Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

Es handelt sich aus grüner Sicht hierbei um schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte, die durch gesetzliche Entschädigungsleistungen korrigiert werden müssen.

Wir finden, es ist eine Stärke der Demokratie, dass sie die Fähigkeit hat, auch aus sich selbst heraus Fehler zu erkennen, diese klar zu benennen und eben auch für die Folgen einzustehen.

Deswegen dürfte - das ist bisher von allen Rednerinnen und Rednern so geäußert worden - Einigkeit in der Frage bestehen, dass die Strafverfolgung von homosexuellen Männern sowohl in der DDR als auch in der BRD ein Fehler und menschenrechtswidrig war. Ich finde, es ist dann nur konsequent, den nächsten Schritt zu gehen.

Die Bundesregierung hat sich dies in der Tat - das haben wir sehr erfreut zur Kenntnis genommen - im gültigen Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben. Sie ist zudem der UN-Initiative zur weltweiten Entkriminalisierung von Homosexualität beigetreten. Ich denke, in diesem Zusammenhang wäre es auch logisch, hier im eigenen Land ein bisschen aufzuräumen.

Es gibt dafür entsprechendes Instrumentarium. Mit dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen würden die Opfer nicht besonders behandelt werden. Man müsste nichts Neues erfinden.

Ich finde zwar - diese Anmerkung sei mir abschließend gestattet -, dass die 25 € pro Hafttag, die dort in Rede stehen, zu wenig sind. Wir haben auch in dieser Frage als GRÜNE im Bundestag schon verschiedene Vorstöße unternommen, diesen Betrag auf 50 € zu erhöhen; aber das ist nur eine Randbemerkung.

Grundsätzlich denke ich - darin stimme ich vollständig mit der LINKEN überein -, dass wir in der Entschädigungsangelegenheit tätig werden müssen, und deswegen Danke an die LINKE für die Übernahme unseres Antrags. Unsere Zustimmung ist daher sicher.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin. - Für die Fraktion der SPD spricht nunmehr Herr Kollege Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Umgang mit dem Thema Homosexualität steht für mich im Vordergrund, dass wir die volle Gleichstellung für so veranlagte Menschen im Hier und Heute erreichen. An dem Punkt sind wir auch noch nicht.

Der SPD-Bundesparteitag im Dezember 2011 in Berlin hat beschlossen - ich zitiere -:

„Die SPD setzt sich für die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare ein. Ehe als gesellschaftliche Institution und Organisation des Zusammenlebens muss heterosexuelle wie homosexuelle Paare umfassen.“

Darüber hinaus hat der Parteitag die SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur

Gleichstellung von gleichgeschlechtlich lebenden Menschen im Adoptionsrecht einzubringen.

Der uns heute hier vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE hat den Umgang mit der Vergangenheit und den Betroffenen zum Gegenstand. Frau von Angern hat bereits die Geschichte der Gesetzgebung dargestellt. Das muss ich jetzt nicht wiederholen.

Vielmehr möchte ich sagen, dass nach meiner persönlichen Einschätzung die in der DDR seit dem Jahr 1968 geltende Regelung mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar war, weil sie sich auf den Umgang von Erwachsenen mit unter 18-Jährigen beschränkte und weil sie keinen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Homosexualität machte.

Politisch ist natürlich die Ausweitung auf die lesbischen Beziehungen angreifbar, aber aus juristischer Sicht komme ich zu der Einschätzung, dass das rechtsstaatlich vertretbar war, was in der DDR seit dem Jahr 1968 galt.

Auch unter dem Eindruck der Redebeiträge, die es dazu heute bereits gab, möchte ich sagen: Die strikte Unterscheidung zwischen Rechtsstaaten und Unrechtsstaaten trifft nicht die Wirklichkeit. Die NS-Diktatur ist vom bundesdeutschen Gesetzgeber klar als Unrechtsstaat qualifiziert worden. Ich erinnere diesbezüglich an das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, in das man dann die damalige Anwendung des § 175 einbezogen hat. Ich denke, die Praxis der Anwendung des Paragrafen war dann aber eine andere. Man ist in der Bundesrepublik nicht mehr im Konzentrationslager gelandet.

