Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Meine Damen und Herren! Sie sehen, uns ist das ein wenig zu kleinteilig. Das heißt nicht, dass es im Moment im Kleinteiligen nicht auch Probleme gibt. Aber wir würden sehr gern den Blick auf das große Ganze richten, auch im Hinblick auf die Thema

tiken, die morgen früh hier besprochen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Kollege Herbst. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Sitzung des Landtages im Februar hat die antragstellende Fraktion unter tosendem Beifall ein Bleiberecht für alle gefordert. Sie haben erklärt, dass jeder, der - auf welchem Weg und aus welchen Gründen auch immer - nach Deutschland kommt - sei es auch aus rein wirtschaftlichen Gründen -, hier bleiben und hier leben dürfe.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, Sie wollen Realpolitik betreiben und müssen und wollen Ihrer Verantwortung gerecht werden. Dann stellen Sie sich jetzt der Macht des Faktischen. Wir werden in diesem Jahr deutlich mehr als 40 000 Flüchtlinge und Asylsuchende in Sachsen-Anhalt verzeichnen können. Im letzten Jahr waren es 6 600 Menschen. Zum Vergleich: Das Vereinige Königreich hat im letzten Jahr 31 700 Menschen aufgenommen.

Die Prognose lautet, dass sich der Zugang ohne gezielte Maßnahmen der Zuwanderungsbegrenzung, etwa beim Familiennachwuchs oder bei der Festlegung von Obergrenzen, zumindest in der gleichen Größenordnung fortsetzen wird.

Wenn Sie gleichwohl Ihre Forderung nach einem Bleiberecht für alle aufrechterhalten wollen, dann kommen Sie nicht umhin, alsbald die Zuweisung von Flüchtlingsunterkünften durch Beschlagnahmung von Wohn- und Gewerbeimmobilien vorzuschlagen. Das wäre zwangsläufig ein notweniger Schritt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion verfolgt hingegen den Kurs, zukünftig die Begrenzung der Zuwanderung auf ein Maß vorzunehmen, das die gesellschaftliche Akzeptanz nicht übersteigt und die Integrationsfähigkeit dieser Menschen auch langfristig gewährleistet.

Aber derzeit geht es nur um das alles bestimmende Thema: Wie schaffen wir es, dieser Vielzahl von Hilfesuchenden menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten bereitzustellen? - Im laufenden Jahr sind bis zum 1. November rund 27 000 Flüchtlinge in der Erstaufnahme gezählt worden. Die plötzliche, derart stark zunehmende Identität der Einreise stellt uns vor enorme Probleme.

Keine Frage: Wir alle wollen eine Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Zelten in der Winterzeit verhindern. Daher arbeitet die Lan

desregierung unter Hochdruck, um den starken Zustrom von Menschen, der völlig unvorhersehbar war, durch ein Unterbringungskonzept mit menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten zu versorgen. Es wird sehr viel in unserem Land getan, um die Menschen für die Winterzeit sicher und warm unterzubringen.

Man kann Herrn Minister Stahlknecht nun wirklich nicht den Vorwurf machen, dass er den Landtag und insbesondere den Ausschuss für Inneres und Sport nicht einbezieht. Wir bekommen über den Ausschuss ständig Meldungen zur aktuellen Lage im Bund, zu aktuellen Zugangssituation im Land, selbstverständlich aufgegliedert nach den einzelnen Aufnahmeeinrichtungen, und auch zur Verteilung im Land.

Die Landesregierung hält die Ausschüsse ständig über Änderungen im Unterbringungskonzept und zur Vornahme der Registrierung auf dem Laufenden. Im Innenausschuss sind die Herausforderungen der Flüchtlingskrise und das Unterbringungskonzept als ständiger Tagesordnungspunkt gesetzt. Wir brauchen den von Ihnen geforderten Sonderausschuss, meine sehr verehrten Damen und Herren, nun wirklich nicht.

Wenn Sie in Ihrer Antragsbegründung ansprechen, dass bei Erstaufnahmeeinrichtungen die tatsächlichen Belegungsstände oft unter der zur Verfügung stehenden Kapazität liegen, so gehört es auch zu Ehrlichkeit dazu, dass man den Grund dafür benennt. Wir haben in Deutschland das Problem, dass viele zu uns kommende Menschen, die ja eigentlich Schutz suchen, nicht dort bleiben, wo man sie unterbringt. Es geschieht sehr häufig, dass Asylsuchende zum Beispiel aus Altengrabow einfach verschwinden und sich auf den Weg zu ihren eigentlichen Fluchtzielen, beispielsweise Hamburg oder Berlin, machen. Diesem Problem wird zukünftig auf Bundesebene durch Sanktionen und eine Residenzpflicht am Ort der Aufnahmeeinrichtung begegnet werden.

Nun zu den von Ihnen im Antragstext angesprochenen Abschiebungen. Es ist ja bekannt, dass Ihre Fraktion Abschiebungen generell als inhuman bezeichnet und sie ablehnt. Wer nicht schutzbedürftig ist, muss unverzüglich abgelehnt und in seine Heimat zurückgeführt werden, sonst schaden wir der gesellschaftlichen Akzeptanz für die Aufnahme von Menschen. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich in Sachsen-Anhalt über 4 000 geduldete ausreisepflichtige ehemalige Asylbewerber befinden, die die so dringend notwendigen Kapazitäten blockieren.

