Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

Ein Thema, das Sie hier angesprochen haben, ist umstritten. Gestern hat das Kabinett in Berlin die geplanten Änderungen zum Aufenthaltsrecht entschieden. Im Antrag wird hier von einer Doppelbestrafung gesprochen. Das muss ich als Juristin mit aller Deutlichkeit zurückweisen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das ist völlig unhalt- bar!)

Das ist keine Doppelbestrafung. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen sind verwaltungsrechtlicher Natur. Insofern werden die Betreffenden nicht zweimal bestraft. Seit dem 1. Januar 2016 gilt ein neues Aufenthaltsrecht. Dabei wird jetzt stark auf Einzelfallentscheidungen abgestellt, was auch richtig ist.

Aber worüber reden wir hier? - Es geht um besonders schwerwiegende Ausweisungsgründe. Ehrlich gesagt, als Ministerin für Gleichstellung bin ich froh, dass Straftaten gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung jetzt mit zu diesen besonders schwerwiegenden Ausweisungsgründen gehören.

(Beifall bei der CDU)

Richtig ist, es gibt Defizite bei der praktischen Umsetzung. Ich finde es ein ganz wichtiges Signal,

dass wir in einem Aufenthaltsgesetz auch ganz klar sagen, Verstöße gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung können dazu führen, dass ein Ausweisungsgrund vorliegt.

Natürlich ist auch die konsequente Verfolgung aller Straftaten wichtig, nicht nur in Köln, sondern auch auf dem Oktoberfest. Auch dass das verfolgt wird, was möglicherweise während des Karnevals passiert, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.

Was erzählen uns die betroffenen Opfer? - Auch davon habe ich leider viel zu wenig gehört. Es geht nicht nur darum, dass der Straftatbestand der sexuellen Nötigung, der Vergewaltigung in Deutschland sehr eng gefasst ist und eben immer das Vorhandensein von Gewalt voraussetzt und voraussetzt, dass sich das Opfer entweder nachweislich gewehrt hat oder dass das Opfer in einer Überraschungssituation getroffen worden ist, in der es sich tatsächlich nicht mehr wehren konnte.

Das diskutieren Feministinnen schon seit mehr als fünf Jahren. Es gibt schon seit langem die Forderung, das deutsche Sexualstrafrecht so zu reformieren, dass immer dann, wenn jemand Nein sagt, das Nein heißt und dass das dann auch zu einer strafrechtlichen Verurteilung führt.

Deshalb bin ich froh, dass der Bundesjustizminister nicht, wie es fälschlicherweise in den Medien vermittelt worden ist, in Reaktion auf Köln, sondern schon vor dem Jahreswechsel einen Referentenentwurf für eine Reform des § 177 StGB vorgelegt hat. Das sind nämlich die Paragrafen, in denen das Sexualstrafrecht geregelt ist. Richtig ist, dass hier gute Ansätze vorhanden sind, dass genau die Situation, in der frau sich nicht wehren konnte, in der sich eine Frau aus Angst nicht gewehrt hat, oder weil sie das Gefühl hat, wenn ich mich nicht wehre, passiert mir weniger, als wenn ich mich vehement wehre, in Zukunft auch strafbar ist.

Ob das, was jetzt als Referentenentwurf vorliegt, schon ausreichend ist, darüber werden wir diskutieren. Wir befragen dazu aktuell die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis sowohl bei den Gerichten als auch bei der Staatsanwaltschaft.

Ich persönlich würde mir einen selbständigen Straftatbestand der sexuellen Belästigung wünschen. Denn auch eine sexuelle Belästigung ist ein sexueller Übergriff.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Ja!)

Aus meiner Sicht wird das in der derzeit vorliegenden Fassung der Reform noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Bei dem, was wir in Köln erlebt haben, ist festgestellt worden, dass das sicherlich ein neues Ausmaß von Gewalt ist. Allerdings ist eine bestimmte Art von sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum auch in der Vergangenheit schon mehrfach auf

getreten, das sogenannte Antanzen, also die Tatsache, dass mehrere Straftäter eine Frau einkreisen, sexuelle Übergriffe verüben und dass die Frau gar nicht in der Lage ist zu beweisen, von welchem Täter welcher Übergriff ausgegangen ist.

Das kann in der Praxis dazu führen, dass Straftäter nicht verurteilt werden können, weil letzten Endes eine Verurteilung nur möglich ist, wenn nachgewiesen werden kann, wer welche Handlung vorgenommen hat. Deshalb wünsche ich mir in diesem Zusammenhang eine dem § 231 StGB vergleichbare Regelung.

