Protokoll der Sitzung vom 08.06.2012

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Insofern ist der Fiskalpakt eigentlich total überflüssig, weil er nur noch die Strafmandate händelt. Deswegen brauchte man ihn wirklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schröder, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe, als ich das Thema Fiskalpakt auf der Tagesordnung gesehen habe, gleich gedacht, dass der Fraktionsvorsitzende Gallert die Möglichkeit nutzt, ans Pult zu treten. Das sah am Anfang anders aus, aber dann ging es doch mit ihm durch und er hat die erwartete, sehr emotionale und rhetorisch gewohnt treffsichere Rede gehalten.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Das war auf Ihren individuellen Wunsch hin, Herr Schröder!)

Da war er wieder, der rhetorische Donnergott der Opposition.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der LINKEN)

Da das Thema so extrem wichtig ist - deswegen stehe ich jetzt hier vorn -, müssen aber noch einmal die Unterschiede deutlich gemacht werden.

Defizite, die nicht auf Konjunkturschwankungen zurückzuführen sind, wollen wir vermeiden. Wir haben hier parteiübergreifend gesündigt. Wir wollten

den Aufbaufortschritt. Wir haben Standards und Leistungsgesetze verabschiedet und haben das auch auf Kredit finanziert. Richtig.

In Bremen ist zum Beispiel einmal zitiert worden: Jedem Bremer geht es, was die Verschuldungssituation betrifft, schlechter als den Griechen. Ich glaube, nur mit dem Finger auf Griechenland zu zeigen, das bringt es nicht. Wenn einen jetzt die Nachrichten über Spanien oder über Portugal und Irland nachdenklich machen, dann wohl zu Recht.

Wir sagen Ja zum Fiskalpakt, weil wir keine Solidarität in der Schlamperei wollen. Das ist die Wahrheit.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir wollen Ausgaben begrenzen. Und Sie gehen nach vorn und sagen: Wer Ausgaben auf diese Weise begrenzt, der begrenzt Demokratie; er führt eine Schlacht gegen die sozialen Errungenschaften. Dann kommen die harten Worte: Dumpingwettbewerb, Abwärtsspirale.

(Zuruf von der LINKEN. Da hat er Recht!)

Und dann der pathetische Satz: Auch der, der das soziale Europa nicht schafft, verrät die europäische Idee.

(Beifall bei der LINKEN)

Habe ich Sie richtig verstanden?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Sie haben genau zugehört!)

Wie sozial ist denn Europa, wenn man über die Verschuldung die Abhängigkeit von den Banken erhöht? Was ist denn das für ein Bankenverständnis? - Ich denke in diesem Zusammenhang immer an Dagobert Duck, die Ente, die auf dem Goldhaufen sitzt.

(Heiterkeit bei der CDU)

Das sind systemrelevante Kreditgeber, die ein ganzes Wirtschaftssystem am Laufen halten, die auch Geld von kleinen Sparern und Anlegern verwalten. Wie würde sich denn die Verschuldung der Nationalstaaten in Europa entwickeln - Sie nennen 1,6 Billionen € -, wenn man keine Rettungsschirme beschlossen hätte, keine Bankenrettung betrieben hätte?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Warum war sie nö- tig? - Zuruf von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Das wissen wir, ehrlich gesagt, nicht. Geld zirkuliert. Geld ist Vertrauen.

Deswegen ist es falsch zu sagen: Wer Ausgaben begrenzt, der begrenzt Demokratie, begrenzt Handlungsspielräume, geht gegen soziale Errungenschaften vor. - Nein, wir können ein soziales Europa und auch soziale Errungenschaften letztlich nicht auf Pump dauerhaft und sinnvoll erhalten.

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich nach vorn gekommen. Ich sage ganz ehrlich: Wir brauchen Regulierung; wir brauchen auch eine Beteiligung von Gläubigern und Anlegern, wenn es so weitergeht wie bisher. Dazu gibt es ganz interessante Vorschläge der EU-Kommission.

Wir brauchen im Übrigen auch ein gerechtes Steuerrecht in Europa - Sie haben das angesprochen -; diesbezüglich ist viel zu tun. Bei den Griechen ähnelt das Steuerrecht eher einer Art Freiwilligenabgabe, auch bei denen, die vermögend sind.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Vor allem bei den Reichen!)

Diesbezüglich muss sich einiges ändern. Da sind wir ganz dicht beieinander.

Aber dass Sparen gefährlich ist, dass Sparen die Probleme verschärft und Ursache der Probleme ist, das sehen wir definitiv anders. Defizite zu vermeiden, die nicht auf Konjunkturschwankungen und Notsituationen zurückzuführen sind, hilft auch dabei, ein soziales Europa zu schaffen.

