine Damen und Herren! Wir haben heute einmal öfter den Begriff „sozial gerecht“ gehört. Wir haben lediglich die Frage gestellt, was sozial gerecht für Menschen ist, die Leistungen beziehen. Wir als Liberale stehen zur sozialen Marktwirtschaft - um gleich den üblichen Verdächtigung zu begegnen. Wir stehen auch dafür ein, dass es eine Solidarität der Starken mit den Schwachen gibt.

(Beifall bei der FDP)

Aber - das sage ich ganz klar - soziale Gerechtigkeit funktioniert nur, wenn beide Seiten solidarisch sind.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund halte ich die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts durch die Bundesregierung für völlig richtig.

(Beifall bei der FDP)

Die Berechnung des Regelsatzes und das Bildungspaket - es ist ein Paket, Herr Gallert, kein Päckchen - setzen dieses Urteil aus meiner Sicht und - das stellt man fest, wenn man das Protokoll aus dem Bundestag dazu liest - auch aus der Sicht der Mehrzahl der Experten angemessen um.

Es ist bezeichnend, dass für die Hauptkampfhähne der Berliner Kollegen die Frage, ob Ausgaben für Tabak und Alkohol zur Berechnung des Existenzminimums gehören, von besonderer Bedeutung ist.

(Hört, hört! bei der FDP)

Oft wird unterstellt, wir wollten den Menschen, die Hartz IV beziehen, verbieten, Alkohol zu trinken. Meine Damen und Herren! Es geht lediglich darum, wie man ein Existenzminimum berechnet.

Es ist richtig, dass der Bundesgesetzgeber entschieden hat, die Kosten für Tabak und Alkohol dabei nicht zu berücksichtigen. Er hat allerdings gleichzeitig die zu berücksichtigenden Kosten für alkoholfreie Getränke angehoben. Es kann also jeder für sich entscheiden, was er trinken möchte, ob er alkoholfreie Getränke oder Alkohol genießen möchte. Ich denke, das ist in einer freien Gesellschaft der richtige Ansatz.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Richtig faszinierend ist, dass das Geschrei beim Tabak ausgerechnet bei den Fraktionen und Parteien am lautesten ist, die eigentlich allen Bürgern das Rauchen verbieten möchten.

(Zurufe von der FDP: Aha! - Hört, hört!)

Ich muss ganz offen gestehen: Ich verstehe Ihre Logik nicht. Es ist doch Unsinn, das einerseits aufzunehmen - Sie verweisen auf den Realitätssinn; wir rauchen doch alle, wir trinken doch alle -, aber andererseits als Gesetzgeber festlegen zu wollen: Jeder Erwachsene in Deutschland hat das Rauchen gefälligst einzustellen.

(Herr Lange, DIE LINKE: Wer sagt denn so et- was?)

- Herr Lange, lesen Sie einmal die Protokolle aus dem Bundestag. Da ist gerade aus Ihrer Richtung viel Blödsinn erzählt worden. Das spottet jeder Beschreibung.

(Widerspruch von Frau Bull, DIE LINKE)

- Frau Bull, auch wenn Sie vernünftig gesprochen haben, so darf ich trotzdem auf das hinweisen, was Ihre Kollegen in Berlin erzählt haben. Zudem hat sich Herr Gallert dem gerade durchaus angeschlossen. Daher kann man das so sagen.

Des Weiteren gab es heute erneut die Frage der Statistik. Wenn man inhaltlich nichts zu kritisieren hat, dann sagt man einfach: Die statistischen Berechnungen sind nicht ganz transparent.

(Zuruf von der LINKEN: Für die Betroffenen schon!)

Dazu haben wir hier schon einmal ausführlich und lange debattiert, und zwar vor ungefähr einem Jahr. Damals ist schon dargestellt worden - von Frau Take und auch von mir -, dass man die unteren 20 % herangezogen und dann die Transferbezieher wieder ausgenommen hat. Dann kommt man bei Erwachsenen auf 18,6 % und bei Kindern auf ungefähr 15,9 % der Bezugsgröße.

Ich halte dies aber für richtig, weil genau das den Zirkelschluss, von dem Sie, Herr Gallert, reden, ausschließt. Insofern halte ich es für scheinheilig, eine höhere Bezugsgröße zu fordern. Sagen Sie doch ganz ehrlich und deutlich, dass Sie nach wie vor der Meinung sind - Frau Bull hat das schon vorgetragen -, dass jeder - unabhängig von seinem eigenen Einbringen in die Gesellschaft - 500 € als Existenzminimum haben sollte. Das wäre meiner Meinung nach ehrlicher.

Scheinheilig ist auch ein anderer Punkt. Es ist interessant, was in den Kommunen stattfindet. Auf der Bundesebene und in moderaterem Ton auch auf der Landesebene ziehen die SPD und DIE LINKE nach wie vor gegen die Neuregelung zu Felde. Gleichzeitig gehen die Bürgermeister und Kämmerer deutschlandweit - völlig egal, welcher Fraktion bzw. welcher Partei sie angehö

ren - hin und berechnen bereits die Ergebnisse aus der entsprechenden Reform.

Dabei schaut man etwa auf die Kosten der Unterkunft. Was bringt es, wenn man diese künftig pauschaliert? - Es gibt Kämmerer, die sich sagen: Okay, gehen wir mit hohen Pauschalen heran, dann sparen wir Personalkosten. Ich habe aber auch die eine oder andere Berechnung - übrigens auch von sozialdemokratischen Kämmerern - gesehen, die davon ausgeht, dass die Pauschalen etwas reduziert werden, dann kann man auch da Einsparungen vornehmen.