§ 231 regelt die Beteiligung an einer Schlägerei. Hier ist strafgesetzlich klargestellt, dass derjenige, der sich an einer Schlägerei beteiligt, verurteilt wird. Es muss also hier kein Einzeltatnachweis geführt werden. Bei derartigen Vorfällen mit einem sexuellen Hintergrund müsste aus meiner Sicht genau das Gleiche gelten.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Insoweit werden wir den Referentenentwurf über das Verfahren im Bundesrat intensiv begleiten, Vorschläge machen. Ich hoffe, dass es dann auch im Bundesrat und im Bundestag die notwendigen Mehrheiten dafür gibt, die rechtlichen Regelungen so auszugestalten, dass die Zahl der Verurteilungen im Bereich der Sexualdelikte in Zukunft tatsächlich höher wird.

Denn das ist aus meiner Sicht das größte Problem, dass wir im Moment gerade bei diesen ganz fürchterlichen Straftaten eine sehr geringe Verurteilungsquote haben. Es ist natürlich für alle Frauen, die Opfer geworden sind, die von derartig schlimmen Straftaten betroffen sind, eine ganz schwierige Situation, wenn sie dann erleben müssen, dass der Täter das Gericht als freier Mann verlässt.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Thema Sensibilisierung sagen. Ich habe ja bereits darauf hingewiesen, dass wir eine Reihe von Maßnahmen in unserem Landesprogramm für ein geschlechtergerechtes Sachsen-Anhalt verankert haben. Aber wir haben die Maßnahmen nicht nur dort aufgeschrieben, sondern wir setzen das auch konkret um.

Wir haben eine Vielzahl von Weiterbildungsmaßnahmen gerade zum Thema Sexualdelikte im Bereich der Polizei, der Justiz, aber auch im Bereich der frauen- und gleichstellungspolitischen Netzwerke angeboten. Ich bin froh, dass wir jetzt über den Landesfrauenrat wieder das Projekt „Netzwerkstelle - allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ fortsetzen können.

Auch hier spielt das Thema sexuelle Gewalt eine Rolle. Hier finden auch Schulungen in Kooperation mit Bildungsvereinen wie dem Verein „Arbeit und

Leben in Sachsen-Anhalt“ statt. Beispielsweise ist jetzt eine Fortbildung mit den Gleichstellungsbeauftragten zum Thema „Diversity-sensible Öffentlichkeitsarbeit“ geplant.

Wir haben in unserem Landesprogramm unter dem Schwerpunkt Antigewaltarbeit eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen im Bereich der geschlechtsspezifischen Angebote der Opferhilfe und Gewaltbekämpfung.

Dabei spielt die Täterinnen- und Täterarbeit eine ganz große Rolle. Für das Jahr 2016 ist geplant, ein Projekt zur Täterinnenprävention zu stärken. Der Verein „Pro Mann“ engagiert sich dafür schon seit Jahren und konnte das bisher nicht in dem Ausmaß, wie es angesichts der steigenden Zahlen nötig ist, umsetzen.

Das werden wir in diesem Jahr fördern, genauso wie ein Projekt an der Universität in Halle. Sie erinnern sich an die Diskussion. Wir wollen ein Projekt zum Umgang mit sexualisierter Gewalt speziell an Hochschulen bearbeiten.

Abschließend möchte ich auf den Aktionsplan LSBTTI hinweisen. Auch darin haben wir ganz konkrete Maßnahmen vorgesehen, die wir im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplanes realisieren werden. Dazu gehört auch, dass wir uns um die Belange besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften kümmern.

Ich habe vor einer Woche eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit diesen speziellen Belangen beschäftigt. Wir haben in der ersten Sitzung festgestellt, dass es eine riesengroße Herausforderung ist, dass es viele Fragen gibt, die wir zu lösen haben im Umgang mit alleinreisenden Frauen, mit traumatisierten Gewaltopfern, aber auch mit traumatisierten Kindern. Gestern haben mich die Kolleginnen von der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser besucht; sie stellen fest, dass die Frauen aus den Gemeinschaftsunterkünften und den Erstaufnahmeeinrichtungen jetzt auch schon in den Frauenhäusern ankommen, was die Arbeit vor große Herausforderungen stellt.

