Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

Dem grundsätzlichen Anliegen des Antrags können wir durchaus folgen. Auch wir möchten, dass die legitimen Schutzzwecke, insbesondere Verbraucherschutz und Qualitätssicherung, denen die Regelungen des Berufszugangs und der Berufsausübung dienen, beachtet werden. Dies gilt auch für die in einigen freien Berufen geltenden Honorarordnungen und Kapitalbindungsvorschriften.

Auch in der Bewertung der Bedeutung der Freiberufler für die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt gibt es zwischen uns - und ich glaube überhaupt im Haus - keinerlei Dissens. Insgesamt zielt aber der Antrag aus unserer Sicht zu einseitig in die Richtung der EU-Kommission und negiert notwendige Veränderungen an den bestehenden nationalen Regelungen.

Wenn es im Antrag heißt:

„Eine angestrebte europäische Vereinheitlichung der Systeme darf nicht zulasten bestehender Regelungen gehen...“

heißt das übersetzt, unsere Regelungen sollen genauso bleiben, wie sie sind, und zwar genauso. Die Europäische Union darf sie gerne übernehmen. Das kann man nicht ernsthaft als Forderung postulieren. So funktioniert Europa nicht.

(Herr Thomas, CDU: Doch, kann man!)

Auch in anderen Punkten hat der Antrag so seine Probleme. So, wenn in dem letzten Punkt eine Entscheidung des Bundesrechnungshofs angeführt wird. Gemeint ist sicherlich der Bundesfinanzhof in München, das höchste deutsche Gericht in Steuer- und Zollsachen. Der Bundesrechnungshof prüft Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Er wird sich mit dem Fremdkapitalverbot eher nicht befassen.

Das sollten die Antragsteller gegebenenfalls redaktionell korrigieren, sonst wird der Antrag - wenn wir ihn denn beschließen - in Berlin bestenfalls Heiterkeit erregen.

Uns ist der Antrag letztlich zu allgemein und oberflächlich. Kollege Thiel sprach von holzschnittartig, genau. Wir werden uns ebenfalls bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank für Ihren Beitrag. - Dann kommen wir zum Beitrag der SPD. Herr Mormann, Sie haben noch einmal das Wort. Bitte.

Werter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es freut mich zu hören, dass wir im Hause bei diesem Thema alle mehr oder weniger den gleichen Standpunkt vertreten, insbesondere wo es die Koalition, die Opposition und auch das Ministerium gleichermaßen vorgetragen haben.

Lassen Sie mich das noch einmal auf den Punkt bringen. Es darf kein oktroyiertes liberalisierendes System der freien Berufe in Deutschland geben. Eine jahrzehntelange Erfolgsstory, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands gehört,

die Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft, die ein Inbegriff von Qualität und Verbraucherschutz darstellt, diese Erfolgsgeschichte darf nicht für eine Liberalisierung des europäischen Marktes aufgegeben werden.

Notwendige Harmonisierungen in einem Europa ohne Grenzen dürfen dabei keine Abwärtsspirale hinsichtlich der freiberuflichen Qualitätssicherung und der Sicherstellung freiberuflicher Qualifikationen zur Folge haben; andersherum wird ein Schuh daraus. Das Ziel muss vielmehr eine Angleichung der Qualitätsforderung in den freien Berufen auf höchstmöglichem Niveau gerade nach dem Vorbild Deutschlands sein.

Leider ist er jetzt nicht im Saal. Lieber Frank Thiel, wenn es Lobbyismus ist, sich für Freiberufler und Verbraucher gleichermaßen einzusetzen, dann lasse auch ich mich dafür gerne als Lobbyist bejubeln.

Meine Damen und Herren! Alles, was Sie und ich heute in der Debatte vorgetragen haben, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im Bereich der freien Berufe Aufgaben vor uns liegen. Das fachliche Spektrum der freien Berufe erstreckt sich von den freien heilkundlichen, über rechts- und wirtschaftsberatende, technische und naturwissenschaftliche Berufe bis hin zu den freien Kulturberufen.

