Protokoll der Sitzung vom 07.06.2012

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich spreche heute hier zwar in Vertretung des Finanzministers, aber zu dem Thema könnte ich auch als Ministerin für Justiz und Gleichstellung Stellung nehmen. Auch die Justizminister haben in der Vergangenheit versucht, gerade im zivilrechtlichen Bereich, eine Gleichstellung von eingetragenen Partnerschaften mit Ehepartnern zu erreichen.

Wir haben in der Vergangenheit in der Tat in verschiedenen Rechtsbereichen eine Gleichstellung erreicht. Aber es gibt immer noch mehrere Bereiche, in denen es Unterschiede und eine Ungleichbehandlung gibt. Das betrifft das Einkommensteuerrecht und auch die Möglichkeit der gemeinsamen Adoption von eingetragenen Partnerschaften.

Wir sind uns grundsätzlich einig, dass es sich um eine Ungleichbehandlung handelt. Es sind diesbezüglich noch drei Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Das war auch Grund dafür, dass der Finanzminister die Finanzämter angewiesen hat, in der praktischen Ausführung die Partnerschaften mit Eheleuten gleich zu behandeln, den Wortlaut des Einkommensteuergesetzes so praktisch nicht umzusetzen.

Es ist rechtsstaatlich aber immer ein unbefriedigender Zustand, wenn wir Gesetze mit einem klaren Wortlaut haben, die dann aber in dieser Form nicht angewendet werden sollen. Deshalb wäre unser Wunsch, dass es tatsächlich auch im Einkommensteuerrecht eine Gleichstellung von Eheleuten mit eingetragenen Partnerschaften gibt.

Es hat in der Vergangenheit schon mehrfach Versuche gegeben. Die Freie Hansestadt Bremen hat beispielsweise im Jahr 2008 und erneut 2011 einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht. Eine Entschließung zur Schaffung der Rechtsgrundlagen für eine Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht ist dann allerdings im Bundesrat nicht gefasst worden; die notwendige Mehrheit ist im Bundesrat im Moment nicht vorhanden. Das ist auch der Grund, weshalb Sachsen-Anhalt eine solche Bundesratsinitiative im Moment für wenig aussichtsreich hält.

(Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE)

Darüber hinaus haben der Bundesfinanzminister bzw. die Bundesregierung relativ deutlich gesagt, dass sie nicht vorhaben, das Einkommensteuerrecht in dieser Hinsicht noch einmal zu verändern. Deshalb sollten wir das Thema weiter verfolgen und einen Zeitpunkt suchen, zu dem die politischen Konstellationen so günstig sind, dass wir eine entsprechende Mehrheit haben, um mit einer solchen Bundesratsinitiative erfolgreich zu sein. Noch besser wäre es, wenn die Bundesregierung selbst aktiv würde und diese Ungleichbehandlung von sich aus beseitigen würde. Insoweit bin ich gespannt auf die Entwicklung im nächsten Jahr. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Barthel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Barthel, würden Sie das Mikrofon Ihrer Körpergröße anpassen? - Gut. Jetzt ist auch die notwendige Aufmerksamkeit im Saal vorhanden.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Diskriminierung ist ja nur eine Facette bei dem Antrag, über den wir reden. Es ist sicherlich berechtigt, diese zu stellen. Ich werde in meinem Redebeitrag aber ganz bewusst auf die Frage von Steuergerechtigkeit im Einkommensteuerrecht eingehen und die Frage stellen, welchen Beitrag der Antrag zu diesem Thema leisten kann. Denn das muss man in seiner Komplexität betrachten und dann sieht die Welt etwas anders aus.

Steuerungerechtigkeiten sind Teil des deutschen Steuerrechts. Mir fallen jede Menge Ungerechtigkeiten ein, die für wesentlich größere Betroffenheit sorgen und die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes täglich auszuhalten haben.

Leider muss man auch feststellen, dass Steuergerechtigkeit immer nur dann ein Thema ist und unterstützt wird, wenn es in das politische Kalkül passt. Das Traktieren der Opposition auf der Bundesebene zum Beispiel bei der Diskussion über den Abbau der kalten Progression zeigt eindrucksvoll, wie ernsthaft man an einem echten Beitrag zur Steuergerechtigkeit interessiert ist, wenn die Ungerechtigkeit nicht zum richtigen Zeitpunkt beseitigt werden soll.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Ja, der Abbau steuerlicher Diskriminierung im Einkommensteuerrecht ist längst überfällig. Darin besteht zwischen uns sicherlich Konsens.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Was diese Feststellung im uns vorliegenden Antrag angeht, stimmt meine Fraktion uneingeschränkt zu.

Es ist allerdings so, dass wir im Bereich der eingetragenen Lebenspartnerschaften seit 2011 bereits eine De-facto-Gleichstellung haben, wenngleich mit einem komplizierten Verfahren. Das wurde eben hinsichtlich der Praxis in den Finanzverwaltungen schon erwähnt.

In diesem Antrag sehen wir sonst keinen wirksamen Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit. Denn dieser Antrag setzt aus unserer Sicht einen völlig falschen Schwerpunkt.

