Was Bulgarien und Rumänien betrifft: Sie sind 2007 vollwertige Mitglieder der EU geworden und genießen die grundsätzlichen Vorzüge des europäischen Binnenmarktes. Ihnen stehen insbesondere auch die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft garantierten Grundfreiheiten schon heute zu.
Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der Prozess der schrittweisen Anpassung aufgrund des Beitritts der neuen Mitgliedstaaten nicht gänzlich abgeschlossen ist. Vielmehr müssen sowohl die neuen als auch die alten Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die vollständige Geltung des Gemeinschaftsrechts in der erweiterten EU erst noch schaffen. Diesem Umstand tragen unter anderem die Übergangsbestimmungen im Bereich der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber Bulgarien und Rumänien Rechnung.
Diese Übergangsbestimmungen laufen in beiden Ländern bereits Ende dieses Jahres aus. Spätestens am 31. Dezember 2013 werden alle nationalen Maßnahmen nach der Beitrittsakte 2007 enden. Also spätestens dann ist auch dort die Arbeitnehmerfreizügigkeit garantiert.
Vor diesem Hintergrund scheint vielleicht nicht die ganz große Eile geboten. Man muss, auch im Zusammenhang mit dem, was ich vorhin gesagt habe, den Verantwortlichen die Chance lassen, diese zwei Jahre vielleicht doch noch geregelt zu bekommen.
Auf die anderen Forderungen möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Das ist schon gestern bei der Debatte darüber, was im Koalitionsvertrag steht und was nicht darin steht, zum Ausdruck gekommen. Wir halten zumindest die Allgemeinverbindlichkeitserklärung tariflicher Mindestlöhne und die entsprechende Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen für die wichtigsten Vorhaben, die wir in Sachsen-Anhalt umsetzen können.
Wir teilen auch den Grundsatz, dass beim Thema Leiharbeit das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt. Das bezieht sich zwar auf die Dreimonatsregelung und nicht auf die Forderung nach einer Geltung vom ersten Tag an, aber zumindest teilen wir diesen Grundsatz.
Was die soziale Fortschrittsklausel betrifft, kann man eigentlich nur begrüßen, dass es sie gibt. Aber es gibt unter den Fachleuten auch Fragen in der Richtung - darin muss ich mich später mehr einlesen -, ob diese Klausel tatsächlich ein geeignetes Instrument ist, um die soziale Dimension der EU zu stärken. Ob sie in das europäische Primärrecht übernommen werden soll oder nicht, ist eigentlich auch beim Europäischen Parlament umstritten. Man kann nicht sagen, dass dies nur bei den Experten umstritten ist.
Zu der Anhörung zur sozialen Fortschrittsklausel sind damals vier namhafte Experten eingeladen worden. Mir wurde aufgeschrieben, dass Professor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherung der Universität Bonn, einen kritischen Beitrag geliefert hat. Er ist der Auffassung, wenn man sich um die Zukunft der EU Gedanken macht, dann sollte dies schon konkreter
geschehen, und nicht mit einer breit gefassten Klausel. Er sagte, es wird zu viel hineingenommen, und wenn man es nicht konkret fasst, wird es verwässert.
Zumindest muss es in der Diskussion erwähnt werden, weil diese sozialen Rechte in der EU genauso unteilbar sind, wie sie es auch bei uns sind. Daher glaube ich, dass uns dieses Thema insgesamt noch viel länger beschäftigen wird. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Bischoff. - Wir treten nunmehr in die Debatte ein. Es ist eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge CDU, GRÜNE, SPD, DIE LINKE vereinbart worden. Als Erster hat für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Rotter das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin heute zum zweiten Mal hier vorn. Soweit mir der Freitag, der 13., keinen Strich durch die Rechnung macht, verspreche ich Ihnen, dass es heute das letzte Mal ist, dass ich hier vorn stehe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zumindest in einem Punkt sind sich die antragstellende Fraktion DIE LINKE und meine Fraktion einig. Auch wir begrüßen die seit dem 1. Mai 2011 geltende Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenfreizügigkeit für die im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetretenen mittel- und osteuropäischen Staaten. Die damit eintretende europäische Normalität ist zu begrüßen. Diese Freizügigkeit bildet gemeinsam mit der Unionsbürgerschaft das Fundament für eine von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptierte und getragene Europäische Union.
Im Zuge dieses Prozesses hat Deutschland den zulässigen Zeitraum für die Inanspruchnahme der Übergangsbestimmungen von sieben Jahren voll ausgeschöpft. Diese Vorgehensweise hat sich aus meiner Sicht bewährt. Von dieser Vorgehensweise sollte deshalb im Falle von Bulgarien und Rumänien nicht abgewichen werden.
Bemerkenswert ist - dies ist von der Kollegin Rogée von der Linksfraktion nicht erwähnt worden -: Die vertraglich festgeschriebene Inanspruchnahme von Übergangsbestimmungen, die übrigens von mehreren Mitgliedstaaten parallel zu Deutschland angewandt werden, bedeutet keine Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes gegenüber Bulga
rien und Rumänien. Vielmehr ist es eine Steuerung des Arbeitsmarktzugangs nach deutschem Recht. Dies sieht für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger aus Bulgarien und Rumänien vielfältige privilegierte Zugangsmöglichkeiten zum deutschen Arbeitsmarkt vor.
