Ich frage Sie, Herr Minister: Warum und mit welchem Ziel ist so eine schriftliche Erklärung der beiden Männer entstanden? - Sie sind freie Menschen und bedurften einer solchen schriftlichen Erklärung nicht.
Wir müssen feststellen, dass es in Insel leider an Aufklärung und Toleranz gemangelt hat. Die Geschehnisse waren eher mit einer Menschenjagd zu vergleichen und niemand sollte das momentan vorliegende Ergebnis feiern. Das Problem ist nicht gelöst, weder für die Menschen in Insel noch für Sachsen-Anhalt. Und ich halte eine Aufarbeitung der Geschehnisse in Insel mit den Menschen vor Ort für unerlässlich.
Die Kirche, die immer als Partnerin und vermittelnde Kraft in solchen Verfahren von mir gesehen wird und auch hier mit ihrem stetigen Engagement wiederholt gezeigt hat, dass sie das auch ist, hat sich leider mit den Worten von Herrn Kleemann: „Es zieht wieder Frieden in Insel ein und es ist eine gute Lösung“, keinen guten Dienst erwiesen.
Meine Damen und Herren! Insel ist keine Enklave in Sachsen-Anhalt. Und wer meint, man könne Grundrechte nicht gegen den Willen der Mehrheit
durchsetzen und müsse sich stattdessen dem Willen der Mehrheit beugen, irrt in ganz grundsätzlichem Maße.
Wir alle müssen uns in der nächsten Zeit intensiv mit dem Erlebten, mit den Argumenten, mit dem staatlichen und dem zivilgesellschaftlichen Handeln oder eben auch Nichthandeln und natürlich auch mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Nur so haben wir die Chance, dass das Beispiel Insel in Sachsen-Anhalt keine Schule macht.
Wir müssen Lösungsansätze erarbeiten, ohne auf die anderen zu zeigen, wie künftig mit analogen Fällen und Situationen in Sachsen-Anhalt umgegangen werden soll. Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen - ich sage es ganz deutlich -, die Arbeit liegt in ihrem vollen Umfang noch vor uns.
Die Chance, die eine Integration der beiden Männer in Insel mit sich gebracht hätte, ist verschenkt worden. Und die Art und Weise, wie das Problem in Insel vermeintlich gelöst wurde, hat uns in der politischen und gesellschaftlichen Debatte weit zurückgeworfen.
Ich hoffe, dass das allen hier im Haus bewusst ist, genauso wie die Tatsache, dass wir das Problem nunmehr alle anpacken müssen und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Sonst sehen wir uns hier zeitnah zum gleichen Thema, allerdings bei einem Ortswechsel wieder. Wir brauchen langfristige und keine Insel-Lösungen. - Danke für die Aufmerksamkeit.
Danke schön, Frau Kollegin Frau von Angern. - Für die Fraktion der CDU spricht der Abgeordnete Borgwardt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will der Versuchung widerstehen, hier auf alles zu reflektieren, weil das meiner Ansicht nach und nach Ansicht meiner Fraktion dem Konsens der Erklärung widerspricht.
Aber eines möchte ich dem Kollegen Brachmann mit auf den Weg geben: Wer das Demonstrationsrecht teilbar auslegt, der bewegt sich auf sehr dünnem juristischen Eis. Und das wissen Sie genau.
Sehr geehrte Frau von Angern, die Erklärung, die die beiden dem Superintendenten gegeben haben, war mitnichten ein Formular des MI, sondern das
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Landtagsfraktionen verabschieden in einem bisher einmaligen und beispiellosen Vorgang in der Geschichte dieses Hohen Hauses im Anschluss an die Aktuelle Debatte einen gemeinsamen Entschließungsantrag, der nach mehrstündigem Ringen gemeinsam erarbeitet worden ist - meine Vorredner gingen darauf ein - und seinen konkreten Anlass in den anhaltenden Protesten und der auch weiterhin zugespitzten Situation im Ortsteil Insel hat.
Wir führen aus aktuellem Anlass eine Debatte, damit die Menschen im Land und auch in Insel verstehen können, worum es uns und worum es heute geht. Die Tatsache, dass wir auch in schwierigen Situationen einen Konsens aller Fraktionen herstellen können, sollten wir alle als gut bezeichnen. Mich und, denke ich, uns alle hat diese Diskussion und die gemeinsame mehrstündige Arbeit bereichert.
