Protokoll der Sitzung vom 08.06.2012

ben, nur schrittweise zu einem inklusiven Bildungssystem umbauen kann und dass unser Antrag auch so interpretiert werden kann? - Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage. Wenn Sie sagen, halbherzig, dann wäre die Alternative, die Sie dargestellt haben, den Hebel jetzt mit einem Mal umzulegen. Wenn Sie diese Alternative wählen, würden Sie mir bitte ausführen, wie Sie die Ressourcen dafür aufbringen möchten?

Herr Lange, ich danke Ihnen für diese Frage. Ich finde Ihren Antrag in der Tat halbherzig, weil Sie nicht hineinschreiben, dass es sich um eine Vorstellung für das nächste Schuljahr handelt, oder so.

Wir haben schon ein Schulgesetz vorgelegt.

(Frau Bull, DIE LINKE: Da steht es drin!)

Das haben Sie vorgelegt. Das ist ein anderer Punkt.

(Zurufe von der LINKEN)

Jede Fraktion ist frei, sich zu überlegen, ob sie die Arbeit der Regierung macht und an welchen Stellen sie diese macht. Ich begrüße es sehr, wenn Fraktionen Gesetze vorlegen. Meines Wissens waren wir die erste Fraktion in der Opposition, die dies gemacht hat. Insofern finde ich es prima, dass Sie das gemacht haben. Aber wir haben auch die Freiheit, der Regierung nicht an jeder Stelle die Arbeit abzunehmen.

Natürlich haben Sie Recht. Das kann alles nur schrittweise passieren. Das wissen auch wir. Wir werden morgen noch Förderschulen haben. Aber die Frage ist, was die Funktion des Antrages ist und ob ich in diesem Antrag quasi Zwischenschritte zementiere und mir eloquent überlege, wie können alle diese Zwischenschritte aussehen. Oder ob ich nicht sage, wohin ich eigentlich will, und erst einmal die Zielmarke setze. Mir fehlt in Ihrem Antrag für meinen Geschmack die Zielmarke.

Haben Sie noch eine Frage?

Nein, danke.

Frau Professor Dalbert, leider keine Frage mehr.

Gut. Prima.

Ich möchte jetzt für alle noch einmal darauf hinweisen: Wenn die rote Lampe dauerhaft leuchtet, dann ist die Redezeit nicht nahezu am Ende, sondern dann ist sie schon am Ende.

(Zuruf von der LINKEN: Wieso? - Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Das ist heute in mancherlei Hinsicht - - Die Lampe hat immer funktioniert.

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Späthe.

Im Übrigen, wenn es hier zwischendurch immer wieder vibriert, dann ist das kein politisches Erdbeben, sondern eine Rüttelmaschine rüttelt gerade mit Platte über den Domplatz. - Frau Dr. Späthe, Sie haben das Wort.

Möge sie uns wachrütteln. - Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Bereits im Jahr 2008 fasste der Behindertenbeirat Sachsen-Anhalt einen Beschluss

(Unruhe)

Es ist ein bisschen zu laut.

mit dem Titel „Diskriminierung junger Menschen mit Behinderung in Schulen beenden“. Die Landesregierung wurde im Jahr 2008 vom Behindertenbeirat aufgefordert, die Separation junger Menschen in Förderschulen zu beenden.

Dem vorangegangen war am 29. Mai 2008 eine äußerst lebhafte Debatte zu einem Antrag der LINKEN, die Entwicklung der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf voranzutreiben. Wie Sie an der Wortwahl erkennen - „Integration“ -, war das noch vor der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Immerhin vergingen bis zur abschließenden Beschlussfassung des Bildungsausschusses und der Verabschiedung der Beschlussempfehlung am 2. Februar 2011 im Landtag fast drei Jahre. Aber in dieser Zeit ist einiges passiert. Die Rahmenbedingungen für die Behindertenpolitik haben sich durch die Ratifizierung der UN-Konvention enorm verbessert. Man kam sozusagen an den Rechten der Behinderten nicht mehr vorbei und somit auch nicht an Artikel 24 der Konvention, dem Recht auf Bildung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Im Jahr 2008 wurde durch das Ministerium ein Handlungskonzept des Landes zur Reduzierung der Zahl der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen erstellt, in dem schulfachliche Überlegungen zusammengestellt wurden, die die Zahl der Schüler im gemeinsamen Unterricht steigern sollten. Es beschreibt ein Bündel Maßnahmen, die mittlerweile zum Teil umgesetzt sind.