Was die DDR betrifft, hat der Gesetzgeber in dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet gesagt, dass strafrechtliche Entscheidungen auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben sind, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind, insbesondere weil die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat.

An dieser Stelle ist schon differenziert worden. Die DDR ist vom Gesetzgeber nicht als Unrechtsstaat schlechthin qualifiziert worden, sondern es wurde eine Antragssituation ermöglicht und es wurden Regelbeispiele genannt.

Ich denke, man kann auch im Rückblick auf die Geschichte Westdeutschlands nach dem Kriege sagen, dass in diesem Rechtsstaat eben auch nicht alles rechtsstaatlich war, sondern dass es auch dort Dinge gab, die wir aus heutiger Sicht als Unrecht qualifizieren müssen.

(Zustimmung von Frau Tiedge, DIE LINKE)

Die Frage, wie wir damit in Bezug auf die Verfolgung Homosexueller umgehen, bedarf, so denke ich, einer näheren Erörterung im Ausschuss. Dabei finde ich es legitim, Herr Borgwardt, dass Sie auf die verfassungsrechtlichen Probleme hingewiesen haben, also auf die grundsätzliche Frage der Gewaltenteilung. Die Gerichte sind an das gebunden, was ihnen die Parlamente vorgeben. Deshalb sollten Parlamente grundsätzlich zurückhaltend in der Beurteilung bzw. Verurteilung von Rechtsprechung sein, die den damaligen gesetzlichen Vorgaben entsprach.

Zu den diversen verfassungsrechtlichen Fragen können wir im Rahmen einer Ausschussberatung auch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst um eine Einschätzung bitten. Ich denke, wir sollten uns auch beim Bundestag nach dem Stand der Beratung des Antrages der GRÜNEN, der dort schon vor einem dreiviertel Jahr in die Ausschüsse überwiesen worden ist, erkundigen. Die Überschrift dieses Antrages lautet „Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 in Deutschland wegen homosexueller Handlungen Verurteilten“. Es geht also im Kern um dasselbe wie in dem Antrag der LINKEN, den wir heute beraten.

Aus meiner Sicht wäre es hilfreich, wenn der Vorsitzende unseres Rechtsausschusses beim Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestages um einen Sachstandsbericht und um etwa dort schon erarbeitete Materialien bittet.

Ich möchte abschließend im Namen der SPD Fraktion um die Überweisung des Antrages der LINKEN in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung bitten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Abgeordneter Rothe. Möchten Sie eine Frage des Abgeordneten Borgwardt beantworten?

Ja.

Herr Borgwardt, bitte.

Herr Rothe, vielleicht ist es nicht ganz deutlich geworden: Wir bestreiten gar nicht, dass wir das heute so sehen. Mein Ansatz war a) die staatsrechtliche Problematik und b) ist es nicht ganz so. Wir haben uns natürlich mit dem Antrag, der in Berlin in Rede steht, beschäftigt. Sie haben ihn auch erwähnt. Darin sind genau diese staatsrechtlichen Dinge aufgeführt. Vielleicht lesen Sie dort einmal nach. Erstens.

Zweitens ist es so, dass zum Beispiel § 213 StGB der DDR, der fälschlicherweise mit unerlaubtem Grenzübertritt bezeichnet wurde, also Republikflucht, und § 106 - Staatsfeindliche Hetze - StGB der DDR sehr wohl als Unrecht qualifiziert sind. Insofern stimmt Ihre Generalaussage nicht. Darauf wollte ich nur abheben. Das habe ich vorhin übrigens gemeint.

