Protokoll der Sitzung vom 27.04.2012

In der Fünfminutendebatte spricht als Erste für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Lüddemann. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das ist ungefähr die Gemütslage, in der ich mich befinde, wenn ich über diese Thematik spreche.

Ich hätte mir, als ich vor einem Jahr in dieses Hohe Haus gekommen bin, nicht träumen lassen, dass wir so viele Monate über eine Frage reden, die nach den Buchstaben des Gesetzes eigentlich klar ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das ist auch der Punkt, warum ich so große Schwierigkeiten habe, mich in diese Debatte sachlich einzubringen. Denn das ist genau das, was die Eltern in den letzten Wochen fast täglich an uns und an mich als Behindertenpolitische Sprecherin bzw. als Jugendpolitische Sprecherin herangetragen haben, diese Bauchschmerzen.

Ich habe sehr wohl zur Kenntnis genommen und habe gelernt, dass es etwas Besonderes ist, wenn sich zwei Häuser einer Thematik annehmen, wenn sich zwei Häuser eines Sachverhalts annehmen. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass die Koalition sich sehr wohl bewegt hat in der Anerkenntnis der Problemlage, in dem Willen, sich der Problemlage positiv zu nähern.

Auf der anderen Seite kann ich langsam nicht mehr verstehen und niemandem mehr erklären, warum das alles so langsam geht, warum die Gesetze, die da sind, die mir die Eltern vorlegen, nicht eingehalten werden, sodass bei den Betroffenen der Eindruck entsteht - das ist ja das, was unser Handeln bestimmen sollte; das hat der Minister eben auch gesagt -, in diesem Land würde jeder tun und lassen, was er will.

Ich möchte das an der Frage der Bedarfsabfrage dezidiert ausführen. An einer Schule findet diese Abfrage schriftlich statt, an einer anderen Schule per Aushang, an einer dritten Schule werden die Eltern angefragt, die in einem zufälligen Gespräch auf dem Flur vorher einmal gesagt haben, sie hätten einen Bedarf.

In den Osterferien - ich möchte das ganz deutlich sagen; dabei muss man sich mehr als über den Tisch gezogen fühlen - kam die Abfrage am Freitag, dem 23. März,

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

und die Rückmeldung sollte am Montag, dem 26. März, erfolgen, und zwar für die Ferien, die in derselben Woche, am Samstag, dem 31. März, begonnen haben. Das ist schlicht und ergreifend unmöglich.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielleicht wäre der Unmut nicht ganz so groß, wenn es der erste Fall gewesen wäre. Aber in den Winterferien ist es leider Gottes ganz genauso gelaufen. Insofern bin ich skeptisch, was Punkt 2 der Beschlussempfehlung - bedarfsgerecht - betrifft.

Ich bin auch skeptisch, was Punkt 3 betrifft. Denn darin werden sowohl Kultus- als auch Sozialministerium als verantwortlich angesehen. In anderen Zusammenhängen würde ich sagen: Geteilte Verantwortung ist keine Verantwortung.

(Zuruf von Herrn Rotter, CDU)

Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, was ich auch bei der Einbringung des Antrages gesagt

habe: Wir GRÜNEN sind grundsätzlich für eine inklusive Welt. Das würde in diesem Fall heißen, dass es gar keine Horte mehr geben muss - keine Horte für Kinder mit Handicap, keine Horte für Kinder ohne Handicap -, weil alle Kinder in diesem Land ganztägig gemeinsam leben und lernen sollen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Herr Borg- wardt, CDU: Wir brauchen doch jetzt eine Lösung!)

Jetzt sind aber auch wir GRÜNEN - das mögen manche nicht für möglich halten - Realisten genug, um zu sehen, dass das im Moment leider noch eine Vision ist und dass wir eine Lösungen brauchen, die den Eltern jetzt hilft,

(Herr Borgwardt, CDU: Darin sind wir uns einig!)

dass wir eine Lösung brauchen, die es den Eltern ermöglicht, Familie und Berufsleben, Familie und Privatleben zu vereinbaren. Wir wollen dazu nicht viel Geld in die Hand nehmen. Wir wollen dazu keine neuen Plätze schaffen, weil wir langfristig den Weg in diese Vision gehen wollen.