Meine Damen und Herren! Ich halte es für scheinheilig, sich draußen hinzustellen und zu sagen, das dürfe so nicht sein, das müsse mehr sein, in der Praxis aber entsprechende Einsparungen bereits einzupreisen. Das finde ich persönlich den Menschen gegenüber unredlich. Das sollte man nicht tun.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Nun nehmen Sie als Anlass für die heutige Debatte unter anderem die anstehende Entscheidung im Bundesrat am 17. Dezember 2010. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Wir wissen ganz genau, wie Koalitionen funktionieren, und wir wissen, dass sich das Bundesland Sachsen-Anhalt im Bundesrat der Stimme enthalten wird. Dies gilt unabhängig von dem, was Sie oder wir von der Landesregierung fordern.

Sie nehmen auch den Bericht der Diakonie Mitteldeutschland zum Anlass für die Debatte. Man liest, das sei die einzige wissenschaftlich unterfütterte Studie zu diesem Thema. Ich schätze, wir werden demnächst jede Menge wissenschaftlicher Studien zu diesem Thema bekommen, die alle zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Wenn man die Unterlagen liest und wenn man vor allen Dingen liest, was dort als fehlende Leistung kritisiert wird, die aus der Sicht der Diakonie Mitteldeutschland ebenfalls berücksichtigt werden sollte, dann muss man sich tatsächlich überlegen, ob das auch denjenigen gegenüber gerecht ist, die in die Transfersysteme einzahlen.

(Beifall bei der FDP)

Auch darin wird das Fehlen von Tabak und Alkohol moniert. Das muss wohl wirklich wichtig sein. Es heißt aber auch, es fehle Geld für Mobiltelefone,

(Hört, hört! bei der FDP)

für die mobile Kommunikation, für die individuelle Mobilität. Es heißt interessanterweise auch, es fehle Geld für die Kinderbetreuung. An dieser Stelle muss ich ganz ehrlich sagen: Ich wünsche der Diakonie Mitteldeutschland etwas mehr Realitätssinn.

(Zustimmung bei der FDP)

Über die These, dass Mobiltelefone zum Existenzminimum gehören, könnten wir durchaus einmal diskutieren. Zur Kinderbetreuung ist festzustellen: Das ist Aufgabe der Kommunen. Das wird bei uns im Land von den Kommunen auch wahrgenommen. Wollen wir das jetzt doppeln? Oder wollen wir, dass der Bundesgesetzgeber diesen Bereich mit übernimmt?

Ich hätte es durchaus für fair gehalten, dass man, wenn man versucht, höhere Leistungen zu begründen, zumindest auch darauf schaut, welche staatliche Ebene im Augenblick welche Leistungen bezahlt.

Wenn Sie diese Leistung hinzurechnen - ich habe das hier schon einmal getan -, dann landen Sie ganz schnell bei den Summen, die hier als notwendig betrachtet werden. Wenn Sie allein die Kosten für die Kinderbetreuung oben draufpacken, dann kommen Sie zu Regelsätzen, die bei 500 € liegen.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass das Dinge sind, die ich mir auch gewünscht hätte. Diese hätten auch in dem Bericht stehen können. Ich glaube, dass wir dann zu einer deutlich realistischeren Bewertung dessen gekommen wären, was der Bund vorgelegt hätte.

Meine Damen und Herren! Ich halte die Berechnung des Existenzminimums auf der Basis der EVS für sachgerecht. Ich halte es für sinnvoll, wie hinsichtlich der 20 % der unteren Einkommensgruppen vorgegangen worden ist. Ich halte es für sinnvoll, dass der Bund staatliche Leistungen, die andere staatliche Ebenen übernehmen, nicht mit einpreist.

Und ich halte es für richtig, dass wir zum ersten Mal versuchen, über ein Bildungspaket dafür Sorge zu tragen, dass entsprechende Teilhabe an Bildung auch stattfindet und dass jungen Menschen, deren Eltern Hartz-IV-Empfänger sind, die Chance gegeben wird, aus diesem Teufelskreis herauszukommen.

(Zustimmung bei der FDP)

Darüber haben wir gerade in diesem Hause, aber auch im Sozialausschuss bereits x-mal diskutiert. Dabei haben wir häufig mit den Achseln gezuckt nach dem Motto: Es wäre schön, wenn wir das machen könnten, aber wir haben kein Geld dafür; das ist eigentlich etwas, das der Bundesgesetzgeber regeln soll.

Jetzt tut er es. Jetzt stellt er dafür Geld zur Verfügung. Und was kommt dann an Kritik? - Es ist nicht genug. Meine Damen und Herren! Genug ist es nie,

(Zustimmung von Frau Knöfler, fraktionslos)

aber es muss auch von jemandem bezahlt werden. Diesen Part sollten wir immer im Auge behalten.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Deshalb halte ich das, was uns die Bundesregierung vorlegt, für einen sinnvollen Weg. Eigentlich würde ich die Landesregierung auffordern, dem zuzustimmen. Aber ich bin realistisch genug; ich weiß, Sie haben einen Koalitionsvertrag und Sie werden sich der Stimme enthalten. - Ich danke Ihnen.