Den Hinweis auf Diebstahl habe ich nicht undifferenziert gemeint. Ich teile nicht die Auffassung, dass es generell alles ist, aber das ist nicht die Betrachtungsweise. Sie als Jurist müssten auch wissen, dass es gelegentlich Unterschiede zwischen dem gibt, was der gesunde Menschenverstand als rechtlich richtig empfindet und sich wünscht, und dem, was auf gesetzlicher Basis möglich ist. Das wollen wir uns gern einmal im Ausschuss erklären lassen.

Herr Kollege Borgwardt, wir sind hier nicht auf die Juristensicht beschränkt, sondern wir dürfen auch den gesunden Menschenverstand in die Debatte einbringen.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Im Übrigen darf ich darauf aufmerksam machen: Ich habe vorhin nur den Anfang des § 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zitiert, in Bezug auf die DDR-Geschichte. Solchen Anträgen, Entscheidungen für rechtsstaatswidrig zu erklären und sie aufzuheben, also eine Rehabilitierung durchzuführen, ist in der Regel stattzugeben bei staatsfeindlicher Hetze, bei staatsfeindlichem Menschenhandel, bei ungesetzlicher Verbindungsaufnahme oder ungesetzlichem Grenzübertritt. Also selbst in diesen eigentlich eindeutigen Fällen hat man ein Antragsverfahren vorgesehen und sagt, wir müssen den Einzelfall betrachten, wir dürfen diese Urteile nicht einfach insgesamt vom Tisch wischen.

Vielen Dank, Abgeordneter Herr Rothe, auch für Ihre interessanten Anmerkungen zu Juristen und gesundem Menschenverstand und wie dies unter einen Hut zu bringen ist. Aus dem Munde eines Juristen große Worte. Vielen Dank, Herr Kollege.

Zum Abschluss der Debatte hat noch einmal Frau Kollegin von Angern das Wort.

Meine Damen und Herren! Frau Lüddemann, zunächst danke für den Hinweis. Ich sehe es als Nebenschauplatz, weil ich denke, das Wichtige ist, dass wir gemeinsam an dem Thema arbeiten. Ich weiß, dass wir uns die Bälle im Bundestag hin- und

herwerfen, je nachdem, ob die GRÜNEN in der Opposition oder in der Koalition sind.

(Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Das ist völlig in Ordnung.

Ich möchte mich zunächst bei allen Debattenrednern bedanken. Es war eine sehr sachliche Debatte. Das ist in dem Haus, gerade bei diesen Themen, nicht immer so gewesen.

(Zustimmung von Herrn Loos, DIE LINKE)

Ich denke, das ist wichtig und es ist gerade diesem Thema sehr angemessen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Von allen Rednern ist herausgestellt worden, dass das, was geschehen ist, Unrecht war, auch wenn es zum Teil in einem Rechtsstaat geschehen ist.

Ich kann für meine Fraktion erklären: Wir hätten uns gewünscht, dass heute darüber direkt abgestimmt wird, damit keine Zeit verloren geht und die Dinge tatsächlich ins Laufen gebracht werden. Wir werden uns allerdings auch der Überweisung nicht verschließen, um genau das, was Sie angesprochen haben, zu besprechen.

Ich denke, es gibt Möglichkeiten, auch aufgrund der bestehenden Gesetze bzw. Gesetze, die der Bundestag noch beschließen kann, eben auch Unrecht, was geschehen ist, in einem Rechtsstaat im Nachhinein durch Gerichte zu rehabilitieren. Diese Möglichkeit haben wir.

Die Frage ist, machen wir es ähnlich wie bei den Strafrechtsrehabilitierungsmaßnahmen oder gehen wir andere Wege, um für die Betroffenen auch die Möglichkeit des einfachen Verfahrens herzustellen. Ich denke, das sollten wir im Rechtsausschuss beraten. Deswegen werden wir uns dem heute nicht verschließen. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN)