Protokoll der Sitzung vom 08.06.2012

Deswegen: Jeder, der die Diskussion so zugespitzt führt, schaue bitte, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Das sage ich auch als Sozialdemokrat. - Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Können wir in das Abstimmungsverfahren eintreten oder wünscht noch jemand das Wort? - Das sehe ich nicht. Dann stimmen wir jetzt zunächst über den Ursprungsantrag, den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/1151, ab. Wer stimmt diesem zu? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen?

(Zurufe)

- Nein. Wir haben Alternativanträge vorliegen. Ich war mitten in der Abstimmung. - Also: Wer stimmt dem Antrag zu? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Ursprungsantrag abgelehnt worden.

Ich lasse jetzt über den Alternativantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/1188 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Fraktionen. Damit ist dieser Alternativantrag abgelehnt worden.

Wir stimmen nunmehr über den Antrag der Koalitionsfraktionen in der Drs. 6/1185 ab. Wer stimmt diesem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Alternativantrag der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 14.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung

Gemeinsamen Unterricht in Sachsen-Anhalt weiterentwickeln

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1152

Änderungsantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/1181

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/1182

Als Einbringerin des Antrags spricht die Abgeordnete Frau Bull.

Sehr geehrte Damen und Herren! Im Mai 2011, vor ungefähr einem Jahr, haben wir die Landesregierung hier im Plenum aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, schlichtweg: zu handeln. Seitdem trifft sich regelmäßig eine Arbeitsgruppe. Das Problem ist aber: Es gibt keine öffentliche Diskussion. Es gibt dazu nicht einmal eine Debatte im Bildungsausschuss. Wir haben lediglich im Sozialausschuss mit deutlich angezogener Handbremse die ersten Berichte aus der tagenden Arbeitsgruppe gehört. Das Problem ist: Es wird kaum bis gar nicht operationalisiert. Es wird kaum bis gar nicht entschieden.

Die GEW hat ihre Gelbe-Karten-Aktion gestartet. Der Allgemeine Behindertenverband ist aus der gemeinsamen Arbeitsgruppe ausgestiegen. Wenn Sie in die Schulen gehen, dann stellen Sie fest, dass es dort kaum noch ein anderes Gesprächsthema als die Zukunft des gemeinsamen Unterrichts gibt.

Ich frage Sie: Was brauchen Sie noch? Was brauchen Sie noch, um endlich zu handeln, zu entscheiden und Dinge auf den Weg zu bringen?

Vor diesem Hintergrund haben wir als Fraktion uns entschieden, eigene Vorstellungen auf den Tisch zu legen, wohl wissend, dass keiner dieser Vorschläge wirklich konfliktfrei und einfach durchzusetzen ist.

Die Ausgangslage ist alles andere als rosig. Das größte Problem ist das fehlende Personal, meine Damen und Herren. Dieses Kind ist bereits weitgehend in den Brunnen gefallen. Selbst wenn hierzulande jeder Absolvent eine Perspektive bekäme - ich sage dies im Konjunktiv -, ist das Problem bereits versemmelt.

Wir haben ein zweites Problem, ein strukturelles Problem. Wir finanzieren und realisieren im Moment zwei Systeme plus ein Übergangssystem. Beide Systeme und auch das Übergangssystem sind auf Fachkräfte angewiesen. Wir haben mittlerweile einen Punkt erreicht, bei dem es quasi so ist, dass der Umstand, dass mehr Kinder im gemeinsamen Unterricht sind, es nicht zugleich zulässt, weniger Personal in den Förderschulen vorzuhalten.

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem entschieden werden muss, in welchem dieser beiden Systeme die Zukunft liegt, auf welches dieser beiden Systeme das Personal, das ohnehin extrem knapp bemessen ist, konzentriert werden muss: entweder auf die Regelschule oder auf das System der Förderschule.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Beides und ein Übergangssystem, meine Damen und Herren, ist nicht mehr realisierbar. Das ruiniert die Idee des gemeinsamen Unterrichts.

(Beifall bei der LINKEN)

So sieht es aus. Das sind die Ausgangspositionen, die alles andere als Freude machen, die man sich aber nicht wegwünschen kann. Das heißt, man kann sie sich zwar wegwünschen, aber nicht wegbeschließen; sie sind da. Es muss etwas passieren; es muss endlich entschieden werden. Ehrlich gesagt: Ihre Ruhe möchte ich manchmal haben.

