Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute hier im Hohen Haus erneut über Insel. Wir haben dies auch im Rahmen der letzten Landtagssitzung getan. Meine Emotionen haben sich seitdem gewandelt.
Im letzten Monat war ich in erster Linie empört, empört darüber, dass unsere Grund- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, dass dort die Opfer - das sind dort die beiden entlassenen Sexualstraftäter - nicht verteidigt werden und dass sich der Ortsbürgermeister mit den Nazis gemein macht, dass die Landesregierung klein beigibt und die beiden Männer zum Umzug drängt.
Aber Empörung, liebe Kolleginnen und Kollegen, birgt auch die Hoffnung auf Veränderung, auf mehr Gerechtigkeit. Diese Hoffnung wurde auch durch unsere gemeinsame Erklärung genährt, in der wir uns alle sehr klar zum Schutz der Grund- und Menschenrechte und damit zum Recht der beiden Männer, in Insel zu wohnen, bekannt haben.
Diese Hoffnung hat Schaden gelitten. Heute stehe ich hier in tiefer Sorge um den Rechtsstaat und beschämt über politisches Versagen, welches sich in Insel jeden Tag mehr abzeichnet.
Es steht außer Frage: Die beiden Männer in Insel sind schuldig geworden. Ihre Schuld wurde von Gerichten festgestellt und wurde strafrechtlich gesühnt. Das ist die Bürde, die diese beiden Männer in ihrem restlichen Leben tragen müssen.
Nach ihrer Entlassung aus Haft und Sicherheitsverwahrung sind sie nun freie Menschen mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit. Dies schließt das Recht ein, seinen Aufenthalt und seinen Wohnort frei zu wählen. Die Bedeutung der Freizügigkeit für eine offene und demokratische Gesellschaft kann insbesondere nach den Erfahrungen mit den freiheitsabschnürenden Diktaturen des 20. Jahrhunderts nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, zum 9. November fällt uns nicht nur der 9. November 1989 ein. Da fällt uns auch der 9. November 1938 ein.
Der Wert und die Kraft unserer Demokratie bemessen sich immer daran, wie gut es uns gelingt, diejenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, zu schützen; unabhängig davon, ob wir sie an den Rand gedrängt haben oder ob sie sich selbst, zum Beispiel durch Straftaten, an den Rand gestellt haben. Grund- und Menschenrechte sind nicht teilbar. Sie gelten immer und sie gelten für alle in unserer Mitte.
Die Grundrechte dieser beiden Männer müssen vor Ort in Insel verteidigt werden. Vertreibung ist keine Lösung.
Vor Ort gibt es einen Ortsbürgermeister, Herrn von Bismarck, der nicht nur die Nazis auf Demonstrationen begrüßt und dem Mob der Straße eine Stimme gibt, sondern es erweist sich immer mehr, dass Herr von Bismarck den Mob erst aufpeitscht und zur Nötigung des Vermieters der beiden Entlassenen, und dessen Frau aufruft. Es zeichnet sich immer klarer ab, dass es diese Probleme in Insel mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne einen Herrn von Bismarck überhaupt nicht geben würde.
Wir fordern daher die Regierung Haseloff auf, die Prüfung eines Disziplinarverfahrens gegen Herrn von Bismarck energisch voranzutreiben. Er ist Ehrenbeamter auf Zeit. Sorgen Sie dafür, dass er die Verfassung nicht länger mit Füßen tritt.
Herr von Bismarck ist Mitglied der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, beschämt es Sie nicht, dass ein Parteikollege Ihre christlichen Werte mit Füßen tritt? - Diese Männer haben ihre Strafe verbüßt und von ihnen geht keine Gefahr mehr aus.
(Frau Feußner, CDU: Können Sie das ga- rantieren? - Oh! bei der CDU - Zuruf von der CDU: Das können Sie garantieren!)
Das hat der Rechtsstaat in seinem Gutachten festgestellt. Der Herr Innenminister wird Ihnen gern erklären, dass sie, wenn von ihnen weiter Gefahr ausginge, andere Auflagen hätten, als sie sie heute haben.
Genau so ist es; denn Jesus hat gesagt: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Dazu sage ich Ihnen: Ein Schreiben an Herrn von Bismarck am Abend vor der zweiten Aktuellen Debatte zu diesem Thema im Landtag reicht mir als Stellungnahme zum Fehlverhalten von Herrn von Bismarck nicht aus. Ich finde, dass jemand, der die Verfassung mit Füßen tritt, nicht würdig ist, Mitglied Ihrer Partei zu sein.
Meine Meinung ist, dass ein Mensch, der auf diese Weise die Verfassung mit Füßen tritt, nicht Mitglied einer Christlich-Demokratischen Union sein sollte.
Welche Anstrengungen sind in den letzten Wochen relativer Ruhe in Insel unternommen worden, um zu einer dauerhaften Lösung zu kommen? Die Menschen, die in Insel nach einem Wegzug der beiden Männer rufen - die Monster müssen weg, so kann man dort hören -, sind nicht die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner Insels.
Aber genau diesen Menschen steht die Regierung zur Seite, wenn sie auf eine Lösung setzt, die allein auf die Vertreibung der beiden Männer aus Insel hinausläuft.
Die Mehrheit ist eine schweigende Mehrheit, die sich nicht mehr traut, Partei zu ergreifen. Wir haben bereits am 14. September gefordert, dass in Insel eine professionelle Moderation stattfindet. Wir haben eben gehört, dass diese eben nicht stattgefunden hat. Eine professionelle Moderation, das heißt der Einsatz von Fachleuten, die für den Umgang mit solchen Konflikten ausgebildet sind, geschult sind und die die Fähigkeit haben, ein Miteinander in Insel zu ermöglichen, hat nicht stattgefunden.
Am Ende der Rede sehr gern. - Ich frage die Landesregierung: Haben Sie diejenigen unterstützt, die seit Wochen vor Ort einen friedlichen Dialog organisieren, die diejenigen Bewohnern eine Stimme geben wollen, die nicht für die Vertreibung eintreten, die sozusagen einen Aufstand der Anständigen organisieren wollen?
Ein weiterer Punkt. Wer zusieht, ohne einzuschreiten, billigt die Handlungen anderer und trägt dazu bei, dass diese Handlungen normal erscheinen, dass sie ihre Verwerflichkeit verlieren. Auch solche Zuschauer laden große Schuld auf sich.
Wir haben gehört, dass bei der letzten Bürgerversammlung zwei Vertreter der Landesregierung - zwei Staatssekretäre - vor Ort waren. Nach den Informationen, die mir vorliegen, sind diese beiden Staatssekretäre eben nicht eingeschritten, als Herr von Bismarck seine demagogischen Äußerungen getan hat. Sie haben eben nicht nachdrücklich die unveräußerlichen Grund- und Menschenrechte der beiden Männer verteidigt.
Eine lebendige Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht gute Freunde. Freunde, die einem in Zeiten der Not beistehen. Die Demokratie braucht in Insel solche guten Freunde, viele sol
cher guten Freunde, damit die Demokratie nicht dauerhaft beschädigt wird. Ich sehe diese guten Freunde in dieser Landesregierung zurzeit nicht.