Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

Wir wollen als eine mögliche Alternative zu dem restriktiven Element der Überwachungssoftware freie Bildungsmaterialien anbieten. Ich bin mir allerdings gar nicht so sicher, ob das Wort „Alternative“ an dieser Stelle das richtige Wort ist; denn mit freien Unterrichtsmaterialien findet lediglich eine Erweiterung der Möglichkeiten für die Gestaltung des Unterrichts statt.

Was allerdings zu klären ist - das geht nicht von heute auf morgen, das wissen wir auch -, ist die Frage der Qualitätskontrolle derartiger Lehrmaterialien. Es ist die Frage, wie es Lehrerinnen und Lehrern und darüber hinaus den Produzenten von Unterrichtsmaterialien ermöglicht wird, kollaborativ derartige Produkte zu erstellen. Wird es eventuell möglich sein, ganze Schulbücher oder gar Kompendien auf diese Art und Weise zu produzieren? - Das wissen wir heute noch nicht. Das hängt teilweise auch davon ab, welches Interesse Schulbuchverlage daran haben, meinetwegen auf Auftragsbasis an der Gestaltung von freien Lehrmaterialien mitzuwirken.

Klar muss allerdings auch sein, dass selbst dann, wenn wir auf freie Lehrmaterialien setzen, den Produzenten dieser Materialien prinzipiell eine Urheberrechtsvergütung zusteht.

Ich möchte eine Prognose wagen, was mit dem Gesamtvertrag passiert. Die Software ist im Moment noch nicht fertig. Den genauen Grund hierfür kenne ich nicht. Ich prognostiziere: Wenn die Software irgendwann fertig ist, dann wird sie floppen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die statistische Größe aus dem Vertrag ausreicht und dass es eine hinreichend große Akzeptanz unter den Lehrerinnen und Lehrern in Sachsen-Anhalt geben wird. Außerdem wird die Frage des Urheberrechts an Schulen unter Umständen leicht umgangen, wenn erst einmal das Bewusstsein für die Existenz einer solchen Software geschaffen wird.

Die Diskussion über freie Lehrmaterialien sollten wir weiter führen, insbesondere dann, wenn dies Thema im Ausschuss für Bildung und Kultur werden sollte. Eine Anhörung im Ausschuss sollte unbedingt organisiert werden. Wer dazu eingeladen werden muss, steht in unserem Antrag. Wir haben heute lediglich einen kleinen Ausschnitt des Urheberrechts behandelt. Die Urheberrechtsproblematik im Bildungsbereich gehört grundlegend und fundiert erörtert. Deswegen sollte eine Anhörung durchgeführt werden.

Ich habe die Hoffnung, dass die in manchem Hinterkopf vorhandenen Überlegungen in Bezug auf Überwachung und Androhung, wenn es um das Urheberrecht geht, sowohl nach der Debatte von heute Morgen als auch nach der jetzigen Debatte endgültig verbannt werden können. - Haben Sie vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Wagner. - Für die Landesregierung spricht Herr Kultusminister Dorgerloh.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das ist in der

Tat ein schwieriges Thema, das Sie, Herr Wagner, aufgerufen haben. Deswegen ist es wichtig, dass man hierbei erstens sehr tief und gründlich recherchiert und zweitens dann auch genau guckt, wie denn der Stand der Dinge ist.

Das Kopieren aus Schulbüchern ist seit der Änderung des Urheberrechts seit dem 1. Januar 2008 nur noch mit Zustimmung des Rechteinhabers zulässig. Der Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen schafft hierfür in der Tat einen Rahmen, der die Handlungsfähigkeit der Schulen überhaupt garantiert, der Rechtssicherheit gibt und gleichzeitig geistiges Eigentum schützt. Das ist eine Absicht, die, glaube ich, auch unterstützt werden soll.

Die Rechte der Verlage und Autoren - unter Letzteren befinden sich im Übrigen auch viele Lehrkräfte - müssen gleichwohl berücksichtigt und gewahrt werden. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Software, die die Einhaltung dieses Rahmens begleiten soll, wurde noch nicht entwickelt und steht außerdem unter dem Vorbehalt der datenschutzrechtlichen und technischen Unbedenklichkeit. Das Kultusministerium hat bereits Kontakt zu dem Landesbeauftragten für den Datenschutz aufgenommen. Sobald die Software vorliegt - nach all dem, was wir wissen, wird das nicht mehr in diesem Jahr sein -, kann eine datenschutzrechtliche Unbedenklichkeitsprüfung erfolgen, aber eben auch erst dann.