Deswegen sagen wir, wir müssen an den Orten, wo die Infrastruktur gegeben ist, wo die gewohnte Umgebung für die Kinder vorhanden ist, wo auch vor diesem unsäglichen Runderlass schon Betreuung möglich war, wieder Betreuung ermöglichen. Deswegen muss die Anpassung des Runderlasses im Prinzip darauf hinauslaufen - darauf werden wir auch ganz genau achten -, dass all diese Veränderungen, die zu einer verlässlichen - das ist an sich erst einmal gut - Betreuungszeit bis 14.30 Uhr, 15 Uhr geführt haben, wieder aufgehoben werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich kann verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, dass Sie dabei Bauchschmerzen haben und dass Sie versuchen, die Beschlussempfehlung, die hier vorliegt, noch einmal dezidiert zu untersetzen. Aber ich glaube, mit immer weiteren vertiefenden Beschreibungen kommen wir hierbei auch nicht weiter. Aber wenn man sich - damit komme ich wieder zum Anfang meiner Rede zurück - doch ein bisschen Glauben erhalten hat, dann ist die Beschlussempfehlung nämlich gar nicht so schlecht.

Ich werde hier - das verspreche ich Ihnen, Herr Minister Bischoff; der andere Minister ist leider nicht da, deswegen kann ich mich jetzt nur an Sie wenden -, so wie ich in den letzten Wochen zwei Kleine Anfragen zu der Ferienbetreuung in den Winterferien gestellt habe und dezidiert nachgefragt habe, warum das an der einen Stelle gelaufen ist und an der anderen Stelle nicht, im Zweifel jeden einzelnen Fall, der in diesem Land vorliegt, nachfragen, öffentlich machen, und werde darauf schauen, dass das, was in der Beschlussempfeh

lung steht, auch tatsächlich umgesetzt wird. Auf diesem Weg haben Sie uns GRÜNE an der Seite. Ich denke, dabei können wir gemeinsam gut fortschreiten.

Insgesamt müssen wir unsere Vision, glaube ich, ein bisschen stärker vorantreiben, damit wir solche Problemlagen, wie sie hier in Rede stehen, nicht mehr haben. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Kinder gemeinsam lernen können. Dann müssen wir uns auch über solche Horte und Sondersituationen und dergleichen nicht mehr unterhalten.

In diesem Sinne werden wir der Beschlussempfehlung der Koalitionsfraktionen zustimmen und werden uns bei der Abstimmung über den Antrag der LINKEN der Stimme enthalten.

Allerdings - das möchte ich nicht verhehlen - gibt es noch eine Frage, zu der wir uns auch noch verständigen müssen; dieser Punkt ist in der Beschlussempfehlung der Koalitionsfraktionen nämlich nicht enthalten: Was ist mit den Kindern, die älter als 14 Jahre sind? Dazu müssen wir uns noch dezidiert unterhalten. Aber ich denke, es ist gut, wenn wir das im Nachgang machen, sobald wir die eine Frage geregelt haben. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt die Kollegin Frau Dr. Späthe. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir widmen uns hier einem Problem, welches, gemessen an der Gesamtschülerzahl unseres Landes, eine vergleichsweise kleine Gruppe von Schülern und deren Eltern betrifft. Dennoch ist es für jeden einzelnen Betroffenen ein zum Teil existenzielles Problem, entscheidet es doch über die mögliche berufliche Betätigung der Eltern.

Konkret geht es um Schüler mit geistiger Behinderung, Schüler, die oftmals mehrfach schwerstbehindert sind, Schüler die keine Horteinrichtung vor Ort besuchen können, Schüler, die auch im Alter von 15, 16 und 17 Jahren einen ebenso hohen therapeutischen und Förderbedarf haben wie Kinder in jüngeren Jahren.

Durch die Veränderung der Situation am Arbeitsmarkt, aber auch, so denke ich, durch das gestiegene Selbstbewusstsein der Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung wurde vor einigen Jahren allmählich deutlich, dass im schulischen und im Betreuungssystem eine zeitliche Lücke existiert.

Dennoch ist festzustellen, dass es an den meisten Förderschulen für Kinder mit geistiger Behinderung

schon heute gelingt, den Tagesablauf so zu gestalten, dass der Bedarf abgedeckt wird. Die Problematik, dass das an einigen Schulen nicht so ist, hat uns auch in der letzten Wahlperiode schon beschäftigt, ohne dass es zu einer abschließenden Lösung dieses Problems kam.