Wir behandeln eine sehr wichtige und ernste Angelegenheit. Es geht im Kern um eine Fragestellung aus dem Bereich der Sicherungsverwahrung. Mit diesem Antrag eröffnen wir sozusagen erneut eine parlamentarische und - davon gehe ich auch aus - eine intensive und nachhaltige Debatte zu dieser Thematik.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat zahlreiche neue Fragen im Bereich der Sicherungsverwahrung aufgeworfen. Dazu gehört auch die Frage, wie wir in Fällen unumgänglicher Entlassungen die Führungsaufsicht für weiterhin gefährliche Straftäter effizienter gestalten können. Daneben geht es jedoch auch darum, wie den entlassenen ehemaligen Sicherungsverwahrten eine Chance auf Resozialisierung in der Gesellschaft gegeben wird.
Wohlgemerkt: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat ein verurteilter Straftäter einen grundrechtlich verbürgten Anspruch auf Resozialisierung. Wer dies den Betroffenen aberkennt, missachtet schlicht die freiheitlich-demokratische Ordnung.
Die Koalition ist sich der Bedeutung dieses Themas bewusst. Die Fraktionen dieses Hohen Hauses nehmen die Besorgnis und die Ängste der Einwohner des Ortsteils Insel sehr ernst.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegt mir fern, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu kritisieren. Besorgten Bürgern ist manchmal aber nur sehr schwer zu vermitteln, dass Menschenrechte es gebieten, dass nach wie vor gefährliche Straftäter sehenden Auges auf die Menschheit, wenn man so will, losgelassen werden. Das muss man an dieser Stelle auch erwähnen dürfen.
Neben der Gewährleistung des grundrechtlich geschützten Freiheitsanspruchs für die Betroffenen stehen wir auch den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber in der Verantwortung. Wir müssen auch deren Freiheit und Sicherheit gewährleisten.
Es ist die originäre Aufgabe des Staates, seine rechtschaffenen Bürger vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Alles andere untergräbt ebenfalls den Grundkonsens in unserer Gesellschaft. Daneben geht es aber auch um die besonders schützenswerten Interessen von Opfern vor gefährlichen Straftätern. In Insel - das wissen Sie auch - gibt es in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses auch Menschen, die selbst Opfer einer Vergewaltigung geworden sind. Dies erklärt vielleicht auch die Ängste Einzelner.
Wir leben nun einmal in einer Welt, in der es auch Menschen gibt, die eine Gefahr für andere sind. Wir dürfen und werden als Politiker vor solchen Situationen nicht die Augen verschließen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir dürfen es aber in keinem Fall - darauf weisen wir mit unserem Entschließungsantrag auch eindeutig hin - zulassen, dass erklärte Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ängste und Verunsicherung in der Bevölkerung schüren und die Probleme und Sorgen der Menschen vor Ort für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren und missbrauchen wollen.
Wir dürfen es auch nicht zulassen, dass diese selbsternannten rechten Bürgerwehren entlassene Sicherungsverwahrte quer durch das Land hetzen, sich mit der Vertreibung von Menschen rühmen und die Betroffenen damit zum Profilierungsfeld brauner Gesinnung werden.
Wir begrüßen es in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass die Demonstration am 15. Oktober 2011 in Insel vor dem Hintergrund des NPD-Parteitages in Dessau-Roßlau abgesagt worden ist. Nur so erreichen wir die in dem Entschließungsantrag geforderte sachliche Auseinandersetzung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Fall Insel müssen wir um gesetzliche und rechtsstaatliche Lösungen ringen. Ganz sicher dürfen wir im Hinblick auf zukünftige ähnlich gelagerte Fälle nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip verfahren. Das heißt, dass Probleme nicht vor Ort gelöst, sondern einfach auf eine andere Ebene verschoben werden.
Eines steht jedoch auch fest: Insel bietet in der derzeit zugespitzten Situation keine geeignete Voraussetzung für ein Leben in Freiheit für die beiden Betroffenen. Von einem Zusammenleben in Insel kann keine Rede sein. Das von den beiden
Betroffenen in Sachsen-Anhalt gesuchte Leben, also ohne Vergangenheit einen Neuanfang mit Arbeitsstätte, Ruhe und sozialen Kontakten zu führen, wird es in Insel nach unserer Überzeugung so nicht geben.