Ja zum Fiskalpakt, weil wir keine Solidarität in der Schlamperei gebrauchen können. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Schröder. - Finanzminister Herr Bullerjahn hat um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz noch einige Sätze sagen. Herr Gallert, so kann das nicht stehen bleiben. Ich kenne diesen Überschwang zwar selbst aus inzwischen 20 Jahren, dass kurz nach Parteitagen sozusagen bestimmte Rhetoriken noch anhalten, aber so, wie es hier erfolgt ist, kann man Europa nicht abhandeln. So kann man das nicht tun.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei der CDU)

Ich sage das als jemand, der davon überzeugt ist, dass die europäische Idee entweder funktioniert und dass wir alle etwas davon haben oder dass wir alle, wenn es schief geht, eine große Zeche zahlen werden, auch wir Deutschen mit unseren sozialen Standards. In Europa wird es dann Regionen geben, die nie wieder eine Chance haben werden, auf die Füße zu kommen.

Es ist doch so: Wenn man durch die Welt reist - ich muss durch meinen Job auch durch die Gegend fliegen, wegen billigen Geldes und all solcher Sachen; wir haben diesbezüglich eine, wie ich denke, sehr offensive und auch nachvollziehbare Strategie -, dann stellt man fest, dass die Menschen in Skandinavien langsam die Nase voll davon haben,

dass sie über Jahrzehnte hinweg ihre Haushalte in Ordnung gehalten haben, während die Deutschen immer mal hin- und herschwanken und der Süden meint, er müsse nicht einmal Steuern erheben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es gibt einen Druck aus allen Ecken Europas. Die Balten, die in den letzten Jahren eine Sanierung durchgeführt haben - - Ich weiß nicht, ob Sie das einmal nachvollziehen konnten; sie haben die Hälfte aller Lehrerinnen und Lehrer freigesetzt. Das können Sie schlecht finden. Es war ihre Entscheidung vor Ort. Sie haben jetzt, da sie ihre Sozialsysteme in Ordnung gebracht haben, wieder Wachstumsraten und erwarten von den restlichen Ländern Europas, dass auch sie sich diesen Mühen unterziehen.

Man muss dabei anerkennen, dass die Mentalität - das scheint bei Ihren Betrachtungen überhaupt keine Rolle zu spielen - eines Angelsachsen, die eines Südeuropäers und die eines Skandinaviers völlig verschieden sind.

(Zuruf von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Das kann bei der Reinheit und Klarheit eines Programms der LINKEN völlig ausgeblendet werden. Mir ist es aber zehnmal lieber, wenn CDU, GRÜNE und SPD pragmatisch schauen, wie sie als Deutsche Europa beieinanderhalten und fortentwickeln können.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Auch ich gehörte zu denen, die sich maßlos darüber geärgert haben, dass die Tschechen und die Slowaken mit billigen Steuersätzen - natürlich EUgefördert; ich weiß, was damals in Brüssel los war - die Unternehmer abgezogen haben und ihren Haushalt dann nicht mehr in Ordnung hatten, als die wirtschaftliche Krise kam - das ist sozusagen ein Kreislauf -, und dann Europa wieder angebettelt haben: Jetzt müsst ihr uns aber helfen.

Alles, was wir tun, kostet am Ende auch Geld; das müssen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern erklären. Deswegen kann man zum Beispiel erwarten, dass die Steuersysteme von Italien und Griechenland auf den Prüfstand gestellt werden und dass das dortige Steueraufkommen endlich einmal hinterfragt und auch eingesammelt wird. Das ist doch nichts Schlimmes.

Aber zu sagen - deshalb bin ich nach vorn gegangen -, wer das alles nicht macht, der verrät den europäischen Gedanken, das halte ich schon für sehr, sehr abgehoben. Es hilft den Menschen vor Ort, die unsere Hilfe brauchen, auch in Griechenland, kein Stück weiter.

Stellen Sie sich vor, Europa geht auf Kerneuropa zurück, wie es einmal diskutiert wurde - das wäre fatal. Wer einmal nach Asien fliegt, der kann sich gern einmal mit den Politikerinnen und Politikern und den Wirtschaftsleuten vor Ort unterhalten; sie

warten nur darauf, dass die EU und der Euro richtig in die Knie gehen. Sie werden sich mit unseren Debatten bestimmt nicht beschäftigen.

Deswegen: Jeder, der die Diskussion so zugespitzt führt, schaue bitte, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Das sage ich auch als Sozialdemokrat. - Schönen Dank.