Was schlagen wir vor? - Unter Punkt 1 unseres Antrages finden Sie das Bekenntnis zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Es mag mittlerweile manchmal als Formalie erscheinen; das ist es aber nicht, meine Damen und Herren. Angesichts der prekären Lage in vielen Schulen sind viele Kolleginnen bereits bereit, das Unternehmen des gemeinsamen Unterrichts völlig zu canceln. Auch aus den Reihen der CDU - wir haben es mehrfach hier im Landtag erlebt - kommen immer wieder Bemerkungen, die darauf hinauslaufen. Meine Damen und Herren, hierzu brauchen wir eine Klärung.

Punkt 2 zielt auf meine Eingangsbemerkung. Wir brauchen nicht nur schnell ein Konzept, es muss auch mit den Akteurinnen vor Ort besprochen werden. Der Kita-Dialog im vergangenen und zum Teil auch in diesem Jahr hat gezeigt: Natürlich sind die Akteurinnen und Akteure vor Ort, wenn man mit ihnen bei solchen Veranstaltungen ins Gespräch kommt, alles andere als mit allem einverstanden.

Also, Freudentränen habe ich im Kita-Dialog eher weniger zur Kenntnis nehmen können. Allerdings fühlen sich die Beteiligten auch ernst genommen. Allein dieser Versuch - das können Sie vielen Bemerkungen, die im Nachhinein gemacht wurden und werden, entnehmen -, vor Ort in Regionalkonferenzen oder Dialogen - wie auch immer - mit Betroffenen zu reden, wird sehr wohl honoriert und ist auch sehr wohl honoriert worden. Der offene Dialog vor Ort ist nötig.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Unter Punkt 3 skizzieren wir etwas konkreter unsere Vorschläge. Sie korrelieren ein Stück weit - ich bin gestern nicht darauf eingegangen - mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf. Mit den darin vorgeschlagenen Regelungen werden diese Vorschläge praktisch untermauert.

Wir werben für das Prinzip, für das vorübergehende Prinzip - dies zu betonen ist wichtig - einer vorsichtigen Konzentration. Das ist in etwa mit den sogenannten integrativen Kitas vergleichbar. Das, meine Damen und Herren, verhindert ineffektive Einzelintegration. Das heißt mitunter vor Ort: Lehrerin XY, Sonderpädagogin XY kommt für zwei Lehrerstunden immer an den gleichen Ort, immer zur gleichen Stunde. Ich frage Sie: Wie soll damit Kompetenztransfer in einem solchen System wie Schule möglich sein?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das ist höchst ineffektiv. Sie erreichen niemals die kritische Masse, damit sich dort etwas verändert.

Es ermöglicht zum Zweiten auch, die vorhandenen extrem knappen Ressourcen zu konzentrieren, und zwar so, dass sie halbwegs ausreichen. Das ist mit dem Modellprojekt vergleichbar, das in den vergangenen zwei Jahren mit den 22 Modellschulen, Grundschulen mit Integrationsklassen, praktiziert wurde, die überwiegend sehr erfolgreich gearbeitet haben. Und es ermöglicht gemeinsamen Unterricht in zumutbarer Entfernung.

Wir brauchen zum Dritten eine Neugestaltung der präventiven Grundversorgung. Das, was die Schulen - es sind weitgehend nur die Grundschulen - derzeit zur Verfügung haben, soll auch dort bleiben, sodass nicht das subjektive Gefühl in der Schule um sich greift: Jetzt, da die Lage ohnehin außerordentlich schwierig ist, wird uns auch noch etwas weggenommen. Das soll also erhalten bleiben. Aber in Bezug auf den Rest, der zu dieser präventiven Grundversorgung dazugehört, müssen wir schauen, wo wirklich Bedarf besteht. Deshalb schlagen wir vor, eine bedarfsabhängige Komponente einzuführen. Das heißt, Schulen, die einen besonderen Bedarf haben, müssen auch besonders versorgt werden.

Die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Woher kommen die Ressourcen? - Damit sind wir bei einem sehr schwierigen Punkt. Ich verweise auf meine Eingangsbemerkung bezüglich der zwei Systeme, die beide mit Fachkräften und Lehrkräften unterhalten werden müssen, plus das Übergangssystem. Ich sage noch einmal: Eine weitere Erhöhung der Anzahl der Kinder im gemeinsamen Unterricht an der Regelschule macht den Förderschullehrer an der LB-Schule nicht überflüssig. Die verbliebene Klasse dort braucht die Lehrkraft trotzdem. Die Regelschule kann auf diese Personalressourcen also erst dann zugreifen, wenn dort wirklich - ich sage es etwas zugespitzt - keine Kinder mehr unterrichtet werden.