Steuerliche Diskriminierung findet eben nicht in erster Linie bei eingetragenen Lebenspartnerschaften statt, sondern benachteiligt sind zuallererst Familien mit Kindern.

(Beifall bei der CDU)

Das sind die eigentlichen Verlierer im Einkommensteuerrecht. Die Dimension des Problems ist ungleich größer. In einer Zeit, die durch flächendeckende Geburtenrückgänge und durch gesellschaftliche Überalterung gekennzeichnet ist, soll

ten wir darüber nachdenken, wie wir bei denen für Entlastung sorgen, die sich noch für Kinder entscheiden.

(Zustimmung bei der CDU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nach unserer Auffassung ein absoluter Anachronismus, dass Steuervergünstigungen im Einkommensteuerrecht noch immer nicht an das Vorhandensein von Kindern anknüpfen.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von Herrn Lange, DIE LINKE, und von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Man darf die Tatsache nicht länger ignorieren, dass sich die Familienverhältnisse seit der Einführung des Ehegattensplittings im Jahr 1958 wesentlich geändert haben. Frauen sind inzwischen viel höher qualifiziert und wollen in den meisten Fällen erwerbstätig sein.

Es ist deshalb nach unserer Auffassung nicht der richtige Zeitpunkt, noch weitere Gruppen in den Genuss eines Steuerprivilegs kommen zu lassen, das dringend einer grundsätzlichen Überarbeitung bedarf

(Frau Bull, DIE LINKE: Ach!)

und schon jetzt die falschen Adressaten erreicht.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Anders als im Jahr 1958 bleiben inzwischen viele Ehen kinderlos. Die Realität sieht heute so aus: Eine gut gestellte Allein-Verdiener-Ehe sahnt beim Ehegattensplitting ab, während Familien mit Kindern faktisch benachteiligt werden.

(Beifall bei der CDU)

Im Hinblick auf den daraus erwachsenden Rentenanspruch trifft die Ungerechtigkeit später die Familien ein zweites Mal. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf.

(Beifall bei der CDU)

Der uns vorliegende Vorschlag dient insofern allenfalls dazu, die Diskriminierung abzuschaffen. Aber er dient auch dazu, einen inzwischen 54 Jahre alten und überholten Ansatz im Einkommensteuerrecht noch in negativer Weise zu verstärken, anstatt für mehr Gerechtigkeit im steuerlichen Sinne zu sorgen.

Enorme Steuergelder fließen inzwischen in eine Konstruktion, die falsche Anreize setzt und die in manchen Fällen sogar dazu führt, dass ein Partner bewusst auf dauerhafte Arbeit verzichtet, um die Vorteile des Ehegattensplittings zu behalten, und nicht etwa, um Kinder zu betreuen.

Das hat dazu geführt, dass inzwischen 43 % dieser Steuersubventionen die Familien mit Kindern überhaupt nicht mehr erreichen. Fast 9 Milliarden €

fließen auf diesem Weg alljährlich an Haushalte ohne Kinder. Wir sind der Überzeugung, dass diese Steuersubvention sinnvoller eingesetzt werden kann und nicht noch weiter ausgebaut werden sollte.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Hampel, SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich beeilen. Unsere Antwort lautet deshalb Familiensplitting. Diesbezüglich will ich im Wesentlichen auf das französische Modell abheben. In Frankreich gibt es eine Konstruktion, die insbesondere die Geburt des dritten Kindes durch eine steuerliche Progression motiviert.

Wenn man Familiensplitting gut macht - dabei rede ich nicht über die Diskussionen aus der Vergangenheit, sondern über das, was in Frankreich mit dem Kindergeld und mit all den Dingen passiert ist -, dann findet eine echte Umverteilung statt und wir haben eine Subvention, die angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland durchaus gerechtfertigt wäre.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Grimm- Benne, SPD: Das müssen Sie im Bund durchkriegen!)

Dieses Modell ist nach unserer Auffassung nachahmenswert und familienpolitisch vorbildlich. Vor allem wäre es auch eine geeignete Antwort auf den demografischen Wandel. Wir werben an dieser Stelle dafür, in dieser Richtung parlamentarisch aktiv zu werden und das Einkommensteuerrecht zeitgemäß und familienfreundlich umzubauen.

Im Rahmen eines solchen Steuersystems - damit will ich schließen - wäre eine Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften im Einkommensteuerrecht dann auch verfassungsrechtlich nicht mehr erforderlich.

Wir werden den Antrag zum Anlass nehmen, im Finanzausschuss unsere Sichtweise auf eine gerechte Einkommensteuer darzulegen, und freuen uns auf die Diskussion.

(Beifall bei der CDU)

Herr Barthel, es gibt zwei Nachfragen. Möchten Sie sie beantworten? - Ja. Zunächst Frau von Angern und dann Frau Dirlich.

Herr Kollege Barthel, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich im Rahmen der Koalition dafür einsetzen werden, dass eine Bundesratsinitiative gestartet wird, die das Ehegattensplitting abschaffen und ein Familiensplitting einführen soll?

(Frau Grimm-Benne, SPD: Wir sind dabei!)