Im Jahr 2009 wurde ein Modellversuch des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Hilfebedarf an 22 Grundschulen des Landes durchgeführt, der in insgesamt 42 Integrationsklassen 144 Kinder einbezog. Dieser Modellversuch diente nicht dem Zweck zu ergründen, ob gemeinsames Lernen möglich ist, sondern dem Zweck, herauszufinden, unter welchen Bedingungen gemeinsames Lernen funktioniert und welche Hemmnisse besonders auffallen und demzufolge beseitigt werden müssen. Der Abschlussbericht zu diesem Modellversuch liegt nunmehr vor.

Im September 2011 nahm die bereits erwähnte Arbeitsgruppe „Gemeinsamer Unterricht“ die Arbeit auf, multiprofessionell besetzt. Wir haben es gehört. Auch die Handlungsempfehlungen dieser Arbeitsgruppe für die Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts in Sachsen-Anhalt liegen nunmehr seit kurzem vor - seit kurzem. Der Minister hat gesagt, die Unterlage ist im Druck und wird in Kürze versandt. Wir haben sie in der Tat als Abgeordnete und in den Ausschüssen innerhalb der letzten 14 Tage nicht sofort auf den Tisch bekommen.

Darüber hinaus ist für die Förderschwerpunkte Lernen und Sprache keine Schuleingangsdiagnostik mehr vorgenommen worden. Das heißt, dass bereits jetzt alle Kinder gemeinsam eingeschult werden. Dazu ist eine Reihe von flankierenden Maßnahmen eingeleitet worden. Sie sind schon erwähnt worden. Die präventive Grundversorgung an den Regelschulen, die Installation des mobilen sonderpädagogischen Dienstes und Weiterbildungsmaßnahmen für die Lehrer flankieren das Ganze.

Diese eingeleiteten Umstellungen erfordern Anstrengungen und Engagement bei allen Beteiligten. Durch die komplexe Betroffenheit sowohl der Landesebene als auch der Kreisebene bis hin zu den Gemeinden und durch die komplexe Betroffenheit der Eltern und der entsprechenden Kinder erfordert dieser Prozess eine außerordentlich umfangreiche Kommunikation unter Beteiligung aller. Es wäre unredlich, zu verschwiegen, dass es natürlich Probleme und Konflikte gibt.

Übrigens zeigen sich auch hierbei, wie in der Debatte zur Betreuungsmöglichkeit von Förderschülern im Lande, große regionale Unterschiede zwischen den Grundschulen. Ich möchte meine Kolle

gin Reinecke zitieren, die gestern in ihrer Rede zu dem Schulgesetz gesagt hat:

„Es mangelt manchem Lehrer noch an Handwerkszeug, wie er den Unterricht für die Kinder und sich selbst weniger anstrengend gestalten kann.“

Unter Beachtung all dieser vorgetragenen Aspekte ist der Antrag der LINKEN zu bewerten und hat uns zu dem vorgelegten Änderungsantrag veranlasst.

Auf einen Aspekt in dem Antrag der LINKEN muss ich allerdings noch eingehen. Sie empfehlen der Landesregierung, die derzeit verfügbaren Ressourcen zur sonderpädagogischen Förderung im Zuge der Aufhebung des Verfahrens nicht einzuschränken, sondern vollständig der präventiven Grundversorgung zur Verfügung zu stellen - als wenn jemand anderes etwas anderes vor hätte. Jedem von uns ist klar, dass es gar nicht anders geht, auch dem Kultusminister.

Uns ist auch bewusst, dass es gern ein wenig mehr sein könnte, als im Moment möglich ist. Aber so dringt wieder das Gerücht vom Finanzmangel an die Oberfläche. Auch mir ist schon zu Ohren gekommen, dass man draußen sagt, die L-Schulen müssen abgewickelt werden, weil man sparen möchte.

