Protokoll der Sitzung vom 27.04.2012

Lassen Sie mich bitte einige weitere Nachteile zum anonymisierten Verfahren aufzeigen. Ob nun die Persönlichkeit, Erfahrungen, Interessen oder Hobby, dies gehört bei Auswahlverfahren mit in die Waagschale und damit in eine ausführliche, individuelle Bewerbung. Interessante Lebensläufe fallen nicht mehr auf. Personalverantwortliche können auch anonymisierte Bewerbungen sehr wohl einer bestimmten Vita zuordnen. Spätestens im Bewerbungsgespräch, meine Damen und Herren, ist dann wieder der Sympathiefaktor vielleicht nur unbewusst, aber mitentscheidend vorhanden. In jedem Fall muss aber verhindert werden, dass ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren mit den Vorgaben der Frauenförderung kollidiert. Hierin sehe ich derzeit ein Problem.

Es ist erklärtes Ziel der Koalitionsfraktionen, den Frauanteil in gehobenen Funktionen, beispielsweise der Landesverwaltung und den nachgeordneten Bereichen, auf 40 % zu erhöhen. Denken Sie bitte

auch an die Vorgaben des Frauenfördergesetzes, die sogenannte weiche Quote: bei gleicher Eignung und Befähigung. Frau Ministerin Kolb hat es angesprochen.

Ich bin skeptisch, ob wir diesen Zielen der Frauenförderung durch anonymisierte Bewerbungsverfahren immer gerecht werden können, wenn im Verfahren gar keine Erkenntnisse darüber vorliegen dürfen, ob der Bewerber eine Frau oder ein Mann ist. Sicher, der größere Teil der Erwerbstätigen sind Frauen und Mädchen, die in der Schule oft auch wesentlich bessere Noten haben als Jungen. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig für jeden Lebensbereich einen Automatismus.

Unserer Auffassung nach können Auswahlentscheidungen in anonymisierten Bewerbungsverfahren mit Blick auf die Vorgaben der Frauenförderung nicht gänzlich geschlechterneutral durchgeführt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was wir auf keinen Fall wollen - das sage ich rein vorsorglich unmissverständlich -, ist eine gesetzliche Verpflichtung für die Privatwirtschaft. Gerade kleine Betriebe, wie etwa Handwerksbetriebe, sind auf detaillierte Bewerbungen angewiesen. Auch hat nicht jedes Unternehmen eine eigene Personalabteilung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich über konstruktive Gespräche und auch über Erfahrungsberichte aus anderen Bundesländern im Ausschuss. Im Namen meiner Fraktion bitte ich um Zustimmung zur Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zur federführenden Beratung sowie zur Mitberatung in die Ausschüsse für Arbeit und Soziales sowie für Finanzen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Niestädt, SPD: Warum denn Finanzen?)

- Es ist gewünscht worden. Es ist deine Frage.

Vielen Dank, Herr Kollege Borgwardt. Die Wünsche klären wir dann noch, wenn wir in das Abstimmungsverfahren kommen. - Es spricht jetzt für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Edler. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der vorliegende Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zielt darauf ab, der Frage nachzugehen, inwiefern anonymisierte Bewerbungsverfahren eine geeignete und praktikable Methode zur Bekämpfung von Diskriminierungen im öffentlichen Dienst darstellen. Das Ansinnen dieses Antrages unterstützen

wir ausdrücklich und möchten dessen Aktualität und Brisanz herausstellen.

Studien zeigen nämlich, dass Personalleiter nach einem kurzen Blick auf die Bewerbungsmappe entscheiden, auf welchem Stapel der Bewerbungen die Bewerbung landet. Klischees, Geschmacksfragen und Vorurteile verringern dabei die Chancen für bestimmte Personengruppen. Alleinerziehende gelten dabei oft als unflexibel, über 50-Jährige oft als krank und ein ausländischer Name steht oft für schlechte Deutschkenntnisse. Dies ist erstaunlich, da Diskriminierungen nicht nur ein großes gesellschaftliches Problem darstellen, sondern auch einen Verzicht auf wirtschaftliche Effizienz bedeuten und ein Wohlfahrtsverlust bewirken können.

In der öffentlichen Diskussion werden deshalb anonymisierte Bewerbungsverfahren als potenziell aussichtsreiche Möglichkeit dargestellt, verschiedene Formen der Diskriminierung im Bewerbungsprozess zu beseitigen. Anhand internationaler und der ersten deutschen Erfahrungen lässt sich das Potenzial eines solchen Verfahrens verdeutlichen.