Bei aller Unterschiedlichkeit sind die freien Berufe geprägt durch ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Professionalität. Gerade beim Sprung ins Informations- und Wissenszeitalter muss Deutschland sich stärker als SelbständigenGesellschaft aufstellen.

Meine Damen und Herren! Eine weitere von vielen Herausforderungen für Freiberufler ist überhaupt erst der Schritt in die Selbständigkeit. Für eine Stärkung der Innovationskultur in Deutschland ist aber auch einen nachhaltigere Kultur der Selbständigkeit notwendig.

Deshalb wollen wir auf die Förderung dieses Bereichs in unserer Wirtschaftspolitik ein besonderes Augenmerk legen und bereits in der schulischen und beruflichen Ausbildung mehr junge Menschen für die Selbständigkeit begeistern.

Ich bin in diesem Jahr 25 Jahre selbständig. In diesem Vierteljahrhundert hat sich in dieser Hinsicht schon einiges getan. Grundsätzlich aber brauchen wir mehr Wertschätzung für den Unternehmergeist in unserem Land. Schließlich sind es vielfach die Selbständigen im Bereich der freien Berufe, die als Arbeitgeber für Lohn und Brot sorgen. Vor allen in den kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch in den freien Berufen entstehen die Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze von morgen.

Das zeigt, gerade Unternehmer, und dabei auch diejenigen aus dem Bereich der freien Berufe, sind ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige und zukunftssichere wirtschaftliche Entwicklung.

Daher brauchen wir ein enges und ganzheitliches Betreuungs- und Beratungsangebot für Existenzgründerinnen und -gründer und für bestehende Unternehmer. Daher brauchen wir auch kompetente Ansprechpartner für Unternehmerinnen und Unternehmer und Existenzgründerinnen und Existenzgründer in den Verwaltungen. Es muss das Prinzip „ein Unternehmer, ein Ansprechpartner für alle Fragen“ gelten.

Meine Damen und Herren! Ein weiteres Hemmnis beim Schritt in die Selbständigkeit ist die Frage der Finanzierung. Alternative Finanzierungsideen sollten bedacht werden. Notwendig sind jeweils passgenaue Förder- und Unterstützungsangebote seitens des Landes. Wir wollen als SPD einfachere und transparentere Förder- und Finanzierungsinstrumente, wie zum Beispiel niedrigschwellige und zinsgünstige Darlehen und Bürgschaften zur Stärkung der Investitionsförderung, gerade für kleine und mittlere Unternehmen, gerade auch für Freiberufler.

Denkbar wären auch Kleinstkredite, insbesondere für den Bereich der kleinen kreativen Soloselbständigen, handelt es sich doch hier überwiegend um kleine Anschubhilfen und Unterstützung bei der Gründung von geeigneten Plattformen und Netzwerken.

Meine Damen und Herren! Im Interesse der freien Berufe liegt eine Menge an Aufgaben vor uns. Aber im Moment sollte uns hier im Hause einen, dass wir die Deregulierungsvorhaben der EU-Kommission verhindern. Ein erster Schritt dazu ist eine deutliche Positionierung dagegen. Das erreichen wir mit der Zustimmung zu dem Ihnen vorliegenden Antrag.

Herr Kollege Meister, wir werden gleich bei der Abstimmung erleben, wer den von Ihnen genannten Wagen zieht und wer wieder einmal das Gleis blockiert. - Ich danke.

(Zustimmung bei der SPD - Unruhe bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mormann. - Ich frage: Gibt es noch weitere Diskussionsbeiträge? - Das sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Eine Überweisung ist nicht beantragt worden, wir können direkt abstimmen.