Auch dieses Schließungsprozedere, das Frau Hohmann vorhin beschrieben hat und das nirgendwo steht oder beschlossen ist, führt dazu, dass man mit solchen Formulierungen das Klischee unterstützt, Ängste und Gerüchte nährt und der Sache der Inklusion auf diese Art und Weise einen Bärendienst erweist.

Wenn es dazu kommt, dass der Prozess der Inklusion in den Grundschulen nur noch einen negativen Beigeschmack hat, dann wird uns der Paradigmenwechsel nicht gelingen. Wir sind gemeinsam in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen herzustellen, die diesen Prozess zu einem Erfolgsprozess machen. Dazu gehören neben den sächlichen und personellen Fragen auch die umfängliche Aufklärung und Überzeugung und das Gespräch mit allen am Prozess Beteiligten.

Wir sollten mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür kämpfen und die Realisierung baldmöglichst durchsetzen. Deshalb bitte ich Sie, unterstützen Sie unseren Änderungsantrag, auch im Sinne eines Auftrages an die Landesregierung und an uns selbst. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt eine Nachfrage von Frau Hohmann. Würden Sie diese beantworten, Frau Dr. Späthe?

Bitte sehr.

Sehr verehrte Kollegin, ich gehe davon aus, dass Sie wahrscheinlich schon das Konzept vom 15. Mai kennen; wie gesagt, wir kennen es nicht. Es war auch nicht meine Absicht, Ängste und Gerüchte zu schüren. Ich habe lediglich die Frage gestellt, was würde dann passieren. Wenn Sie diesbezüglich schon einen Lösungsvorschlag haben, der in diesem Konzept steht, wäre es schöner gewesen, Sie hätten uns das im Vorfeld gegeben. Dann hätte man solche Gerüchte oder Ängste, wie Sie meinen, dass wir sie schüren, nicht zum Vorschein bringen müssen.

Ich muss Ihnen sagen, ich habe dieses Papier, das seit Ende Mai vorliegt, selbst auch noch nicht studieren können. Dieses Prozedere, wie Sie es geschrieben haben, nach dem Motto, wir müssen dann zusammenlegen und wieder schließen, zusammenlegen und wieder schließen, ist doch überhaupt nicht zwingend nötig. Wir können uns gern nachher zusammensetzen und darüber debattieren. Ich denke, das sprengt hier jeglichen Rahmen. Ich komme gerne mal vorbei.

Für die Fraktion DIE LINKE hat die Abgeordnete Frau Bull die Möglichkeit, zu erwidern.

Meine Damen und Herren! Auf einige Sachen würde ich noch einmal eingehen. Das ist ein interessanter Vorgang. Wir machen hier Rollenteilung mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass step by step gar nicht immer die schlechteste Variante ist. Interessanterweise legt der eine Teil der Fraktion einen unheimlichen Pragmatismus vor und der andere Teil der Fraktion kritisiert uns dann wieder wegen eines unheimlichen Pragmatismus. Egal. Die Zielmarke ist beschrieben. Ich komme gleich noch einmal darauf.

Die Ausgangslage habe ich nicht umsonst sehr zugespitzt formuliert. Es ist im Moment nicht mehr eine Geldfrage, es ist eine Personalfrage. Die Leute sind nicht mehr da. Selbst wenn die Landesregierung sagen würde, okay, wir machen den Einstellungskorridor auf usw., die Menschen sind nicht mehr da. Das ist das Problem.

Ich will dies an einem Beispiel deutlich machen. Diese erwähnten 22 Grundschulen sind gut gelau

fen. Ich habe mir zehn angesehen. Bis auf eine war das eine richtig gute Sache. Da hat Kompetenztransfer stattgefunden, da hat das Personal weitgehend ausgereicht, drei bis vier Kinder pro Klasse, zwei Klassen waren drin. Dies rechtfertigt in der Regel eine Förderschulkraft.

Das sind im Schnitt 2,7 pro Kind. So könnten wir sagen: In Ordnung, das hat gut geklappt. Wir weiten den Modellversuch jetzt einmal aus. Es gibt nur einen einzigen Grund, weshalb wir das nicht machen: weil das Personal nicht da ist. Das ist der Grund, weshalb wir sagen: Wir brauchen eine Übergangslösung.