Insgesamt muss konstatiert werden, dass trotz der Erfahrungen aus Modellprojekten in unterschiedlichen Ländern - dabei zu nennen sind Schweden, Frankreich, die Schweiz und die Niederlande - die Effekte der Einführung eines derartigen Verfahrens empirisch noch nicht gründlich genug erforscht sind. Das Ziel sollte in Sachsen-Anhalt daher sein, im Vorfeld der Einsetzung eines solchen Pilotprojektes die Fehler und Nachteile auszuschließen, die sich in den anderen Ländern und in Deutschland gezeigt haben.

Relativ eindeutige Rückschlüsse auf das Geschlecht und das Alter der Bewerbenden erlauben Angaben über Tätigkeiten zum Beispiel als Wehr- und Zivildienstleistende, über Aufenthalte als Aupair sowie über die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres, da diese ausschließlich junge Männer, bzw. im Fall von Au-pair-Aufenthalten und FSJ überwiegend junge Frauen betreffen. Deshalb ist es erforderlich, derartige Angaben ebenfalls zu anonymisieren. Ähnlich verhält es sich mit der Erwähnung von Zeiträumen des Mutterschutzes. In diesem Fall könnte jedoch auf die geschlechtsneutrale Formulierung der Elternzeit zurückgegriffen werden.

Insgesamt ist mit Rücksicht auf das Geschlecht der Bewerbenden eine geschlechtsneutrale Formulierung in den Bewerbungsunterlagen erforderlich. Davon betroffen sind zum Beispiel die Berufsbezeichnungen wie „Bürokaufmann“ und „Bürokauffrau“. Neben Daten der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung der Bewerbenden können Angaben zum Ort dieser Ausbildungen und zum Namen der jeweiligen Bildungseinrichtung ebenfalls indirekte Rückschlüsse erlauben, etwa auf einen Migrationshintergrund oder auf das Alter.

Ein weiteres Merkmal, welches typischerweise in Bewerbungsunterlagen enthalten ist und das indirekte Rückschlüsse auf die Nationalität bzw. einen etwaigen Migrationshintergrund der Bewerbenden gestattet, sind die Sprachkenntnisse. Insbesondere der Hinweis auf muttersprachliche Kenntnisse einer Fremdsprache, wie zum Beispiel türkisch oder russisch, stellt einen vergleichsweise eindeutigen Hinweis auf einen Migrationshintergrund dar. Insofern handelt es sich hierbei um Informationen, die potenziell anonymisiert werden sollten.

Meine Damen und Herren! Für das geplante Modellprojekt im öffentlichen Dienst ergeben sich auf der Grundlage der von mir angeführten Überlegungen noch einige offene Fragen, wie mit bestimmten Hürden umgegangen werden soll. Aus diesem Grund sollten konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet werden, die im Vorfeld erst einmal in den Ausschüssen für Recht, Verfassung und Gleichstellung sowie Arbeit und Soziales besprochen werden sollten.

Wir raten in diesem Zusammenhang auch, mit Experten, die bereits ein solches Pilotprojekt durchgeführt haben, eine Anhörung im Ausschuss zu organisieren, um so vielleicht auch das Ziel der Landesregierung zu erreichen, im öffentlichen Dienst die 40%-Marke von Frauen in Führungspositionen zu etablieren.

Unabhängig vom Erfolg des geplanten Pilotprojektes verdeutlicht die bereits eingesetzte öffentliche Diskussion zu diesem Thema dessen Aktualität, Brisanz und Relevanz. In jedem Fall wird es auf diese Weise gelingen, für das Problem der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zu sensibilisieren. So kann mittel- bis langfristig auch das Ziel erreicht werden, die existierende strukturelle Diskriminierung auch in Sachsen-Anhalt abzubauen.

Wir empfehlen daher die Überweisung dieses Antrages in die zuvor von mir genannten Ausschüsse. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)

Vielen Dank, Frau Kollegin Edler. - Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Frau Hampel. Bitte schön, Frau Hampel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion begrüßt den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, weil er uns die Gelegenheit gibt, das Thema der anonymisierten Bewerbungen näher in den Blick zu nehmen und heute auch in diesem Hohen Hause zu diskutieren.

Sehr geehrte Frau Latta, Sie verlangen in Ihrem Antrag von der Landesregierung die Durchführung

eines Pilotprojektes mit der Maßgabe, die Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst mit der anonymisierten Bewerbung zu vollziehen und dann auch im öffentlichen Dienst dauerhaft zu etablieren. Wenn Sie von dieser Methode doch so überzeugt sind, wie ich das aus Ihrem Antrag herauslese, dann frage ich Sie: Warum haben Sie bei den Stellenausschreibungen Ihrer Fraktion das anonymisierte Bewerbungsverfahren nicht ebenfalls angewandt?

(Beifall bei der SPD - Hört, hört! von Herrn Erben, SPD, und von Herrn Felke, SPD - Zuruf von der SPD: Das Leben ist hart!)