Wir stimmen jetzt ab über den Antrag in Drs. 6/4748. Wer dem seine Zustimmung erteilen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Zustimmung bei der Koalition. Wer lehnt ab? - Keiner. Wer ent

hält sich der Stimme? - Enthaltungen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Meine Damen und Herren! Damit ist Tagesordnungspunkt 2 erledigt und abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Beratung

Der Weg zum Abitur in Sachsen-Anhalt - Karriereverläufe der Schülerinnen und Schüler

Große Anfrage Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4178

Antwort der Landesregierung - Drs. 6/4393

Entsprechend unserer Geschäftsordnung haben wir eine Debattenstruktur D gewählt: CDU zwölf Minuten, DIE LINKE neun Minuten, SPD acht Minuten, GRÜNE vier Minuten Redezeit. - Ich erteile jetzt der Fragestellerin das Wort. Frau Professor Dalbert, Sie können einführen. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass für diese Große Anfrage zu den Karrierewegen zum Abitur waren wiederholt Zitate, die wir in den Zeitungen gefunden haben, wie etwa:

„70 % der Schülerinnen und Schüler im 9. Schuljahrgang eines gymnasialen Bildungsgangs legen letztendlich nur das Abitur ab.“

„Sachsen-Anhalt hat eine hohe Quote von Schülerinnen und Schülern, die den gymnasialen Bildungsgang nicht erfolgreich absolvieren - Einstieg 45 %/Abschluss 29 %.“

Das sind Zitate, die legen nahe, dass es viele missglückte schulische Karrieren an Gymnasien gibt, oder sie legen auch nahe, es gibt zu viele Kinder an unseren Gymnasien.

Das ist zunächst ernst zu nehmen. Deshalb haben wir gesagt, wir stellen eine Große Anfrage. Wir fragen die Landesregierung nach den genauen Zahlen. Wie sieht es denn mit den Bildungsverläufen der Gymnasialschüler und -schülerinnen aus? Gibt es tatsächlich so viele Probleme?

Die Antwort auf diese Frage ist relativ schnell gegeben. Die Landesregierung weiß nicht, ob das stimmt, weil ihr keine Zahlen zu Schulverläufen vorliegen.

Die Landesregierung beruft sich entschuldigend darauf, dass es dazu der Umstellung der Schulstatistik bedürfe, es die sogenannten pseudoanonymisierten Individualdaten geben müsste, eine Schülernummer - darum geht es da. Wir sehen

das eher kritisch und halten das für datenschutztechnisch bedenklich.

Aber eine Ausrede für mangelnde Forschung zu den Schülerverläufen, Karriereverläufen an den Gymnasien, ist das selbstverständlich nicht. Auch wenn Sie diese pseudoanonymisierten Individualdaten haben, bedarf es dazu einer Forschung. Die Daten sagen Ihnen überhaupt nichts darüber aus, warum zum Beispiel ein junger Mensch das Gymnasium verlässt. Vielleicht wechselt er an ein anderes Gymnasium, vielleicht zieht er um. Da sind der Möglichkeiten viele. Also, Zahlen allein reichen nicht. Man muss schon genau hinschauen.

Viele von Ihnen wissen, dass ich, bevor ich in den Landtag gegangen bin, in einem Bereich tätig war, in dem Längsschnittforschung stattgefunden hat. Ich kann Ihnen versichern, auch ohne pseudoanonymisierte Individualdaten kann man natürlich Längsschnittforschung machen. Die Fachzeitschriften sind voll davon. Es ist schlicht ein Versäumnis der Landesregierung. Sie sollte Forschung ausschreiben, um an dieser Stelle Wissen zu sammeln.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Dennoch sind natürlich die Antworten auf die Große Anfrage aufschlussreich. - Aber der Reihe nach. Kurz zur Ausgangslage. Es wurden fünf Schuljahrgänge betrachtet, vom Schuljahrgang 2010/11 bis zum Schuljahrgang 2014/15. Interessant ist - das sei nur am Rande bemerkt -, dass wir in diesem Fünfjahreszeitraum 10 000 Schüler und Schülerinnen mehr im Schulsystem haben. - So viel zu den schwindenden Schülerzahlen in unserem Land.

Es sind mehr Mädchen als Jungen im gymnasialen Bildungsgang. 98 % sind im Gymnasium. Insofern werde ich mich in Anbetracht der Zeit auf die Gymnasien beschränken.