Die in Sachsen-Anhalt initiierten Sammelrückführungen sind der richtige Weg, und durch den Asylkompromiss 2015 auf Bundesebene, den die antragstellende Fraktion ja auch ablehnt, können wir nunmehr nicht schutzbedürftige Menschen aus

sicheren Herkunftsländern direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung nach Hause schicken und die Bemühungen um ein gemeinsames Rückführungsmanagement der Länder erhöhen. Wir haben bis Ende Oktober bereits knapp 800 Abschiebungen durchgeführt.

Abschließend bitte ich um Ihre Zustimmung zur Überweisung des gesamten Antrages an den Ausschuss für Inneres und Sport. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kolze, es gibt eine Nachfrage. Möchten Sie sie beantworten? - Nein. Möchten Sie intervenieren, Herr Gallert ?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Nein!)

Somit hat nun Frau Quade für DIE LINKE das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wusste, es lohnt, die Erwiderung wahrzunehmen. Zunächst zu den Zelten: Ja, es stimmt. Natürlich sind Zelte für die Abfederung noch spitze - für den Katastrophenfall, für eine Flüchtlingsaufnahme in großen Aufnahmelagern unmittelbar vor Ort in Krisensituationen -, etwas, das nicht vermeidbar und insoweit auch akzeptabel ist. Aber ich sage trotzdem: In einem Land wie Sachsen-Anhalt, in einem Land wie Deutschland ist es nicht akzeptabel, wenn Menschen über Wochen und Monate in Zelten leben müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zur Kleinteiligkeit, Herr Herbst. Ich habe den Vorwurf jetzt schon öfter von Ihnen gehört, dass alle unsere Anträge zu kleinteilig seien. Frau Schindler hat mich da schon richtig verstanden. Natürlich ist es mein Anspruch, eine Haltung zu kritisieren bzw. meine Haltung respektive die meiner Fraktion zum Ausdruck zu bringen. Aber es ist völlig richtig, wie es Frau Schindler dargestellt hat: Ja, es geht auch darum, konkrete Wege aufzuzeigen - was immer man von den einzelnen Möglichkeiten halten will.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Herbst, ich sage Ihnen ganz deutlich: Prosa allein reicht mir dafür nicht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zur Schutzquote. Herr Minister, wie viele der in den letzten Monaten angekommenen Menschen haben denn bereits einen Asylantrag gestellt? - Keiner. Die Schutzquote sagt überhaupt nichts über die Menschen, die in den letzten Monaten zu uns gekommen sind, aus, weder über ihre Zahl noch über die Schutzquote. Diejenigen, die jetzt

kommen, stellen vermutlich im April ihren Asylantrag und finden sich dann irgendwann einmal, wenn darüber entschieden worden ist, in der Quote. Also bitte, so ehrlich wollen wir doch bleiben!

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir können uns gern über die Maßnahmen streiten, die wir vorschlagen. In der Tat: Es sind bewegte Zeiten, und in der Tat gibt es Für und Wider. Man kann Sinn infrage stellen, Effekte bezweifeln; aber ich habe eine sehr herzliche Bitte an Sie: Erkennen Sie die konkreten Handlungsmöglichkeiten an, die es im Land abseits der Forderungen gibt, die man - auch berechtigt - an den Bund, an Europa, an die Welt stellen kann. Tun Sie nicht so, als gäbe es hier nichts zu tun, als wäre nichts zu machen, als wären uns die Hände gebunden. Das ist nicht so.

Es ist nämlich erstens kreuzgefährlich, so zu tun - mit Blick auf eine Entwicklung gesellschaftlicher Stimmungen, die wir alle nicht wollen können und von denen ich auch nicht glaube, dass jemand hier im Haus sie will. Zweitens ist vielleicht der Bürgermeister von Rottenburg am Neckar, Stephan Neher, CDU, eine wirklich gute Orientierung, der im jüngsten „Spiegel“ sagt - ich zitiere -:

„Von Zahlenspielen und solchen Prognosen halte ich nichts, weil sich Parameter ständig ändern. Wir müssen mit der aktuellen Situation umgehen. Wenn Deutschland das nicht schafft, wer dann? Alle Politiker, die seit Langem sagen, wir könnten die Flüchtlingskrise nicht bewältigen, sind jetzt schon widerlegt worden.“

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herzlichen Dank.

Danke sehr, Frau Kollegin. - Damit ist die Aussprache beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/4537 ein. Es ist eine Ausschussüberweisung beantragt worden; insofern entfällt selbstverständlich der Antrag auf Einzelabstimmung, wenn es eine Mehrheit gibt.

Es ist beantragt worden, an den Innenausschuss zu überweisen. Weitere Forderungen sehe ich nicht. Wer der Überweisung an den Innenausschuss zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Damit ist der Antrag so überwiesen worden.

Wir sind am Ende des Tagesordnungspunktes 19 und am Ende der 100. Sitzung angelangt. Wir beginnen die morgige Sitzung mit den Tagesordnungspunkten 21, 5, 6 und 7. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Schluss der Sitzung: 18:34 Uhr.