Im Übrigen wird die zu entwickelnde Software keine privaten Daten erfassen. Die Verlage würden außerdem nicht erfahren, welche Schule gegebenenfalls unzulässige Digitalisate gespeichert hat. Das kann man auch in dem KMK-Vermerk zu dem Vertrag vom 21. Dezember 2011 nachlesen. Unter diesen Prämissen erachtet die Landesregierung eine erneute rechtliche Überprüfung des Vertrages als nicht notwendig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Eine Aussetzung des Vertrages, wie es die Fraktion DIE LINKE gefordert hat, würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass die Lehrkräfte nicht in dem ihnen gestatteten Umfang vervielfältigen dürften - was wäre denn die Alternative? -, sondern vielmehr bei den Berechtigten um Einwilligung ersuchen müssten. Ich möchte mir diesen bürokratischen Aufwand für Schulen nicht vorstellen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Um Ihnen einmal die Dimension dieses Vorgangs deutlich zu machen, sage ich Folgendes: Dieses Verfahren beträfe 90 Verlage mit mehr als 40 000 Verlagsprodukten. Nun stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn jedes einzelne angefragt werden müsste. Ich kann nur sagen, dass wir, glaube ich, gut beraten sind, wenn wir hierzu einen Gesamtvertrag haben.

Im Übrigen soll nur ca. 1 % der öffentlichen Schulen jährlich die Speichersysteme auf die Existenz

von Digitalisaten prüfen lassen. In den Schulen, in denen die Software zum Einsatz kommen soll, werden die Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern informiert. Bereits im Juli 2011 wurden die Schulen über den Gesamtvertrag und die daraus resultierenden Konsequenzen in Kenntnis gesetzt. Von dem Angebot, bei Fragen mit einer vom Kultusministerium benannten Mitarbeiterin in Kontakt zu treten, wurde bisher jedoch kaum Gebrauch gemacht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Summe der genannten Gründe bitte ich um Zustimmung zu dem Alternativantrag der Regierungsfraktionen, nicht zuletzt deshalb, weil dieser auch empfiehlt, die Zeit zu nutzen, in der die Plagiatssoftware, wie sie so schön heißt, noch nicht entwickelt ist, um mit den Rechteinhabern über Alternativen nachzudenken. Zudem scheint es in der Tat ratsam zu sein, sich parallel dazu einen Überblick über die Verfügbarkeit und die Qualität lizenzfreier Lehrmaterialien zu verschaffen - wir haben dazu eben schon eine ganze Reihe an Hinweisen gehört, die wir natürlich auch kennen -, um im Zweifel Alternativen zu urheberrechtlich geschützten Materialien zu erschließen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die Fraktionen haben im Ältestenrat eine Fünfminutendebatte vereinbart. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge GRÜNE, CDU, SPD und DIE LINKE. Als erste Rednerin spricht in der Debatte für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Fraktionsvorsitzende Frau Dalbert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat teile ich die Ansicht des Kollegen Wagner, dass es große Parallelen zwischen ACTA und dem Vertrag hinsichtlich der Überwachungssoftware in den Schulen, über den wir jetzt debattieren, gibt. Es ist eine Parallele, die sich zum einen auf die Vertragsgeschichte bezieht. Auch hierbei handelt es sich um einen Vertrag, der erst nach dem Abschluss des Vertrages überhaupt bekannt geworden ist. So viel zum Thema Transparenz.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Es handelt sich um einen Vertrag, der nicht unter Benachteiligung der Fachpolitiker und -politikerinnen in den Ländern entstanden ist. Und es handelt sich um einen Vertrag, bei dessen Aushandlung der Datenschutzbeauftragte nicht beteiligt war. Selbstverständlich ergibt es Sinn, den Datenschutzbeauftragten bereits an der Vertragsgestaltung zu beteiligen,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

damit er genau die Dinge benennen kann, die im Vertrag festgehalten werden müssen, damit eine Software dem Datenschutz entspricht. Das ist bei Staatsverträgen sogar vorgeschrieben. Selbstverständlich ersetzt das nicht ein datenschutzrechtliches Audit nach der Vorlage der Software.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Wir haben zum anderen Parallelen zwischen ACTA und dem Gegenstand, über den wir jetzt reden, weil es sich auch hierbei um die Abwehrschlacht eines bestimmten Wirtschaftssektors handelt, nämlich der Schulbuchverlage. Denen schwimmen die Felle fort, zum einen weil wir im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichts mit anderen Lehrmaterialien arbeiten und nicht mehr ganze Kohorten von Klassen dasselbe Schulbuch verwenden und sozusagen Massenbestellungen von Schulbüchern vorgenommen werden. Denen schwimmen zum anderen die Felle weg, weil wir an der Schwelle zu völlig neuen Lehrmedien stehen und das Schulbuch in seiner Bedeutung relativiert wird.

Wenn wir uns dann den Inhalt des Vertrages ansehen, dann stellen wir fest, dass es sich um einen repressiven Vertrag handelt, der anlasslose Überprüfungen vorsieht, der also die Lehrer und Lehrerinnen unter Generalverdacht stellt. Auch dies ist ein Schutzmodell des letzten Jahrtausends, bei dem neue Möglichkeiten zum Schutz der Urheberrechte und zur Gewährleistung einer angemessenen Vergütung der Autoren überhaupt nicht in Betracht gezogen werden. Ich denke hierbei etwa an Flatrate-Modelle. Das ist ein Vertrag, der mit dem Blick des letzten Jahrtausends kommt und Kopien zählen will, als ob das Zählen von Kopien das angemessene Mittel im Zeitalter des Internets wäre.