Zu dem Ansinnen der Fraktion DIE LINKE kann ich mich deshalb, ähnlich wie Herr Minister Bischoff, nicht zustimmend äußern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum wir als Koalitionsfraktionen den meisten Punkten in dem Antrag der LINKEN nicht zustimmen können, hat Herr Minister Bischoff in seiner Rede schon hinlänglich dargelegt. Ich schließe mich dem inhaltlich an.
Lassen Sie mich jedoch noch einen Gedanken äußern, wie man auch als Land Sachsen-Anhalt im Zusammenspiel mit dem Bund die Arbeitnehmer- und Arbeitsnehmerinnenfreizügigkeit beschäftigungs- und sozialpolitisch mitgestalten kann.
Es ist aus meiner Sicht von großer Bedeutung, dass Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Öffentlichkeit über die zum 1. Mai 2011 eingetretenen Veränderungen und über die Rahmenbedingungen für die Beschäftigung und Entsendung von Unionsbürgern und Unionsbürgerinnen gut informiert sind. Ich betrachte dies als grundlegende Voraussetzung dafür, dass die Möglichkeiten der vollen Freizügigkeit optimal genutzt werden und gleichzeitig negative Auswirkungen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer sowie für den inländischen Arbeitsmarkt verhindert werden. Sachliche Informationen sollen unbegründeten Ängsten in Deutschland und in den neuen Mitgliedstaaten entgegenwirken.
Machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Diese Ängste sind auf beiden Seiten vorhanden und zum Teil nicht ganz unbegründet. Die einen fürchten den weiteren Weggang gut ausgebildeter, junger und hochmotivierter Arbeitskräfte. Die anderen fürchten Lohn- und Sozialdumping. - Auf diese Geschichtspunkte sind Sie, werte Kollegin Rogée, eingegangen.
Darum ist im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen konkret die Zielsetzung definiert worden, Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu vermeiden. Um dies zu erreichen, hat die Politik die Mittel, und wir sollten sie auch entsprechend anwenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion hat in ihrem Antrag einige arbeitsmarktpolitische Themenfelder angesprochen, über die es sich mit Sicherheit gesondert zu diskutieren lohnt.
Ich möchte an dieser Stelle das Thema Zeit- oder Leiharbeit anführen. Aber nur mit dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wurde an dieser Stelle aus meiner Sicht etwas zu kurz gesprungen, wenn ich zum Beispiel an die Gleichstellung mit der Stammbelegschaft in Bezug auf Mitbestim
- Danke. - Dazu sollten wir das Gespräch mit den Sozial- und den Tarifpartnern suchen; denn nur starke Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter als gleichberechtigte Partner sichern uns den Fortbestand des Erfolgsmodells soziale Marktwirtschaft in Deutschland.
Heute und jetzt möchte ich Sie bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen, unserem Änderungsantrag zuzustimmen; denn seine Umsetzung garantiert die Nutzung der Chancen, die die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenfreizügigkeit für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft unseres Bundeslandes bietet. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Rotter. - Als nächstes spricht für die Fraktion der GRÜNEN Herr Kollege Erdmenger.
Ich darf mir den Hinweis erlauben, dass es der erste Redebeitrag von Ihnen in dieser Wahlperiode und in diesem Hause ist. Herzlich willkommen hier vorn!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen den Antrag der Fraktion DIE LINKE. Wir begrüßen ihn auch deswegen, weil er das Thema in der richtigen Reihenfolge behandelt: Darin wird zunächst die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenfreizügigkeit begrüßt und dann an der Frage angesetzt, wie wir dies am Arbeitsmarkt flankieren können.
In unserem Land ist zu lange mit einer diffusen Angst davor gearbeitet worden, was die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer aus den osteuropäischen Ländern für unseren Arbeitsmarkt bedeuten könnten. Wir haben uns an dieser Stelle zu lange abgeschottet. Es ist gut, dass wir mit dieser Angst jetzt ein Ende machen wollen und im Landtag dagegen ein Zeichen setzen wollen.
Weil es diese Ängste gibt, ist es natürlich richtig, die Flankierung auf dem Arbeitsmarkt anzusprechen. Die Flankierung auf dem Arbeitsmarkt und die Maßnahmen, die in dem Antrag der Fraktion DIE LINKE gesetzt werden, sind natürlich nicht nur aus diesem Grunde richtig, sondern sie sind richtig, weil es die richtigen Maßnahmen wären, die
Wir hätten uns gewünscht, dass der Antrag einen Schritt weiter geht. Herr Bischoff hat es angesprochen: Wir haben in Deutschland insgesamt und auch in Sachsen-Anhalt ein Problem damit, dass die Bevölkerungszahl deutlich zurückgeht. Und wir haben ein Fachkräfteproblem.
Deswegen ist es nicht damit getan, dass wir uns im Landtag dafür aussprechen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Osteuropa endlich ihre verbrieften Rechte bekommen; vielmehr ist es notwendig, dass wir dafür werben, dass möglichst viele Menschen hierher kommen, hier Arbeit finden, sich hier niederlassen und mit daran wirken, dass unser Bundesland sein volles Potenzial entwickeln kann.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Sie bitten, dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zuzustimmen. Wir werden ihm zustimmen und den Änderungsantrag der Regierungskoalition ablehnen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Erdmenger. - Als nächstes spricht Herr Steppuhn für die Fraktion der SPD. Das wäre auch seine Jungfernrede. Allerdings ist es nicht seine allererste Rede in diesem Hause; denn er war schon einmal Mitglied des Landtages.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin richtig froh, dass der Präsident jetzt Detlef Gürth heißt und dort oben sitzt. Dann kann er nämlich nicht allzu viel auf die Gewerkschaften schimpfen.