Wir haben uns, was die Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen betrifft, schon intensiv mit der Frage beschäftigt, wie wir sie stärken können. Das ist eine völlig neue Herausforderung, sodass wir nach dem 13. März 2016 schnell dazu kommen müssen, ganz konkrete Vorschläge zu machen, wie wir die Kolleginnen und Kollegen vor Ort unterstützen, damit sie in der Lage sind, jenen, die besondere Hilfe brauchen und zu uns kommen, weil sie Schutz und Sicherheit suchen, zu helfen. Insoweit freue ich mich auf die weiteren Debatten und vor allem auch auf die Unterstützung dieses Hohen Hauses. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Frau Ministerin, es gibt zwei Nachfragen. - Zunächst die Kollegin Zoschke, danach der Kollege Gallert.

Frau Ministerin, wir beide waren vor Kurzem zu einer Lesung, bei der eine Mitarbeiterin einer Justizvollzugsanstalt über ihre Vergewaltigung gesprochen hat und darüber, was ihr im Nachhinein alles passiert ist, bis sie wieder zu ihrem Leben zurückgefunden hat. Ich war zutiefst beeindruckt, vor allem auch von der Tatsache, dass sie es geschafft hat, wieder ins Leben zurückzufinden, wobei sie immer noch sagt, sie habe ihr erstes Leben verloren.

Stimmen Sie mir darin zu, dass wir tatsächlich eine breite öffentliche Debatte zu diesem Thema benötigen, und zwar ohne auf den Geburtsort der Täter zu reflektieren?

Frau Zoschke, darin stimme ich Ihnen voll und ganz zu.

Herr Gallert, bitte.

Frau Ministerin, ich bin ein wenig überrascht von Ihrem Vorwurf mir gegenüber, nichts Konkretes zu diesen Dingen beigetragen zu haben, und davon, dann von Ihnen das zu hören, was ich gerade vorher auch gesagt habe bzw. was in unserem Antrag steht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich will den Vorwurf jetzt nicht zurückgeben, so unhöflich bin ich nicht. Im Grunde genommen haben wir parallele Forderungen aufgestellt, deshalb sollten wir solche Vorwürfe nicht erheben.

Aber wissen Sie, es geht mir um die Verschärfung des Sexualstrafrechtes, um die Nichteinhaltung der sogenannten Istanbul-Konvention. Sie sagen selbst, im Wesentlichen liegen seit 2010 Vorstellungen und Vorschläge vor, auf den Nötigungsvorbehalt bei sexuellen Übergriffen zu verzichten. Nun sind Sie nicht erst seit heute Justizministerin, auch nicht erst seit gestern. Woran lag es, dass seit fünf Jahren in diesem Bereich nichts passiert ist?

Das lag daran, dass das Bundesjustizministerium lange Jahre die Regelungslücken nicht erkannt

hat. Es bedurfte einer intensiven Diskussion. Deshalb bin ich froh, dass wir im Rahmen der Justizministerkonferenz im Jahr 2012 Herrn Maas überzeugen konnten, sich dieses Themas anzunehmen. Dies hat er getan. Er hat es vor allem auch sehr sachlich getan, indem er bei den konkreten Gerichten abgefragt hat, welche Fallkonstellationen vorliegen, bei denen es eben nicht zu einer Verurteilung kommt. Auf der Grundlage dieser Analyse ist der derzeitige Referentenentwurf entstanden.

Aber Sie haben Recht, Herr Gallert, über die Parteien hinweg war das in den letzten zehn Jahren immer eine Baustelle. Es stand immer in den Koalitionsvereinbarungen, aber es ist leider nicht zu der notwendigen Reform des Sexualstrafrechts gekommen.

Danke sehr, Frau Ministerin. - Wir treten nun in eine Fünfminutendebatte ein. Als erster Debattenredner wird der Kollege Borgwardt für die CDU sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser ganzes Land debattiert, und das zu Recht: Was in Köln passiert ist, hätte nicht passieren dürfen.

(Zustimmung bei der CDU)

In Köln und anderen deutschen Städten durchliefen Frauen im öffentlichen Raum ein Martyrium, mussten im wahrsten Sinne des Wortes Spießruten laufen, wurden wie Freiwild behandelt. Die Zahl der Anzeigen steigt weiter und das Ausmaß der Taten wird immer deutlicher.

Das Innenministerium Nordrhein-Westfalens spricht von einem Polizeiversagen und wälzt Verantwortlichkeiten nach unten ab. Es steht aber bereits jetzt fest: In Köln hat in der Silvesternacht die innere Sicherheit versagt; durch Untätigkeit, Falschmeldungen und zurückgehaltene Täterinformationen wurde das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert. Hier sind Aufklärung und Aufarbeitung geboten - das ist der einzige Punkt, bei dem ich mit Ihnen mitgehe, Herr Gallert -, die nunmehr durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss - das finde ich gut - auch erfolgen.

(Zuruf von Minister Herrn Stahlknecht)