Ich komme zu einem vierten Punkt, den ich erwähnen möchte. Es geht doch auch um eine ganz andere Form des Unterrichts. Es geht um einen modernen Unterricht. Natürlich - das hat Herr Wagner ein bisschen zu grob dargestellt - dürfen Lehrerinnen und Lehrer in bestimmten Umfängen kopieren, die genau festgelegt sind. Lehrerinnen und Lehrer dürfen aber nicht analoge Materialien digitalisieren und sie dürfen auch nicht digitale Teile von Software in ihre eigenen digitalen Dateien einfügen, um damit ein neues Lernmittel zu erstellen.

Aber all das ist ja ein Weg, wie man heute den Unterricht gestaltet. Hiermit bewegen sich die Lehrerinnen und Lehrer also in einem - ich umschreibe das einmal so - rechtsschwierigen Raum. Deswegen ist es richtig, dass wir fordern, dass eine Überprüfung des Vertrags stattfindet und dass wir hierbei zu anderen Wegen kommen müssen, um das Urheberrecht und die Autorenvergütungen im digitalen Zeitalter angemessen auf den Weg zu bringen.

Natürlich müssen wir uns auch überlegen, welcher Weg in der Zukunft beschritten wird. Es wurde schon erwähnt, dass Lehrer und Lehrerinnen heute auch Autoren und Autorinnen von digitalen Lehrmaterialien sind. Es wäre sinnvoll, wenn die Landesregierung dazu beitragen würde, dass die Lehrer und Lehrerinnen ihre Aktivitäten in einem rechtssicheren Raum gestalten können, also wissen, wie sie ihre Unterrichtsmaterialien rechtssicher erstellen können.

Die Landesregierung sollte hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen, auch was die Qualitätssicherung betrifft. Das große Problem besteht nämlich darin, dass man eine Struktur braucht, mit der diese von den Lehrern und Lehrerinnen entwickelten Lehrmaterialien nicht nur zugänglich gemacht, sondern auch irgendeiner Form der qualitativen Überprüfung unterzogen werden. Insofern würde ich mir hierzu mehr Aktivitäten der Landesregierung wünschen. Ich glaube, hierbei könnte Sachsen-Anhalt eine Vorreiterrolle einnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion der CDU spricht nun Herr Dr. Schellenberger.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe eine Frage an Sie, liebe Frau Dalbert. Ich hätte Ihnen fast hundertprozentig zustimmen können, aber ich habe noch nicht ganz verstanden, ob Sie dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD zustimmen wollen - im Allgemeinen klang das so - oder ob Sie dem Antrag der LINKEN zustimmen wollen. Aber wir werden das dann bestimmt merken. Ich hoffe, dass Sie sich uns anschließen.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Sie haben einen Alternativantrag!)

Es gab so ein Geräusch auf der linken Seite. Ich habe es deshalb nicht ganz mitbekommen. Aber vielleicht liegt es auch an meinem Ohr.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Zwei Ohren haben Sie!)

Herr Wagner, Sie haben - da staune ich - formuliert: Die Lehrer wissen, das dürfen sie nicht, aber sie tun es trotzdem - und Sie finden das okay. Damit habe ich ein Problem. Es gab einmal so eine Geschichte mit einem zu Guttenberg. Alle haben sich aufgeregt. Er hat, glaube ich, vergessen anzusagen, dass viele Passagen

(Heiterkeit bei der LINKEN)

nicht ganz aus seiner eigenen Feder stammten.

Auf diesen Zug sind alle aufgesprungen. Und jetzt ist es plötzlich gestattet? Damit habe ich schon ein Problem. Geistiges Eigentum soll auch geistiges Eigentum bleiben. An dieser Stelle sollten wir uns schon abgrenzen.

Manchmal ist es zu konkret formuliert. Das ist gut gemeint, aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Mit Blick auf den ersten Punkt Ihres Antrags kann ich nur sagen: Das geht überhaupt nicht. Dort heißt es:

„Der Landtag spricht sich gegen jede anlasslose vertraglich herbeigeführte oder geheim durchgeführte Computerüberwachung im Arbeitsleben aus.“

(Herr Lange, DIE LINKE: Ja!)

Das halte ich schon für ein starkes Stück. Dazu kann ich nur sagen: Das finde ich nicht in Ordnung. Das sind Rechtsprobleme, die nichts mit der Bildung zu tun haben.

(Herr Lange, DIE LINKE: Wo finden Sie das?)

Wir sollten an dieser Stelle wirklich überlegen - - Das, was in Punkt 2 unseres Alternativantrages gefordert wird, ist eine echte und gute Alternative. Wir sollten wirklich prüfen, inwieweit qualitäts- und quantitätsmäßig ansprechendes lizenzfreies Material in den Schulen eingesetzt werden kann.

An dieser Stelle muss ich sagen: Mit der Formulierung, wir führten die Wirtschaftsschlacht für die bösen Schulbuchverlage, die eigentlich nur ihr Eigentum schützen wollen, habe ich schon mein Problem.

Um es kurz zu machen: Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. - Danke.