Protest ist gestattet, natürlich, aber ich will einmal aus Ihren Stellenausschreibungen zitieren. Da steht:

„Bewerbungen von Frauen sind besonders erwünscht, Menschen mit Behinderungen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt. Des Weiteren möchte die Fraktion Interessentinnen und Interessenten mit Migrationshintergrund zur Bewerbung ermutigen.“

Was mir aber dabei fehlt und worauf Sie in Ihrem Antrag richtigerweise auch Bezug nehmen, sind die älteren Menschen. Diese ermutigen Sie in Ihren Stelenausschreibungen auch nicht. Das ist für mich auch eine Art Diskriminierung.

Es tut mir leid, aber wenn Sie sich - das muss ich an dieser Stelle sagen - für das normale Bewerbungsverfahren entschieden haben, was völlig legitim ist, dann können Sie nicht im gleichen Atemzug, so wie Sie es im ersten Satz der Begründung Ihres Antrag formuliert haben, der Landesregierung vorwerfen, dass diese in Sachsen-Anhalt keine wirkliche Chancengleichheit für Frauen und ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt gewährleistet.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich nicht nur mit Ihren Stellenausschreibungen befasst, sondern auch mit der Thematik selbst, die in der Tat sehr spannend ist, vor allem unter dem Blickwinkel der Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Es sind dazu von meinen Vorrednern und auch von der Ministerin schon hinlängliche Ausführungen gemacht worden. Deshalb nur noch ein paar kurze Ergänzungen von mir.

Wie bereits gesagt, kann die anonymisierte Bewerbung die Möglichkeit eröffnen, Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.

(Herr Borgwardt, CDU: Kann!)

Damit kann möglicherweise der Abwanderung gut ausgebildeter junger Frauen aus Sachsen-Anhalt entgegengewirkt werden. Ich sage „kann“. Man muss es sich im Einzelnen angucken und analysieren.

Das anonymisierte Bewerbungsverfahren setzt an den Stellen an, an denen, um Diskriminierungen zu vermeiden, die ersten Hürden bestehen, nämlich bei der Bewerbung allein schon so zu überzeugen, um dann auch zu einem Vorstellungsgesprächen eingeladen zu werden.

Die Studien und die Erfahrungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen, dass oft Frauen mit Kindern, Menschen mit Migrationshintergrund und ältere Arbeitsuchende in dem klassischen Bewerbungsverfahren benachteiligt werden. Ein kurzer Blick auf Name, Geschlecht und Alter kann genügen - das ist keine Pauschalkritik -, um mit der Bewerbung hinten runterzufallen.

Das wird natürlich bei einer anonymisierten Bewerbung ausgeschlossen. Diese kann also dazu beitragen, dass nicht anhand von subjektiven Dingen Bewerbungen von bestimmten Personengruppen von Vornherein beiseite gelegt werden.

Kritiker aus dem Arbeitgeberlager halten dem entgegen, dass aufgrund des Fachkräftemangels die Qualifikation in Zukunft ohnehin eine größere Rolle spielen wird als Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund. Ich glaube daran aber nicht.

Ebenso bin ich davon überzeugt, dass es uns ohne eine gesetzlich festgelegte Quote nicht gelingen wird, den Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen deutlichen zu erhöhen.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei den GRÜNEN)

In Deutschland startete die ADS ein Pilotprojekt. Mehrere Bundesländer bereiten Pilotprojekte vor oder führen diese durch, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, wo anonymisierte Bewerbungsverfahren gezielt für Ausbildungen und Beschäftigungen im Polizeidienst oder im Lehramt durchgeführt werden.

An diesem Pilotprojekt beteiligen sich auch andere Institutionen, nämlich das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales sowie weitere sechs Ressorts der Landesregierung. Dieses Projekt läuft noch. Es ist bis zum Jahr 2012 befristet angelegt und wird dann evaluiert.

Ich meine - damit schließe ich mich meinen Vorrednern an -, dass das eine gute Grundlage für uns ist, in den genannten Ausschüssen darüber zu diskutieren, uns Gäste einzuladen, uns im Rahmen einer Anhörung die Erfahrungen vortragen zu lassen und die Situation in Sachsen-Anhalt in den Blick zu nehmen.

Deshalb sind wir als SPD-Antrag offen für diesen Antrag und plädieren ebenfalls für die Überweisung in die genannten Ausschüsse. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Hampel, die Kollegin Frau Professor Dr. Dalbert möchte etwas fragen bzw. intervenieren. - Sie möchte intervenieren. Bitte schön, Frau Kollegin. Es geht um die Ausschreibung.

Danke, Herr Präsident, dass Sie mir mein Stichwort geben, damit die Intervention auch punktgenau erfolgt.

Frau Hampel, ich erlaube mir, mich im Voraus ausdrücklich dafür zu bedanken, dass Sie sich klar zur Quote positioniert haben. Das nehme ich sehr begeistert zur Kenntnis.