Ich betone an dieser Stelle - es ist ein sehr sensibles Gebiet -: Zunächst geht es hierbei ausschließlich um die Kinder aus den Schulen für sogenannte Lernbehinderte und um Kinder aus den Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Sprache - nicht, dass Irrtümer entstehen. Es geht nicht um die GB-Schulen. Es geht auch nicht um die Schulen für Kinder mit Sinnesbehinderungen.

Es gibt keinen anderen Weg, meine Damen und Herren - das weiß wahrscheinlich jeder hier -, als die Eingangsklassen jahrgangsweise zu schließen und in den gemeinsamen Unterricht zu geben. Erst dann können wir dieses Personal freisetzen. Erst dann haben wir die Möglichkeit, Förderpädagogen freizubekommen, die an der Regelschule extrem dringend gebraucht werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Damit stellt sich die Frage nach der Zukunft der Förderschulen für Lernbehinderte und der Förderschulen für Sprachentwicklung. Wir haben gestern schon über die Schulentwicklungsplanung diskutiert. Es gibt bereits einige Schulen, die in ihrem Bestand akut gefährdet sind, weil sie Vorgaben einfach nicht mehr erfüllen können. Hierzu schlagen wir vor, den Förderschulen zu ermöglichen, künftig Förderschwerpunkte zu bündeln.

Ich wäre auch für den Bestandsschutz der dann verbliebenen Förderschulen, meine Damen und Herren. Denn es ergibt wenig Sinn, das Schulgeschehen an diesen Schulen zweifach zu belasten, nämlich zum einen durch die Zusammenlegung und zum anderen durch die Verkleinerung und perspektivisch die Schließung.

Darüber hinaus schlagen wir vor, sogenannte Kooperationsklassen an den Regelschulen zu ermöglichen. Wenn ich das übersetzen sollte, dann würde ich sagen: Das ist etwas wie kleine Förderschulen unter dem Dach der Regelschule, einfach um ein Stück weit, wenn wir das Wahlrecht von Eltern erhalten wollen, eine Art Rückfallnetz zu ermöglichen. Immerhin ist es für alle Beteiligten ein lernendes System.

Unter den Punkten 4 und 5 befassen wir uns mit dem Personal. An der Martin-Luther-Universität gibt es derzeit durchaus ernstzunehmende Bemühungen. Wie ich gehört habe, hat sich die Ausbildung „Lehramt für Förderschulen“ nun konsequenterweise umbenannt; denn die Perspektive ist nicht mehr die Förderschule, sondern die Perspektive kann bestenfalls die Sonderpädagogik sein.

Wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist jetzt auch vereinbart worden, dass in allen Lehrämtern das Modul Integrations- und Rehabilitationspädagogik eine Rolle spielt. Ich finde, das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zudem brauchen wir an den Schulen verschiedene Professionen. Das ist keine Neuigkeit. Ich sage es noch einmal: Hierbei sind beide Ministerien gefragt; denn hierbei geht es auf der einen Seite um Schulsozialarbeit und Sonderpädagogen und auf der anderen Seite um Integrationshelferinnen und -helfer.

Diese werden aus einem anderen Ministerium, dem Ministerium für Arbeit und Soziales, aus der Eingliederungshilfe finanziert. Dort muss die Beantragung schnell erfolgen, es müssen schnell Hilfe und Umsetzung realisiert werden. Es geht nicht, dass man ein halbes Jahr darauf wartet, eine solche Fachkraft als mögliche Unterstützung zu bekommen.

Und natürlich wird immer wieder - diesbezüglich werden wir nicht müde werden - unser Ruf laut: Sie müssen das Personalentwicklungskonzept

überarbeiten! Ich weiß, dass Sie das wissen. Ich hätte aber gern, dass Sie es auch beschließen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Die Zukunft des gemeinsamen Unterrichts hängt mittlerweile an einem seidenen Faden. Die CDU beginnt - das ist ihr gutes Recht -, den gemeinsamen Unterricht innerlich und äußerlich zu begraben. Sie findet dafür nicht zu unterschätzende Unterstützung. Sie findet allerdings auch Widerworte.