Wir bedauern auch in diesem Fall die fehlende Akzeptanz der Bevölkerung. Für die Zukunft müssen wir uns intensiv darüber Gedanken machen, wie entlassenen Sicherungsverwahrten ein Neuanfang und damit eine nachhaltige Resozialisierung ermöglicht werden kann. Auf der einen Seite muss das engmaschige Netz der Weisungen und Auflagen der Führungsaufsicht des Sozialen Dienstes der Justiz aktiv arbeiten können. Daneben müssen Verantwortlichen vor Ort Hilfestellungen und Hintergrundinformationen für den Fall an die Hand gegeben werden, dass ein Dialog mit besorgten Bürgern zu führen ist. Nur durch Information und Aufklärung können Ängste und Vorbehalte abgebaut werden.
Auf der anderen Seite müssen wir aber auch einsehen, dass ein tatsächlicher Neuanfang nur stattfinden kann, wenn der Ort nicht vorab öffentlich gemacht wird. Das wird die Aufgabe dieses Hohen Hauses sein. Bereits mehrfach, meine Damen und Herren, haben wir in diesem Zusammenhang den Vorschlag gemacht, dass Betroffenen in jedem Fall ein Fluchtraum, ein angemessenes Ausweichquartier zur Verfügung stehen und angeboten werden muss, in den sie sich zu ihrem eigenen Schutz aus freiem Willen zurückziehen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werbe ebenfalls nachhaltig für den Entschließungsantrag und danke Ihnen.
Danke schön, Herr Kollege Borgwardt. - Für die Landesregierung spricht nun die Ministerin für Justiz und Gleichstellung Frau Professor Dr. Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin froh, dass eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionen zur Frage des Umgangs mit ehemals in Strafhaft oder Sicherungsverwarnung untergebrachten Straftätern mit sehr deutlichen Worten im Landtag zustande kommt.
Die eben geführte Debatte hat trotz der Emotionen, die mit diesem Thema verbunden sind und die gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Insel auch verständlich sind, gezeigt, dass es wichtig ist, dass wir uns immer wieder auf einer sachlichen Ebene mit den Fragen auseinandersetzen, so viel wie möglich aufklären und dazu kommen, dass wir nicht mit pauschalen Schub
ladenzuweisungen die Sicherungsverwahrung oder jemanden, der aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden ist, in der Weise schlechtreden, dass die Bevölkerung den Eindruck hat, dass ehemalige Sicherungsverwahrte per se gefährlich seien und die Bürger sich vor ihnen schützen müssten.
Ich glaube, dass die Debatte gezeigt hat, dass das Thema mehrere Dimensionen hat. Es hat eine gesamtgesellschaftliche Dimension: Wie geht die Gesellschaft und wie gehen wir alle mit ehemaligen Straftätern um?
Das Thema hat auch eine justizpolitische Dimension. Die Justizministerinnen und Justizminister in Bund und Ländern sind gerade dabei, die zukünftige Konzeption für eine Sicherungsverwahrung in eine konkrete Gesetzesform zu gießen. Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang auch die Frage beantworten, wie umsetzbare Resozialisierungskonzepte aussehen und wie es uns ganz praktisch gelingt, Resozialisierung zu ermöglichen.
Dann gibt es die ganz konkrete Dimension. Dabei geht es um die Frage, wie wir ganz konkret eine Lösung für diejenigen finden können, die wir in unsere Gesellschaft aufnehmen wollen. Wie kann auch in Insel eine konkrete Lösung geschaffen werden? Denn eine Lösung besteht im Moment noch nicht. Allein die Aussage, wir wollen weg, ist keine Lösung, weder für Insel, geschweige denn für die beiden Betroffenen, die im Moment eben noch nicht wissen, wo sie hingehen können, wo sie Aufnahme finden und wo es jemanden gibt, der sie auch schützt.
Herr Borgwardt hat eben von einem Schutzraum gesprochen. Das kann nicht nur ein Raum sein, der dann auch wieder den Eindruck erweckt, dass man eingesperrt wird, sondern das muss ein Raum sein, wo Menschen da sind, die sie aufnehmen, unterstützen und ihnen diese Integration bieten.