Der Ruf nach § 8 Abs. 6 des Schulgesetzes: „Bei Bedarf ist ein Schulhort einzurichten“ - diese Vorschrift können wir alle in der Zwischenzeit auswendig - wurde energischer und liegt auch heute in Form eines Änderungsantrags der LINKEN vor. Diese Regelung ist schon immer Bestandteil des Schulgesetzes, und zwar mit Bedacht und nicht aus Versehen. Dennoch müssen wir feststellen, dass diese Regelung bis heute an keiner einzigen Schule gegriffen hat.

Nun könnte man tief in die Vergangenheit tauchen und Ursachenforschung betreiben, warum das eigentlich nicht gegriffen hat. Auch die Antwort auf die entsprechende Anfrage von Kollegin Lüddemann trägt nicht viel zur Erhellung bei. Im Konkreten bringt uns das aber nicht weiter. Wir brauchen für die betroffenen Eltern und ihre Kinder eine Lösung, und zwar jetzt.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Der federführende Ausschuss hat eine Beschlussempfehlung erarbeitet, aus seiner Verantwortung für die Kinder mit geistiger Behinderung heraus und auf der gesetzlichen Grundlage der UN-Konvention. Die Beschlussempfehlung enthält vier Punkte.

Erstens. Die Ferienregelungen einschließlich der Sommerferien müssen noch einmal so gestaltet werden, wie gehabt. Die Schulen haben inzwischen schon Erfahrungen gesammelt. Ich sage es ehrlich: Sollte es wieder zu den Problemen kommen, die wir kennen, haben wir dafür kein Verständnis mehr. Da es aber offensichtlich einer klaren Auftragserteilung bedarf, erheben wir diese zu einem Landtagsbeschluss.

Zweitens. Eine Ursache der Probleme ist der Organisationserlass für Förderschulen für Geistigbehinderte. Dieser sollte eigentlich in Reaktion auf bekannt gewordene Probleme Verbesserungen bringen; in der Realität bindet er aber nunmehr Kapazitäten, was an anderer Stelle Engpässe hervorruft und die Flexibilität bei der therapeutischen Betreuung der Kinder einschränkt. Dieser Erlass ist zu überarbeiten, um diese Problemlage zu beseitigen.

Mit der Aufnahme dieser Forderung in die Beschlussempfehlung verstärken wir den Nachdruck und geben der notwendigen Anpassung die klare Ausrichtung: Anpassung an den zeitlichen Bedarf berufstätiger Eltern vor Ort und damit Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe der Schüler, insbesondere am Lernen. Dazu ist in den Schulzeiten ein Aufenthalt von bis zu zehn Stunden in der ver

trauten Umgebung der Schule mit den vertrauten Bezugspersonen zu ermöglichen, wenn es erforderlich ist.

(Frau Bull, DIE LINKE: Zehn Stunden?)

Drittens. Auch für die Ferien besteht dieser Konsens in Bezug auf den Aufenthaltsort und die Bezugspersonen. Dort, wo es notwendig ist - nur dort, wo es notwendig ist -, sind die Möglichkeiten der Eingliederungshilfe oder der Jugendhilfe heranzuziehen. Die fachliche Einschätzung und die Abstimmung zwischen den Akteuren obliegen der Schule. Kurz: Die Ferien sind unter Federführung des MK, unter Nutzung der lerntherapeutischen Angebote und in Kooperation mit dem Sozialministerium abzusichern.

Viertens. Das Kultusministerium verfügt momentan an den meisten GB-Schulen über die personalen Kapazitäten und den guten Willen vor Ort, um das Problem abzusichern. Längerfristig müssen wir genau schauen, wie der notwendige Nachwuchs an pädagogischen Mitarbeitern sowie die Ausweitung der therapeutischen und pflegerischen Aufgaben der Schulen abgesichert werden können. Dazu sichern wir dem Kultusminister und dem Finanzminister unsere parlamentarische Unterstützung zu.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Rotter, CDU, und von Herrn Thomas, CDU)

Auch zu Punkt 4 bitten wir Sie, meine Damen und Herren, um Ihre Zustimmung.